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Verfahrensgang

ArbG Berlin, Urt. vom 22.08.2019 – 44 Ca 11017/18
LAG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 17.08.2020 – 21 Sa 1900/19, IPRspr 2020-35
LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 14.09.2020 – 21 Sa 1900/19
BAG, Urt. vom 24.06.2021 – 5 AZR 505/20, IPRspr 2021-273
LAG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 05.09.2022 – 21 Sa 1900/19
LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 30.11.2022 – 21 Sa 1900/19

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht → Individualarbeitsrecht
Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand

Leitsatz

Machen aus einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union entsandte Arbeitnehmer*innen Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz geltend, sind dafür die deutschen Gerichte international zuständig. Auf die Dauer der Entsendung kommt es nicht an.

Die Beurteilung von Ansprüchen nach dem Mindestlohngesetz richtet sich nach deutschem Recht. Das gilt nicht nur für die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns, sondern auch für die Voraussetzungen, unter denen er zu zahlen ist.

Ob ein Verstoß gegen Treu und Glauben gegeben ist, beurteilt sich nach deutschem Recht. Das ergibt sich jedenfalls daraus, dass inländisches Recht zumindest insoweit anzuwenden ist, als Gegenteiliges offensichtlich gegen die inländische öffentliche Ordnung (ordre public) verstößt. [LS von der Redaktion neu gefasst]

Rechtsnormen

AEnt-RL 96/71/EG Art. 1; AEnt-RL 96/71/EG Art. 3; AEnt-RL 96/71/EG Art. 6
AEntG § 2; AEntG § 11; AEntG § 15
BGB § 242
MiLoG § 1; MiLoG § 20
Rom I-VO 593/2008 Art. 9; Rom I-VO 593/2008 Art. 21

Sachverhalt

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über Ansprüche auf Arbeitsentgelt für die Zeit von Mai bis August 2015 und von Oktober bis Dezember 2015. Die 1951 geborene Klägerin ist bulgarische Staatsangehörige und hat ihren Wohnsitz in Bulgarien. Sie war ab Juni 2013 zunächst bei der R. - BG OOD, einem in Bulgarien ansässigen Unternehmen, auf der Grundlage eines in bulgarischer Sprache abgefassten schriftlichen Arbeitsvertrages vom 17.6.2013 als Sozialassistentin mit 40 Stunden pro Woche beschäftigt und wurde nach Deutschland entsandt. Dort war sie als Pflege- und Haushaltskraft in Privathaushalten zunächst in Koblenz und Bonn und ab Januar 2014 bei Frau Z., einer über 90-jährigen, betreuungsbedürftigen Dame, in deren Wohnung in einer Seniorenwohnanlage in Berlin tätig. Unter dem 8.4.2015 unterzeichnete die Klägerin einen ebenfalls in bulgarischer Sprache abgefassten Arbeitsvertrag als Sozialassistentin mit der Beklagten, einer in Bulgarien ansässigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach bulgarischem Recht, und betreute weiterhin Frau Z. in deren Wohnung in Berlin, wo sie auch wohnte und ihre Mahlzeiten einnahm. Der Arbeitsvertrag mit der Beklagten sah eine Arbeitszeit von sechs Stunden pro Tag und 30 Stunden pro Woche vor. Darüber hinaus unterzeichnete die Klägerin eine Zusatzvereinbarung, in der sie sich bereit erklärte, keine Überstunden zu machen. Mit Schreiben vom 6.7.2016 teilte die Beklagte dem Sohn von Frau Z. auf dessen Nachfrage entsprechend den Ausführungen der Deutschen Seniorenbetreuung auf ihrer Website unter anderem mit, die Klägerin verfüge über einen freien Tag in der Woche, wobei der freie Tag ein ganzer Tag oder auch stundenweise über die ganze Woche verteilt sein könne, je nach Kundenbedarf und gegenseitiger Absprache. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete Ende September 2016. Im September 2016 wandte sich die Klägerin an das Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte, freizügigkeitsberechtigte EU-Bürgerinnen und EU-Bürger sowie Selbstständige mit unklarem Arbeitsstatus (BEB) und machte über das Beratungsbüro gegenüber der Beklagten, dem Sohn von Frau Z. und der Deutschen Seniorenbetreuung mit Schreiben vom 13.10.2016 Vergütung nach dem Mindestlohngesetz für 24 Stunden an sieben Tagen pro Woche geltend. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2016 teilte die Beklagte der Deutschen Seniorenbetreuung auf deren Nachfrage unter anderem sinngemäß mit, aufgrund des durch die Vermittlung der Deutschen Seniorenbetreuung mit Frau Z. im März 2015 abgeschlossenen Dienstleistungsvertrages habe die Klägerin zwar in der Wohnung von Frau Z. wohnen (einschließlich übernachten) und essen sollen; außer den im Arbeitsvertrag vom 8.4.2016 geregelten Vereinbarungen gebe es mit der Klägerin aber keine zusätzlichen Vereinbarungen. Die vereinbarte Vergütung habe die Klägerin erhalten. Ob die Klägerin auf Anordnung von Frau Z. Überstunden geleistet habe, könne nur Frau Z. beantworten. Wenn die Klägerin freiwillig Überstunden geleistet habe, sei nicht sie, die Beklagte, sondern allein die Klägerin dafür verantwortlich. Mit Schreiben vom 14.11.2016 ließ die Deutsche Seniorenbetreuung die Forderung der Klägerin durch den jetzigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten zurückweisen.

Mit der Klage hat die Klägerin die Beklagte auf Arbeitsentgelt und Urlaubsentgelt in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns für 231 Arbeitstage und 24 Stunden pro Tag in Anspruch genommen. Frau Z. habe, als sie ihre Tätigkeit bei dieser aufgenommen habe, im Rollstuhl gesessen. Aufgrund ihres Lebensalters und ihrer schwachen körperlichen Konstitution sei Frau Z. sowohl tagsüber als auch nachts auf Betreuung angewiesen gewesen. Deshalb hätten ihre Kinder für sie eine 24-Stunden-Betreuung gesucht, die mit ihr in einem Haushalt lebt. Sie, die Klägerin, habe Frau Z. rund um die Uhr betreut und über ihr Wohlergeben gewacht. Weisungen habe sie nur von dieser und deren Sohn erhalten. Herr K. habe ihr bereits bei ihrer Bewerbung mitgeteilt, dass sie bei der Betreuten an sieben Tagen 24 Stunden pro Woche vor Ort sein müsse. Auch beim Abschluss des Arbeitsvertrages sei ihr gesagt worden, dass sie Tag und Nacht für die betreute Person da sein müsse. Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Mit Urteil vom 22.8.2019 hat das Arbeitsgericht der Klage teilweise stattgegeben. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Die Beklagte beantragt, das Urteil des ArbG Berlin vom 22.8.2019 abzuändern und die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die Berufung hat nur zum Teil Erfolg.

[2]I. ... II. Die Berufung ist auch begründet, …

[3]1. Die Klage ist, soweit sie in die Berufungsinstanz gelangt ist, zulässig.

[4]a) Die deutsche Gerichtsbarkeit ist international zuständig.

[5]aa) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgt aus § 15 Satz 1 AEntG (Arbeitnehmer-Entsendegesetz).

[6](1) Nach § 15 Satz 1 AEntG können Arbeitnehmer*innen, die in den Geltungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, also nach Deutschland, entsandt sind oder waren, Klage gegen ihren oder ihre Arbeitgeber*in auf Erfüllung der Verpflichtungen unter anderem nach § 2 AEntG auch vor einem deutschen Gericht erheben. Zu den Verpflichtungen nach § 2 AEntG gehört seit dem 1. Januar 2015 auch die Verpflichtung zur Zahlung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohnes nach dem Mindestlohngesetz (ErfK (Erfurter Kommentar) /Schlachter/Franzen, 20. Auflage § 2 AEntG Rn. (Randnummer) 2). Es handelt sich um Regelungen über Mindestentgeltsätze im Sinne von § 2 Nr. 1 AEntG. Das ergibt sich aus § 20 MiLoG (Mindestlohngesetz), wonach alle Arbeitgeber*innen mit Sitz im In- oder Ausland verpflichtet sind, ihren Arbeitnehmer*innen, soweit sie im Inland beschäftigt werden, den Mindestlohn zu zahlen (so auch BT-Drs. (Bundestags-Drucksache) 18/1558 Seite 42).

[7](2) Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz ist vorliegend maßgeblich. Denn keine der Parteien hat vorgebracht, dass ein Branchenmindestlohn - etwa der nach § 11 AEntG in der Zweiten Pflegearbeitsbedingungenverordnung vom 27. November 2014 festgesetzte Pflegemindestlohn - einschlägig ist.

[8](3) Die Klägerin war im Sinne des § 2 AEntG nach Deutschland entsandt. Ob eine Entsendung vorliegt, bestimmt sich vor dem Hintergrund der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (im Folgenden: Entsende-Richtlinie). Nach Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 Unterabsatz 1 Buchstabe a der Entsende-Richtlinie, liegt eine Entsendung im Sinne der Richtlinie unter anderem vor, wenn ein Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedsstaat Arbeitnehmer*innen in seinem Namen und unter seiner Leitung in einen anderen Mitgliedsstaat im Rahmen eines Vertrages entsendet, der zwischen dem Unternehmen und einem Dienstleistungsempfänger geschlossen wurde, sofern zwischen dem Unternehmen und dem oder der Arbeitnehmer*in für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis besteht. Die Beklagte mit Sitz in Bulgarien, einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union, hat die Klägerin im Rahmen eines mit Frau Z. als Dienstleistungsempfängerin geschlossenen Vertrages nach Deutschland entsandt. Während der gesamten Zeit bestand zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis. Darauf, ob die Entsendung nur vorübergehend erfolgte, kommt es nach der Bestimmung nicht an, auch wenn nach dem Erwägungsgrund 3 der Entsende-Richtlinie vorübergehende Entsendungen Anlass für ihren Erlass gegeben haben. Denn nach Erwägungsgrund 14 der Richtlinie ist ein harter Kern klar definierter Schutzbestimmungen gerade unabhängig von der Dauer der Entsendung einzuhalten.

[9]bb) Dieses Ergebnis ist mit dem Unionsrecht vereinbar. Das ist unabhängig davon, ob sich die gerichtliche Zuständigkeit auch aus der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, der sogenannten Brüssel Ia-Verordnung, ergibt, in der die gerichtliche Zuständigkeit in Zivilsachen einschließlich Arbeitssachen geregelt ist. Denn nach Artikel 6 Halbsatz 1 der Entsende-Richtlinie kann eine Klage zur Durchsetzung der in Artikel 3 der Richtlinie gewährleisteten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in dem Mitgliedsstaat erhoben werden, in den der oder die Arbeitnehmer*in entsandt ist oder war. Nach Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe c Halbsatz 1 der Entsende-Richtlinie gehören dazu auch die in Rechtsvorschriften über die Entlohnung festgelegten Rechte und damit auch die sich aus dem Mindestlohngesetz ergebenden Ansprüche.

[10]b) ... 2. Die Klage ist nur zum Teil begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn für 21 Stunden pro Kalendertag abzüglich des bereits erhaltenen Nettobetrags zuzüglich Zinsen.

[11]a) Der Anspruch beurteilt sich nach deutschem Recht.

[12]aa) Das ergibt sich aus § 2 Nr. 1 AEntG, der - wie ausgeführt - auch für Ansprüche nach dem Mindestlohngesetz gilt. Nach § 2 Nr. 1 AEntG findet das Mindestlohngesetz auch zwingend Anwendung auf Arbeitsverhältnisse zwischen im Ausland ansässigen Arbeitgeber*innen und ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmer*innen (umfassend zur international zwingenden Wirkung des Mindestlohngesetzes Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, 2. Auflage § 20 Rn. 3 ff.). Die Klägerin stand in einem Arbeitsverhältnis mit der in Bulgarien ansässigen Beklagten und wurde im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses in Berlin und damit im Inland beschäftigt. Darauf, ob das Arbeitsverhältnis im Übrigen bulgarischem Recht unterliegt, wofür einiges spricht, kommt es nicht an.

[13]bb) Dieses Ergebnis steht auch mit dem Unionsrecht in Einklang. Dabei kommt es nicht darauf an, ob insoweit auch nach der für die Bestimmung des maßgeblichen Vertragsrechts einschlägigen Verordnung (EG) 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, der sogenannten Rom I-Verordnung, deutsches Recht anzuwenden ist. Dies könnte der Fall sein, weil das Mindestlohngesetz nach Artikel 9 der Verordnung als Eingriffsnorm anzusehen ist (so beispielsweise FG (Finanzgericht) Berlin-Brandenburg 16. Januar 2019 - 1 K 1161/17 - Rn. 36 mwN.; Thüsing/Bayreuther, MiLoG und AEntG 2. Auflage § 1 MiLoG Rn. 67; ebenso zu § 20 MiLoG Riechert/Nimmerjahn, 2. Auflage § 20 Rn. 5). Die Bundesrepublik Deutschland durfte das Mindestlohngesetz aufgrund der Entsende-Richtlinie für international zwingend erklären. Denn nach Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe c Halbsatz 1 der Entsende-Richtlinie haben die Mitgliedsstaaten dafür zu sorgen, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anzuwendende Recht die entsendenden Unternehmen ihren Arbeitnehmer*innen die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die durch Rechtsvorschriften über die Entlohnung festgelegt sind. Dazu gehört auch das Mindestlohngesetz. Denn ein Mitgliedsstaat wie die Bundesrepublik Deutschland kann der genannten Verpflichtung nach der Entsende-Richtlinie nur nachkommen, indem er sein eigenes Recht zur Anwendung bringt.

[14]cc) Der Beurteilung nach deutschem Recht unterliegt dabei nicht nur die Höhe des allgemeinen Mindestlohnes, sondern es unterliegen ihr auch die Voraussetzungen unter denen er zu zahlen ist. Die Formulierung „Mindestentgeltsätze“ in § 2 Nr. 1 AEntG ist insoweit missverständlich. Denn die Entgeltsätze liefen ins Leere, wenn sie nicht entsprechend der ihnen zugrundeliegenden gesetzlichen Regelung zur Anwendung kämen. Im Übrigen spricht Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe c Halbsatz 1 der Entsende-Richtlinie von Rechtsvorschriften zur „Entlohnung“ und erfasst nicht nur die Entlohnungssätze im engeren Sinn, sondern die Vorschriften zur Entlohnung insgesamt. Daher gebietet der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts (siehe dazu z.B. EuGH (Gerichtshof der Europäischen Union) 6. November 2018 - C-684/16 - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 58 f. sowie BAG 19. Februar 2019 - 9 AZR 423/16 - Rn. 17 ff. jeweils mwN) ein weiteres Verständnis der deutschen Regelung in § 2 Nr. 1 AEntG.

[15]b) Nach § 1 Absatz 1 MiLoG hat die Klägerin während der noch streitbefangenen Zeiträume Anspruch auf Zahlung des allgemeinen Mindestlohnes für 21 Stunden an jedem Kalendertag.

[16]a) ... bb) Die Beklagte muss sich so behandeln lassen, als habe sie der Klägerin 21 Stunden pro Kalendertag als Arbeit zumindest in Form von Bereitschaftszeit zugewiesen.

[17](1) ... (3) Auf die zeitliche Begrenzung in der Zusatzvereinbarung zwischen den Parteien vom 15. April 2015, wonach die Klägerin nur sechs Stunden von Montags bis Freitag arbeiten sollte und keine Überstunden machen durfte, sowie die Regelung in § 7 des Dienstleistungsvertrages zwischen der Beklagten und Frau Z., die möglicherweise als Vereinbarung einer Betreuung durch die Klägerin im Umfang von nur 30 Stunden pro Woche ausgelegt werden kann, sowie den Hinweis auf der Webseite der von der Beklagten bei Anbahnung des Vertrages mit Frau Z. eingeschalteten Vermittlerin, der Deutschen Seniorenbetreuung, auf das Arbeitszeitgesetz kann die Beklagte sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nach § 242 BGB dagegen nicht berufen. Das wäre unzulässig, weil widersprüchlich.

[18](a) … (e) Ob das Verbot rechtsmissbräuchlich widersprüchlichen Verhaltens nach § 242 BGB verletzt ist, bestimmt sich nach deutschem Recht, unabhängig davon, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien bulgarischem Recht unterliegt. Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob es im bulgarischen Recht eine vergleichbare Rechtsnorm gibt. Ebenso wenig ist von Bedeutung, ob dies bereits aus der Geltung deutschen Rechts für die Überprüfung der Voraussetzungen für die Anwendung des Mindestlohngesetzes folgt. Denn nach Artikel 21 der Rom I-Verordnung kann das angerufene Gericht entgegenstehendes ausländisches Recht unangewendet lassen, soweit seine Anwendung mit der öffentlichen Ordnung („ordre public“) des eigenen Staates offensichtlich nicht übereinstimmt. Die Außerachtlassung der Grundsätze des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB wäre mit der öffentlichen Ordnung Deutschlands offensichtlich nicht vereinbar. Maßgeblich ist, ob das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts im konkreten Fall zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach deutscher Vorstellung untragbar erscheint (BGH (Bundesgerichtshof) 22. Juni 2017 - IX ZB 61/16 (IPRspr 2017-270b) - Rn. 14 mwN). Das ist bei Außerachtlassung der Grundsätze des Rechtsmissbrauchs offensichtlich der Fall. Denn diese Grundsätze dienen gerade dazu, untragbare Ergebnisse im eigenen Recht zu vermeiden.

[19]cc) ...

Fundstellen

nur Leitsatz

NZA-RR, 2021, 351

LS und Gründe

Streit, 2021, 16

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