Mit der Durchsetzung einer Forderung, deren Beurteilung und Bezifferung ohne Kenntnisse eines ausländischen (hier schweizerischen) Rechts nicht wirkungsvoll und sachgerecht möglich ist, überschreitet ein in Deutschland registrierter Inkassodienstleister die Befugnis zur Erbringung von Inkassodienstleistungen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG), wenn er nicht nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG für die Erbringung der Rechtsdienstleistungen in dem betreffenden ausländischen Recht registriert ist und damit nicht über die erforderliche eigene besondere Sachkunde verfügt. [LS von der Redaktion neu gefasst]
Die Klägerin macht als Inkassounternehmen aus abgetretenem Recht Schadensersatzansprüche eines in der Schweiz ansässigen Käufers eines Fahrzeuges VW T. geltend, das über einen Dieselmotor vom Typ EA 189 verfügt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Die Klägerin beantragt, das Urteil des LG Braunschweig abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu zahlen. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
B.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Der Klägerin fehlt für die Geltendmachung der streitgegenständlichen Schadensersatzforderung die Aktivlegitimation, da die Abtretung dieser Forderung an die Klägerin - den Abtretungsvorgang als zutreffend unterstellt - wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (§§ 134 BGB i. V. m. §§ 3, 10 Abs. 1 Nr. 3 RDG) nichtig ist.
1. Das Rechtsdienstleistungsgesetz ist auf die streitgegenständliche Abtretungsvereinbarung - die in der Schweiz geschlossen wurde - anwendbar. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des RDG ist, dass die Rechtsdienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland angeboten werden (§ 1 Abs. 1 S. 1 RDG). Dabei ist ein hinreichender territorialer Bezug zum Inland ausreichend, der auch vorliegt, wenn nur die Rechtsdienstleistung die Grenze der Bundesrepublik überschreitet (vgl. Remmertz in: Krenzler, RDG, 2. Auflage 2017, § 1, Rn. 51). Vorliegend ist die Klägerin ein in Deutschland ansässiges und registriertes Inkassounternehmen, das Ansprüche in Deutschland gegen ein deutsches Unternehmen durchzusetzen versucht. Ein hinreichender territorialer Bezug zum Inland liegt damit vor.
2. Mit ihrer Tätigkeit im vorliegenden Fall verstößt die Klägerin gegen § 3 RDG i. V. m. § 10 Abs. 1 Nr. 3 RDG, da sie die ihr nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i. V. m. § 2 Abs. 2 S. 1 RDG erteilte Befugnis zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen im Bereich von Inkassodienstleistungen überschreitet.
a. ... b. Die Klägerin hat bei der Erbringung der vorgenannten Inkassodienstleistung ihre Rechtsdienstleistungsbefugnis überschritten.
aa. Für die Beurteilung, ob sich die Tätigkeit eines registrierten Inkassodienstleisters innerhalb des durch § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i. V. m. § 2 Abs. 2 S. 1 RDG bestimmten Rahmens bewegt oder ob sie diesen Rahmen überschreitet und deshalb nach § 3 RDG unzulässig ist, lassen sich keine allgemeingültigen Maßstäbe aufstellen. Erforderlich ist stets eine am Schutzzweck des Rechtsdienstleistungsgesetzes, die Rechtssuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen, orientierte Würdigung der Umstände des Einzelfalls einschließlich der Auslegung der hinsichtlich der Forderungseinziehung getroffenen Vereinbarungen. Dabei sind auch die Werteentscheidungen des Grundgesetzes zu berücksichtigen, so dass die Berufsausübungsfreiheit des Inkassodienstleisters und die Eigentumsgarantie des Zedenten sowie der Grundsatz des Vertrauensschutzes in den Blick zu nehmen sind (vgl. BGH, Urteil vom 27.11.2019 -
bb. Vorliegend ist die Überschreitung des Rahmens der Inkassodienstleistungsbefugnis durch die Klägerin darin zu sehen, dass sie Forderungen zur Einziehung übernommen hat, deren Berechtigung sich nach einem ausländischen (hier dem schweizerischen) Recht beurteilt.
(1) Nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 RDG dürfen Rechtsdienstleistungen „in einem ausländischen Recht“ aufgrund besonderer Sachkunde erbracht werden. Nach der amtlichen Begründung des RDG (Bt.- Drucksache 16/3655, S. 65) soll die Registrierung nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 RDG die rechtliche Beratung und außergerichtliche Vertretung in Angelegenheiten ermöglichen, bei denen die Kenntnis und Anwendung eines bestimmten ausländischen Rechts im Mittelpunkt steht. Erforderlich ist, dass die Kenntnis der Regelungen einer ausländischen Rechtsordnung und deren Anwendung den Rechtsfall wesensmäßig bestimmen (vgl. Günther in BeckOK RDG, 17. Edition, Stand 01.04.2021, § 10, Rn. 68).
(2) Diese Voraussetzungen liegen hier vor, da vorliegend bei der streitgegenständlichen Inkassotätigkeit der Klägerin die Anwendung des materiellen Schweizer Rechts im Mittelpunkt steht.
(a) Für die Beurteilung der streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche ist die Kenntnis des materiellen Schweizer Rechts erforderlich, weil sich die materielle Berechtigung dieser Forderungen nach dem Schweizer und nicht nach dem deutschen Recht beurteilt. Das steht zwischen den Parteien nicht im Streit, folgt im Übrigen aus dem Urteil des EuGH vom 09.07.2020 (C - 343/19, NJW 2020, 2869, Tz. 40). Danach befindet sich der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs in einem Fall, in dem Fahrzeuge von ihrem Hersteller in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union rechtswidrig mit einer Software ausgerüstet worden sind, die die Daten über den Abgasausstoß manipuliert und danach bei einem Dritten in einem anderen Mitgliedsstaat erworben werden, im letztgenannten Mitgliedsstaat. Nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubten Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt. Nach der vorstehend zitierten Entscheidung des EuGH tritt der Schaden in dem Staat ein, in welchem ein manipuliertes Fahrzeug erworben wurde, vorliegend also in der Schweiz. Damit ist hier das Schweizer Recht anzuwenden. Zwar ist die Schweiz kein Mitgliedsstaat der Europäischen Union, gleichwohl ist deren Recht nach Maßgabe des Art. 3 Rom II-VO anzuwenden.
(b) Das BVerfG hat entschieden (vgl. Beschluss vom 20.02.2002 -
Daraus folgt zunächst, dass die rechtliche Bewertung von durchzusetzenden Forderungen durchaus zum Kernbereich der Inkassotätigkeit gehören.
Im Übrigen ist aber die konkrete Situation zu betrachten. Im vorliegenden Fall konnte eine wirkungsvolle Durchsetzung der Rechte der Zedenten ohne eine materielle Überprüfung des Forderungsbestandes überhaupt nicht erfolgen. Es mag durchaus Fälle geben, in denen der Inkassodienstleister schlicht den Betrag aus einer ihm übermittelte Rechnung (etwa eines Handwerkers) vom Schuldner einzieht. In einer solchen Situation mag es tatsächlich so sein, dass der Inkassodienstleister lediglich die Eiziehung des ihm mitgeteilten Forderungsbetrages und sich aus der Rechnung ergebenden Betrages, übernimmt und dabei keinerlei materielle Prüfung des Forderungsbestandes erforderlich ist. Der Fall hier liegt indes gänzlich anders:
Die Zedenten konnten der Klägerin keine konkreten Forderungen benennen, deren Einziehung die Klägerin gegenüber der Beklagten versuchen sollte. Die Zedenten haben der Klägerin vielmehr (lediglich) einen Sachverhalt mitgeteilt - Kauf oder Leasing eines Fahrzeuges mit einem bestimmten Dieselmotor. Aus diesem Sachverhalt ergibt sich jedoch ohne rechtliche Bewertung, also gleichsam automatisch, keine konkrete Forderung. So ist es vorliegend auch bezeichnend, dass die Klägerin mit ihrer Klage zunächst nicht die Zahlung eines konkreten Betrages, sondern die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach gefordert hat. Da die Klägerin jedoch vorträgt, dass sie konzeptionsgemäß auch eine vorgerichtliche Forderungseinziehung übernehmen sollte (und unternommen hat), müsste sie dafür die Forderungen der Zedenten beziffern, falls sie mit ihrer Aufforderung zum Anerkenntnis der Ansprüche dem Grunde nach Erfolg gehabt hätte. Dabei kann die Klägerin nicht einmal geltend machen, dass sie in einem solchen Fall schlicht die Rückzahlung des Kaufpreises gefordert hätte. Abgesehen davon, dass auch in diesem Fall je nach Ausgestaltung des schweizerischen materiellen Rechts ein Nutzungsvorteil zu ermitteln und zu berechnen wäre, hat die Klägerin etwa im vorliegenden Fall gerade nicht die Rückzahlung des Kaufpreises, sondern die Zahlung eines Minderungsbetrages als Schadensersatz gefordert. Dass für die Ermittlung eines solchen Betrages - seine Erstattungsfähigkeit nach dem Schweizer Recht einmal unterstellt - Kenntnisse des materiellen Schweizer Rechts erforderlich sind, liegt auf der Hand. Im Übrigen folgt aus den Ausführungen in der Klageschrift, dass die Klägerin nicht nur Ansprüche von Fahrzeugkäufern, sondern auch von Leasingnehmern geltend gemacht hat. Auch diese Ansprüche müssen unter Berücksichtigung etwaiger Besonderheiten des Schweizer Zivilrechts bewertet werden, bevor sie von der Klägerin wirkungsvoll und sachgerecht eingezogen werden können.
Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die Kenntnis des Schweizer Rechts für die Einziehung der streitgegenständlichen Forderungen durch die Klägerin unabdingbar gewesen ist und daher im Mittelpunkt der von der Klägerin geschuldeten Tätigkeit gestanden hat.
(c) Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Erteilung der Inkassodienstleistungserlaubnis in dem Umstand ihre Berechtigung hat, dass bei dem Erlaubnisinhaber ausreichende Sachkunde vorhanden ist (vgl. BVerfG, a. a. O., Tz. 30). Denn nur beim Vorliegen der erforderlichen besonderen Sachkunde beim Inkassodienstleister ist der vom RDG bezweckte Schutz der Rechtssuchenden und des Rechtsverkehrs vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen gewährleistet (vgl. BVerfG, a. a. O., Tz. 31). Auch in der sog. Lex-Fox-Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist die Frage thematisiert worden, ob einem Inkassodienstleister rechtliche Beratung zu komplizierten Rechtsfragen aus dem Bereich des Wohnraummietrechts erlaubt ist. Hierzu hat der BGH (LexFox-Urteil, Tz. 214 ff.) nicht etwa darauf abgestellt, dass die Registrierung eines Inkassodienstleisters für sämtliche Rechtsgebiete erfolgt ist und daher er in allen Rechtsgebieten seine Leistungen erbringen darf. Der Bundesgerichtshof hat vielmehr darauf abgestellt (a. a. O., Tz. 223), dass der Gesetzgeber die aus seiner Sicht für die Inkassotätigkeit bedeutsamen Rechtsgebiete, darunter auch das Bürgerliche Recht, aufgeführt hat, ohne diesbezügliche Einschränkungen etwa hinsichtlich des Wohnraummietrechts vorzunehmen. Das Recht der Schuldverhältnisse und damit auch das Wohnraummietrecht gehören zu den von Inkassounternehmen in den Sachkundeprüfungen verlangten Leistungen (a. a. O., Tz. 224). Damit ist der Bundesgerichtshof davon ausgegangen, dass eine Überschreitung der Inkassodienstleistungsbefugnis (nur) deswegen nicht gegeben ist, weil der Inkassodienstleister für das anzuwendende Recht (Wohnraummietrecht) seine Sachkunde nachgewiesen habe. Die Klägerin hat zwar einen Sachkundenachweis für bestimmte Rechtsgebiete erbracht (vgl. § 11 Abs. 1 RDG). Hierzu gehört das materielle Schweizer Recht nicht, so dass der Klägerin die Befugnis fehlt, Forderungen einzuziehen, die sich nach diesem Recht beurteilen.
(3) ... (4) Schließlich ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der behaupteten Abtretung des streitgegenständlichen Schadensersatzanspruchs über die erforderliche Sachkunde im Schweizer Recht deswegen verfügt hat, weil sie als qualifizierte Person im Sinne des § 12 Abs. 4 RVG einen Rechtsanwalt - Herrn Dr. A. - benannt hat.
Zwar ist das entsprechende Vorbringen der Klägerin in der Berufungsinstanz unstreitig geblieben und daher trotz des verspäteten Vortrages zuzulassen. Indes führt die Benennung eines Rechtsanwalts als qualifizierte Person nicht dazu, dass für die Klägerin das Vorhandensein der besonderen Sachkunde in Bezug auf das Schweizer Recht zu bejahen wäre. Es ist zwar zum Nachweis der theoretischen und praktischen Sachkunde grundsätzlich ausreichend, dass die qualifizierte Person die erste Prüfung nach [§ 5d] Abs. 3 DRiG abgelegt hat bzw. die Befähigung zum Richter nach dem DRiG besitzt (§§ 2 Abs. 1 S. 2, 3 Abs. 1 S. 2 RDV). Denn diese Voraussetzungen gelten nicht für den Nachweis der Sachkunde in einem ausländischen Recht. Die Voraussetzungen für den Sachkundenachweis in einem ausländischen Recht sind vielmehr in § 2 Abs. 3 und § 3 Abs. 2 RDV geregelt. Danach ist dafür in der Regel das Zeugnis einer ausländischen Behörde vorzulegen, wonach die zu registrierende Person in dem betreffenden Land regelmäßig zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs oder eines vergleichbaren rechtsberatenden Berufs niedergelassen ist oder war. Alternativ genügt auch das Abschlusszeugnis einer ausländischen Hochschule (§ 2 Abs. 3 S. 2 RDV). Dass diese Voraussetzungen in Bezug auf das Schweizer Recht bei dem von der Klägerin benannten Herrn Dr. A. vorgelegen haben, hat die Klägerin nicht dargetan. Das Vorliegen der genannten Voraussetzungen bei einem deutschen Rechtsanwalt ist vielmehr zu verneinen. Aus dem Gesetzes- und Verordnungswortlaut lässt sich nicht ableiten, dass die Befähigung zum Richteramt nach dem DRiG als Nachweis der theoretischen Sachkunde in einem ausländischen Recht genügt. Die Ausbildung zum Volljuristen an einer deutschen Universität vermittelt in der Regel keine speziellen Kenntnisse in einem ausländischen Recht, so dass es der Absicht des Gesetz- und Verordnungsgebers widersprechen würde, für den Nachweis der theoretischen Sachkunde im ausländischen Recht die Befähigung zum Richteramt nach dem DRiG ausreichen zu lassen (vgl. Winkler in: Krenzler RDG, 2. Auflage 2017, § 2, Rn. 19; Siegmund in: Gaier / Wolf / Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Auflage 2020, § 11 RDG, Rn. 8; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.10.2013 -
(5) Damit hat die Klägerin ihre Befugnis zur Erbringung von Inkassodienstleistungen überschritten (wie hier auch: Günther in: BeckOK RDG, 17. Edition, Stand 01.04.2021, § 2 RDV, R. 13; Sesing / Wagenpfeil, EWiR 2020, 461; Henssler in: Deckenbrock / Henssler, RDG, 5. Auflage 2021, Einl. Rn. 47 m; Valdini, GWR 2018, 231; Nuys / Gleitsmann, BB 2020, 2441).
Sofern die Klägerin darauf abstellt, dass dem § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG eine Beschränkung ausschließlich auf das inländische Recht nicht bekannt sei, teilt der Senat diese Überlegung nicht. Es ist vielmehr vom Schutzzweck des RDG auszugehen, der darin besteht, die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen (§ 1 Abs. 1 RDG). Diesem Schutzweck wird dann genügt, wenn das Inkassounternehmen die von ihm verlangte, überprüfte und für genügend befundene Sachkunde einsetzt (vgl. BVerfG, a. a. O., Tz. 31). Dabei differenziert bereits der Gesetzgeber zwischen den Sachkundeanforderungen im inländischen Recht gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG und solchen in einem ausländischen Recht. Beim Betrachten dieser Grundsätze dürfte es auf der Hand liegen, dass dem Schutzzweck des RDG nur entsprochen werden kann, wenn der Inkassodienstleister seine Sachkunde in einem ausländischen Recht nachweist, wenn er Forderungen einzieht und rechtlich prüft, die nach diesem ausländischen Recht zu beurteilen sind.
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