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Verfahrensgang

AG Prenzlau, Beschl. vom 22.08.2019 – 7 F 16/19 (umA)
OLG Brandenburg, Beschl. vom 06.05.2020 – 9 UF 226/19, IPRspr 2020-181

Rechtsgebiete

Kindschaftsrecht → Sorgerecht, Vormundschaft
Zuständigkeit → Zuständigkeit in Ehe- und Kindschaftssachen
Natürliche Personen → Geschäftsfähigkeit

Leitsatz

Nach Art. 7 I 1 EGBGB unterliegt die Geschäftsfähigkeit dem Recht des Staates, dem eine Person angehört (hier: Republik Guinea). Dieses Heimatrecht entscheidet grundsätzlich auch darüber, wann die Volljährigkeit dieser Person eintritt.

Die Regelung in Art. 7 EGBGB wird allerdings durch Art. 12 Genfer Flüchtlingskonvention verdrängt, nach dem sich das Personalstatut eines Flüchtlings nach dem Recht des Landes seines Wohnsitzes oder dem Recht seines Aufenthaltslandes richtet (hier: Deutschland). Die Anwendbarkeit der vorrangigen Bestimmung des Art. 12 Genfer Flüchtlingskonvention setzt voraus, dass die betroffene Person als Flüchtling anzusehen ist. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

AsylG § 3
BGB § 1674; BGB §§ 1773 f.
Cc 1996 (Guinea) Art. 6; Cc 1996 (Guinea) Art. 443
EGBGB Art. 7; EGBGB Art. 24
FamFG § 99; FamFG § 151
GFK Art. 1; GFK Art. 12
KSÜ Art. 5; KSÜ Art. 6; KSÜ Art. 15
L/2008/011 C. de l'enfant (Guinea) Art. 1; L/2008/011 C. de l'enfant (Guinea) Art. 168; L/2008/011 C. de l'enfant (Guinea) Art. 168 ff.; L/2008/011 C. de l'enfant (Guinea) Art. 442

Sachverhalt

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die vom Antragsteller erstrebte Feststellung, dass die für ihn bestehende elterliche Sorge ruht und ihm daher ein Vormund zu bestellen ist. Der nach eigenen Angaben im Juni 2002 in Conakry/Republik Guinea geborene Betroffene hält sich seit Dezember 2018 in Deutschland auf. Amtliche Dokumente zu seiner Identität und seinem Geburtsdatum konnte der Betroffene nicht vorlegen. In seinem Erstaufnahmegespräch gab er an, dass sein Vater 2014 verstorben und seine Mutter seit 2009 vermisst sei. Er wurde als sog. minderjähriger unbegleiteter Flüchtling dem weiter beteiligten Jugendamt zugewiesen und dort im Januar 2019 in staatliche Obhut genommen.

Das AG Prenzlau hat mit Beschluss vom 7.3.2019 im Wege einstweiliger Anordnung festgestellt, dass die elterliche Sorge für den Betroffenen ruht, und deshalb Vormundschaft angeordnet und das weiter beteiligte Jugendamt zum Vormund bestellt. Im hier zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren hat das AG anknüpfend daran, dass der Betroffene seinen Angaben zufolge bei seiner ersten Registrierung in einem Land der EU (Spanien) sein Alter mit 26 Jahren mitgeteilt habe und Widersprüche in der Darstellung seines schulischen Werdegangs vorliegen, ein Sachverständigengutachten zur Altersfeststellung in Auftrag gegeben. Der Betroffene hat - unterstützt durch einen Dolmetscher - den dazu erforderlichen Untersuchungen ausdrücklich zugestimmt. Das Gutachten kommt zu dem Gesamtergebnis, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Alter über 18 Jahre vorliegt. Mit Beschluss vom 22.8.2019 hat das AG Prenzlau sodann den Antrag auf Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge abgewiesen und die vorläufige Entscheidung über die Anordnung einer Vormundschaft vom 7.3.2019 aufgehoben. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Betroffenen, der weiterhin eine Minderjährigkeit reklamiert.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]… In der Sache selbst bleibt das Rechtsmittel jedoch ohne Erfolg.

[3]1. Die - in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende - internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte folgt jedenfalls gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 151 Nr. 4 FamFG aus dem hier zutage getretenen bzw. vom Beschwerdeführer geltend gemachten Fürsorgebedürfnis. Ist - wie im Streitfall - der Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit sowohl für die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte als auch für die verfahrensgegenständliche Frage, ob die Vormundschaft beendet ist, maßgeblich, handelt es sich insoweit um eine doppeltrelevante Tatsache, für die im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung die Minderjährigkeit als gegeben zu unterstellen ist (vgl. dazu auch BGH FamRZ 2018, 457 (IPRspr 2017-180b) - RdNr. 15 bei juris).

[4]2. Das Amtsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge (§ 1674 Abs. 1 BGB) und für die Anordnung einer Vormundschaft (§§ 1773, 1774 BGB) nicht vorliegen.

[5]2.1 Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Vormundschaft richten sich hier nach deutschem Recht.

[6]Zwar unterliegen die Entstehung, die Änderung und das Ende der Vormundschaft gem. Art. 24 EGBGB grundsätzlich dem Recht des Staates, dem das Mündel angehört. Davon abweichend sieht aber die Regelung in Art. 15 Abs. 1 des in Deutschland am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Haager Kinderschutzübereinkommens - KSÜ - vor, dass die gemäß Art. 5 und Art. 6 KSÜ zum Schutz von Flüchtlingskindern zuständigen staatlichen Verwaltungsbehörden und Gerichte das in ihren Staat geltende Recht anwenden sollen. Dabei ist unerheblich, ob das betroffene „Kind“ Angehöriger eines Vertragsstaates oder eines Drittstaates ist (vgl. dazu BGH a.a.O. - RdNr. 20 bei juris; OLG Hamm NJW-RR 2019, 262 (IPRspr 2018-192) - RdNr. 17 bei juris; OLG Karlsruhe FamRZ 2015, 2182 (IPRspr 2015-130) - RdNr. 17 bei juris).

[7]2.2 Davon zu unterscheiden ist allerdings die vorgelagerte Frage, ob der Betroffene überhaupt noch als Minderjähriger anzusehen ist und deshalb der Ausübung der elterlichen Sorge bedarf.

[8]Insofern unterliegt nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 EGBGB die Geschäftsfähigkeit dem Recht des Staates, dem eine Person angehört, hier also das Recht der Republik Guinea. Dieses Heimatrecht entscheidet grundsätzlich auch darüber, wann die Volljährigkeit dieser Person eintritt (Münch-Komm, BGB, 7. Aufl., 2018, Art. 7 EGBGB RdNr. 48; OLG Hamm, a.a.O. - RdNr. 19). Die Regelung in Art. 7 EGBGB wird allerdings durch Art. 12 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - verdrängt (BGH FamRZ 2018, 457 (IPRspr 2017-180b) - RdNr. 23), nach dem sich das Personalstatut eines Flüchtlings nach dem Recht des Landes seines Wohnsitzes oder seines Aufenthaltslandes richtet, hier also nach deutschem Recht. Die Anwendbarkeit der vorrangigen Bestimmung des Art. 12 GFK setzt aber voraus, dass die betroffene Person als Flüchtling nach Art. 1 Abschnitt A Abs. 2 GFK i.V.m. dem Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1969 II S. 1293, 1294) anzusehen ist, sie sich also aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will (vgl. auch § 3 Abs. 1 AsylG). Zureichende Feststellungen zur Anwendbarkeit von § 12 Abs. 1 GFK im Streitfall lassen sich ohne weitere Nachforschungen zu den tatsächlichen Voraussetzungen nicht treffen. Eine weitergehende Aufklärung insoweit ist allerdings für die hier zu treffende Entscheidung auch nicht erforderlich, weil sowohl nach deutschem wie auch nach dem Recht Guineas die Volljährigkeit mit 18 Jahren eintritt.

[9]Nach dem maßgeblichen Recht der Republik Guinea tritt die Volljährigkeit mit der Vollendung des 18. Lebensjahres ein (OLG Hamm FamRZ 2019, 216 (IPRspr 2018-187c) - RdNr. 19 ff. bei juris, im Nachgang zu BGH NZFam 2018, 334 (IPRspr 2018-187b); OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. September 2018, Az. 3 WF 97/18 (IPRspr 2018-8) - zitiert nach juris).

[10]Maßgeblich für die Frage der Volljährigkeit ist nach dem Recht Guineas ist Art. 168 Code de l'Enfant.

[11]Der Code de l´Enfant vom 19. August 2008 behandelt vornehmlich die Rechte der Kinder gegen ihre Eltern und den Staat und die Kindervorsorge. Mit diesem Gesetz hat Guinea insbesondere die von der UNO erlassene Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989 umgesetzt. In Art. 1 Code de l'Enfant heißt es: Jeder Mensch, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist ein Kind. Es folgen zunächst Regelungen zum Kinderschutz, in den Art. 168 ff. dann aber auch Regelungen zu der Rechtsstellung des Kindes. So heißt es unter dem Titel 2, Kapitel I in Art. 168 Code de l'Enfant: Ein Kind unter 18 Jahren kann nur mit Zustimmung seiner Eltern bzw. des Inhabers der elterlichen Sorge Verträge schließen. Im Rückschluss heißt das, dass eine Person mit Vollendung des 18. Lebensjahres alleinverantwortlich handeln kann, mithin voll geschäftsfähig ist.

[12]Die anderslautende Regelung in Art. 443 Code Civil, wonach Volljährigkeit mit Vollendung des 21. Lebensjahres erreicht wird, greift nicht ein, da sie durch die zeitlich jüngere Regelung des Art. 168 Code de l'Enfant gem. Art. 442 Code de l'Enfant in Verbindung mit Art. 6 der Einführungsbestimmungen des Code Civil stillschweigend aufgehoben wurde. Art. 442 Code de l'Enfant ordnet an, dass sämtliche vorangehenden Bestimmungen, die denen des vorliegenden Gesetzes widersprechen, außer Kraft gesetzt werden. Nach Art. 6 Code Civil kann ein neues Gesetz das frühere auch stillschweigend aufheben, wenn es in Widerspruch zum bisherigen Gesetz steht. Ein ausdrücklicher Widerruf des alten Gesetzes ist damit anders als im deutschen Recht nicht erforderlich. Der Code Civil stammt aus dem Jahr 1961. Er wurde am 29. März 1983 und im Januar 1996 modifiziert. Der Code de l'Enfant stammt dagegen vom 19. August 2008. Der Widerspruch ergibt sich aus der unterschiedlichen Festlegung zum Eintritt der Volljährigkeit.

[13]Dieses Verständnis steht in Einklang mit der Auslegung des Rechts Guineas durch das dortige Justizministerium. Dieses hatte in dem beim OLG Hamm zum Az. 12 UF 224/16 (IPRspr 2018-187c) geführten Verfahren unter dem 19. April 2016 mitgeteilt, dass das Volljährigkeitsalter nach guineischem Recht gemäß dem Gesetz vom 19. August 2008 des guineischen Kindergesetzbuches auf 18 Jahre festgesetzt wurde. Daran anknüpfend hat auch die Botschaft der Republik Guinea unter dem 30. September 2016 - eine vorhergehende anderslautende Auffassung ausdrücklich aufgebend - bestätigt, dass unter Bezugnahme auf den Code de l'Enfant die Volljährigkeit bereits mit 18 Jahren erreicht wird (vgl. OLG Hamm FamRZ 2019, 216 (IPRspr 2018-187c) - RdNr. 23 f. bei juris).

[14]In dem zitierten Verfahren vor dem OLG Hamm hat ferner die Deutschen Botschaft in Conakry/Guinea in einer Auskunft vom 26. Januar 2018 im Ergebnis von Ermittlungen des Vertrauensanwalts der Botschaft zum Volljährigkeitseintritt in Guinea zusammenfassend festgestellt, dass in der Republik Guinea das Alter der Volljährigkeit auf 18 Jahre festgesetzt ist und in einer anstehenden Rechtsreform auch formal der entsprechende Artikel des Zivilgesetzbuchs an die Regelung des Code de l'Enfant angepasst werden soll. Wegen der Einzelheiten wird auf die umfangreiche Zitierung dieser Auskunft in der genannten Entscheidung des OLG Hamm (dort RdNr. 28 ff. bei juris) Bezug genommen.

[15]Dieses Ergebnis entspricht auch den Erkenntnissen von Henrich, einem ausgewiesenen Sachverständigen für das internationale Ehe- und Kindschaftsrecht, in dem Kommentar Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Stand 19. Mai 2017. In dieser Loseblattsammlung ist zwar der Code de l´enfant guinéen noch nicht abgedruckt, sondern nur die alten Rechtsvorschriften. Jedoch hat Henrich in einem vorgeschalteten Hinweis zur neuen Rechtslage ausgeführt, dass Art. 1 Satz 1 des Code de l´enfant guinéen als Kind jedes menschliche Lebewesen unter 18 Jahren definiert und dass sich daraus zusammen mit Art. 168, der die Geschäftsfähigkeit an die Vollendung des 18. Lebensjahres knüpfe, ergebe, dass die Volljährigkeit mit der Vollendung des 18. Lebensjahres eintrete.

[16]In der Gesamtschau der zur Frage des Eintritts der Volljährigkeit in Guinea vorhandenen (Rechts-)Quellen geht auch der erkennende Senat davon aus, dass die Volljährigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahres eintritt, ohne dass es noch der Einholung eines Rechtsgutachtens bedürfte; auch einem Sachverständigen würden keine weitergehenden Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung stehen.

[17]2.3 ...

Fundstellen

LS und Gründe

BeckRS, 2020, 8525

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2020-181

Lizenz

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