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Verfahrensgang

BGH, Urt. vom 29.05.2019 – I ZR 194/18, IPRspr 2019-76

Rechtsgebiete

Vertragliche Schuldverhältnisse → Versicherungsrecht
Handels- und Transportrecht → Allgemeines Handelsrecht einschl. UN-Kaufrecht

Leitsatz

Der Gerichtsstand gemäß Art. 31 I 1 lit. b CMR ist auch für den gegen den Haftpflichtversicherer des Frachtführers nach dem insoweit anwendbaren nationalen Recht (hier: Art. 822 § 4 des Polnischen Zivilgesetzbuchs) gegebenen Direktanspruch des Absenders oder des Empfängers oder – aus übergegangenem Recht – ihres Versicherers eröffnet.

Rechtsnormen

BGB 1964 (Polen) Art. 822
CMR Art. 3; CMR Art. 28; CMR Art. 31; CMR Art. 41
CMRG Art. 1a
ZPO § 30; ZPO § 545

Sachverhalt

Die Kl. ist der Versicherer der D. Internationale Spedition s.r.o. (im Weiteren: Versicherungsnehmerin). Diese war von der V. AG mit dem Transport von 15.840 Einlassventilen für die Motorenproduktion von Mailand nach Salzgitter beauftragt worden und hatte ihrerseits den in W. in Polen geschäftsansässigen Bekl. zu 1), dessen Güterschaden-Haftpflichtversicherer die in Wa. in Polen ansässige Bekl. zu 2) ist, mit dem Transport unterbeauftragt. Bei der Anlieferung der Ware am 13.5.2015 durch den von der Bekl. zu 2) weiter unterbeauftragten polnischen Transporteur Da. G.wurden Schäden am Transportgut festgestellt, die die Kl. reguliert hat.

Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Kl. die beiden Bekl. als Gesamtschuldner aus abgetretenem Recht der Versicherungsnehmerin auf Schadensersatz in Anspruch. Die Bekl. zu 2) hat die internationale Zuständigkeit des von der Kl. angerufenen LG Braunschweig gerügt. Dieses hat die abgesonderte Verhandlung über die Zulässigkeit der Klage angeordnet und mit Zwischenurteil ausgesprochen, dass die Klage zulässig und das angerufene LG Braunschweig international, sachlich und örtlich zuständig ist. Die von der Bekl. zu 2) gegen dieses Urteil eingelegte Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Kl. beantragt, erstrebt die Bekl. zu 2) weiterhin die Abweisung der gegen sie gerichteten Klage als unzulässig.

Aus den Entscheidungsgründen:

[4] I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte folge im Streitfall zwar nicht aus Art. 13 II der VO (EU) Nr. 1215/ 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel Ia-VO), aber aus Art. 31 I 1 lit. b CMR. Die örtliche Zuständigkeit ergebe sich sodann aus Art. 1a des Ratifizierungsgesetzes zur CMR und § 30 I ZPO ...

[8] II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung, die insoweit nicht durch § 545 II ZPO gehindert ist (dazu II. 1.), stand (dazu II. 2.).

[9] 1. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist auch unter der Geltung des § 545 II ZPO in der Revisionsinstanz zu prüfen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. vom [17.]10.2018 – I ZR 136/17 (IPRspr 2018-234), GRUR 2019, 79 Rz. 11 = WRP 2019, 73 – Tork, m.w.N.; Urt. vom 24.1.2019 – I ZR 164/17 (IPRspr 2019-220), GRUR 2019, 398 Rz. 9 = WRP 2019, 464 – Meda Gate). Soweit sich die revisionsrechtliche Prüfung nach dieser Bestimmung nicht darauf erstreckt, dass das Gericht des ersten Rechtszugs ‚seine’ Zuständigkeit zu Unrecht angenommen oder verneint hat, kann damit allein die Zuständigkeitsverteilung unter den deutschen Gerichten gemeint sein, nicht dagegen diejenige zwischen den deutschen und den ausländischen Gerichten (BGH, Urt. vom 28.11.2002 – III ZR 102/02 (IPRspr. 2002 Nr. 157), BGHZ 153, 82, 85, juris Rz. 11). Die internationale Zuständigkeit hat auch ein weitaus höheres Gewicht als die Zuständigkeitsverteilung unter den unterstelltermaßen gleichwertigen innerstaatlichen Gerichten, da sie die Abgrenzung zu den Souveränitätsrechten anderer Staaten betrifft (BGHZ 153, 82, 86 (IPRspr. 2002 Nr. 157), juris Rz. 12; Beschl. vom 5.3.2007 – II ZR 287/05 (IPRspr 2007-170), NJW-RR 2007, 1509 Rz. 3). Außerdem entscheidet sie anders als die örtliche, die sachliche, die funktionelle und die sonstige innerstaatliche Zuständigkeit über das Verfahrensrecht, dem der Rechtsstreit unterliegt, und über das anwendbare internationale Privatrecht und damit vielfach auch über das auf das streitige Rechtsverhältnis anwendbare materielle Recht (vgl. BGHZ 153, 82, 86 (IPRspr. 2002 Nr. 157), juris Rz. 13]).

[10] 2. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte im Streitfall aus Art. 31 I 1 lit. b CMR ergibt.

[11] a) ... [12] aa) Die Anwendung der CMR und insbes. ihres Art. 31 setzt danach einen wirksamen Beförderungsvertrag voraus; die bloße Tatsache einer internationalen Beförderung führt daher für sich allein gesehen nicht zur Anwendung der CMR (vgl. BGH, Urt. vom 26.3.2009 – I ZR 120/07 (IPRspr 2009-37), TranspR 2010, 76 Rz. 14; MünchKomm HGB/Jesser-Huß, 3. Aufl. [2014], Art. 1 CMR Rz. 2 und Art. 31 CMR Rz. 4; Koller, Transportrecht, 9. Aufl. [2016], Art. 1 CMR Rz. 2 und 3 und Art. 31 CMR Rz. 1; GK-HGB-Reuschle, 5. Aufl. [2012], Art. 1 CMR Rz. 60 bis 65 und Art. 31 CMR Rz. 7; Thume-Demuth, CMR, 3. Aufl. [2016], Art. 31 Rz. 3; Ebenroth-Boujong-Joost-Strohn-Bahnsen, HGB, 3. Aufl. [2015], Art. 1 CMR Rz. 2; Ebenroth-Boujong-Joost-Strohn-Boesche aaO Art. 31 CMR Rz. 3, 4 und 6). Soweit die Bestimmung des Art. 31 I CMR mit der Wendung ‚Streitigkeiten aus einer diesem Übereinkommen unterliegenden Beförderung’ in verkürzter Form auf die grundsätzliche Definition der Anwendungsvoraussetzungen der CMR verweist, spricht sie bewusst nur deshalb nicht von Ansprüchen aus Beförderungsverträgen, sondern verwendet sie den Begriff der Beförderung, um mit dieser erweiternden Formulierung ein Ausweichen auf die juristische Dogmatik der Vertragsstaaten zu verhindern (GK-HGB-Reuschle aaO Art. 31 CMR Rz. 7).

[13] bb) Die genannte Wendung beschränkt die Anwendung des Art. 31 CMR damit allerdings nicht auf sich aus der CMR ergebende vertragliche Ansprüche. Die Bestimmung des Art. 31 I CMR gilt dementsprechend auch für vertragliche und außervertragliche Ansprüche, die auf ergänzend anwendbare nationale Bestimmungen gestützt werden, sofern diese Ansprüche auf einer der CMR unterliegenden Beförderung beruhen (vgl. OGH, TranspR 2015, 399, 400; GK-HGB-Reuschle aaO Art. 31 CMR Rz. 7 m.w.N.; zur Geltendmachung deliktischer Ansprüche vgl. BGH, Beschl. vom 31.5.2001 – I ZR 85/00 (IPRspr. 2001 Nr. 144), TranspR 2001, 452 f., juris Rz. 10 = VersR 2002, 213).

[14] cc) Soweit Bestimmungen der CMR gemäß Art. 28 CMR auch für Ansprüche von Personen gelten, die nicht als Absender, Frachtführer oder Empfänger am Beförderungsvertrag beteiligt sind, ist auf diese Ansprüche Art. 31 I CMR ebenfalls anwendbar (vgl. Thume-Demuth aaO Art. 31 Rz. 7 und 8; GK-HGB-Reuschle aaO Art. 31 CMR Rz. 7; Koller aaO Art. 31 CMR Rz. 1a). Die Regelungen des Art. 31 I CMR gelten ferner für Klagen gegen Hilfspersonen des Frachtführers i.S.d. Art. 3 CMR (vgl. BGH, TranspR 2001, 452 f., juris Rz. 10 bis 12 (IPRspr. 2001 Nr. 144); BGH, Urt. vom 20.11.2008 – I ZR 70/06, TranspR 2009, 26 Rz. 20 = VersR 2009, 807; Thume-Demuth aaO Art. 31 Rz. 9; GK-HGB-Reuschle aaO Art. 31 CMR Rz. 7; Koller aaO Art. 31 CMR Rz. 1a).

[15] dd) Der Anwendungsbereich des Art. 31 I 1 lit. b CMR beschränkt sich allerdings auf Ansprüche, die mit dem Beförderungsvertrag noch in einem hinreichend engen Zusammenhang stehen. Erfasst werden dabei jedenfalls Ansprüche von und gegen Personen, die an der Beförderung als solcher unmittelbar beteiligt waren (vgl. BGH, TranspR 2009, 26 Rz. 22).

[16] b) Nach diesen Maßstäben ist der Gerichtsstand gemäß Art. 31 I 1 lit. b CMR im Streitfall auch für den Direktanspruch eröffnet, den die Kl. aus übergegangenem Recht ihrer als Frachtführerin von der Absenderin in Anspruch genommenen Versicherungsnehmerin gegen die Bekl. zu 2) als Haftpflichtversicherer des Bekl. zu 1) geltend macht. Die vom Berufungsgericht in dieser Hinsicht vorgenommenen Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

[17] aa) Für einen hinreichend engen Zusammenhang des gegen die Bekl. zu 2) als Güterschaden-Haftpflichtversicherer des Schädigers geltend gemachten Direktanspruchs mit dem Beförderungsvertrag spricht insbes. der Umstand, dass die Anwendung des Art. 31 I 1 lit. b CMR es dem Geschädigten ermöglicht, mehrere aus demselben Beförderungsvertrag herrührende Streitigkeiten vor den Gerichten eines einzigen Vertragsstaats abzuwickeln. Da die Haftung des Versicherers nach Art. 822 § 4 des Polnischen Zivilgesetzbuchs wegen ihrer Akzessorietät auch nicht weiter gehen kann als die Haftung des Schädigers, kann die Bekl. zu 2) gegen den dort geregelten Direktanspruch zudem dieselben Einwendungen erheben wie der Bekl. zu 1) gegen den gegenüber ihm aus der CMR geltend gemachten Anspruch. Damit wird auch dem Sinn und Zweck der Regelung des Art. 31 1 CMR Rechnung getragen, Streitigkeiten aus der CMR unterfallenden Beförderungen auf ganz bestimmte Gerichtsstände zu beschränken, um dadurch der Gefahr zu begegnen, dass über ein und denselben Lebenssachverhalt divergierende gerichtliche Entscheidungen ergehen (vgl. BGH, TranspR 2009, 26 Rz. 23 m.w.N.). Diese Gefahr besteht – anders als die Revision meint – genauso auch dann, wenn ein solcher Lebenssachverhalt nicht nur im Verhältnis zwischen zwei Personen zu beurteilen ist, sondern – wie im Streitfall – auf der einen Seite oder aber auch auf beiden Seiten zwei oder mehr Personen stehen.

[18] bb) Der Umstand, dass der – wie im Streitfall die Bekl. zu 2) – im Wege einer Direktklage in Anspruch genommene Versicherer sich möglicherweise allein oder auch zusätzlich auf Einwendungen aus dem Versicherungsverhältnis zu seinem Versicherungsnehmer berufen kann, löst den Zusammenhang mit dem Beförderungsvertrag nicht auf. Das Berufungsgericht hat insoweit mit Recht berücksichtigt, dass die Bekl. zu 2) dem Bekl. zu 1) für die Länder der EU einschließlich Deutschland Versicherungsschutz für dessen zivilrechtliche Haftung aus Beförderungsverträgen gemäß den Vorschriften des BGB, des Beförderungsrechts und der CMR gewährt hat. Der Umstand, dass ein deutsches Gericht im Rahmen einer auf die CMR gestützten Klage ggf. über eine nach polnischem Versicherungsvertragsrecht zu beurteilende Rechtsfrage zu entscheiden hat, steht für sich gesehen der Bejahung eines inländischen Gerichtstandes nicht entgegen.

[19] cc) Ohne Erfolg macht die Revision im Übrigen geltend, dass nach Art. 41 II CMR insbes. jede Abmachung nichtig ist, durch die sich der Frachtführer die Ansprüche aus der Versicherung des Guts abtreten lässt. Diese Regelung soll verhindern, dass sich der Frachtführer wirtschaftlich gesehen dadurch freizeichnet, dass er sich die Versicherungsansprüche abtreten lässt, die der Geschädigte auf eigene Rechnung erworben hat. Sie betrifft daher nur Transportversicherungen des Absenders oder Empfängers, nicht dagegen Haftpflichtversicherungen des Frachtführers, sofern die Eindeckung dieses Versicherungsschutzes wirtschaftlich den Frachtführer belastet (vgl. BGH, Urt. vom 10.12.1998 – I ZR 162/96, TranspR 1999, 155, 159, juris Rz. 44 = VersR 1999, 777; Ebenroth-Boujong-Joost-Strohn-Bahnsen aaO Art. 41 CMR Rz. 16; Koller aaO Art. 41 CMR Rz. 2, jeweils m.w.N.). Außerdem gilt Art. 41 CMR insofern gerade nicht, als Art. 31 I CMR als Ausnahme von dem Grundsatz des Art. 41 CMR die vertragliche Begründung zusätzlicher internationaler Gerichtsstände gestattet (GK-HGB-Reuschle aaO Art. 41 CMR Rz. 19).

Fundstellen

nur Leitsatz

BB, 2019, 2049

LS und Gründe

MDR, 2019, 1263
RdTW, 2019, 338
RIW, 2019, 689
TranspR, 2019, 499, m. Anm. Grzimek
VersR, 2019, 1388

Bericht

Vyvers, NZV, 2020, 148, mit Anm.

Aufsatz

Schaffert, TranspR, 2020, 209, m.

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2019-76

Lizenz

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