Das vereinfachte Klauselerteilungsverfahren nach den Vorschriften des Gesetzes zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Verkehr mit ausländischen Staaten (Auslandsunterhaltsgesetz – AUG) vom 23.5.2011 (BGBl. I 898), welches der Ausführung der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Unterhaltsentscheidungen auf unionsrechtlicher oder staatsvertraglicher Grundlage dient, ist kraft verfahrensrechtlichen Zusammenhangs Unterhaltssache und damit Familienstreitsache.
Unbeschadet der Qualifikation des Klauselerteilungsverfahrens als Familienstreitsache hängt die Zulässigkeit einer Beschwerde nach § 43 AUG nicht von einer fristgebundenen Beschwerdegründung ab; § 117 I FamFG ist nicht anwendbar.
Das Verfahren betrifft die Erteilung der inländischen Vollstreckungsklausel für ein türkisches Urteil. Die Bet. wurden 1998 in der Türkei nach islamisch-religiösem Ritus getraut. Nach dem Scheitern der Beziehung ging die AGg. in der Türkei aus einem zu ihren Gunsten ausgestellten Wechsel von 1998 gegen den ASt. vor und ließ in dessen Konten bei der türkischen Zentralbank vollstrecken. Durch Urteil der 2. Zivilkammer in D./Türkei vom 29.3.2012 wurde die AGg. verurteilt, die vereinnahmten Geldbeträge in an den ASt. zurückzuzahlen – daneben Zahlung von Zinsen und Kosten.
Der ASt. hat beim LG München I beantragt, das Urteil der Zivilkammer D. mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Das LG hat sich für sachlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das AG München verwiesen, das das Urteil der Zivilkammer D. in einem vereinfachten Klauselerteilungsverfahren auf der Grundlage des HUÜ durch Beschluss für vollstreckbar erklärt hat. Die AGg. hat gegen den Beschluss am 28.4.2014 Beschwerde eingelegt, die AGg. ihr Rechtsmittel am 20.6.2014. Am 21.7.2014 hat das OLG wegen außergerichtlicher Vergleichsverhandlungen das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Nach Fortsetzung des Verfahrens hat das OLG einen am 18.12.2015 eingegangenen Antrag der AGg. auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist zurückgewiesen und die Beschwerde verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der AGg..
II. [6] Die gemäß §§ 46 I, 57 AUG kraft Gesetzes statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG ...
[11] 2. ... Das BeschwG durfte die Beschwerde der AGg. nicht wegen Versäumung einer Beschwerdebegründungsfrist verwerfen. Der vom BeschwG herangezogene § 117 I FamFG ist im Beschwerdeverfahren nach §§ 43 ff. AUG nicht anwendbar.
[12] a) Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des BeschwG. Das vereinfachte Klauselerteilungsverfahren nach den Vorschriften des AUG, welches der Ausführung der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Unterhaltsentscheidungen auf unionsrechtlicher oder staatsvertraglicher Grundlage dient, ist kraft verfahrensrechtlichen Zusammenhangs Unterhaltssache und damit Familienstreitsache i.S.v. § 112 Nr. 1 FamFG (insoweit zutreffend OLG München, FamRZ 2015, 775 (IPRspr 2014-253); Thomas-Putzo-Hüßtege, ZPO, 38. Aufl., § 111 FamFG Rz. 12; BeckOK-FamFG-Nickel [Stand: April 2017] § 117 Rz. 1; HK-ZPO-Kemper, 7. Aufl., § 231 FamFG Rz. 6; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, 2013, Rz. 547; noch offengelassen für das innerstaatliche Vollstreckbarerklärungsverfahren nach § 110 II FamFG in Senatsbeschluss vom 2.9.2015 – XII ZB 75/13 (IPRspr 2015-265), FamRZ 2015, 2043 Rz. 12). [...] Damit hat der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass er das Klauselerteilungsverfahren auf der Grundlage des AUG als selbständige Familienstreitsache ansieht, in dem sich die Beteiligten eigentlich nach § 114 I FamFG vor dem OLG umfassend durch einen Rechtsanwalt hätten vertreten lassen müssen.
[13] b) Soweit das BeschwG allerdings im Anschluss an seine eigene Rspr. (OLG München aaO; ebenso OLG Frankfurt, FamRZ 2016, 1603 f. (IPRspr 2015-267) und FamRZ 2016, 397, 399 (IPRspr 2015-264)) die Ansicht vertritt, dass über die allgemeine Verweisung in § 2 AUG die für das Beschwerdeverfahren in Ehesachen und Familienstreitsachen geltende Vorschrift des § 117 I FamFG ergänzend heranzuziehen ist, vermag der Senat dieser Auffassung nicht beizutreten. Unbeschadet der Qualifikation des Klauselerteilungsverfahrens als Familienstreitsache sprechen sowohl die in der Begründung des Gesetzentwurfs zutage getretenen Intentionen des Gesetzgebers als auch teleologische und systematische Gründe dafür, dass die Zulässigkeit einer Beschwerde nach § 43 AUG nicht von einer fristgebundenen Beschwerdebegründung abhängen soll.
[14] aa) Die §§ 36 ff. AUG regeln im Anwendungsbereich der EuUnthVO jene Fälle, in denen gemäß Art. 26 ff. ausnahmsweise die Durchführung eines Exequaturverfahrens erforderlich ist. Im Übrigen beziehen sich die §§ 36 ff. AUG auf die Fälle des revidierten LugÜ (II) und – nach Maßgabe von § 57 AUG – auf Exequaturverfahren nach dem LugÜ (1988) sowie dem HUÜ. Weil die genannten unionsrechtlichen und staatsvertraglichen Exequaturverfahren ungeachtet ihrer teilweise speziellen Ausrichtung auf Unterhaltssachen im Wesentlichen denjenigen ähneln, die für Deutschland in Zivil- und Handelssachen nach Maßgabe des AVAG auszuführen sind, hat der Gesetzgeber die §§ 36 ff. AUG parallel zum Klauselerteilungsverfahren nach dem AVAG konzipieren und inhaltlich lediglich kleinere Änderungen vornehmen wollen (vgl. BT-Drucks. 17/4887 S. 42; vgl. auch Prütting-Helms-Hau, FamFG, 3. Aufl., Anh. 2 zu § 110 [AUG] Rz. 41).
[15] Im Beschwerdeverfahren nach § 11 AVAG ist eine notwendige Begründung der Beschwerde nicht vorgesehen ...
[16] bb) Darüber hinaus ist das Klauselerteilungsverfahren davon geprägt, dass es in der ersten Instanz einseitig geführt wird und keine Anhörung des Schuldners stattfindet (vgl. Art. 30 Satz 2 EuUnthVO; Art. 41 Satz 2 LugÜ II; § 58 AUG; vgl. auch § 6 I AVAG). Einen kontradiktorischen Charakter erlangt das Verfahren erstmals mit der Beschwerde eines Beteiligten (vgl. Senatsbeschluss vom 2.9.2015 aaO Rz. 12; BGH, Beschl. vom 4.2.2010 – IX ZB 57/09 (IPRspr 2010-261), NJW-RR 2010, 571 Rz. 7 zum Klauselerteilungsverfahren n. AVAG). Durch den Rechtsbehelf nach § 43 AUG verschafft sich der Schuldner somit Zugang zur ersten (und einzigen) Tatsacheninstanz, in der er mit seinen Einwendungen gegen die Vollstreckbarerklärung der ausländischen Entscheidung rechtliches Gehör finden kann. Auch dies legt die Annahme nahe, dass der Gesetzgeber den Zugang zu dieser Instanz nicht durch ein Begründungserfordernis als besondere Zulässigkeitsvoraussetzung erschweren wollte ...
[19] Im Übrigen wird dem Gläubiger regelmäßig an einer besonders zügigen Erteilung der inländischen Vollstreckungsklausel gelegen sein, nachdem bereits die Erstreitung des ausländischen Unterhaltstitels Zeit in Anspruch genommen hat. Eine zweimonatige Begründungsfrist gemäß § 117 I 3 FamFG, die möglicherweise einer weiteren Verlängerung nach §§ 117 I 4 FamFG, 520 II 2 und 3 ZPO zugänglich wäre, würde demgegenüber die Gefahr einer Verfahrensverzögerung in sich bergen und dem Beschleunigungsinteresse des Gläubigers entgegenwirken.
[20] ee) Schließlich weist die Rechtsbeschwerde zutreffend darauf hin, dass § 47 II AUG (in Anlehnung an § 16 II 1 AVAG) für das Rechtsbeschwerdeverfahren ausdrücklich die Begründung des Rechtsmittels vorschreibt. Eine solche Regelung wäre verzichtbar gewesen, wenn sich das Begründungserfordernis aus der in § 2 AUG enthaltenen Verweisung auf § 71 II 1 FamFG herleiten ließe. Dies rechtfertigt in systematischer Hinsicht die Schlussfolgerung, dass der Gesetzgeber alle Fälle einer notwendigen Rechtsmittelbegründung im AUG selbst regeln wollte und es sich deshalb bei den in den §§ 43 bis 46 AUG fehlenden Bestimmungen zum Erfordernis einer Beschwerdebegründung nicht um eine durch den Rückgriff auf § 2 AUG i.V.m. § 117 I FamFG auszufüllende Regelungslücke handelt.
[21] c) Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden ...
[23] ... Ohne Feststellungen zu sonstigen familienrechtlich zu qualifizierenden Anknüpfungspunkten für einen möglichen Unterhaltsanspruch der AGg. dürfte der Anwendungsbereich des HUÜ unter den hier obwaltenden Umständen nur dann eröffnet sein, wenn das türkische Recht Unterhaltspflichten zwischen solchen, (nur) nach religiösem Ritus miteinander verbundenen Partnern kennt und diese systematisch dem Ehe- und Familienrecht zuordnet. Auch dies wird das BeschwG gegebenenfalls zu ermitteln haben.