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Verfahrensgang

OLG Frankfurt/Main, Beschl. vom 10.02.2017 – 1 UF 130/15, IPRspr 2017-175

Rechtsgebiete

Kindschaftsrecht → Adoption
Freiwillige Gerichtsbarkeit → Namens- und familienrechtliche Sachen (bis 2019)
Allgemeine Lehren → Ordre public
Anerkennung und Vollstreckung → Ehe- und Kindschaftssachen

Leitsatz

Es ist nicht Sinn und Zweck des formalisierten Anerkennungsverfahrens, erstmalig eine Kindeswohlprüfung durchzuführen.

Das Anerkennungsverfahren gibt dem zur Entscheidung berufenen Gericht keine Veranlassung, eine am ordre public orientierte eigene Adoptionsprüfung an die Stelle der ordre-public- widrigen ausländischen Entscheidung zu setzen. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

AdWirkG § 1; AdWirkG § 2; AdWirkG § 5
AdÜbAG § 8
FamFG § 108; FamFG §§ 108 f.; FamFG § 109
HAdoptÜ Art. 2; HAdoptÜ Art. 4 f.; HAdoptÜ Art. 23; HAdoptÜ Art. 23 f.; HAdoptÜ Art. 24

Sachverhalt

Die ASt. erstreben die Anerkennung der in der Türkei erfolgten Adoption 1998 geborener Zwillinge. Die ASt. zu 1) ist deren leibliche Tante, der ASt. zu 2) ihr Ehemann, die Anzunehmenden die leiblichen Kinder des Bruders der ASt. zu 1). Bis 2005 lebte die ASt. zu 1) in dessen Haushalt in der Türkei. Am 29.12.2005 schloss die ASt. zu 1) in Deutschland die Ehe mit dem ASt. zu 2), wo sie seither ihren ständigen Wohnsitz haben. Die betroffenen Kinder verblieben in der Türkei. Beide ASt. besuchten sie dort regelmäßig. Die ASt. betrieben in der Türkei ein Adoptionsverfahren, wobei sie angaben, dass die ASt. zu 1) die beiden Kinder bis zu ihrer Ausreise im Jahr 2005 betreut habe. Im Zuge des Adoptionsverfahrens wurden am 11.7.2013 sowohl die betroffenen Kinder als auch die leiblichen Eltern, nicht jedoch die ASt. durch das Gericht persönlich angehört. Ein Verfahren nach dem AdoptÜ unter Beteiligung der zentralen Behörden der Türkei und der Bundesrepublik Deutschland fand nicht statt. Mit rechtskräftigem Urteil vom 11.07.2013 hat das türk. Familiengericht die Adoption der beiden Kinder durch die ASt. ausgesprochen.

Den Antrag der ASt. auf Anerkennung dieser Entscheidung wies das AG – FamG – Frankfurt/Main nach persönlicher Anhörung sowohl der ASt. als auch der Kinder mit Beschluss vom 10.4.2015 zurück. Gegen diese Entscheidung wenden sich die ASt. mit ihrer Beschwerde.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die Beschwerde ist nach § 5 IV 2 AdWirkG statthaft und auch im Übrigen zulässig ...

[2]Die Beschwerde bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das AG hat der ausländischen Entscheidung zur Annahme als Kind zu Recht die Anerkennung versagt, da eine derartige Anerkennung weder aufgrund des AdoptÜ noch gemäß § 108 I FamFG in Betracht kommt.

[3]Das FamG stellt nach § 2 AdWirkG auf Antrag fest, ob eine Annahme als Kind, die auf einer ausländischen Entscheidung oder auf ausländischen Sachvorschriften beruht, anzuerkennen oder wirksam und ob das Eltern-Kind-Verhältnis des Kindes zu seinen bisherigen Eltern durch die Annahme erloschen ist. Im Anwendungsbereich des AdoptÜ erfolgt die Anerkennung einer in einem Vertragsstaat durchgeführten Adoption kraft Gesetzes. Das setzt voraus, dass die zuständige Behörde des Vertragsstaats, in dem die Adoption durchgeführt wurde, bescheinigt, dass die Adoption gemäß dem Übereinkommen zustande gekommen ist, Art. 23 I 1 AdoptÜ, § 8 AdÜbAG. Die Anerkennung einer mit einer solchen Bescheinigung versehenen Adoption kann nach Art. 24 AdoptÜ in einem Vertragsstaat nur versagt werden, wenn die Adoption seiner öffentlichen Ordnung offensichtlich widerspricht, wobei das Wohl des Kindes zu berücksichtigten ist. Im Übrigen kann das wirksame Zustandekommen einer Adoption im Anwendungsbereich des AdoptÜ nicht ohne weiteres in Frage gestellt werden (vgl. Staudinger-Henrich, BGB, Neub. 2014, Vor Art. 22 EGBGB Rz. 46; Keidel-Zimmermann, FamFG, 18. Aufl., § 109 Rz. 21).

[4]Vorliegend ist der Anwendungsbereich des Abkommens eröffnet, da sowohl die Türkei als auch die Bundesrepublik Deutschland Vertragsstaaten des Abkommens sind, die Kinder zum Zeitpunkt der Adoptionsentscheidung ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Türkei hatten und im Zusammenhang mit der Adoption nach Deutschland verbracht werden sollten, Art. 2 AdoptÜ. Eine vereinfachte Anerkennung der in der Türkei erfolgten Adoption gemäß den Vorgaben des Übereinkommens kommt nicht in Betracht, da das darin vorgesehene Verfahren im Rahmen des Verfahrens, das zum Urteil des türk. Familiengerichts von 2013 führte, nicht zur Anwendung gekommen ist, wie das AG zutreffend festgestellt hat. Weder die zentralen Behörden in Deutschland noch diejenigen in der Türkei wurden am Verfahren beteiligt. Die nach Art. 23 AdoptÜ für die Anerkennung der Entscheidung im Inland notwendige Bescheinigung konnte und wurde folgerichtig – auch nach den Angaben der Beschwf. selbst – nicht erteilt ...

[5]Auch eine Anerkennung der ausländischen Entscheidung zur Annahme als Kind nach innerstaatlichen Regeln kann nicht erfolgen.

[6]Ob die Anerkennung einer unter die Anwendung des AdoptÜ fallenden ausländischen Adoptionsentscheidung i.S.v. § 1 AdWirkG auf Antrag gemäß § 2 I AdWirkG grundsätzlich nur dann erfolgen kann, wenn die Anerkennungsvoraussetzungen gemäß Art. 23, 24 AdoptÜ gegeben sind, oder ob ein Rückgriff auf innerstaatliche Anerkennungsregeln in Betracht kommt, ist umstritten (vgl. MünchKomm-Maurer, 6. Aufl., § 2 AdWirkG Rz. 6; jurisPK-BGB-Behrentin, Bd. 6, 7. Aufl. [2014], Art. 22 EGBGB Rz. 100).

[7]Es wird vertreten, dass eine unter Verstoß gegen die in dem AdoptÜ bestimmten, von jedem Vertragsstaat einzuhaltenden Verfahrensregelungen und ohne Vornahme der hierin vorgeschriebenen und die Besonderheiten einer internationalen Adoption mit (beabsichtigter) Verbringung des Kindes aus seinem Heimatstaat beachtenden Kindeswohlprüfung z.B. durch Beteiligung einer Adoptionsvermittlungsstelle ergangene ausländische Adoptionsentscheidung gemäß Art. 23, 24 AdoptÜ grundsätzlich wegen des Vorrangs des völkerrechtlichen Vertrags keine Anerkennung finden kann (vgl. OLG Schleswig, FamRZ 2014, 498 (IPRspr. 2013 Nr. 132); Staudinger-Henrich aaO m.w.N.).

[8]Die Gegenmeinung vertritt die Ansicht, das AdoptÜ lasse keinen Ausschluss des Günstigkeitsprinzips erkennen, ein Rückgriff auf die nationalen Anerkennungsregeln sei daher möglich, so dass die ausländische Adoption ausschl. an den Maßstäben des § 109 I FamFG zu messen sei (vgl. jurisPK-BGB-Behrentin aaO Rz.122 f.; Heilmann-Braun, PK Kindschaftsrecht, 2015, Anh. § 199 FamFG Rz. 3; LG Potsdam, Beschl. vom 4.10.07 – 5 T 133/07 (IPRspr 2007-91); AG Hamm, StAZ 2012, 54 (IPRspr 2011-134)).

[9]Eine vermittelnde Auffassung, wie sie vorliegend wohl auch das BfJ vertritt, hält trotz grundsätzlichen Vorrangs des AdoptÜ ausnahmsweise den Rückgriff auf die Anerkennungsregeln nach §§ 108, 109 FamFG für zulässig, wenn sich die Nichtbeachtung von Verfahrensregeln im Übereinkommen lediglich als formeller Verfahrensverstoß erweist, die inhaltlichen Vorgaben des Übereinkommens (Art. 4, 5 AdoptÜ) hingegen erfüllt sind (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 2015, 1642 (IPRspr 2014-114b); Weitzel, NJW 2008,186 ff.; jurisPK-BGB-Behrentin aaO).

[10]Vorliegend kann dahinstehen, welcher Auffassung im Ergebnis zu folgen ist. Denn alle führen vorliegend zu dem Ergebnis, dass die Adoption nicht anerkennungsfähig ist, denn die Adoptionsentscheidung des türk. Familiengerichts ist mit wesentlichen Grundsätzen deutschen Rechts unvereinbar (§ 109 I Nr. 4 FamFG; vgl. auch BGH, Beschl. vom 17.6.2015 – XII ZB 730/12 (IPRspr 2015-121), Rz. 44). [...] Der Senat folgt der Entscheidung des AG nicht nur im Ergebnis, sondern auch der Begründung nach, denn das AG stellt zu Recht darauf ab, dass das türkische Gericht, welches die Adoption ausgesprochen hat, keine hinreichende Kindeswohlprüfung vorgenommen und insbes. die Eignung der Adoptionsbewerber, der hiesigen ASt., nicht hinreichend überprüft hat ...

[11]Zu Recht weist auch das AG darauf hin, dass sich keine andere Bewertung dadurch ergibt, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung des Ordre-public-Verstoßes nach § 109 I Nr. 4 FamFG der Zeitpunkt der Anerkennungsentscheidung bzw. vorliegend der Beschwerdeentscheidung ist (OLG Bremen, FamRZ 2015, 425 (IPRspr 2014-117b), Rz. 17). Insbesondere ist es nicht Sinn und Zweck des formalisierten Anerkennungsverfahrens (vgl. insoweit BT-Drucks. 14/6011 S. 32), erstmalig eine Kindeswohlprüfung durchzuführen (OLG Köln, Beschl. vom 23.4.2012 – 4 UF 185/10 (IPRspr 2012-136), juris Rz. 52) oder gar, nachdem die Kinder mittlerweile volljährig geworden sind, die ausländische Minderjährigenadoption nunmehr nach den Maßstäben einer Volljährigenadoption zu überprüfen. Insofern gibt das Anerkennungsverfahren keine Veranlassung, das das zur Entscheidung berufene Gericht eine am ordre public orientierte, eigene Adoptionsprüfung an die Stelle der ordre-public-widrigen ausländischen Entscheidung setzt (OLG Frankfurt/Main, v. 22.12.2011 – 1 UF 262/11 (IPRspr. 2011 Nr. 131), u. Verw. auf OLG Hamm, Beschl. vom 12.8.2011 – 11 UF 37/11 (IPRspr 2011-136)). Zwar wurde vereinzelt entschieden, dass ausnahmsweise auch auf die nachträgliche tatsächliche Entwicklung abgestellt werden kann, so z.B. wenn nach der ausländischen Adoptionsentscheidung und bis zur Entscheidung über die Anerkennung nachweisbar ein tragfähiges Eltern-Kind-Verhältnis entstanden ist (vgl. z.B. OLG Bremen aaO Rz. 21); ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch erkennbar nicht vor.

Fundstellen

LS und Gründe

FamRZ, 2017, 1512

Bericht

Majer, NZFam, 2017, 536

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2017-175

Lizenz

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