In dem bloßen Abschluss eines Ehevertrags über Morgen- und Abendgabe vor einem libanesischen Scharia-Gericht am Tage der Eheschließung liegt nicht bereits eine gegenüber Art. 8 lit. a Rom-III-Verordnung vorrangige Rechtswahl des ausländischen Eherechts durch die Ehegatten nach Art. 5 Rom-III-Verordnung. Ein solcher vor einem Scharia-Gericht geschlossener und protokollierter Vertrag genügt der im deutschen Recht vorgesehenen notariellen Form des § 1410 BGB.
Während sich das international anzuwendende Recht für den Anspruch auf die Morgengabe vor Eingehung der Ehe nach dem „Verlöbnisstatut“ und während des Bestehens der Ehe nach Art. 14 EGBGB richtet, bestimmt sich das auf die – erst anlässlich der Ehescheidung fällig werdende – Abendgabe anzuwendende Sachrecht wegen des unterhaltsähnlichen Versorgungscharakters zugunsten der Ehefrau nach Art. 3 I und den Art. 5, 6, 7 und 8 des Haager Protokolls über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007 (ABl. 2009 Nr. L 331/19). [LS von der Redaktion neu gefasst]
Der AGg. (31 Jahre alt, deutscher Staatsbürger libanesischer Abstammung) und die ASt. (27 Jahre alt, Libanesin) heirateten im Dezember 2005 nach islamisch-sunnitischem Recht vor dem Scharia-Gericht in Beirut. Die Heiratsurkunde enthält keine Regelungen zu den Scheidungsvoraussetzungen. Am selben Tage schlossen die Beteiligten vor dem sunnitischen Scharia-Gericht in Gegenwart von Vertretern und Zeugen einen Ehevertrag, über dessen vereinbarten Inhalt die Beteiligten streiten. Der schriftliche Ehevertrag enthält u.a. die Vereinbarung eines Brautgelds, d.h. Morgengabe (Koran und Goldlira) und Abendgabe (15 000 $). Die Beteiligten streiten darum, ob der AGg. gegenüber der ASt. im März 2014 in Gegenwart der Zeugen E und L1 E die Scheidung nach islamischem Recht ausgesprochen hat. Mit ihrem Antrag auf VKH und dem Scheidungsantragsentwurf hat die ASt. am 21.11.2014 das vorliegende Scheidungsverfahren vor dem FamG eingeleitet und beantragt, den AGg. zu verpflichten, an sie eine Abfindung i.H.v. 15 000 $ zu zahlen.
Mit Beschluss vom 17.11.2015 hat das FamG die am 20.12.2005 in Beirut geschlossene Ehe der Beteiligten geschieden, die Durchführung des Versorgungsausgleichs angeordnet und den AGg. verpflichtet, an die ASt. 15 000 $ zu zahlen. Mit seiner am 26.11.2015 beim FamG eingelegten und innerhalb der Frist begründeten Beschwerde strebt der AGg. die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses unter Zurückweisung der Anträge an.
[1]II. ... C. In der Sache hat die Beschwerde des AGg. im Ergebnis keinen Erfolg, obwohl sowohl das Protokoll der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung vom 17.11.2015 als auch der angefochtene Beschluss vom selben Tage erhebliche Verfahrens- und inhaltliche Mängel aufweisen.
[2]I. Internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für den Scheidungsantrag nebst Folgeanträgen:
[3]1. Das AG und der Senat sind für die Entscheidung über den Ehescheidungsantrag der ASt. international zuständig. Dies stellt der Senat vorliegend trotz des § 65 IV FamFG ausdrücklich positiv fest ...
[4]2. Das AG hat sich in der Begründung des angefochtenen Beschlusses ausdrücklich nur mit der Anwendbarkeit des deutschen Sachrechts für die Ehescheidung nach der Rom-III-VO und für den Abfindungsantrag nach Art. 14 EGBGB befasst. Es ist dabei jedoch stillschweigend und im Ergebnis zutreffend von der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Entscheidung über den Scheidungsantrag der ASt. ausgegangen, obwohl ausweislich der Heiratsurkunde die Eheschließung vor einem Scharia-Gericht in Anwendung religiösen (islamisch-sunnitischen) Rechts vollzogen worden ist.
[5]3. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für den Scheidungsantrag bei ausländischen Ehegatten, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und ihre Ehe in Anwendung ausländischen religiösen (hier: islamisch-sunnitischen) Rechts geschlossen haben, ergibt sich nicht mehr aus § 606a I 1 Nr. 2 ZPO a. F. (vgl. noch BGH, Urt. vom 6.10.2004 –
[6]4. Etwas anderes ergibt sich hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit auch nicht aus der Rom-III-VO, die seit dem 21.6.2012 in Deutschland gilt (vgl. OLG Hamm, Beschl. vom 17.1.2013 aaO Rz. 27; Beschl. vom 7.5.2013 aaO Rz. 34). Art. 2 Rom-III-VO bestimmt nämlich, dass diese Verordnung die Anwendung der EuEheVO unberührt lässt. Für die Frage der internationalen Zuständigkeit des FamG und des Senats ist es insoweit vorliegend anders als für die Frage des anzuwendenden materiellen Eherechts (siehe dazu unten III.) rechtlich unerheblich, dass die ASt. ihren Scheidungsantrag am 21.11.2014 – also zeitlich nach dem Inkrafttreten der Rom-III-VO in Deutschland am 21.6.2012 – anhängig gemacht hat. Auf den Wegfall des § 606a ZPO mit dem Inkrafttreten des FamFG zum 01.09.2009 kommt es für die internationale Zuständigkeit ebenso nicht entscheidungserheblich an, denn dieser ist bereits zum 1.3.2005 durch die EuEheVO verdrängt worden ...
[7]III. Antrag auf abändernde Zurückweisung des Scheidungsantrages:
[8]1. Anwendbares Scheidungsrecht:
[9]Der Antrag des AGg. auf abändernde Zurückweisung des Scheidungsantrags der ASt. ist unbegründet, denn das AG hat im Ergebnis zutreffend das materielle deutsche Scheidungsrecht zugrunde gelegt und das Vorliegen der Scheidungsvoraussetzungen zu Recht bejaht ...
[10]b) Im vorliegenden Fall begründen folgende Gesichtspunkte die vorrangige und ausschließliche Anwendung der Rom-III-VO als Kollisionsregelung für die Ehescheidung der Beteiligten:
[11]– Die Rom-III-VO ist nach Art. 21 seit dem 21.6.2012 in Kraft getretenes, in Deutschland verbindliches und unmittelbar geltendes Recht.
[12]– Sie gilt nach der Übergangsvorschrift des Art. 18 I für gerichtliche Verfahren, die ab dem 21.6.2012 eingeleitet worden sind. Das vorliegende Scheidungsverfahren ist am 21.11.2014 durch Anhängigkeit des Verfahrenskostenhilfeantrags nebst Entwurf der Antragsschrift vom 20.11.2014 eingeleitet worden, so dass die Rom-III-VO vorliegend uneingeschränkt geltendes Recht ist.
[13]– Da beide Beteiligten unstreitig während des ehelichen Zusammenlebens ihren gewöhnlichen Aufenthalt bis zur Trennung sowie auch noch zum Zeitpunkt der Anrufung des FamG am 21.11.2014 in der Bundesrepublik Deutschland in C gehabt haben, greift im Grundsatz Art. 8 lit. a Rom-III-VO mit der Möglichkeit einer verdrängenden Rechtswahl nach Art. 5.
[14]c) Im Ergebnis führt die demnach uneingeschränkte Geltung der Rom-III-VO vorliegend ... zur Anwendung des deutschen materiellen Scheidungsrechts. Insoweit ist nach dem Grundsatz in Art. 8 lit. a Rom-III-VO regelmäßig nicht mehr die Staatsangehörigkeit entscheidend, sondern der gewöhnliche Aufenthalt der Beteiligten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts, und die Verordnung gilt auch unabhängig davon, ob sie auf die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats der EU oder auf einen anderen Staat verweist. Es handelt sich um autonomes Kollisionsrecht der EU. Vorliegend hatten und haben die Beteiligten während ihres ehelichen Zusammenlebens, ihrer Trennung und der Anrufung des AG ebenso wie im Beschwerdeverfahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
[15]d) ... Neben den zwingenden gesetzlichen Regelungen ist es zwar auch möglich, das anzuwendende Recht frei zu wählen, Art. 5 Rom-III-VO. Eine solche Rechtswahl ist grundsätzlich vorrangig vor der Regelung des Art. 8. Jedoch liegt in dem Inhalt der Heiratsurkunde vom 20.12.2005 keine für das vorliegende Scheidungsverfahren bindende Rechtswahl:
[16]– Die Beteiligten hatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl nicht beide ausschließlich die libanesische Staatsangehörigkeit, vielmehr war der AGg. ausweislich der Statusangaben in der Heiratsurkunde schon deutscher Staatsangehöriger (vgl. Art. 5 I lit. c Rom-III-VO).
[17]– Eine Vereinbarung der Anwendung des islamischen Scheidungsrechts in der Heiratsurkunde in einer den Anforderungen des Art. 7 I Rom-III-VO entsprechenden Schriftform liegt nicht vor.
[18]– Insbesondere enthält die Heiratsurkunde keine ‚bei der Eheschließung vereinbarten Bedingungen’ zu den Voraussetzungen, unter denen auch die ASt. als Ehefrau die Ehescheidung beantragen kann. Vielmehr wird in der Heiratsurkunde nur die Eheschließung protokolliert, während sich in ihr keine Ausführungen zu einer etwaigen Scheidung befinden.
[19]e) Schließlich kann auch aus der Tatsache, dass die Beteiligten am Tage der Eheschließung einen Ehevertrag vor dem Scharia-Gericht in Beirut abgeschlossen haben, nicht auf eine Rechtswahl des islamisch-sunnitischen Rechts für den Fall der Scheidung geschlossen werden. [...] Unabhängig von der zwischen den Beteiligten streitigen Frage, ob die vorliegend in Streit stehende Abendgabe von dem AGg. nur im Falle einer von ihm ausgehenden islamischen Scheidung durch den dreimaligen Ausspruch des talaq zu zahlen ist, kann aus der Vereinbarung der Brautgabe jedenfalls nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass die Beteiligten für den Fall ihrer etwaigen späteren Ehescheidung die Anwendung allein der islamischen Scheidungsregeln vereinbaren wollten. Hiergegen spricht zudem der schon bei der Eheschließung beabsichtigte und anschließend umgesetzte Alltagsaufenthalt der Beteiligten in der Bundesrepublik Deutschland, für den der AGg. zum Zweck einer Einreiseerlaubnis für die damals noch minderjährige libanesische ASt. nach Deutschland ausweislich des entsprechenden behördlichen Vermerks von 2006 den Ehevertrag nebst Übersetzung vorgelegt hat ...
[20]IV. Versorgungsausgleich:
[21]Das FamG hat im Ergebnis zu Recht den Versorgungsausgleich durchgeführt.
[22]1. Das FamG hat allerdings nicht begründet, warum insoweit deutsches Sachrecht Anwendung findet. Da die Rom-III-VO keine Regelungen zum Versorgungsausgleich enthält – vielmehr regelt Art. 1 II Rom-III-VO ausdrücklich, dass diese nicht für die Scheidungsfolgen gilt –, greift die Kollisionsnorm des Art. 17 III 1 EGBGB, wonach der Versorgungsausgleich grundsätzlich dem nach der Rom-III-VO auf die Scheidung anzuwendenden Recht unterliegt. Vorliegend ist nach dem oben Festgestellten deutsches Scheidungsrecht anwendbar. Zudem ist der AGg. deutscher Staatsangehöriger (vgl. Art. 17 III 1 Halbs. 2 EGBGB), und beide Beteiligten haben in der Ehezeit Anrechte in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung erworben (Art. 17 III 2 EGBGB) ...
[23]V. ... 1. Anzuwendendes Sachrecht:
[24]Das FamG hat die Anwendung des deutschen Sachrechts auf die im Ehevertrag vom 20.12.2005 vereinbarte ‚Abfindung’ auf Art. 14 I Nr. 2 EGBGB gestützt. Dem folgt der Senat zwar nicht in der Begründung, wohl aber im Ergebnis, auch wenn die eigentliche Eheschließung und die Vereinbarung der ‚Abfindung’ ursprünglich dem islamisch-sunnitischen Scharia-Recht folgen.
[25]a) In dem Ehevertrag vom 20.12.2005 haben die Beteiligten zur Überzeugung des Senats entgegen dem Beschwerdevorbringen des AGg. in Gegenwart beider Beteiligten wirksam ein mahr – eine durch den Ehemann zu erbringende, teils bei Eheschließung fällige ‚Morgengabe’ und teils bei Scheidung als ‚Abendgabe’ fällige ‚Brautgabe’ – vereinbart ...
[26]bb) Soweit der AGg. schriftsätzlich hat vortragen lassen, sich nicht mehr an eine solche Vereinbarung erinnern zu können, läuft dies faktisch auf ein unzulässiges Bestreiten mit Nichtwissen im Sinne der §§ 113 I 2 FamFG, 138 IV ZPO hinaus. Auch die Darstellung des AGg. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ... vermag den Senat nicht zu überzeugen. [...] Vielmehr wird durch die Urkunde des Scharia-Gerichts, die angesichts der förmlichen Beglaubigung ebenso wie deutsche Notarverträge eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 415 ZPO darstellt, der volle Beweis des durch den sie ausstellenden Scharia-Richter und den Leiter seiner Geschäftsstelle beurkundeten Vorgangs geführt, also des am selben Tage wie die vor demselben Scharia-Gericht eingegangene Eheschließung erfolgten Abschlusses des Ehevertrags mit dem die Darstellung der ASt. bestätigenden oben dargelegten Inhalt ...
[27]cc) In rechtlicher Hinsicht gilt insoweit für den Abschluss des Ehevertrags das Recht der sunnitischen Gemeinschaft im Libanon (vgl. Bergmann-Ferid-Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht [Stand: 1.3.1996], Libanon, Kapitel IV), da ausweislich des Inhalts der Heiratsurkunde beide Beteiligten muslimisch-sunnitischer Religion sind. Das im Libanon anwendbare Familienrecht der Sunniten findet sich im Osmanischen Familiengesetzbuch vom 25.10.1917, geändert durch das Gesetz vom 16.7.1962, das heute noch Geltung hat (vgl. Bergmann-Ferid-Henrich aaO A. Einführung). Die durch die beglaubigte Abschrift der ins Deutsche übersetzten – und insoweit von dem AGg. nicht angegriffenen – Heiratsurkunde dokumentierten Umstände der Eheschließung erfüllen die Vorschriften der Art. 33–37 FGB von 1917, Art. 349 litt. a bis c, e des ergänzenden Familiengesetzes von 1962, insbesondere die Gegenwart und Unterschriften der sich die Ehe versprechenden Eheleute sowie die Unterschriften jeweils zweier handlungsfähiger Zeugen und Vertreter der Eheleute sowie des die Eheschließung vornehmenden und registrierenden Scharia-Richters unter der Heiratsurkunde und dem Ehevertrag [vgl. Bergmann-Ferid-Henrich aaO B. Eherecht, 1. (3) a. Formvorschriften für die Eheschließung]. Soweit der AGg. das Unterschreiben des Ehevertrags bestreitet, wird sein Vortrag durch die Beweiskraft der öffentlichen Urkunde gemäß § 415 ZPO widerlegt.
[28]dd) Die vorliegende Vereinbarung des mahr in dem Ehevertrag beruht unmittelbar auf Art. 349 lit. d des Familiengesetzes von 1962 [Gesetz zur Eheschließung] (abgedr. bei Bergmann-Ferid-Henrich aaO) ...
[29]b) Trotz der ursprünglich muslimisch-sunnitischem Recht folgenden Eheschließung und Vereinbarung der Brautgabe findet hierauf vor dem gemäß Art. 3 lit. a EuEheVO zuständigen deutschen FamG bzw. Senat (s.o.) gleichwohl das deutsche Sachrecht Anwendung.
[30]aa) Dies ergibt sich allerdings nicht aus Art. 1 ff. Rom-III-VO, da diese gemäß deren Art. 1 II gerade nicht auf die Ehewirkungen anwendbar ist. Wegen der inhaltlichen Nähe zum Unterhaltsrecht wird vielmehr überwiegend davon ausgegangen, dass für den Anspruch auf eine Brautgabe im Zusammenhang mit der Ehescheidung (Abendgabe) das Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007 (ABl. 2009 Nr. L 331/19; nachfolgend: HUntProt) gelte; während für den Anspruch auf die Morgengabe vor Eingehung der Ehe das Verlöbnisstatut und während des Bestehens der Ehe Art. 14 EGBGB einschlägig sein soll (vgl. BGH, IPRax 2011, 85 (IPRspr 2009-62)), gilt nach h.M. für den Anspruch auf Brautgabe bei der Ehescheidung aus den o.g. Gründen wegen der sachlichen Nähe zum nachehelichen Unterhalt das HUntProt (vgl. Palandt-Thorn, BGB, 75. Aufl., Rom III Art. 1 Rz. 7; Art. 13 EGBGB Rz. 9, jew. m.w.N.). Der Senat schließt sich dieser überzeugenden Differenzierung kraft eigener Prüfung und Meinungsbildung an, da bei der Abendgabe als nur bei Ehescheidung fälligem zweiten Teil der Brautgabe die zeitweise nacheheliche Versorgung der Ehefrau im Vordergrund steht.
[31]bb) Demnach kann entgegen der Auffassung des FamG für die Geltung des deutschen Sachrechts nicht auf Art. 14 I Nr. 2 EGBGB abgestellt werden ...
[32]cc) Nach dem vielmehr geltenden Grundsatz des Art. 3 I HUntProt ist, sofern in diesem Protokoll nichts anderes bestimmt ist, für Unterhaltspflichten das Recht des Staats maßgebend, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Da die ASt. ihren gewöhnlichen Aufenthalt während der Ehe, nach der Trennung und bei Einleitung des vorliegenden Verfahrens in Bochum in der Bundesrepublik Deutschland hatte und hat, ist demnach für den einer Unterhaltsabfindung ähnlichen Anspruch auf Zahlung des mahr/der Brautgabe grundsätzlich das deutsche Sachrecht anwendbar.
[33]dd) Eine Ausnahme von dem Grundsatz des Art. 3 I HUntProt ergibt sich nicht aus den Art. 5, 6, 7, und 8 HUntProt ...
[34]2. Materielle Voraussetzungen des Anspruchs auf Zahlung des mahr:
[35]Das FamG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Anspruch der ASt. gegen den AGg. aus dem Ehevertrag der Beteiligten auf Zahlung des mahr besteht.
[36]a) Nach dem oben bereits Festgestellten ist zur Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass die Beteiligten sich am 20.12.2005 tatsächlich materiell und formwirksam darüber geeinigt haben, dass die ASt. von dem AGg. die Leistung einer Morgengabe im Umfang einer Koranabschrift und einer englischen Goldlira sowie die Zahlung einer Abendgabe von 15 000 US-Dollar verlangen kann.
[37]b) Entscheidende Frage ist daher, ob die islamisch-sunnitischen Regeln für das Auslösen der Brautgabe sinngemäß auf das deutsche Recht übertragen werden müssen. Nach dem islamischen Recht (Art. 80 ff., 343 des Familiengesetzes 1962) hat der Ehemann die Abendgabe anlässlich der Ehescheidung nur dann zu zahlen, wenn eine von ihm ausgehende Scheidungsverstoßung vorliegt, nicht aber, wenn – wie vorliegend – die Auflösung der Ehe von der Ehefrau oder ihrem Vormund verlangt wird [vgl. Bergmann-Ferid-Henrich aaO B. Eherecht 1. (3) d.].
[38]aa) Diese Einschränkung wäre indes mit wesentlichen Grundgedanken des deutschen Ehescheidungs- und Nachscheidungsunterhaltsrechts nicht zu vereinbaren und muss nach Auffassung des Senats entsprechend dem in den Art. 10, 12 Rom-III-VO für das internationale Scheidungsrecht kodifizierten – und darüber hinaus aufgrund der allgemeinen Grundregel des Art. 6 EGBGB auch für die Ehewirkungen und vermögensrechtlichen Scheidungsfolgen (vgl. insoweit Palandt-Thorn aaO Art. 6 EGBGB Rz. 21) geltenden – Prinzip des ordre public dazu führen, dass es für die Fälligkeit der Abendgabe auch genügt, wenn nach dem Scheidungs- und Scheidungsfolgenrecht des angerufenen Gerichts – hier nach deutschem Recht – die Ehefrau die Scheidung der Ehe beantragen und – vertraglich vereinbarte – Scheidungsfolgenansprüche einfordern darf. Während nämlich das deutsche Scheidungsrecht schon seit Jahrzehnten kein Verschuldensprinzip mehr kennt, sondern seit dem 1.7.1977 gemäß den §§ 1564 ff. BGB das Zerrüttungsprinzip gilt (vgl. Palandt-Brudermüller aaO Vor § 1564 Rz. 2), fußt das islamische Recht der Abendgabe neben dem Versorgungsgedanken zugunsten der Ehefrau auch auf einem mit unserer Rechtsordnung nicht zu vereinbarenden, die Ehefrau einseitig benachteiligenden Verschuldensprinzip. So ist nach dem islamisch-sunnitischen Recht die Abendgabe trotz der Scheidungsverstoßung durch den Ehemann schon dann nicht zu zahlen, wenn das Verhalten der Frau die Auflösung der Ehe verursacht hat (vgl. Bergmann-Ferid-Henrich aaO). Kann der Ehemann plausibel darlegen, dass irgendein nicht gänzlich zu vernachlässigendes Verhalten der Ehefrau ihn zu der Scheidungsverstoßung veranlasst hat, steht die Ehefrau nach dem islamisch-sunnitischen Recht nach der von ihr nicht zu verhindernden, vom Ehemann ohne wesentliche Formvorschriften einfach und schnell zu realisierenden Scheidungsverstoßung ohne jede Versorgung da.
[39]bb) Nach dem deutschen Recht ist hingegen nachehelicher Unterhalt aus den §§ 1569 ff. BGB grundsätzlich unabhängig von dem Trennungsgrund und verschuldensunabhängig zu leisten, wenn einer der Tatbestände der §§ 1570 ff. BGB erfüllt ist. Lediglich in den eng begrenzten Ausnahmetatbeständen der Verwirkung nach § 1579 BGB – deren Vorliegen hier nicht ansatzweise ersichtlich ist – kann der Gläubigerin des nachehelichen Unterhalts aufgrund eigenen Verschuldens der Unterhalt versagt werden. Für die Ehescheidung selbst regelt Art. 10 Rom-III-VO ausdrücklich, dass das Scheidungsrecht des angerufenen Staats anzuwenden ist, wenn – wie vorliegend – das ausländische (religiöse) Recht einen Ehegatten (nämlich die Ehefrau) gleichheitswidrig unter Verletzung des Art. 3 I GG bei der Möglichkeit der Durchsetzung einer Ehescheidung diskriminiert (vgl. Palandt-Thorn aaO Art. 10 Rom III Rz. 1). Für eine evident gleichheitswidrige Diskriminierung der Ehefrau durch das islamische Recht der vermögensrechtlichen Scheidungsfolgen muss dieser Grundsatz über die allgemeine Regelung des ordre public in Art. 6 EGBGB entsprechend gelten ...
[40]c) Der Höhe nach ist die Abendgabe in dem Ehevertrag auf 15 000 US-Dollar (= nach aktuellem Wechselkurs, Stand 19.4.2016, rund 13 260 €) festgelegt worden. Angesichts der Tatsache, dass die ASt. ansonsten nach einer rund neunjährigen Ehe von der Eheschließung am 20.12.2005 bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags am 9.1.2015 und trotz der Betreuung von zwei der drei minderjährigen Kinder nach den tatsächlichen Einkommensverhältnissen der Beteiligten keinen nachehelichen Unterhalt erhalten würde – weil nach deutschem Unterhaltsrecht wegen des Vorrangs des Unterhaltsanspruchs der drei minderjährigen Kinder bei der Leistungsfähigkeit nach § 1609 Nr. 1 BGB nachehelicher Unterhalt faktisch ausgeschlossen sein dürfte –, erscheint eine Gesamtsumme von rund 13 260 € als Abfindung zur mit der Abendgabe intendierten zeitweisen – einkommensunabhängigen – Absicherung der ASt. als auch unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben nach § 242 BGB nicht zu beanstanden.