Im Interesse der Titelfreizügigkeit muss im Exequaturverfahren eine Konkretisierung oder Ergänzung für vollstreckbar zu erklärende, nach deutschem Recht nicht hinreichend konkretisierte Titel vorgenommen werden.
Im Rahmen der Prüfung des Versagungsgrunds des Art. 34 Nr. 1 EuGVO alter Fassung, die von Amts wegen erfolgt, sind die hierfür entscheidungserheblichen Tatsachen vom Antragsgegner darzulegen. [LS der Redaktion]
Die Beteiligten streiten vor italienischen Gerichten um die Bezahlung von Weinlieferungen der ASt. an die AGg. Mit Mahnbescheid (ingiunzione) des Zivilgerichts von Bologna vom 27.2.2007 wurde die AGg. verpflichtet, an die ASt. 129 287,21 € zzgl. Verzugszinsen zu zahlen und ihr die Kosten und Gebühren (spese, competenze ed onorari) des Mahnverfahrens zu erstatten; mit Urteil vom 13.9.2010 wurde der Mahnbescheid bestätigt.
Mit Beschluss vom 23.2.2012 ordnete das LG Nürnberg-Fürth an, die Entscheidung vom 13.9.2010 mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Das OLG Nürnberg bestätigte dessen Entscheidung weitgehend durch Beschl. vom 8.11.2013. Hiergegen richtet sich die AGg. mit ihrer Rechtsbeschwerde.
[1] Die Rechtsbeschwerde ist gemäß Art. 44 EuGVO a.F. i.V.m. §§ 15 I AVAG, 574 I 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nach §§ 15 I AVAG, 574 II ZPO unzulässig, weil sie nicht aufzeigt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rspr. eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
[-] 1. Auf das Verfahren findet die EuGVO vom 22.12.2000 Anwendung, die in allen (damaligen) Mitgliedstaaten der EG mit Ausnahme Dänemarks am 1.3.2002 in Kraft getreten ist (Art. 76 EuGVO a.F.) und auf alle Klagen anzuwenden ist, die – wie vorliegend – danach erhoben worden sind (Art. 66 I EuGVO a.F.). Die VO (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 12.12.2012 (ABl. Nr. L 351/1) kommt nach Art. 66 I VO (EU) Nr. 1215/2012 nicht zur Anwendung, weil das Verfahren nicht am 10.1.2015 oder danach eingeleitet worden ist. Für die vor dem 10.1.2015 eingeleiteten Verfahren findet nach Art. 66 II VO (EU) Nr. 1215/2012 die EuGVO weiterhin Anwendung.
[2] 2. Die von der Rechtsbeschwerde geltend gemachten Zulässigkeitsgründe liegen nicht vor:
[3] a) Das BeschwG hat nicht gegen das Verbot der reformatio in peius verstoßen, indem es bei der Vollstreckbarerklärung des italienischen Titels, der den nach deutschem Zwangsvollstreckungsrecht zu stellenden Bestimmtheitsanforderungen nicht genügte, die erforderlichen Konkretisierungen anhand des in dem Fall in Bezug genommenen Mahnbescheids und weiterer Unterlagen vorgenommen hat. An der Richtigkeit der Konkretisierungen zweifelt die Rechtsbeschwerde nicht. Das LG hatte dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung in vollem Umfang stattgegeben, wobei es die erforderlichen Konkretisierungen unterließ. Über die Entscheidungen des LG ist das BeschwG inhaltlich zulasten der AGg. im Ergebnis nicht hinausgegangen. Klärungsbedürftige Grundsatzfragen stellen sich in diesem Zusammenhang nicht.
[4] b) Das BeschwG ist mit seiner Entscheidung auch nicht über den Antrag der Gl. hinausgegangen. In ihrem Antrag auf Vollstreckbarerklärung war, was sich durch Auslegung ohne weiteres ergab, zu jeder Zeit, auch im Beschwerdeverfahren, der Antrag enthalten gewesen, die Vollstreckbarerklärung mit der erforderlichen Konkretisierung des vollstreckbaren Inhalts des Titels vorzunehmen. Es ist nicht erforderlich, dass der Antrag mit dem Entscheidungstenor wörtlich übereinstimmt.
[5] Im Interesse der Titelfreizügigkeit muss im Exequaturverfahren eine Konkretisierung oder Ergänzung für vollstreckbar zu erklärende, nach deutschem Recht nicht hinreichend konkretisierte Titel vorgenommen werden (BGH, Beschl. vom 4.3.1993 – IX ZB 55/92 (IPRspr. 1993 Nr. 171), BGHZ 122, 16, 18; vom 30.11.2011 – III ZB 19/11 (IPRspr. 2011 Nr. 297), WM 2012, 179 Rz. 6). Ggf. muss hierzu auch eine Beweisaufnahme zum ausländischen Recht durchgeführt werden, wenn sich hieraus der konkrete Inhalt des Titels ergibt (BGH, Beschl. vom 30.11.2011 aaO; Beschl. vom 21.11.2013 – IX ZB 44/12 (IPRspr 2013-268), WM 2014, 42 Rz. 9). Die hierauf vorzunehmenden Konkretisierungen obliegen dem Gericht des Vollstreckungsstaats. Auch in diesem Zusammenhang stellen sich keine entscheidungserheblichen Grundsatzfragen.
[6] c) Die Beschwerdeentscheidung verstößt nicht deshalb gegen den deutschen ordre public (Art. 34 Nr. 1 EuGVO a.F.), weil die ASt. in Italien die streitgegenständlichen Ansprüche in einem gesonderten Verfahren auch gegen die Weinhandlung K. geltend macht. Da aus der Sicht der ASt. ungeklärt ist, gegen wen sich der Anspruch richtet, durfte sie gegen beide möglichen Passivlegitimierte vorgehen. Auch nach deutschem Recht wäre sie hierzu berechtigt und nicht darauf beschränkt gewesen, nur gegen einen von beiden mit gleichzeitiger Streitverkündung an den anderen zu klagen.
[7] aa) Der Versagungsgrund des Art. 34 Nr. 1 EuGVO a.F. ist von Amts wegen zu prüfen, doch sind die hierfür entscheidungserheblichen Tatsachen vom Antragsgegner darzulegen (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH, Beschl. vom 14.6.2012 – IX ZB 183/09 (IPRspr 2012-266), WM 2012, 1445 Rz. 9; vom 8.3.2012 – IX ZB 144/10 (IPRspr 2012-263), WM 2012, 662 Rz. 17). Der Kläger ist dann, wenn er gegen mehrere in Betracht kommende Anspruchsgegner getrennt klagt, an die prozessuale Wahrheitspflicht gebunden. Er kann aber in den Prozessen alternativ die für ihn günstigere Sachverhaltsvariante vortragen und unter Beweis stellen, wenn nicht von Vornherein gesichert ist, dass er die Version, die er für wahr hält, tatsächlich auch beweisen kann. Sollte nämlich die Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts etwas anderes ergeben, muss er ebenfalls seine Rechte wahrnehmen können. Ein Verstoß gegen die Wahrheitspflicht ist deshalb nicht feststellbar. Ob die eidesstattliche Versicherung des K. inhaltlich richtig ist, steht nicht fest.
[8] Der Versagungsgrund des Art. 34 Nr. 1 EuGVO a.F. kann zwar im Fall des Prozessbetrugs eingreifen (vgl. etwa BGH, Beschl. vom 6.5.2004 – IX ZB 43/03 (IPRspr 2004-161), WM 2004, 1391, 1393). Hinreichende Anhaltspunkte für einen Prozessbetrug hat das BeschwG aber zutreffend verneint.
[9] bb) Davon abgesehen hindert ein möglicher Prozessbetrug die Vollstreckbarerklärung nicht, wenn gegen die Entscheidung des Urteilsstaats ein Rechtsmittel eingelegt wurde, in welchem der Prozessbetrug geltend gemacht werden konnte oder noch geltend gemacht werden kann (BGH, Beschl. vom 15.5.2014 – IX ZB 26/13 (IPRspr 2014-241), WM 2014, 1295 Rz. 6 m.w.N.). So war es hier. Auch insoweit stellen sich keine klärungsbedürftigen Grundsatzfragen.