Die Anknüpfungen des Art. 19 I 1 und 2 EGBGB stehen nicht in einem Stufenverhältnis, sondern können nebeneinander zur Anwendung kommen. Dabei gilt das Günstigkeitsprinzip, nach welchem diejenige Rechtsordnung zur Anwendung berufen ist, die zu dem für das Kind günstigsten Ergebnis führt. [LS der Redaktion]
Der Kl. wurde ausweislich seiner indischen Geburtsurkunde 2010 in Mumbai/Indien geboren. In der Geburtsurkunde heißt es zum Namen der Mutter: ‚Frau ...’ und zum Namen des Vaters: ‚Herr B. T. D.’. Herr B. T. D. (nunmehr: Herr C.) wurde in Halle (Saale) geboren. Er hielt sich nach eigenen Angaben von 1998 bis 2008 in Spanien auf und lebt seit 2008 in Israel. Im Januar 2010 ging er in Berlin eine Lebenspartnerschaft mit dem im Israel lebenden T. D. ein.
Der Kl. reiste Ende August 2010 mit einem israelischen Reisedokument und Visum in Begleitung des Herrn C. nach Israel ein. Er beantragte im September 2010 bei der Bekl. die Feststellung des Bestehens der deutschen Staatsangehörigkeit. Mit Bescheid lehnte die Bekl. den Antrag des Kl. ab. Dagegen erhob der Kl. Widerspruch, welchen die Bekl. mit Widerspruchsbescheid zurückwies. Dagegen hat der Kl. Klage erhoben, mit welcher er ein Urteil des Familiengerichts der Stadt Tel Aviv einreichte.
[1]Die Klage hat keinen Erfolg ...
[2]Der Kl. hat keinen Anspruch auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises aus § 30 III 1 StAG, weil nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 30 II 1 StAG nachgewiesen ist, dass er deutscher Staatsangehöriger ist ...
[3]Der Kl. hat die deutsche Staatsangehörigkeit nicht nach Herrn C. erworben, weil er rechtlich nicht von diesem abstammt. Die rechtliche Vaterschaft des Herrn C. ergibt sich nicht aus einer nach den §§ 108, 109 FamFG anzuerkennenden ausländischen Entscheidung (I.). Sie folgt auch nicht aus dem Abstammungsstatut des Art. 19 I EGBGB, nach dem sowohl deutsches als auch israelisches Recht angewandt werden kann (II.).
[4]I. Nach § 108 I FamFG werden ausländische Entscheidungen, abgesehen von Entscheidungen in Ehesachen, anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Die Anerkennungsvoraussetzungen sind in § 109 FamFG in Form von Anerkennungshindernissen formuliert.
[5]Hier bedarf die Frage der Anerkennung des Urteils des Familiengerichts der Stadt Tel Aviv vom 1.8.2010 keiner Vertiefung, weil sich die Entscheidung mit der Frage der rechtlichen Vaterschaft des Herrn C. nicht befasst. Soweit unter Nr. 1 des Urteils davon die Rede ist, dass Herr C. Vater des Kl. ist, meint dies erkennbar nur die biologische Vaterschaft, wie aus der Bezugnahme auf ‚die Untersuchungsergebnisse der Gewebetypisierung vom 21.7.10, die im medizinischen Zentrum Sheba des Tel Hashorner Krankenhauses durchgeführt wurde’, hervorgeht. Die übrigen Nrn. des Urteils betreffen nicht die Abstammung des Kl. im engeren Sinne, sondern seinen Status in Israel (Nr. 2), seine Staatsangehörigkeit (Nr. 3) und die Voraussetzungen für seine Einreise nach Israel (Nr. 4).
[6]II. Gemäß Art. 19 I 1 EGBGB unterliegt die Abstammung eines Kindes dem Recht des Staats, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (2.). Nach Art. 19 I 2 EGBGB kann sie im Verhältnis zu jedem Elternteil auch nach dem Recht des Staats bestimmt werden, dem dieser Elternteil angehört (1.). Die vorgenannten Anknüpfungen stehen nicht in einem Stufenverhältnis, sondern können nebeneinander zur Anwendung kommen. Dabei gilt das Günstigkeitsprinzip: Zur Anwendung berufen ist die Rechtsordnung, die zu dem für das Kind günstigsten Ergebnis führt (vgl. etwa Benicke, Kollisionsrechtliche Fragen der Leihmutterschaft: StAZ 2013, 101, 106; Wagner, Abstammungsfragen bei Leihmutterschaften in internationalen Sachverhalten: StAZ 2012, 294, 297; Palandt-Thorn, BGB, 72. Aufl., EGBGB 19 [IPR] Rz. 6 jeweils m.w.N.)
[7]1. Nach dem aufgrund der geltend gemachten deutschen Staatsangehörigkeit des Herrn C. anwendbaren deutschen Recht ist der Letztgenannte nicht der rechtliche Vater des Kl. ...
[8]2. Nach dem aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts des Kl. in Israel anwendbaren israelischen Recht ist Herr C. ebenfalls nicht Vater des Kl. im Rechtssinn.
[9]Die Bekl. hat in dem angegriffenen Bescheid vom 24.10.2011 zutreffend angeführt, dass nach israelischem Recht grundsätzlich der Ehemann der Kindesmutter als Vater des Kindes gilt.
[10]Soweit der Kl. mit Schriftsatz vom 7.11.2013 einen auf den 29.8.2013 datierten Auszug aus dem Bevölkerungsregister des Staats Israel betreffend seiner Person eingereicht hat, belegen die dort enthaltenen Eintragungen ‚Vorname des Vaters: Andre’ und ‚Nationalität: deutsche’ keine – hinreichend determinierte – rechtliche Vaterschaft des Herrn C.
[11]Dies ergibt sich zum einen bereits daraus, dass Eintragungen in das Bevölkerungsregister unter den Voraussetzungen des dritten Kapitels des israelischen Gesetzes Nr. 5725-1965 über das Bevölkerungsregister vom 22.7.1965 (GBl. 466; nachfolgend BevRegG), abgedr. bei Bergmann-Ferid-Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Israel, [Stand: 30.11.2012] S. 134 ff., jederzeit geändert werden können.
[12]Zum anderen sind die Eintragungen im vorliegenden Fall offenbar allein aufgrund der Mitteilung des Herrn C. erfolgt. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Eintragung ‚Vorname des Vaters: Andre’ eine in Israel nach dem Bericht der Deutschen Botschaft in Tel Aviv vom 23.3.2010 nicht ausdrücklich geregelte Anerkennung der in Indien durchgeführten Leihmutterschaft zugrunde gelegen hat. Der Kl. hat eine Anerkennungsentscheidung einer israelischen Stelle nicht vorgelegt. Dagegen, dass eine Anerkennung erfolgt ist, spricht, dass die Voraussetzungen des israelischen Gesetzes Nr. 5756-1996 über Verträge zur Austragung von Embryonen (Genehmigung des Vertrags und Status des Geborenen) vom 17.3.1996 (GBl. 1577; nachfolgend LeihmutterG), abgedr. bei Bergmann-Ferid-Henrich aaO S. 113 ff., unter denen die ‚ausgesuchten Eltern’ zu Eltern des Kindes im Rechtssinn werden können, offensichtlich nicht vorliegen/vorgelegen haben. Es ist nicht erkennbar, dass zwischen der austragenden Mutter und den ausgesuchten Eltern ein schriftlicher Vertrag geschlossen wurde, der seitens der Genehmigungskommission genehmigt wurde (vgl. § 2 I LeihmutterG). Auch ist nicht belegt, dass die austragende Mutter nicht verheiratet war (vgl. § 2 III lit. a LeihmutterG). Überdies ist die Voraussetzung des § 2 V LeihmutterG, wonach die austragende Mutter derselben Religion wie die ausgesuchte Mutter angehören muss, nicht gegeben, da es im vorliegenden Fall keine ausgesuchte Mutter gibt. Schließlich spricht nichts dafür, dass ein israelisches Gericht ein gemäß § 12 LeihmutterG für die Elternschaft konstitutives Dekret über die Elternschaft erlassen hat. Dem zuvor Gesagten korrespondiert, dass nach dem Bericht der Deutschen Botschaft in Tel Aviv vom 23.3.2010 die Anerkennung einer im Ausland durchgeführten Leihmutterschaft in den meisten Fällen daran scheitern dürfte, dass die Leihmutter nicht derselben Religion wie die Bestell-Mutter angehört.
[13]§ 3 des israelischen BevRegG führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Nach dieser Vorschrift gelten jede Registrierung im Register, jede Abschrift und jeder Auszug aus ihm, und ebenso jede Urkunde, die gemäß diesem Gesetz erteilt wird, als Anscheinsbeweis [Hervorhebung nur hier] für die Richtigkeit der Einzelheiten, die in den Nrn. 1 bis 4 und 9 bis 13 des § 2 BevRegG genannt sind. In § 2 lit. a (2) BevRegG heißt es: ‚Im Bevölkerungsregister werden die folgenden Einzelheiten, die einen Einwohner betreffen, und jede diese betreffende Änderung registriert: Namen der Eltern.’ Durch die Eintragung ‚Vorname des Vaters: Andre’ wird ein Anscheinsbeweis hinsichtlich der rechtlichen Vaterschaft des Herrn C. nicht begründet. Ein Anscheinsbeweis ist nur hinsichtlich streitiger Tatsachen möglich und erforderlich. Eine Tatsache ist hier aber nicht streitig. Die genetische Vaterschaft des Herrn C. wird von niemandem in Abrede gestellt. Was daraus folgt, ist eine Rechtsfrage, die keinem Beweis – und damit auch keinem Anscheinsbeweis – zugänglich ist.
[14]Dass israelische Stellen dem Kl. und Herrn C. die Einreise nach Israel gestattet haben, sagt über die rechtliche Vaterschaft des Letztgenannten nichts aus. Die Ermöglichung der Einreise ist entspr. der in dem Bericht der Deutschen Botschaft in Tel Aviv vom 23.3.2010 erwähnten behördeninternen Regelungen offenbar vor dem Hintergrund der humanitären Überlegung erfolgt, dass sich jemand um den Kl. kümmern musste und der in Israel aufenthaltsberechtigte Herr C. als biologischer Vater hierzu bereit war.
[15]Ohne dass es für die Bestimmung der rechtlichen Abstammung des Kl. nach israelischem Recht relevant ist, weist das Gericht darauf hin, dass der Kl. in der israelischen Staats- und Verwaltungspraxis nicht als Inhaber der deutschen Staatsangehörigkeit, abgeleitet von Herrn C., angesehen wird. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass sich in dem von dem Kl. vorgelegten Auszug aus dem Bevölkerungsregister nur ein Eintrag zu seiner Nationalität (‚deutsche’), nicht aber zu seiner Staatsangehörigkeit befindet. Beide Begriffe sind nicht gleichzusetzen und werden auch im israelischen Recht nicht gleichgesetzt (vgl. § 2 lit. a Nrn. 5 und 10 BevRegG). Außerdem heißt es in Nr. 3 des Urteils des Familiengerichts der Stadt Tel Aviv vom 1.8.2010, Herr C. werde beweisen müssen, dass das Land seiner Staatsangehörigkeit den Kl. als seinen Sohn mit Anspruch auf seine Staatsangehörigkeit anerkenne. Dass dieser Beweis mittlerweile als erbracht angesehen wird, ist nicht nachgewiesen.
[16]Das Gericht hat davon abgesehen, auf die Anregung des Kl. ein Sachverständigengutachten des Max-Planck-Instituts zu der Frage einzuholen, ob er in Israel nach den dort geltenden rechtlichen Bestimmungen als Kind (im Rechtssinn) des Herrn C. angesehen wird. Denn es ist aufgrund der in der Akte enthaltenen sowie der zitierten öffentlich zugänglichen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass Herr C. nach israelischem Recht nicht Vater des Kl. im Rechtssinn ist.
[17]Keiner Entscheidung bedarf es nach dem zuvor Gesagten zu der Frage, ob eine israelischen Entscheidung oder eine israelischen Rechtsnorm, nach der Herr C. Vater des Kl. im Rechtssinn wäre, gegen den ordre public verstieße und deshalb nach § 109 Nr. 4 FamFG nicht anzuerkennen bzw. nach Art. 6 EGBGB nicht anzuwenden wäre (vgl. zum Diskussionsstand in dieser Frage allgemein Benicke aaO 101 ff.; Wagner aaO 294 ff.; Krömer, Eintrag von Kindern in Spalte 9 des Familienbuches bei Leihmutterschaft: StAZ 2000, 310 f.; KG Berlin, Beschl. vom 1.8.2013 – 1 W 413/12 (Abdruck im Band IPRspr. 2014), juris; VG Berlin, Beschl. vom 5.9.2012 – 23 L 283.12 (IPRspr 2012-113) – und vom 26.11.2009 – 11 L 396.09, juris; AG Nürnberg, Beschl. vom 14.12.2009 – UR III 264/09 (IPRspr 2009-85), juris; vgl. ferner zu der Thematik VerfGH Wien, Entsch. vom 14.12.2011 – B 13/11-10, juris; BVerwG, Urt. vom 29.11.2012 – 10 C 11/12 (IPRspr 2012-280b), juris; BVerfG, Beschl. vom 9.4.2003 – 1 BvR 1493/96, 1 BvR 1724/01, juris; Helms, Leihmutterschaft – ein rechtsvergleichender Überblick: StAZ 2013, 114 ff.