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Verfahrensgang

AG Nürnberg, Beschl. vom 14.12.2009 – UR III 264/09, IPRspr 2009-85

Rechtsgebiete

Kindschaftsrecht → Kindschaftsrecht gesamt bis 2019
Freiwillige Gerichtsbarkeit → Namens- und familienrechtliche Sachen (bis 2019)

Leitsatz

Erkennt ein deutscher Staatsangehöriger die Vaterschaft eines in der Russischen Föderation von einer russischen Staatsangehörigen geborenen Kindes formgültig an, ist die Geburt in Deutschland auch dann nachzubeurkunden, wenn der Verdacht einer Ersatzmutterschaft besteht.

Auf die Abstammung kann deutsches Recht angewandt werden.

Auch bei Anwendung russischen Abstammungsrechts verstößt die Anerkennung der Vaterschaft nicht gegen den deutschen ordre public.

Rechtsnormen

BGB § 1594; BGB §§ 1594 ff.; BGB § 1595; BGB § 1597
EGBGB Art. 6; EGBGB Art. 19
EMRK Art. 8
FamFG §§ 107 ff.
FGG § 16a
GG Art. 1; GG Art. 2
PStG § 36; PStG § 49
StAG § 4

Sachverhalt

Der Beteiligte zu 1) beantragt beim zuständigen Standesamt E., die Geburt des 2009 in Moskau geborenen Kindes H. A. G. zu beurkunden. Der Beteiligte zu 1) gibt an, dass das Kind aus einem außerehelichen Verhältnis mit der Beteiligten zu 2) hervorgegangen sei. Er habe in der Russischen Föderation rechtswirksam die Vaterschaft anerkannt. Das Kind sei hierdurch deutscher Staatsangehöriger geworden. Das Standesamt und die Standesamtsaufsicht haben Zweifel, ob die Geburt nachzubeurkunden ist. Die Zweifel beruhen darauf, dass die deutschen Auslandsvertretungen eine Leihmutterschaft der Beteiligten zu 2) oder eine Umgehung russischer Adoptionsvorschriften vermuten. Die Vermutung beruht darauf, dass die Beteiligte zu 2), als sie im sechsten Monat schwanger war, ein Visum für Deutschland beantragt hat und dabei widersprüchliche Angaben über den Zweck der Reise machte. So soll einerseits von einer Sprachreise, andererseits von einer bevorstehenden Adoption des Kindes durch die Ehefrau des Beteiligten zu 1) die Rede gewesen sein. Außerdem habe der Beteiligte zu 1) nur eineinhalb Wochen nach der Geburt bei der deutschen Botschaft in Moskau vorgesprochen, um einen Kinderreisepass für das Kind zu erhalten. Er habe angegeben, mit dem Kind ohne Begleitung der Mutter nach Deutschland reisen zu wollen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. I. Die Zweifelsvorlage ist zulässig, § 49 II PStG.

[2]II. Die Zweifelfrage ist dahingehend zu beantworten, dass der Standesbeamte des Standesamtes E. die Geburt zu beurkunden hat, da die Voraussetzungen des § 36 PStG vorliegen. Das Kind ist deutscher Staatsangehöriger.

[3]1. Das Standesamt E. ist für die Beurkundung zuständig, da zumindest ein Elternteil – der Vater – seinen Wohnsitz in E. hat, § 36 II PStG.

[4]2. Das Kind hat durch die Anerkennung der Vaterschaft durch den Beteiligten zu 1) die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, § 4 I 2 StAG.

[5]a) Auf die Abstammung des Kindes ist nach Art. 19 EGBGB deutsches Recht anzuwenden.

[6]Nach Art. 19 I EGBGB unterliegt die Abstammung eines Kindes dem Recht des Staats, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Sie kann im Verhältnis zu jedem Elternteil auch nach dem Recht des Staats bestimmt werden, dem dieser Elternteil angehört.

[7]Die in Art. 19 I EGBGB genannten Anknüpfungsvarianten sind gleichrangig (Staudinger-Henrich, BGB, Neub. 2008, Art. 19 EGBGB Rz. 22). Mehrere Anknüpfungsalternativen werden zur Wahl gestellt, um die Feststellung der Abstammung zu erleichtern. Maßgebend für die Auswahl ist das Kindeswohl. Das Kind hat ein Interesse daran, dass seine Eltern festgestellt werden und dass dies möglichst rasch und unkompliziert geschieht. Zu wählen ist darum diejenige Anknüpfung, die eine Feststellung der Abstammung ermöglicht und dies auf möglichst einfache Weise. Das bedeutet, dass dann, wenn eine Anknüpfung zum deutschen Recht führt und nach diesem die Abstammung festgestellt werden kann, diese Alternative gewählt werden kann und auch gewählt werden wird (BayObLG, FamRZ 2000, 699 (IPRspr. 1999 Nr. 13); Staudinger-Henrich aaO).

[8]Im vorliegenden Fall ist wegen des Kindeswohls die Frage der Abstammung nach dem Heimatrecht des Vaters zu beantworten. Der Aufenthalt des Kindes ist von beiden Elternteilen auf Dauer in Deutschland geplant. Nach deutschem Recht ist der Beteiligte zu 1) als rechtlicher Vater anzusehen. Er hat die Vaterschaft anerkannt, § 1594 BGB, die erforderliche Zustimmung der unverheirateten Mutter liegt vor, § 1595 BGB. Auch die Formerfordernisse des § 1597 BGB sind eingehalten.

[9]b) Auch für die Frage der Staatsangehörigkeit des Kindes ist auf deutsches Recht abzustellen.

[10]Hängt nämlich die Staatsangehörigkeit eines Kindes davon ab, ob es ehelich, nichtehelich oder legitimiert worden ist, so ist diese Vorfrage nach dem Status des Kindes aus der Sicht des Staats zu beantworten, um dessen Staatsangehörigkeit es geht, mit anderen Worten unselbständig anzuknüpfen. Jeder Staat bestimmt den Kreis seiner Staatsangehörigen allein nach den von ihm aufgestellten Kriterien (Staudinger-Henrich aaO Rz. 89 m.w.N.). Demnach ist § 4 StAG anzuwenden. Das Kind hat aufgrund der deutschen Staatsangehörigkeit des Vaters durch Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erworben.

[11]3. Kommt demnach sowohl für die Frage der Abstammung als auch für die Frage der Staatsanghörigkeit deutsches Recht zur Anwendung, kann sich die Frage des Verstoßes gegen den ordre public (Art. 6 EGBGB) nicht stellen, da es nicht um die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung im Sinne von § 16a FGG bzw. §§ 107 ff. FamFG geht.

[12]4. Nur ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen:Selbst wenn auf den vorliegenden Sachverhalt ausländisches Recht zur Anwendung käme und sich im Rahmen der Anerkennung ausländischer Entscheidungen die Frage nach einem Verstoß gegen den ordre public stellen würde, wäre diese dahingehend zu beantworten, dass ein solcher nicht vorliegt. Dies gründet sich auf zwei Überlegungen.

[13]a) Das Recht auf Kenntnis und Feststellung der Abstammung ist Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 i.V.m. Art. 1 GG. Es ist durch Art. 8 EMRK geschützt (EGMR, NJW 2003, 2145). Dieses Recht des Kindes kann nicht dadurch erlöschen, dass Dritte (Vater, Wunschmutter, Ersatzmutter) einen Vertrag, gerichtet auf eine Ersatzmutterschaft, schließen, der nichtig ist (Staudinger-Rauscher, BGB, Neub. 2004, Anh zu § 1592 Rz. 18 ff.).

[14]b) Schließlich scheidet ein Verstoß gegen den ordre public schon deswegen aus, weil die Vaterschaft, wenn sich der gesamte Sachverhalt auf deutschem Boden zugetragen hätte, hier anzuerkennen gewesen wäre (Staudinger-Rauscher aaO). Nach deutschen Vorschriften gibt es keine Möglichkeit, die Anerkennung der Vaterschaft bei Vorliegen einer Ersatzmutterschaft zu versagen. Nach §§ 1594 ff. BGB kommt es noch nicht einmal darauf an, ob der Anerkennende tatsächlich der biologische Vater ist. Wenn aber die Anerkennung der Vaterschaft deutschen Vorschriften entspricht, kann eine ausländische Entscheidung, die zum gleichen Ergebnis kommt, nicht ordre-public-widrig sein.

Fundstellen

LS und Gründe

FamRZ, 2010, 1579
FuR, 2010, 238
JAmt, 2010, 82
StAZ, 2010, 182

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2009-85

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