Weist der Rechtspfleger einen Antrag auf Widerruf der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel zurück und weist auch der Richter die dagegen gerichtete Erinnerung zurück, ist gegen dessen Entscheidung kein Rechtsmittel gegeben. Widerruft dagegen der Richter auf die Erinnerung gegen die den Widerruf ablehnende Entscheidung des Rechtspflegers die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel, ist gegen die Entscheidung des Richters die sofortige Beschwerde statthaft.
Eine ordnungsgemäße Belehrung im Sinne von Art. 17 EuVTVO liegt nicht vor, wenn der Kostenfestsetzungsantrag erst zusammen mit dem Kostenfestsetzungsbeschluss zugestellt wird.
Ist mit dem Kostenfestsetzungsantrag keine ordnungsgemäße Unterrichtung des Schuldners nach Art. 17 EuVTVO erfolgt, setzt eine Heilung nach Art. 18 I EuVTVO in einem Fall, in dem eine gesonderte Überprüfung der Kostengrundentscheidung im Zeitpunkt der Zustellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses noch möglich ist, nach Art. 18 I lit. b EuVTVO auch die Belehrung über den Rechtsbehelf gegen die Kostengrundentscheidung voraus.
[Der Beschluss des OLG Nürnberg vom 10.8.2009 – 2 W 483/09 – wurde bereits in IPRspr. 2009 unter der Nr. 239 abgedruckt.]
Die Gl. hat gegen die in den Niederlanden ansässige Schuldnerin eine ohne deren vorherige Anhörung ergangene einstweilige Verfügung des LG Nürnberg-Fürth erwirkt. Durch den Beschluss sind der Schuldnerin auch die Kosten des Verfahrens auferlegt worden. Nach Zustellung der einstweiligen Verfügung an die Schuldnerin hat das LG mit Kostenfestsetzungsbeschluss die Kosten des Verfahrens gegen die Schuldnerin festgesetzt. Der Kostenfestsetzungsbeschluss ist der Schuldnerin zusammen mit dem Festsetzungsantrag der Gl. und einer Rechtsmittelbelehrung zugestellt worden. Ein Rechtsmittel hat die Schuldnerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss nicht eingelegt. Die Gl. hat beantragt, den Kostenfestsetzungsbeschluss nach der EuVTVO als Europäischen Vollstreckungstitel zu bestätigen. Der Rechtspfleger des LG hat diese Bestätigung ausgestellt, woraufhin die Schuldnerin beantragt hat, die Bestätigung zu widerrufen. Diesen Antrag hat der Rechtspfleger abgelehnt. Auf die hiergegen gerichtete Erinnerung hat die Kammer für Handelssachen des LG die Bestätigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses als Europäischer Vollstreckungstitel widerrufen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Gl., mit der sie die Aufrechterhaltung des Kostenfestsetzungsbeschlusses als Europäischer Vollstreckungstitel begehrt hat, ist ohne Erfolg geblieben.
Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die Schuldnerin beantragt, verfolgt die Gl. ihren im Beschwerdeverfahren gestellten Antrag weiter.
[1]II. ... 2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand ...
[2]b) Das BeschwG hat zu Recht angenommen, dass die Beschwerde gegen die Entscheidung, mit der das LG die Bestätigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 9.11.2006 als Europäischer Vollstreckungstitel widerrufen hat, nach §§ 1081 III, 319 III Halbs. 2, 567 I Nr. 1 ZPO statthaft ist.
[3]Nach Art. 10 II EuVTVO gilt für den Widerruf der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel nach Art. 10 I lit. b EuVTVO das Recht des Ursprungsmitgliedstaats. Daher ist vorliegend für das Verfahren § 1081 ZPO maßgeblich. Aufgrund der Verweisung in § 1081 III ZPO richtet sich die Anfechtung der Entscheidung über den Widerruf der Bestätigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses als Europäischer Vollstreckungstitel nach § 319 III ZPO. Danach findet gegen eine Entscheidung, durch die ein Antrag auf Widerruf zurückgewiesen wird, kein Rechtsmittel statt. Hat der Rechtspfleger nach § 20 Nr. 11 RPflG die den Antrag zurückweisende Entscheidung getroffen, kann nach § 11 II 1 RPflG innerhalb der für die sofortige Beschwerde geltenden Frist Erinnerung eingelegt werden (vgl. OLG Zweibrücken, Rpfleger 2009, 222 (IPRspr 2008-178); Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Art. 10 VTVO Rz. 5). Hilft der Rechtspfleger der Erinnerung nicht ab und weist der Richter die Erinnerung zurück, ist gegen dessen Entscheidung kein Rechtsmittel gegeben (vgl. Wieczorek-Schütze, ZPO, 3. Aufl., § 1081 Rz. 13). Dagegen ist die sofortige Beschwerde gegen den Widerruf der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel nach § 319 III Halbs. 2 ZPO statthaft (vgl. OLG Stuttgart, NJW-RR 2009, 934, 935 (IPRspr 2008-189)). Dies gilt auch, wenn der Richter – wie im Streitfall – auf die Erinnerung gegen die den Widerruf ablehnende Entscheidung des Rechtspflegers nach § 11 II RPflG die Bestätigung widerruft (a.A. OLG Stuttgart, Beschl. vom 12.5.2009 – 8 W 199/09). Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 319 III ZPO ist gegen den Beschluss, der den Widerruf ausspricht, ohne weitere Differenzierungen das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde statthaft. Gegenteiliges folgt – wie das BeschwG zu Recht angenommen hat – auch nicht aus § 11 II RPflG. Die Bestimmung eröffnet eine Überprüfung der Entscheidung des Rechtspflegers durch den Richter in den Fällen, in denen nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften kein Rechtsmittel gegeben ist. Wortlaut und Systematik der Rechtspflegererinnerung nach § 11 II RPflG schließen das im Gesetz ausdrücklich eröffnete Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nach § 319 III ZPO gegen den Widerruf der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel dagegen nicht aus.
[4]c) Das BeschwG ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für den Widerruf der Bestätigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses als Europäischer Vollstreckungstitel vorliegen.
[5]Nach Art. 10 I lit. b EuVTVO wird die Bestätigung widerrufen, wenn sie im Hinblick auf die in der Verordnung festgelegten Voraussetzungen eindeutig zu Unrecht erteilt worden ist. Das ist vorliegend der Fall.
[6]aa) Art. 12 bis 19 EuVTVO sehen zur Sicherung eines fairen Verfahrens nach Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union Mindestvorschriften für das Verfahren über unbestrittene Forderungen vor (vgl. auch Erwgr. 11 f. EuVTVO). Hierzu zählt Art. 17 EuVTVO über die ordnungsgemäße Unterrichtung des Schuldners über die Verfahrensschritte zum Bestreiten der Forderung. Danach muss auf die verfahrensrechtlichen Erfordernisse für das Bestreiten der Forderung und auf die Konsequenzen des Nichtbestreitens hingewiesen werden, was in dem verfahrenseinleitenden Schriftstück geschehen kann (Art. 17 litt. a und b EuVTVO). Der das Kostenfestsetzungsverfahren einleitende Schriftsatz war der Kostenfestsetzungsantrag der Gl. vom 19.9.2006. Ihm war keine Art. 17 EuVTVO entsprechende Belehrung beigefügt. Sie ist im Gesetz zur Durchführung der VO (EG) Nr. 805/2004 über einen Europäischen Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen vom 18.5.2005 (BGBl. I 2477) für den Kostenfestsetzungsantrag auch nicht vorgesehen (kritisch hierzu Rauscher-Pabst, Europäisches Zivilprozess und Kollisionsrecht [2010], Art. 17 EG-VollstrTitelVO Rz. 13), obwohl der deutsche Gesetzgeber das Ziel verfolgte, eine Bestätigung für möglichst viele deutsche Titel als Europäische Vollstreckungstitel zu erreichen (vgl. Begr. des RegE zum EG-Vollstreckungstitel-Durchführungsgesetz, BT-Drucks. 15/5222 S. 9 f.). Im Streitfall hätte aber selbst eine dem Kostenfestsetzungsantrag beigefügte Belehrung im Sinne von Art. 17 EuVTVO keine ordnungsgemäße Unterrichtung des Schuldners über die Verfahrensschritte zum Bestreiten der Forderung bewirkt, weil der Kostenfestsetzungsantrag erst zusammen mit der Entscheidung (Kostenfestsetzungsbeschluss) selbst zugestellt worden ist.
[7]bb) Zu Recht ist das BeschwG auch davon ausgegangen, dass die mangelnde Unterrichtung nach Art. 17 EuVTVO nicht nach Art. 18 EuVTVO geheilt worden ist.
[8](1) Eine Heilung nach Art. 18 II EuVTVO ist deshalb nicht eingetreten, weil diese Bestimmung allein Zustellungsmängel gemäß Art. 13 und 14 EuVTVO, nicht dagegen Belehrungsmängel nach Art. 17 EuVTVO betrifft (vgl. BGH, Beschl. vom 25.3.2010 – I ZB 116/08 (IPRspr 2010-279), BGHZ 185, 124 Rz. 22).
[9](2) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde kommt vorliegend auch keine Heilung nach Art. 18 I EuVTVO in Betracht.
[10]Nach Art. 18 I lit. b EuVTVO muss der Schuldner in oder zusammen mit der Entscheidung (hier dem Kostenfestsetzungsbeschluss) ordnungsgemäß über die verfahrensrechtlichen Erfordernisse für die Einlegung eines eine uneingeschränkte Überprüfung umfassenden Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung belehrt werden. Dem Kostenfestsetzungsbeschluss war zwar eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt. Diese genügte jedoch nicht den unionsrechtlichen Anforderungen nach Art. 18 I lit. b EuVTVO.
[11]In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob eine Heilung einer nicht den Anforderungen des Art. 17 EuVTVO entsprechenden Belehrung nach Art. 18 I EuVTVO überhaupt in Betracht kommt, weil eine Überprüfung der Kostengrundentscheidung im Beschwerdeverfahren gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss ausgeschlossen ist (verneinend Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, § 10 I Rz. 13). Das BeschwG ist zu Recht davon ausgegangen, dass sich jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegend zu beurteilenden, in dem eine gesonderte Überprüfung der Kostengrundentscheidung im Zeitpunkt der Zustellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses noch möglich ist, die Belehrung nach Art. 18 I lit. b EuVTVO [sich] auch auf den Rechtsbehelf gegen die Kostengrundentscheidung beziehen muss (ebenso Kropholler-v. Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 18 EuVTVO Rz. 6). Nur so wird die von Art. 18 I lit. b EuVTVO angestrebte uneingeschränkte Überprüfung der Entscheidung wie hier des Kostenfestsetzungsbeschlusses durch einen umfassenden Rechtsbehelf gewährleistet, wenn die Kostengrundentscheidung noch nicht bestandskräftig ist. Letzteres ist vorliegend der Fall. Die Schuldnerin konnte einen grundsätzlich zeitlich unbefristeten, allein gegen die Kostengrundentscheidung der Beschlussverfügung gerichteten Widerspruch nach §§ 924, 936 ZPO einlegen (vgl. BGH, Beschl. vom 22.5.2003 – I ZB 38/02, WRP 2003, 1000, 1001).
[12]Diesem Ergebnis steht auch nicht ein Vergleich mit der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Unterrichtung des Schuldners über die Verfahrensschritte zum Bestreiten der Forderung nach Art. 17 EuVTVO entgegen. Da die Kostengrundentscheidung bindend für das Kostenfestsetzungsverfahren ist, müssen sich die Hinweise nach Art. 17 EuVTVO auch auf die Kostengrundentscheidung und deren Bindung für das Kostenfestsetzungsverfahren beziehen.
[13]cc) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, dem Widerruf der Bestätigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses als Europäischer Vollstreckungstitel stehe der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegen. Mit diesem Einwand ist die Gl. vorliegend ausgeschlossen.
[14]Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat die Frage, inwieweit die Nichteinhaltung der in Art. 13 bis 17 EuVTVO festgelegten verfahrensrechtlichen Mindesterfordernisse geheilt werden kann, in Art. 18 EuVTVO einer als abschließend anzusehenden speziellen Regelung zugeführt. Dieser würde es widersprechen, wenn die Nichteinhaltung der Mindestvorschriften, die der Disposition der Parteien entzogen ist, auch nach Treu und Glauben als unbeachtlich angesehen werden könnte (vgl. BGH, Beschl. vom 25.3.2010 aaO Rz. 25).
[15]3. Ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH nach Art. 267 III AEUV ist nicht veranlasst; im vorliegenden Fall [stellen sich] keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen des Unionsrechts, die eine Vorlage erfordern. Auf die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage zu Art. 4 Nr. 1 EuVTVO kommt es nicht an. Im Hinblick auf die Anforderungen an die Belehrung nach Art. 18 I lit. b EuVTVO bestehen im Streitfall keine vernünftigen Zweifel, sodass auch insoweit eine Vorlage an den EuGH nicht erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. EuGH, Urt. vom 6.10.1982 – Cilfit u.a.: Srl CILFIT und Lanificio di Gavardo SpA ./. Ministero della Sanità, Rs C-283/81, Slg. 1982, 03415 = NJW 1983, 1257 Rz. 16).