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Verfahrensgang

BGH, Beschl. vom 30.09.2010 – III ZB 69/09, IPRspr 2010-306

Rechtsgebiete

Schiedsgerichtsbarkeit

Leitsatz

Nach Maßgabe des Meistbegünstigungsgrundsatzes in Art. VII Abs. 1 UNÜ ist ein ausländischer Schiedsspruch (auch) dann für vollstreckbar zu erklären, wenn er der für innerstaatliche Schiedssprüche geltenden Formvorschrift des § 1031 ZPO genügt.

Rechtsnormen

UNÜ Art. II; UNÜ Art. V; UNÜ Art. VII
ZPO § 564; ZPO § 574; ZPO § 577; ZPO § 1025; ZPO § 1031; ZPO § 1043; ZPO § 1061; ZPO § 1062; ZPO § 1064; ZPO § 1065

Sachverhalt

[Der Beschluss des OLG Frankfurt – 26 SchH 3/09 – wurde bereits in IPRspr. 2009 unter der Nr. 276 abgedruckt.]


Die ASt. hat die Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs der in L. ansässigen I. C. A. Ltd. begehrt, durch den die AGg. zur Zahlung von Schadensersatz wegen Nichterfüllung eines Kaufvertrags über die Lieferung von Baumwolle verurteilt worden ist.

Das OLG hat dem Antrag stattgegeben. Die streitgegenständliche Schiedsabrede sei nach den Grundsätzen des kaufmännischen Bestätigungsschreibens wirksam zustande gekommen. Hiergegen wendet sich die AGg. mit ihrer Rechtsbeschwerde.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die von Gesetzes wegen statthafte (§ 574 I 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 1065 I 1, 1062 I Nr. 4 Alt. 2, 1025 IV ZPO) und auch im Übrigen wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 574 II Nr. 1 ZPO) zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

[2]1. Das OLG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Meistbegünstigungsgrundsatz des Art. VII Abs. 1 UNÜ die Anwendung des im Verhältnis zu Art. II Abs. 2 UNÜ hinsichtlich der Formerfordernisse weniger strengen § 1031 II, III ZPO erlaubt. Dem steht nicht entgegen, dass das nationale Recht hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche – abgesehen von vereinzelten eigenständigen Regelungen, wie etwa bzgl. der Vorlagepflicht in § 1064 I, III ZPO (vgl. hierzu auch Senat, Beschl. vom 25.9.2003 – III ZB 68/02, NJW-RR 2004, 1504 f. (IPRspr. 2003 Nr. 203)) – in § 1061 I 1 ZPO pauschal auf das UNÜ verweist.

[3]a) Nach § 1061 I 1 ZPO richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche nach dem UNÜ. Dieses enthält in Art. VII Abs. 1 die Regelung, dass die Bestimmungen des Abkommens – und damit auch die Vorgaben über die Form einer Schiedsvereinbarung in Art. II – keiner beteiligten Partei das Recht nehmen, sich auf einen Schiedsspruch nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts oder der Verträge des Lands, in dem er geltend gemacht wird, zu berufen. Das UNÜ lässt mithin die Anwendung nationalen Rechts zu, soweit es für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche günstiger ist (sog. Meistbegünstigungsgrundsatz). Da § 1061 I 1 ZPO aber allein auf das UNÜ Bezug nimmt, stellt sich die Frage, ob der Verweis in Art. VII Abs. 1 UNÜ bzgl. des innerstaatlichen Rechts insoweit ins Leere geht (in diesem Sinn etwa Musielak-Voit, ZPO, 7. Aufl., § 1031 Rz. 18 und § 1061 Rz. 14; Zöller-Geimer, ZPO, 28. Aufl., § 1031 Rz. 25, nicht eindeutig, aber § 1061 Rz. 22a; MünchKommZPO-Münch, 3. Aufl., § 1061 Rz. 19, unklar § 1031 Rz. 22 f.; Mallmann, SchiedsVZ 2004, 152, 156; Moller, NZG 1999, 143, 145) oder ob der Meistbegünstigungsgrundsatz dahin zu verstehen ist, dass er – unter Durchbrechung der Rückverweisung des nationalen Rechts auf das UNÜ – die Anwendung einer im Vergleich zu Art. II Abs. 2 UNÜ weniger formstrengen nationalen Vorschrift, wie der an sich nach § 1025 I ZPO für innerstaatliche Schiedssprüche geltenden Regelung in § 1031 ZPO, erlaubt (in diesem Sinn Prütting/Gehrlein/Raeschke-Kessler, ZPO, 2. Aufl., § 1061 Rz. 14 f.; MünchKommZPO-Adolphsen, 3. Aufl., § 1061 Anh. 1 UNÜ, Art. II Rz. 18; Stein-Jonas-Schlosser, ZPO, 22. Aufl., Anh. § 1061 Rz. 50, 76, 159; Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl., Kap. 27 Rz. 2564; Kröll, ZZP 2004, 453, 469 ff., 477 f.). In der obergerichtlichen Rspr. überwiegt letztere Auffassung (vgl. OLG Celle, Beschl. vom 14.12.2006 – 8 Sch 14/05, S. 10 f., nicht veröffentlicht; siehe auch – im jew. konkreten Fall die Erfüllung der Formerfordernisse des § 1031 ZPO aber verneinend – OLG Rostock, IPRax 2002, 401, 404 (IPRspr. 2001 Nr. 206); BayObLG, NJW-RR 2003, 719, 720 (IPRspr. 2002 Nr. 225); OLG Oldenburg, Beschl. vom 1.2.2005 – 9 Sch 3/04, S. 5, nicht veröffentlicht; offengelassen vom OLG Brandenburg, IPRax 2003, 349, 351 (IPRspr. 2002 Nr. 221); zweifelnd OLG Frankfurt/Main, IPRax 2008, 517, 518 (IPRspr 2006-212)). Der Senat hat diese Streitfrage bisher nicht entschieden, allerdings in seinem Beschluss vom 21.9.2005 – III ZB 18/05, NJW 2005, 3499, 3500 (IPRspr 2005-187) bereits angemerkt, dass für ein solches anerkennungsfreundlicheres Verständnis des Meistbegünstigungsgrundsatzes viel spricht.

[4]b) Die Annahme, dass das in Art. VII Abs. 1 UNÜ verankerte Meistbegünstigungsprinzip aufgrund der Verweisung in § 1061 I 1 ZPO auf das UNÜ bedeutungslos sei, würde dazu führen, dass in Deutschland ausländische Schiedssprüche bzgl. ihrer Vollstreckbarkeit schlechter behandelt werden als inländische. Die Anforderungen an die Form einer Schiedsvereinbarung würden dann davon abhängen, ob der Ort des Schiedsverfahrens, den im Rahmen des § 1043 I ZPO die Parteien festlegen, hilfsweise das Schiedsgericht, in Deutschland oder im Ausland liegt (§ 1025 I ZPO). Dies steht in Widerspruch zu Sinn und Zweck sowohl des Art. VII Abs. 1 UNÜ als auch des § 1061 I 1 ZPO.

[5]aa) Durch das UNÜ sollte die Durchsetzung von Schiedsvereinbarungen international erleichtert werden. Bezweckt war dagegen nicht die Aufstellung strengerer Vorschriften als im nationalen Recht (vgl. nur MünchKommZPO-Adolphsen aaO; Mallmann aaO 155). Art. II enthielt dabei Formerfordernisse, die zu dem damaligen Zeitpunkt (im Jahr 1958) verglw. liberal waren und in ihrer Strenge deutlich hinter denen vieler nationaler Rechte zurückblieben (vgl. Kröll aaO 475; ders., SchiedsVZ 2009, 40, 41, 45). Seither haben im Rahmen einer schiedsfreundlicheren Grundhaltung viele Rechtsordnungen ihre Formerfordernisse dahingehend gelockert, dass sie nun geringere Anforderungen stellen als Art. II UNÜ (vgl. Kröll, jew. aaO). Dieser Historie widerspricht eine Auslegung, durch die Art. II UNÜ entgegen seiner ursprünglichen Intention zu einem Anerkennungshindernis wird.

[6]Ergänzend ist insoweit auf die Auslegungsempfehlung der UNCITRAL für die nationalen Gerichte aus dem Jahr 2006 hinzuweisen, die auf den Zweck der Meistbegünstigungsregelung im Sinne einer möglichst weitgehenden Durchsetzung von ausländischen Schiedssprüchen hinweist, die zulässigen Formmöglichkeiten in Art. II Abs. 2 UNÜ als nicht abschließend beschreibt und empfiehlt, die Meistbegünstigungsklausel über die Schiedssprüche hinaus auch auf die Schiedsvereinbarungen anzuwenden (GA Resolution 61/33 vom 4.12.2006, U.N. GAOR, 61st Sess., Supp. No. 17, Annex, U.N. Doc. A/61/17; abzurufen über www.uncitral.org; vgl. auch Kröll, SchiedsVZ aaO 46). Zugleich hat die UNCITRAL eine Änderung von Art. 7 des UNCITRAL-Modellgesetzes über die Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit [U.N. GAOR 40th Sess., Supp. No. 17, art. 19, Annex I, U.N. Doc. A/40/17, art. 19 (1985)] beschlossen, die zu einer Aufweichung der bisherigen Formerfordernisse in diesem von der UN-Vollversammlung bereits 1985 den Mitgliedstaaten zur Annahme empfohlenen Mustergesetz für das Schiedsverfahrensrecht der Länder führt. Im Modellgesetz werden nunmehr zwei Alternativen vorgeschlagen, von denen eine auf jedes Schriftformerfordernis verzichtet, die andere Erleichterungen der Schriftform vorsieht (GA Resolution 61/33 aaO, Annex I; vgl. auch Kröll aaO m.w.N.).

[7]Das internationale Recht legt deshalb eine weite Auslegung des Meistbegünstigungsgrundsatzes nahe und spricht dafür, anerkennungsfreundlichere nationale Regelungen für inländische Schiedssprüche auch auf ausländische Schiedssprüche anzuwenden.

[8]bb) Dass der deutsche Gesetzgeber durch das SchiedsVfG ausländische Schiedssprüche insoweit schlechter als inländische stellen und die nach altem Recht ungeachtet Art. II UNÜ zulässige Berufung auf innerstaatliche, weniger strenge Formvorschriften (vgl. Senat, Urt. vom 3.12.1992 – III ZR 30/91, NJW 1993, 1798 zum formlos – kraft Handelsbrauch – abgeschlossenen Schiedsvertrag) abschaffen wollte, ist nicht ersichtlich. Vielmehr diente – zur Schaffung eines zeitgemäßen und den internationalen Rahmenbedingungen angepassten Schiedsverfahrensrechts – das UNCITRAL-Modellgesetz als Vorbild für das neue deutsche Recht (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/5274 S. 1, 23 ff.; Ber. des Rechtsausschusses vom 12.11.1997, BT-Drucks. 13/9124 S. 44 f.). Das UNCITRAL-Modellgesetz enthält einen Gleichlauf der Formvorschriften (siehe auch Kröll ZZP aaO 476). Denn die nach Art. 1 II für inländische Schiedsverfahren geltende Bestimmung des Art. 7 über die Form einer Schiedsvereinbarung wird im Kapital VIII über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen ausdrücklich in Bezug genommen [Art. 36 I lit. a (i)]. Art. 36 gilt aber nach Art. 1 II, 35 I, 36 I unabhängig davon, in welchem Land der Schiedsspruch erlassen wurde. Dass der deutsche Gesetzgeber dies durch die Bezugnahme in § 1061 I 1 ZPO auf das UNÜ anders regeln wollte, ist nicht erkennbar.

[9]c) Entgegen der Auffassung der AGg. steht der Anerkennung des Schiedsspruchs auch nicht Art. V Abs. 1 lit. a Alt. 2 UNÜ entgegen. Danach darf die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs auf Antrag der Partei, gegen die er geltend gemacht wird, nur versagt werden, wenn die von den Parteien gemäß Art. II UNÜ geschlossene Schiedsvereinbarung nach dem Recht, dem die Parteien sie unterstellt haben, oder, falls die Parteien hierüber nichts bestimmt haben, nach dem Recht des Lands, in dem der Schiedsspruch ergangen ist, ungültig ist. Insoweit kann dahinstehen, ob – wie die AGg. meint – die Schiedsvereinbarung nicht den Formerfordernissen des englischen Rechts entspricht. Denn die Meistbegünstigungsklausel aus Art. VII Abs. 1 UNÜ wirkt sich auch im Anwendungs- und Prüfungsbereich des Art. V UNÜ aus (vgl. auch MünchKommZPO-Adolphsen aaO UNÜ, Art. V Rz. 24). Art. VII Abs. 1 UNÜ sieht gerade vor, dass die Bestimmungen des Übereinkommens (und damit auch dessen Art. V) keiner Partei das Recht nehmen, sich (zugunsten der Wirksamkeit) auf einen Schiedsspruch nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts oder der Verträge des Lands, in dem er geltend gemacht wird, zu berufen. Ist danach aber die Schiedsvereinbarung nach Maßgabe des nationalen Prozessrechts des Exequaturstaats – hier § 1031 ZPO – wirksam, bedarf es keiner Prüfung im Rahmen des Art. V Abs. 1 lit. a Alt. 2 UNÜ mehr, ob dies ebenfalls der Rechtslage des Lands, in dem der Schiedsspruch ergangen ist, entspricht (siehe auch Senat, Beschl. vom 21.9.2005 aaO 3500 zu der Frage, ob bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 1031 ZPO die Wirksamkeit allein nach dem Recht des Lands, in dem der Schiedsspruch ergangen ist, ausreicht).

[10]2. Auch im Übrigen erweist sich der angefochtene Beschluss als rechtsfehlerfrei. Auf eine nähere Begründung wird nach § 577 VI 2 (i.V.m. § 564 Satz 1), Satz 3 ZPO verzichtet.

Fundstellen

LS und Gründe

BGHZ, 187, 126
MDR, 2010, 1415
SchiedsVZ, 2010, 332
WM, 2010, 2234
JR, 2011, 444, mit Anm. Elsing
NJW-RR, 2011, 570
RIW, 2011, 82

nur Leitsatz

ZIP, 2010, 2468

Aufsatz

Quinke, SchiedsVZ, 2011, 169

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2010-306

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