Eine rechtlich selbständige Tochtergesellschaft ist als Niederlassung im Sinne des § 21 ZPO anzusehen, wenn sie – wie hier – im Namen und auf Rechnung der ausländischen Muttergesellschaft tätig wird oder den Rechtsschein einer derartigen Tätigkeit erweckt. Der Gerichtsstand des § 21 ZPO ist dann eröffnet, wenn ein hinreichend gewichtiger Sachzusammenhang der streitgegenständlichen Angelegenheit mit dem Geschäftsbetrieb der Niederlassung besteht. Dafür genügt, dass die Abwicklung von mit der streitigen vergleichbaren Angelegenheiten typischerweise zum Aufgabenbereich der Niederlassung gehört.
Bei Kartellverstößen sind die deutschen Gerichte nach § 32 ZPO international zuständig, wenn der tatbestandsmäßige Verletzungserfolg als Schlusspunkt des Handlungsgeschehens im Inland eingetreten ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Kläger behauptet, dass ein konzernumfassender Boykott vonseiten der Beklagten dazu geführt hat, dass er mit bestimmten Produkten vom Zwischenhandel auf dem deutschen Absatzmarkt abgeschnitten wurde. [LS der Redaktion]
Die im Jahr 2007 gegründete Verfügungsklägerin (nachfolgend Kl.) war aufgrund eines mit dem US-amerikanischen Unternehmen A. C. geschlossenen Vertriebsvertrags exklusive Vertragshändlerin für das von A. C. hergestellte intravaskuläre Kühl-/Wärmesystem (nachfolgend IVTM) nebst Zubehör und Verbrauchsmaterialien in der Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Slowenien und Tschechien. Der Vertriebsvertrag war auf eine anfängliche Laufzeit befristet, sah aber vor, dass er sich jeweils um weitere zwei Jahre verlängern sollte, sofern nicht eine Partei vor Ablauf der Lauftzeit kündigte. Im Februar 2009 erwarb die Z.-Gruppe einen Großteil der Unternehmensgegenstände der A. C., u.a. die Sparte Temperaturmanagement-Produkte. Welches Unternehmen der Z.-Gruppe, ob die Verfügungsbeklagte zu 1) [nachfolgend Bekl. zu 1)] oder deren verbundenes Unternehmen Z.-C. Inc. mit Sitz in K./USA als Erwerberin in den Vertriebsvertrag mit der Kl. eintrat, ist zwischen den Parteien streitig. Jedenfalls belieferte seither die Z.-Gruppe die Kl. entspr. deren Bestellungen mit den vertraglichen Vertriebsprodukten. Die im Inland ansässige Bekl. zu 2) wird zu 100% von der Bekl. zu 1) gehalten. Der Kl. waren Überlegungen im Z.-Konzern eröffnet worden, jedenfalls in Deutschland und Österreich auf einen Direktvertrieb von Z.-Produkten umstellen und deshalb die anfängliche Laufzeit des mit ihr geschlossenen Vertriebsvertrags nicht verlängern zu wollen. Mit Schreiben vom 22.2.2010 zeigte die Z.-C. Inc. die Nichtverlängerung des Vertrags an, weil der Z.-Konzern auf einen Direktvertrieb mit Z.-Produkten umstellen wolle. In diesem Zusammenhang vereinbarten die Z.-C. Inc., die Kl. und deren Geschäftsführer persönlich ein „Memorandum of Understandig“ (nachfolgend MoU), welches Kooperationspflichten und Vertraulichkeitsverpflichtungen sowie – nicht rechtsverbindlich – verschiedene Eckpunkte eines in Aussicht genommenen Übergangsvertrags bezeichnet. Anfang Mai 2010 informierte die Bekl. zu 2) alle deutschen Krankenhäuser schriftlich über die Aufnahme des Direktvertriebs von Z.-Produkten ab dem 1.5.2010 und bot sich als künftiger Ansprechpartner an. Letztlich beendete die Z.-Gruppe die bis dahin nicht zum Abschluss gekommenen Vertragsverhandlungen mit der Kl. Bereits zuvor im Mai 2010 hatte die Z.-Gruppe durch die Bekl. zu 2) eine Bestellung der Kl. vom 17.5.2010 schriftlich abgelehnt. Zuletzt wurde eine Bestellung der Kl. aus April 2010 bedient. In der Folgezeit wurden ferner Anfragen der Kl. nach Erstellung sog. Erstinbetriebnahmebescheinigungen und nach Serviceleistungen zurückgewiesen. Im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens hat die Kl. verschiedene Anordnungen begehrt, die ihr zur Vermeidung einer ansonsten kurzfristig drohenden Insolvenz die vorübergehende Fortsetzung des Vertriebs von Z.-IVTM, die auf dem Markt eine Alleinstellung genießen würden, ermöglichen sollen. Die Kl. hat mit ihren Anträgen die Bekl. auf Belieferung gemäß ihrer Bestellung vom 17.5.2010, die Ausstellung von Erstinbetriebnahmebescheinigungen für in konkret benannten deutschen Krankenhäusern stehende IVTM-Geräte und die Erbringung von Serviceleistungen sowie das Verbot der Bewerbung konkret aufgelisteter Kunden für den Direktvertrieb von IVTM in Anspruch genommen.
Das LG hat den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung mangels Dringlichkeit zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Kl. mit der Berufung.
[1]II. Die Berufung ist unzulässig, soweit die Kl. mit ihrem Verfügungsantrag zu II. 1 den Erlass einer einstweiligen Untersagung der Bewerbung bestimmter Adressaten für den Direktvertrieb durch Werbeschreiben wegen missbräuchlicher Verwendung ihrer Kundendaten sowie ergänzend die Androhung von Ordnungsmitteln beantragt. Die weitergehende Berufung ist zulässig, aber unbegründet ...
[2]B. Der zulässigen weitergehenden Berufung bleibt in der Sache der Erfolg versagt, weil es hinsichtlich der verbleibenden Verfügungsanträge teilweise bereits an den allgemeinen Prozessvoraussetzungen und im Übrigen an einem Verfügungsgrund mangelt.
[3]1. Die Verfügungsanträge scheitern allerdings nicht an der Frage der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit, die sich im Streitfall in Bezug auf die Bekl. zu 1) und 3) wegen deren jeweiligen Sitzes im Ausland stellt. Diese unverzichtbare Prozessvoraussetzung, die vom Prüfungsausschluss des § 513 II ZPO nicht umfasst und auch im Berufungsverfahren von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. hierzu: BGH, NJW 2003, 426 (IPRspr. 2002 Nr. 157); OLG Stuttgart, Urt. vom 11.6.2007 – 5 U 18/07 (IPRspr 2007-248), zit. n. juris Tz. 32; Zöller-Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 513 Rz. 8), hat das LG im Ergebnis zu Recht bejaht.
[4]Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit besteht, wenn für den Rechtsstreit mit Auslandsbezug ein Gerichtsstand nach den insoweit doppelfunktionalen (vgl. hierzu Zöller-Geimer aaO IZPR Rz. 37 f.) Gerichtsstandvorschriften der §§ 12 ff. ZPO begründet ist. Dieser Grundsatz gilt auch im Kartellzivilprozess (Immenga-Mestmäcker-Rehbinder, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl., § 130 Rz. 330 m.w.N.).
[5]a) Hiervon ausgehend folgt die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte in Bezug auf die in den USA ansässige Bekl. zu 1) sowohl aus § 21 ZPO als auch aus § 32 ZPO.
[6]aa) Nach § 21 I ZPO können Klagen gegen einen Gewerbetreibenden (mit Sitz im Ausland) bei dem Gericht des Orts erhoben werden, an dem er eine Niederlassung, von der aus unmittelbar Geschäfte geschlossen werden, betreibt, wenn die Klage auf den Geschäftsbetrieb der Niederlassung einen Bezug hat.
[7](1) Wie das LG richtig festgestellt hat, ist eine inländische Niederlassung der Bekl. zu 1) im Sinne dieser Vorschrift die in K. ansässige Bekl. zu 2). Auf die zutreffenden Erwägungen des LG hierzu in dessen angefochtener Entscheidung wird verwiesen und ergänzend ausgeführt:
[8]Neben der Übereinstimmung des im Geschäftsverkehr die Identität des Unternehmens prägenden Firmenbestandteils ‚Z. M.’ findet ein Handeln der Bekl. zu 2) auf Namen der Bekl. zu 1) deutlichen Ausdruck im Auftritt der Bekl. am bundesweiten Markt. So hat die Bekl. zu 2) nicht nur in ihrem von der Kl. als Anlage zu den Akten gereichten Schreiben an das U. L. vom 10.6.2010 ausdrücklich erklärt, dass die Kunden anstatt wie zuvor über die Kl. ‚nun direkt vom Hersteller betreut werden’. Derselbe Aussagegehalt ist vielmehr ganz allgemein auch ihrem – durch die Anlage AST 5 veranschaulichten – Internetauftritt zu entnehmen. In diesem steht die Darstellung der ‚Z. M. C.’ und deren Produkte im Vordergrund, wobei sich die Bekl. zu 2) als örtlicher Ansprechpartner (‚Country Manager und Vertrieb Deutschland/Österreich’ im Rahmen der Z. M. C.) anbietet. Des Weiteren wurden die potentiellen Kunden in Deutschland mit dem unter der Firma der Bekl. zu 2) erfolgten streitbefangenen Werberundschreiben aus Mai 2010 darüber informiert, dass nach nahtloser Integration der vormaligen A.-Produkte in das ‚Produktportfolio von Z. M. C.’ nunmehr der ‚Direktvertrieb starten’ solle. Auch hiermit wird bei dem verständigen Empfänger der Äußerung der Eindruck eines unmittelbar durch den Hersteller bewerkstelligten Vertriebs hervorgerufen.
[9]Dieses Marktauftreten der Bekl. zu 2) wie auch der unstreitige Umstand, dass sie ein 100%iges Tochterunternehmen der Bekl. zu 1) ist, indiziert ferner, dass sie für Rechnung der Bekl. zu 1) betrieben wird. Etwas anderes ist weder aus dem Vorbringen der Bekl. noch sonst ersichtlich.
[10]Die Rechtsform und damit die eigenständige Rechtspersönlichkeit der Bekl. zu 2) stehen einer Subsumtion unter den Niederlassungsbegriff nicht entgegen (vgl. hierzu Zöller-Vollkommer aaO § 21 Rz. 6 m.w.N.). Eine rechtlich selbständige Tochtergesellschaft ist als Niederlassung im Sinne des § 21 ZPO anzusehen, wenn sie – wie hier – im Namen und auf Rechnung der Muttergesellschaft tätig wird oder den Rechtsschein einer derartigen Tätigkeit erweckt (Immenga-Mestmäcker-Rehbinder aaO Rz. 331 m.w.N.).
[11](2) Der von § 21 I ZPO darüber hinaus geforderte Bezug der Klage zum Geschäftsbetrieb der Niederlassung besteht in der Einbindung der Bekl. zu 2) in den Vertriebsweg auf dem deutschen Markt allgemein und im Verhältnis zur Kl. im Besonderen.
[12]Hinsichtlich des Bezugserfordernisses besteht im Ausgangspunkt die allgemeine Ansicht, dass der (Klage-)Anspruch weder unmittelbar aus dem Geschäftsbetrieb der Niederlassung hervorgehen noch dass das streitgegenständliche Geschäft am Ort der Niederlassung selbst oder gar von ihm aus abgeschlossen worden sein muss (vgl. Zöller-Vollkommer aaO Rz. 11). Vielmehr genügt ein (hinreichend gewichtiger) Sachzusammenhang der streitgegenständlichen Angelegenheit mit dem Geschäftsbetrieb der Niederlassung, aufgrund dessen im Einzelfall die Befassung der für den Niederlassungsort zuständigen Gerichte mit der Angelegenheit sachlich gerechtfertigt ist. Ein solcher zuständigkeitsbegründender Zusammenhang kann insbes. bestehen, wenn die Abwicklung von mit der streitigen vergleichbaren Angelegenheiten typischerweise zum Aufgabenbereich der Niederlassung gehört (vgl. OLG Saarbrücken, Beschl. vom 10.11.2003 – 5 W 249/03, zit. n. juris Tz. 8; Zöller-Vollkommer aaO) oder dort ein wesentlicher Beitrag zu den Vertragsleistungen des Stammhauses geleistet wird (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. vom 8.12.2008 – I-20 W 130/08, zit. n. juris Tz. 13). Diese Erwägung greifen im Streitfall:
[13]Soweit es die mit dem Verfügungsantrag zu I. 1. a) begehrte Belieferung betrifft, hat die Kl. ihre Bestellung vom 17.5.2010 parallel sowohl an die Bekl. zu 1) als auch an die Bekl. zu 2) gerichtet. Zu den geschäftlichen Kernaufgaben der Bekl. zu 2) gehört unstreitig der Verkauf der Z.-Produkte in Deutschland. Wie die von der Kl. als Anlagen ... vorgelegten Schreiben der Bekl. zu 2) vom 19.5.2010 belegen und auch unstreitig ist, hat die Bekl. zu 2) entspr. der konzerninternen Aufgabenaufteilung beide Parallelbestellungen aus ihrem Geschäftsbetrieb heraus und unter eigenem Namen ablehnend beantwortet.
[14]Soweit es die an für sich in den Geschäftsbereich der Bekl. zu 3) fallenden Dienst- und Werkleistungen, namentlich die Erstellung von Erstinbetriebnahmebescheinigungen sowie die Serviceleistungen, betrifft [Verfügungsantrag zu I. 1. b)], folgt der erforderliche, aber auch ausreichende Sachbezug zum Geschäftsbetrieb der Bekl. zu 2) aus der bei ihr konzernintern angesiedelten Konzentration aller Fragen der Abwicklung des beendeten Vertragsverhältnisses mit der Kl. Dies ergibt sich aus der von der Kl. als Anlage vorgelegten E-Mail des Herrn v. d. B., Leiter des zur Bekl. zu 3) gehörenden A.-S.-C., an Herrn O., Handelsvertreter der Kl., vom 27.5.2010, mit der Herr v. d. B. auf klare Anweisung des höheren Managements von Z. hinweist, die Kl. für alle etwaigen Anfragen oder Bitten an die Bekl. zu 2) verweisen zu müssen.
[15](3) Die mithin nach § 21 I ZPO begründete internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit ist durch die Rechtswahlklauseln in Nr. 15.3 des Vertriebsvertrags vom 1.5.2007 und in Nr. 7.3 des MoU vom 5.3.2010 nicht ausgeschlossen. In der vertraglichen Vereinbarung über die Geltung einer ausländischen Rechtsordnung liegt grundsätzlich keine – im kaufmännischen Verkehr zulässige – stillschweigende Derogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands (vgl. Zöller-Geimer aaO Rz. 61 ff., 71). Denn die damit regelmäßig getroffene Wahl lediglich des anwendbaren sachlichen Rechts ist für die Zulässigkeit des prozessualen Begehrens ohne Bedeutung. Dies gilt auch für die im Streitfall maßgeblichen Rechtswahlklauseln, durch welche die Durchführung der jeweiligen Vereinbarung und deren Auslegung dem Recht des US-Bundesstaats K. unterstellt werden sollen. Hierbei weist insbes. das gegenüber der detaillierten Regelung eines Schiedsverfahrens und der schiedsrichterlichen Zuständigkeit in Nr. 15.4.2 des Vertriebsvertrags hervorstechende Schweigen der Vereinbarungen zu den Fragen des gerichtlichen Verfahrens auf deren Offenlassen hin.
[16]bb) Darüber hinaus ist die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit nach § 32 ZPO begründet.
[17]Nach § 32 ZPO ist die deutsche internationale Zuständigkeit gegeben, wenn der angebliche Kartellverstoß im Inland begangen, d.h. wenn ein inländischer Handlungs oder Erfolgsort gegeben ist. Der Erfolgsort liegt hierbei dort, wo der tatbestandsmäßige Verletzungserfolg als Schlusspunkt des Handlungsgeschehens eingetreten ist. Nach diesen Grundsätzen wird regelmäßig die deutsche internationale Zuständigkeit zu bejahen sein, wenn die Handlung auf dem deutschen Markt durchgeführt wird oder hätte durchgeführt werden müssen oder sich jedenfalls unmittelbar auf diesen Markt bezieht (vgl. zu allem: Immenga-Mestmäcker-Rehbinder aaO Rz. 333 m.w.N.; vgl. auch OLG Hamburg, Urt. vom 19.4.2007 – 1 Kart U 5/06 (IPRspr 2007-137), zit. n. juris Tz. 31).
[18]Im Entscheidungsfall führt der klägerseits behauptete konzernumfassende Boykott der Kl. dazu, dass die Kl. von dem (Zwischen-)Handel mit den in Betracht kommenden Z.-Produkten auf dem deutschen Absatzmarkt abgeschnitten ist. Der Erfolg des streitgegenständlichen Verhaltens tritt daher maßgeblich in der Bundesrepublik Deutschland ein.
[19]b) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit besteht infolge rügeloser Einlassung (Zöller-Geimer aaO Rz. 93 m.w.N.) und ferner jedenfalls nach § 32 ZPO für die gegen die Bekl. zu 3) gerichteten Anträge. Die Kl. behauptet ein (kartell-)deliktisches Zusammenwirken aller konzernverbundenen Bekl. mit dem Ziel, sie vom Handel mit den fraglichen Z.-Produkten und der Inanspruchnahme von Serviceleistungen am deutschen Absatzmarkt auszuschließen.
[20]2. Zutreffend hat das LG des Weiteren erkannt, dass die Schiedsvereinbarung in Nr. 15.4.2 des Vertriebsvertrags nach § 1033 ZPO der Zulässigkeit der Verfügungsanträge nicht entgegensteht.