Das LugÜ findet auf eine arbeitsrechtliche Streitigkeit dann Anwendung, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber zwar beide ihren Sitz in Deutschland haben, nach dem Arbeitsvertrag der Kläger aber wesentliche Arbeitsleistungen in der Schweiz erbringen und das schweizerische Arbeitsrecht zur Anwendung kommen sollte.
Ein Arbeitsverhältnis mit einem leitenden Angestellten kann der Prorogationssperre des Art. 17 V LugÜ unterfallen. Es genügt, dass der Angestellte den Weisungen einer übergeordneten Person nachzukommen hat.
Streitigkeiten aus der Aufhebungsvereinbarung eines Arbeitsverhältnisses sind solche aus einem „individuellen Arbeitsvertrag" gemäß Art. 17 V LugÜ.
Zugleich mit einem Vertrag abgeschlossene Gerichtsstandsvereinbarungen, die künftige Streitigkeiten regeln sollen, können nicht als „nach Entstehen der Streitigkeit“ im Sinne von Art. 17 V LugÜ geschlossen angesehen werden. [LS der Redaktion]
[Die Entscheidung der Vorinstanz wurde bereits in IPRspr. 2008 Nr. 130 abgedruckt.]
Die Parteien streiten über den Inhalt einer Aufhebungsvereinbarung. Der Kl. ist deutscher Staatsbürger und wohnte in Deutschland. Mit notariellem Vertrag veräußerte er sein Unternehmen an die in Deutschland ansässige Bekl., eine Tochtergesellschaft der H. AG mit Sitz der Schweiz. Neben dem Unternehmenskaufvertrag schlossen die Parteien einen Anstellungsvertrag, nach dem der Kl. bei der Bekl. arbeiten sollte. Der Vertrag enthält folgende Regelungen: „S. ist direkt dem CEO, Herrn A. H., und dem Stellvertreter des CEO, Herrn A. A., unterstellt. Soweit die Tätigkeit direkt oder indirekt mit Planung und Umsetzung von Maßnahmen oder Investitionen in nationalen Märkten mit einem H.-Geschäftsführer erfolgen, erfolgt die Tätigkeit von S. in Abstimmung mit dem jeweils lokalen Geschäftsführer. [...] Der Arbeitsort ist grundsätzlich der Sitz der A. H. Holding AG in der Schweiz oder am Sitz einer ihrer Tochtergesellschaften in der Schweiz.“ Der Kl. erhielt keine Arbeitsgenehmigung für die Schweiz. In Deutschland erfolgte keine Arbeitsaufnahme. Nach Unstimmigkeiten über die tatsächliche Durchführung des Anstellungsvertrags und um den Unternehmenskauf nicht zu gefährden, schlossen die Parteien am 18.6.2002 in Frankfurt/Main eine Aufhebungsvereinbarung, in der u.a. geregelt ist: „Die Arbeitgeberin stellt den Arbeitnehmer von allen Ansprüchen frei, die aus, aufgrund oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsvertrag gegen ihn geltend gemacht werden. Dies gilt insbes. für sämtliche Steuern und Abgaben. [...] Der vorliegende Vertrag untersteht Schweizer Recht. Der Gerichtsstand ist Sc/Zürich.“ Nach einer Betriebsprüfung zog das zuständige Finanzamt den Kl. mit Bescheid vom 16.2.2006 zur Zahlung von Einkommensteuer für das Jahr 2002 auf das von ihm bezogene Arbeitsentgelt heran.
Mit der der Bekl. am 24.7.2006 zugestellten Klage hat der Kl. einen Teilbetrag für die steuerlichen Forderungen geltend gemacht. Das ArbG hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Auf die Berufung des Kl. hat das LAG das Urteil des ArbG aufgehoben. Mit der vom LAG zugelassenen Revision begehrt die Bekl. die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
[1]Die Revision ist unbegründet.
[2]Das LAG hat zu Recht die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte angenommen und den Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das ArbG zurückverwiesen. Der Rechtsstreit fällt in die ausschließliche Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Die von den Parteien in der Aufhebungsvereinbarung vom 18.6.2002 vereinbarte Derogation und Zuständigkeit des Schweizer Gerichts am Standort Sc/Zürich ist unzulässig.
[3]I. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, die auch unter der Geltung des § 545 II ZPO in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. BAG, Urt. vom 16.2.2000 – 4 AZR 14/99 (IPRspr. 2000 Nr. 35) [I.], BAGE 93, 328; Urt. vom 13.11.2007 – 9 AZR 134/07 (IPRspr 2007-50), Rz. 16, BAGE 125, 24; BGH, Urt. vom 2.3.2010 – VI ZR 23/09 (IPRspr 2010-213) Rz. 7, BGHZ 184, 313), bestimmt sich im Streitfall nach dem LugÜ.
[4]1. Grundsätzlich folgt die internationale Zuständigkeit der örtlichen Zuständigkeit nach den §§ 12 ff. ZPO (BAG, Urt. vom 17.7.1997 – 8 AZR 328/95 (IPRspr. 1997 Nr. 154) [II. 1. a], AP ZPO § 38 Int. Zuständigkeit Nr. 13 = EzA ZPO § 23 Nr. 1; Urt. vom 9.10.2002 – 5 AZR 307/01 (IPRspr. 2002 Nr. 151) [I. 2], AP ZPO § 38 Int. Zuständigkeit Nr. 18 = EzA ZPO 2002 § 29 Nr. 1; Urt. vom 1.7.2010 – 2 AZR 270/09 (IPRspr 2010-179b) [II. 2]; BGH, Urt. vom 2.3.2010 aaO). Fällt ein Rechtsstreit nach den §§ 12 ff. ZPO in die örtliche Zuständigkeit eines deutschen Gerichts, ist die internationale Zuständigkeit regelmäßig indiziert und sind die deutschen Gerichte auch im Verhältnis zu einem ausländischen Gericht zuständig (BAG, Urt. vom 15.2.2005 – 9 AZR 116/04 (IPRspr 2005-90b) [A. III. 1], BAGE 113, 327). Allerdings sind bei Beurteilung der internationalen Zuständigkeit die Regelungen der EuGVO oder des LugÜ zu beachten. Diese sind vorrangig und verdrängen die nationalen zivilprozessualen Regelungen (BAG, Urt. vom 23.1.2008 – 5 AZR 60/07 (IPRspr 2008-116) Rz. 12, AP ZPO § 38 Int. Zuständigkeit Nr. 22 = EzA EG-Vertrag 1999 VO 44/2001 Nr. 1; Urt. vom 24.9.2009 – 8 AZR 306/08 (IPRspr 2009-184), AP EuGVVO Art. 18 Nr. 1 = EzA EG-Vertrag 1999 VO 44/2001 Nr. 4; Urt. vom 1.7.2010 aaO Rz. 23; Urt. vom 20.8.2003 – 5 AZR 45/03 (IPRspr. 2003 Nr. 140) [I.], BAGE 107, 178; BGH, Urt. vom 21.11.1996 – IX ZR 264/95 (IPRspr. 1996 Nr. 160) [B. II. 2. a], BGHZ 134, 127; Geimer-Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl. A 1 Einl. Rz. 53; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Einl. Rz. 68 und Art. 23 Rz. 16; Nagel-Gottwald, IZPR, 6. Aufl., § 3 Rz. 17; MünchKommZPO-Patzina, 3. Aufl., § 38 Rz. 23; Musielak-Stadler, ZPO, 7. Aufl., EG-VO Vorb. Rz. 5; Musielak-Heinrich aaO § 38 Rz. 4 und Musielak-Stadler aaO Art. 18 EuGVVO Rz. 1; Stein-Jonas-Bork, ZPO, 22. Aufl., § 38 Rz. 22; Zöller-Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 38 Rz. 24; Franzen, RIW 2000, 81, 82). Danach sind allein die Regelungen des LugÜ von den Gerichten eines Mitgliedstaats anzuwenden, wenn die maßgeblichen Bezugspunkte über den Kreis der EU-Mitgliedstaaten hinausgehen und auf einen sog. Luganer Staat verweisen (vgl. Art. 54b II LugÜ), was v.a. der Fall ist, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Luganer Staat hat oder die Gerichte eines Luganer Staats aufgrund von Art. 16, 17 LugÜ ausschließlich zuständig sind (Kropholler aaO Rz. 69).
[5]2. Die Regelungen des LugÜ sind im Streitfall anzuwenden.
[6]a) Vielfach wird allerdings die Auffassung vertreten, bei einem ‚reinen’ Inlandsfall (Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Art. 23 EuGVVO Rz. 6; Musielak-Stadler aaO Art. 23 EuGVVO Rz. 1) komme eine Anwendung des LugÜ nicht in Betracht. Die Parteien könnten hier eine Derogation nach nationalem Recht vornehmen, ein internationaler Bezug könne nicht allein durch die Wahl eines ausländischen Gerichts hergestellt werden (Schlosser aaO; OLG Hamm, IPRax 1999, 244 (IPRspr. 1998 Nr. 137a); a.A. Nagel-Gottwald aaO Rz. 134; MünchKommZPO-Gottwald, 2. Aufl., Art. 17 EuGVÜ Rz. 2; Jayme/Aull, IPRax 1989, 80; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 5. Aufl., Rz. 527).
[7]b) Obwohl beide Parteien ihren Wohn- bzw. Geschäftssitz in der Bundesrepublik Deutschland haben, kann dahingestellt bleiben, ob in einem ‚reinen Inlandsfall’ die Anwendung des LugÜ stets ausscheidet. Es handelt sich nämlich nicht um einen derartigen Sachverhalt, da hinreichende Berührungspunkte zu einem anderen Vertragsstaat des LugÜ vorhanden sind. Bei der Realisierung des Anstellungsvertrags sollten nicht nur die wesentlichen Arbeitsleistungen des Kl. in der Schweiz, v.a. bei der Muttergesellschaft, erbracht werden, sondern es sollte auch das schweizerische Arbeitsrecht zur Anwendung kommen. Solche Bezugspunkte zu einem Vertragsstaat des LugÜ reichen grundsätzlich aus, um zur Anwendung des LugÜ zu gelangen (vgl. Kropholler aaO Art. 23 Rz. 15; Nagel-Gottwald aaO Rz. 133 f.; Franzen aaO). Von der Rspr. wird nur ein Bezug zu mindestens einem (weiteren) Vertragsstaat verlangt (vgl. BGH, Urt. vom 21.11.1996 aaO [B. II. 2. a]; Urt. vom 24.11.1988 – III ZR 150/87 (IPRspr. 1988 Nr. 165), NJW 1986, 1438 (IPRspr. 1986 Nr. 129); siehe auch EuGH, Urt. vom 1.3.2005 – C-281/02 Rz. 25, Slg. 2005, I-1383).
[8]II. Entgegen der Auffassung der Bekl. ist die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach den Regelungen des LugÜ gegeben.
[9]1. Die Bekl. hat ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland, also in einem Vertragsstaat des LugÜ. Sie kann aufgrund ihres Sitzes vor den deutschen Gerichten ohne weiteres verklagt werden (Art. 2 I, 53 I 1 LugÜ).
[10]2. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist nicht aufgrund des in der Aufhebungsvereinbarung vom 18.6.2002 (§ 3 IV 2) vereinbarten Gerichtsstands in Sc/Zürich (Schweiz) ausgeschlossen. Diese Gerichtsstandsvereinbarung ist unzulässig. Sie konnte den Rechtsstreit genauso wenig wie die Gerichtsstandsvereinbarung im Anstellungsvertrag vom 2.4.2001 (§ 14 IV 2) wirksam an die Schweizer Gerichte derogieren. Es liegt kein Anwendungsfall der Art. 16 oder 17 LugÜ vor, der eine ausschließliche internationale Zuständigkeit der Schweizer Gerichte begründen könnte.
[11]a) Die Voraussetzungen für eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 16 LugÜ sind offensichtlich nicht gegeben.
[12]b) Die Voraussetzungen von Art. 17 LugÜ liegen nicht vor.
[13]aa) Die nach Art. 17 I 1 LugÜ an sich gegebene Prorogationsfreiheit wird durch Art. 17 V LugÜ wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer für das Arbeitsrecht beschränkt (Kropholler aaO Art. 18 Rz. 1; Franzen aaO). Nach Art. 17 V LugÜ haben ‚bei individuellen Arbeitsverträgen Gerichtsstandsvereinbarungen nur dann rechtliche Wirkung, wenn sie nach der Entstehung der Streitigkeit getroffen werden’. Mit dieser Regelung sollen Vereinbarungen verhindert werden, die es den Arbeitsvertragsparteien ohne weiteres ermöglichen würden, Gerichtsstände ‚abzuwählen’ und damit den Arbeitnehmerschutz praktisch zu konterkarieren (vgl. Mankowski, Arbeitsrechts-Blattei, Systemat. Darstellung, Arbeitsgerichtsbarkeit [Stand Dez. 2007], 160.5.5 Rz. 310; Junker, NZA 2005, 199, 201).
[14]bb) Den Rechtsbeziehungen der Parteien liegt ein individueller Arbeitsvertrag im Sinne des Art. 17 V LugÜ zugrunde.
[15](1) Der Begriff des Arbeitsvertrags ist nicht nach nationalen Kriterien zu bestimmen, sondern als genuiner Begriff des LugÜ autonom auszulegen (s. EuGH, Urt. vom 10.4.2003 – C-437/00 Rz. 16, Slg. 2003, I-3573; BAG, Urt. vom 20.8.2003 aaO [II. 1. b und 2. sowie III. 1]; Rauscher-Mankowski, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 18 Brüssel I-VO Rz. 4 f.; Geimer-Schütze aaO Art. 18 Rz. 16; Kropholler aaO Rz. 2; Musielak-Stadler aaO Art. 18 EuGVVO Rz. 2; Schlosser aaO Art. 18 EuGVVO Rz. 1). Unter dem Begriff des ‚individuellen Arbeitsvertrags’ ist eine Vereinbarung zu verstehen, die eine abhängige, weisungsgebundene Tätigkeit für eine bestimmte Dauer zum Inhalt hat, bei der der Arbeitnehmer regelmäßig in einer bestimmten Weise in den Betrieb des Arbeitgebers eingebunden ist und für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (BAG, Urt. vom 24.9.2009 aaO Rz. 40 m.w.N. aus der Rspr. des EuGH, AP EuGVVO Art. 18 Nr. 1 = EzA EG-Vertrag 1999 VO 44/2001 Nr. 4). Dass eine soziale und wirtschaftliche Abhängigkeit der schwächeren Partei besteht, wirkt indiziell, ist aber für sich allein weder erforderlich noch ausreichend (Mankowski, AR-Blattei aaO Rz. 109 u. Hinw. auf österr. OGH, 17.11.2004, ecolex 2005, 311, 312; Musielak-Stadler aaO). Ebenso wenig ist die Höhe der Vergütung für die Qualifizierung als Arbeitsverhältnis von Belang (vgl. EuGH, Urt. vom 19.11.2002 – C-188/00, Rz. 32, Slg. 2002, I-10691), auch nicht die Gewährung einer anteiligen Erfolgsvergütung oder die Bezahlung durch Gesellschaftsanteile (vgl. Mankowski, RIW 2004, 167, 171). Der Begriff ‚individuell’ grenzt den Arbeitsvertrag lediglich von kollektiven Vereinbarungen wie Tarifvertrag, Betriebs- und Dienstvereinbarung ab (Kropholler aaO; Musielak-Stadler aaO; Junker aaO).
[16](2) In Anwendung dieser Grundsätze kann der Anstellungsvertrag vom 2.4.2001 ohne weiteres als individueller Arbeitsvertrag im Sinne des Art. 17 V LugÜ qualifiziert werden. Die Parteien haben ausdrücklich einen Anstellungsvertrag vereinbart und das Rechtsverhältnis als Arbeitsverhältnis bezeichnet. Gemäß § 2 I lit. a des Anstellungsvertrags war der Kl. verpflichtet, die ‚umsatz- und ertragsmäßig nachhaltige Überführung der S.-Produkte-Systeme in die H.-Gruppe sicherzustellen’. Als ‚Fachperson für den Auf- und Ausbau von Logistik und Logistikkonzepten’ (§ 2 I lit. b des Anstellungsvertrags war er dem ‚CEO’ der A. Holding AG und dessen Stellvertreter unterstellt. Eine solche Unterstellung lässt regelmäßig darauf schließen, dass der Unterstellte den Weisungen der übergeordneten Person nachzukommen hat. Auch die weitere Vertragsterminologie (u.a. Einsatz des Arbeitnehmers, dieser Arbeitsvertrag, Arbeitgeberin, Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung, Beginn und Ende der Arbeitszeit, Erholungsurlaub) spricht eindeutig für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses. Demnach kommt dem Umstand, dass der Kl. seine Arbeitszeit ‚individuell mit der Arbeitgeberin vereinbaren’ konnte, ebenso wenig eine entscheidende Bedeutung zu wie dessen ‚grundsätzliche’ Freiheit, sich seine Arbeitszeit einteilen zu können (§ 4 Satz 3 des Anstellungsvertrags). Die Revision stellt den vom LAG rechtsfehlerfrei begründeten Charakter des Anstellungsvertrags als Arbeitsvertrag auch nicht infrage.
[17](3) Keine andere Beurteilung gilt für die Vereinbarung vom 18.7.2002, die das bisherige Arbeitsverhältnis und den ihm zugrunde liegenden individuellen Arbeitsvertrag zum 31.12.2001 aufheben und beenden sollte. Eine solche Aufhebungsvereinbarung erfüllt das Tatbestandsmerkmal ‚individueller Arbeitsvertrag’ (vgl. Junker aaO; Schlosser aaO Art. 21 EuGVVO Rz. 2; im Ergebnis auch Rauscher-Mankowski aaO Rz. 9). Sie regelt arbeitsvertragliche Rechte und Pflichten und bezweckt die Abwicklung der entspr. Ansprüche, insbes. der Vergütungsansprüche. Gerade auch die hier umstrittene Regelung über Steuern und Abgaben steht mit diesen und damit mit dem Arbeitsvertrag im unmittelbaren Zusammenhang. Würde man hingegen solche Aufhebungsverträge aus dem Regelungsbereich des Art. 17 V LugÜ ausnehmen, wäre der Arbeitnehmer, der die Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags und damit in der Sache die Fortgeltung des Arbeitsvertrags geltend macht, entgegen dem Zweck der Prorogationsvorschrift nicht geschützt (vgl. Mankowski, AR-Blattei aaO Rz. 173 f.).
[18]Der Zweck der Abwicklung und Absicherung des Unternehmenskaufs steht dem nicht entgegen. Regeln die Parteien in einem Aufhebungsvertrag die Modalitäten der Beendigung ihrer arbeitsvertraglichen Beziehung sowie – wie im Streitfall – weitere Streitfragen, die außerhalb des Arbeitsrechts liegen, ändert dies an der Beurteilung des Vertrags zumindest dann nichts, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung auch auf die arbeitsrechtlichen Fragen und Regelungen Anwendung finden soll. Andernfalls stünde der dem Arbeitnehmer durch Art. 17 V LugÜ gewährte Schutz zur Disposition der Arbeitsvertragsparteien. Dies wäre nicht mit dem Sinn und Zweck der Prorogationsregelung in Einklang zu bringen. Die Gerichtsstandsvereinbarung im Aufhebungsvertrag ist deshalb an Art. 17 V LugÜ zu messen. Sie fällt nicht aus dem Anwendungsbereich dieser Norm.
[19](4) Der weitere Einwand der Bekl., es liege kein ‚individueller Arbeitsvertrag’ vor, weil der Anstellungsvertrag vom 2.4.2001 als ein Scheingeschäft nach § 117 I BGB unwirksam gewesen sei, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Das LAG hat die Voraussetzungen eines Scheingeschäfts nicht festgestellt. Im Übrigen stützt der Kl. seinen Klageanspruch nicht auf die Bestimmungen des Anstellungsvertrags vom 2.4.2001, sondern auf § 2 V 4 und 5 der Vereinbarung vom 18.6.2002.
[20](5) Entsprechendes gilt für den Einwand, der Anstellungsvertrag vom 2.4.2001 sei aufgrund der nicht eingetretenen Bedingung in § 14 I nicht wirksam geworden. Die Parteien haben den von dem Anstellungsvertrag abhängig gemachten Unternehmenskauf gerade nicht in Frage gestellt.
[21](6) Die Regelung des Art. 17 V LugÜ ist auch nicht teleologisch zu reduzieren. Art. 17 V LugÜ enthält keine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit (vgl. BAG, Urt. vom 24.3.2009 – 9 AZR 983/07, Rz. 67, BAGE 130, 119). Weder dem Wortlaut oder der Systematik des LugÜ noch aus dessen Sinn und Zweck lässt sich entnehmen, die Vertragsstaaten hätten die Arbeitsverhältnisse leitender Angestellte aus dem Anwendungsbereich des Art. 17 V LugÜ ausnehmen wollen. Leitende Angestellte sind ungeachtet ihrer Leitungsfunktion Arbeitnehmer und unterfallen als solche dem Regelungsbereich der Vorschrift (Mankowski, AR-Blattei aaO Rz. 113). Auch der von der Bekl. behauptete Umstand, Arbeitnehmer in leitender Position verfügten über überdurchschnittliche Rechtskenntnisse, rechtfertigt es nicht, sie aus dem Anwendungsbereich der Norm auszunehmen.
[22]cc) Die Parteien haben die Gerichtsstandsvereinbarung nicht nach dem Entstehen der Streitigkeit geschlossen.
[23](1) Nach Entstehung der Streitigkeit wird eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen, wenn die Parteien nach Abschluss des Hauptvertrags über einen bestimmten Punkt uneins werden und ein gerichtliches Verfahren unmittelbar oder in Kürze bevorsteht (vgl. Jenard, ABl. EG vom 5.3.1979 Nr. C 59 S. 57; Schlosser aaO Art. 13 EuGVVO Rz. 1; Kropholler aaO Art. 13 Rz. 2; Musielak-Heinrich aaO Rz. 22; Junker aaO). Nach Entstehen eines solchen Streits hat der Arbeitnehmer regelmäßig ausreichend Zeit, sich zu überlegen, ob er sich für den konkreten Streitfall auf eine Gerichtsstandsvereinbarung einlassen will oder nicht (Franzen aaO). Auch wird es sich nach dem Entstehen einer Streitigkeit regelmäßig um ein ‚isoliertes’ Angebot auf Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung handeln, sodass nicht die Gefahr besteht, dass eine solche Prorogationsregelung in einer Fülle von Vertragsklauseln ‚untergeht’ und vom Arbeitnehmer nicht zur Kenntnis genommen wird (Junker aaO).
[24](2) Erforderlich sind nach Vertragsabschluss entstandene Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien über die Auslegung, Abwicklung oder Erfüllung des Vertrags (Geimer-Schütze aaO Art. 21 Rz. 2, Art. 13 Rz. 5). Ein bloß latenter Streit reicht nicht aus. Deshalb können zugleich mit einem Vertrag abgeschlossene Gerichtsstandsvereinbarungen, die künftige Streitigkeiten regeln sollen, regelmäßig nicht als ‚nach Entstehen der Streitigkeit’ geschlossen angesehen werden (BGH, NJW 1986 aaO zur gleichlt. Formulierung in § 38 III Nr. 1 ZPO; s.a. Thomas-Putzo-Hüßtege, ZPO, 31. Aufl., § 38 Rz. 18; Stein-Jonas-Bork aaO Rz. 35; Musielak-Heinrich aaO; Zöller-Vollkommer aaO Rz. 33; MünchKommZPO-Patzina aaO Rz. 35).
[25](3) Im Streitfall macht der Kl. einen Freistellungsanspruch geltend, den er aus § 2 V 4 und 5 der Aufhebungsvereinbarung vom 18.6.2002 herleitet. Die Parteien streiten über die Auslegung gerade dieser Regelung.
[26]Die Gerichtsstandsvereinbarung in § 3 IV der Aufhebungsvereinbarung ist zugleich mit der Vereinbarung über die hier streitige Steuertragungs- und Freistellungsregelung getroffen worden. Diese erschöpft sich nicht in einer bloßen – deklaratorischen – Wiederholung der bereits in § 7 des Einstellungsvertrags vom 2.4.2001 enthaltenen Freistellungsregelung. Während sich die frühere Regelung auf die vom Kl. in der Schweiz zu zahlende schweizerische Quellensteuer bezieht, hat die spätere Regelung ‚sämtliche Steuern und Abgaben’ zum Gegenstand und damit möglw. auch die vom Kl. in Deutschland zu zahlende Einkommensteuer, von der der Kl. im vorliegenden Verfahren freigestellt werden möchte. Da sich die Gerichtsstandsvereinbarung auf Streitigkeiten aus demselben Vertrag bezieht und ein Streit bei Abschluss der Vereinbarung noch gar nicht entstanden sein konnte, liegen die Voraussetzungen für eine Derogation der deutschen Gerichtsbarkeit gemäß Art. 17 V LugÜ nicht vor.
[27]3. Der Senat konnte das LugÜ auslegen, ohne den EuGH um eine Vorabentscheidung zu ersuchen. Die EFTA-Staaten unterliegen nicht der Jurisdiktion des EuGH. Eine Regelung, die in ähnlicher Weise wie Art. 267 EG eine einheitliche Auslegung des Übereinkommens sichert, besteht nicht. Das Protokoll Nr. 2 über die einheitliche Auslegung des Übereinkommens verpflichtet die Gerichte jedes Vertragsstaats nur, bei Anwendung und Auslegung der Bestimmungen den Grundsätzen gebührend Rechnung zu tragen, die in maßgeblichen Entscheidungen von Gerichten der anderen Vertragsstaaten entwickelt worden sind.