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Verfahrensgang

BGH, Beschl. vom 02.09.2009 – XII ZB 50/06, IPRspr 2009-248

Rechtsgebiete

Anerkennung und Vollstreckung → Unterhaltssachen

Leitsatz

Ein Unterhaltstitel, der erlassen wurde, nachdem der Beklagte wegen Missachtung des Gerichts (contempt of court) vom Verfahren ausgeschlossen und seine Beschwerde gegen den Ausschluss deshalb als unzulässig zurückgewiesen worden war, kann gegen den verfahrensrechtlichen ordre public verstoßen. Dann ist eine Vollstreckbarerklärung für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland im Beschwerdeverfahren nach Art. 5 Nr. 1 HUÜ zu versagen.

Rechtsnormen

AVAG § 1; AVAG § 6; AVAG § 15
BGB § 1361; BGB § 1580; BGB § 1605
FamFG § 40; FamFG § 53; FamFG § 57; FamFG § 86
GG Art. 103
GVG § 177
HUntÜ 2007 Art. 1; HUntÜ 2007 Art. 4; HUntÜ 2007 Art. 5; HUntÜ 2007 Art. 6; HUntÜ 2007 Art. 7; HUntÜ 2007 Art. 10; HUntÜ 2007 Art. 12
StPO § 114a
ZPO § 296; ZPO § 328; ZPO §§ 530 f.; ZPO § 574; ZPO § 620; ZPO § 620c; ZPO § 643; ZPO §§ 722 f.; ZPO § 794; ZPO § 834; ZPO § 921

Sachverhalt

Am 10.4.2003 leitete die ASt. das gerichtliche Verfahren auf Güterausgleich und Unterhaltszahlung vor dem australischen Court of Petty Sessions in Perth ein. Am 3.2.2004 erlegte das Familiengericht dem AGg. auf, innerhalb von 28 Tagen zehn Vollmachten zu unterzeichnen, die der ASt. die Möglichkeit geben sollten, Auskünfte über vorhandenes Vermögen des AGg. zu erlangen. Der AGg. hat sich geweigert, die auf den australischen Prozessbevollmächtigten der ASt. ausgestellten zehn Vollmachten zu unterzeichnen. Daraufhin hat ihn das Familiengericht durch Beschluss vom 14.6.2004 wegen Missachtung des Gerichts (contempt of court) vom Verfahren ausgeschlossen. Am 29.6.2004 hat das australische Familiengericht u.a. angeordnet, dass der amtierende Leiter der Personenstandsbehörde oder ein Standesbeamter beim Familiengericht von Westaustralien im Auftrag des AGg. die Vollmacht übernehme, der AGg. der ASt. einen Pauschalbetrag zu leisten und er ihr überdies bis zum Abschluss des Verfahrens oder bis zu einer weiteren Verfügung einen einstweiligen ehelichen Unterhalt zu zahlen habe. Ein von dem AGg. gegen den Ausschluss aus dem Verfahren eingelegtes Rechtsmittel (appeal) wurde nach mündlicher Verhandlung durch Beschluss des Family Court of Western Australia in Perth vom 9.8.2004 abgewiesen, weil der AGg. im Verfahren nicht zugelassen sei. Auf Antrag der ASt. wurde der laut Anordnung vom 29.6.2004 geschuldete Pauschalbetrag auf mündliche Verhandlung, an der für den AGg. niemand teilnahm, durch Beschluss vom 6.7.2005 als „Ehegattenunterhalt“ charakterisiert. Durch Endurteil des Family Court of Western Australia in Perth vom 22.12.2005 wurde der Gesamtbetrag des vom Ehemann geschuldeten vorläufigen Ehegattenunterhalts präzisiert.

Mit Beschluss vom 24.9.2004 hat das LG die Entscheidung vom 29.6.2004 für vollstreckbar erklärt und mit der Vollstreckungsklausel versehen. Das OLG hat die Beschwerde des AGg. mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Vorausleistung auf den Ehegattenunterhalt zu bezahlen ist. Gegen diese Entscheidungen richtet sich die Rechtsbeschwerde des AGg., mit der er seinen Abweisungsantrag weiter verfolgt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 1 I Nr. 1 lit. c, 15 I AVAG i.V.m. § 574 I Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist nach § 574 II Nr. 2 ZPO auch zulässig, weil sie zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse und zur Abweisung des Vollstreckbarkeitsantrags.

[2]1. Im Ansatz zu Recht ist das BeschwG allerdings davon ausgegangen, dass sich die Vollstreckbarkeit der australischen vorläufigen Anordnung nach dem HUÜ richtet. Dieses Übereinkommen ist für die Bundesrepublik Deutschland zum 1.4.1987 in Kraft getreten (BGBl. II 1986 825; 1987 II 220). Für Australien gilt das Übereinkommen seit dem 1.2.2002 (BGBl. 2002 II 751). Im Gegensatz zur Rechtsauffassung des AGg. kommt es deswegen – anders als es im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung nach deutschem Prozessrecht gemäß den §§ 328, 722 f. ZPO der Fall wäre – für die Vollstreckbarkeit des australischen Titels nicht zusätzlich auf Feststellungen zur verbürgten Gegenseitigkeit an.

[3]Für die Ausführung des HUÜ gelten gemäß § 1 I Nr. 1 lit. c AVAG ergänzend die Vorschriften dieses Gesetzes.

[4]2. Ebenfalls zu Recht ist das OLG davon ausgegangen, dass die Vollstreckung der Nrn. 3 und 4 der australischen einstweiligen Anordnung vom 29.6.2004 eine Unterhaltspflicht im Sinne von Art. 1 I Nr. 1 HUÜ betrifft.

[5]a) Für die Vollstreckung von Nr. 4 des Beschlusses vom 29.6.2004 folgt dies bereits aus dem eindeutigen Wortlaut, zumal der AGg. darin verpflichtet wurde, an die ASt. einen einstweiligen ehelichen Unterhalt in Höhe von 1 000 AUD pro Woche, beginnend am 2.7.2004, zu zahlen. Das wird auch vom AGg. nicht in Zweifel gezogen.

[6]b) Aber auch der nach Nr. 3 des Beschlusses geschuldete Pauschalbetrag in Höhe von 62 000 AUD betrifft als Vorausleistung den nachehelichen Unterhalt.

[7]Zwar sah der ursprüngliche Titel vom 29.6.2004 für die Zahlung dieses Pauschalbetrags verschiedene Rechtsgründe vor, weil er entweder als vorläufige oder teilweise Vermögensauseinandersetzung, als Vorauszahlung auf den Anspruch der ASt. auf Vermögensauseinandersetzung und/oder den Ehegattenunterhalt oder als Kostenerstattung geschuldet war. Nach Art. 10 HUÜ war deswegen im Rahmen der Vollstreckbarerklärung zu klären, ob ein Teil dieses zugesprochenen Betrags eindeutig dem Unterhaltsrecht zugewiesen werden kann, für das allein das Übereinkommen gilt (vgl. Senatsbeschl. vom 12.8.2009 – XII ZB 12/05, FamRZ 2009, 1225 (IPRspr 2009-246); zur EuGVO vgl. auch EuGH, IPRax 1999, 35).

[8]Wird ein ausländischer Titel, über dessen Vollstreckbarkeit im Inland zu entscheiden ist, den Bestimmtheitsanforderungen, die nach deutschem Vollstreckungsrecht an einen Vollstreckungstitel zu stellen sind, nicht gerecht, ergeben sich jedoch die Kriterien, nach denen sich die titulierte Leistungspflicht bestimmt, aus den ausländischen Vorschriften oder ähnlichen im Inland gleichermaßen zugänglichen und sicher feststellbaren Umständen, so ist es grundsätzlich zulässig und geboten, diese Feststellungen nach Möglichkeit im Verfahren der Vollstreckbarerklärung zu treffen und den ausländischen Titel in der Entscheidung über seine Vollstreckbarkeit entsprechend zu konkretisieren (Senatsurt. vom 6.11.1985 – IVb ZR 73/84, FamRZ 1986, 45, 46 f. (IPRspr. 1985 Nr. 184)). Entsprechendes gilt auch für die Konkretisierung eines geschuldeten Betrags als Unterhalt oder für andere Zwecke der nachehelichen Vermögensauseinandersetzung.

[9]Im Rahmen der Vollstreckbarkeit ist deswegen auch die weitere Anordnung vom 6.7.2005 zu berücksichtigen, in der der geschuldete Pauschalbetrag ausdrücklich als Vorschuss auf den Ehegattenunterhalt charakterisiert worden ist. Hinzu kommt, dass nach dem unbestrittenen Vortrag des AGg. am 22.12.2005 eine Endentscheidung ergangen ist, die den vorläufigen Ehegattenunterhalt der ASt. auf insgesamt 100 000 AUD festsetzt, worauf der hier relevante Pauschalbetrag von 62 000 AUD anzurechnen ist. Auf der Grundlage dieser weiteren Entscheidungen steht deswegen zweifelsfrei fest, dass auch insoweit eine Unterhaltspflicht im Sinne des Art. 1 I Nr. 1 HUÜ zu vollstrecken ist.

[10]3. Die Verpflichtungen aus Nrn. 3 und 4 der australischen Anordnung vom 29.6. 2004 sind auf der Grundlage des anwendbaren HUÜ im Grundsatz auch vollstreckungsfähig. Denn die Entscheidung ist von dem nach Art. 4 I Nr. 1 i.V.m. Art. 7 Nr. 1 HUÜ international zuständigen Gericht erlassen. Das australische Gericht war für die Entscheidung international zuständig, zumal hier neben der ASt. als Unterhaltsberechtigter sogar auch der AGg. als Unterhaltspflichtiger bei Einleitung des Verfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Australien hatte (Art. 7 Nr. 1 HUÜ). Hinzu kommt, dass sich der AGg. dem australischen Verfahren unterworfen hatte, weil er sich, ohne die Unzuständigkeit geltend zu machen, auf das Verfahren in der Sache selbst eingelassen hatte (Art. 7 Nr. 3 HUÜ). Diese ursprünglich begründete internationale Zuständigkeit wirkte bis zum Abschluss des Verfahrens fort (perpetuatio fori).

[11]Auch als einstweilige Maßnahme ist die Anordnung vom 29.6.2004 grundsätzlich für vollstreckbar zu erklären, weil gegen sie unstreitig kein ordentliches Rechtsmittel zulässig ist und einstweilige Anordnungen auch in Deutschland (§§ 620 Nrn. 4 ff., 620c, 794 I Nr. 3 lit. a ZPO; für die Zeit ab dem 1.9.2009 vgl. §§ 40, 53, 57, 86 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit [FamFG] vom 17.12.2008 [BGB. I 2586]) nicht anfechtbar und damit vollstreckbar sind (Art. 4 II HUÜ).

[12]Im Gegensatz zur Rechtsauffassung des AGg. handelt es sich hier auch nicht um eine Versäumnisentscheidung im Sinne des Art. 6 HUÜ, für deren Vollstreckung der Nachweis der Zustellung der Antragsschrift erforderlich ist. Der AGg. war im Verhandlungstermin vom 29.6.2004 nicht säumig, sondern durch vorangegangenen Beschluss vom 14.6.2004 ausgeschlossen worden. Seine australische Verfahrensbevollmächtigte war anwesend und lediglich seit dem Ausschluss daran gehindert, weiter zur Sache vorzutragen. Die verfahrensrechtlichen Einschränkungen betreffen hier also Fragen des rechtlichen Gehörs und nicht solche der Säumnis des AGg., der auch vor seinem Ausschluss am Verfahren beteiligt war. Eines Nachweises der ordnungsgemäßen Zustellung der Klageschrift bedarf es hier deswegen nicht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 12.12.2007 – XII ZB 240/05, FamRZ 2008, 586, 588 f. (IPRspr 2007-204) und vom 28.11.2007 – XII ZB 217/05, FamRZ 2008, 390, 391 f. (IPRspr 2007-179)).

[13]4. Die zu vollstreckende Anordnung vom 29.6.2004 ist entgegen der Auffassung des AGg. auch nicht durch das Endurteil vom 22.12.2005 aufgehoben worden. Denn in dieser Entscheidung ist der ASt. zwar ein Gesamtbetrag vorläufigen Unterhalts in Höhe von 100 000 AUD zugesprochen worden, auf den allerdings die mit der Anordnung vom 29.6.2004 zugesprochenen 62 000 AUD anzurechnen sind. Schon daraus folgt, dass der als Vorausleistung geschuldete Pauschalbetrag nicht aufgehoben, sondern in den insgesamt geschuldeten Betrag einbezogen werden sollte. Die einstweilige Maßnahme hat deswegen nach wie vor Gültigkeit und ist auch weiterhin grundsätzlich vollstreckbar.

[14]5. Einer Vollstreckbarkeit der australischen Anordnung in der Bundesrepublik Deutschland steht hier aber das Vollstreckungshindernis des Art. 5 Nr. 1 HUÜ entgegen.

[15]Zwar dürfen die Behörden und Gerichte des Vollstreckungsstaats nach Art. 12 HUÜ die zu vollstreckende Entscheidung grundsätzlich nicht auf ihre Gesetzmäßigkeit nachprüfen. Die Anerkennung oder Vollstreckung der Entscheidung darf jedoch versagt werden, wenn einer der in Art. 5 HUÜ genannten und besonders gravierenden Verfahrensverstöße vorliegt.

[16]a) Allerdings führt eine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs nicht stets zu einem Verstoß gegen den deutschen ordre public im Sinne des Art. 5 Nr. 1 HUÜ.

[17]aa) Wie im Rahmen des früheren EuGVÜ (vgl. insoweit Senatsbeschl. vom 21.3. 1990 – XII ZB 71/89, FamRZ 1990, 868, 869 (IPRspr. 1990 Nr. 207)) und der EuGVO ist der Grundsatz des rechtlichen Gehörs auch im Rahmen der Vollstreckbarkeit nach dem HUÜ insoweit gewährleistet, als das verfahrenseinleitende Schriftstück ordnungsgemäß und so rechtzeitig zugestellt worden sein muss, dass der Beklagte sich hinreichend verteidigen konnte. Dem Beklagten muss ausreichend Zeit bleiben, um seine Verteidigung vorzubereiten oder die zur Vermeidung einer Versäumnisentscheidung erforderlichen Schritte einzuleiten (vgl. EuGHE 1981, 1573, 1608 f.).

[18]Darüber hinaus greift der Vorbehalt des ordre public in Art. 5 Nr. 1 HUÜ aber nur in Ausnahmefällen ein. Die Vollstreckbarerklärung kann insbesondere nicht schon deshalb versagt werden, weil die ausländische Entscheidung in einem Verfahren erlassen worden ist, das von zwingenden Vorschriften des deutschen Prozessrechts abweicht. Ein Versagungsgrund ist vielmehr nur dann gegeben, wenn das Urteil des ausländischen Gerichts aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das von den Grundsätzen des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße abweicht, dass es nicht als in einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann (EuGH, Urt. vom 11.5.2000 – C-38/98, juris; Senatsbeschl. vom 21.3.1990 aaO 869 Tz. 12).

[19]Der Schutz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG) erstreckt sich also nicht auf eine bestimmte verfahrensrechtliche Ausgestaltung. Bei der Anwendung jener Verfahrensbestimmung zur Konkretisierung des gemäß Art. 5 Nr. 1 HUÜ maßgeblichen verfahrensrechtlichen ordre public ist vielmehr auf die Grundsätze abzustellen, die Art. 103 I GG schützen will. Dies ist einmal das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, das grundsätzlich verbietet, eine Entscheidung zu treffen, bevor der Betroffene Gelegenheit zur Äußerung hatte. Ferner verlangt das Gebot der Achtung der Menschenwürde, dass ein Beteiligter in der Lage sein muss, auf den Verfahrensablauf aktiv Einfluss zu nehmen (BVerfGE 63, 332, 337 und BGHZ 118, 312, 321 (IPRspr. 1992 Nr. 218b) jeweils m.w.N.; Rauscher-Leible, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Bd. 1 Art. 34 Brüssel I-VO Rz. 13 ff.; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 7. Aufl., Art. 34 EuGVO Rz. 13 ff.).

[20]Darüber hinaus hat in erster Linie jede Partei selbst nach besten Kräften für ihre eigene ordnungsgemäße Vertretung in einem ihr bekannten Gerichtsverfahren zu sorgen (BGHZ 141, 286, 297 f.) (IPRspr. 1999 Nr. 160). Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 I GG gilt also nicht unabhängig von der Verfahrensart und nicht ohne Einschränkung in jedem Fall. Vielmehr tritt der Grundsatz, dass rechtliches Gehör vor der Entscheidung zu gewähren sei, zurück, wenn sich aus dem Zweck und der Besonderheit einzelner Verfahren zwingend Beschränkungen ergeben, wie z.B. bei der Zwangsvollstreckung in Forderungen (§ 834 ZPO), im Arrestverfahren (§ 921 ZPO) oder bei Erlass eines Haftbefehls (§ 114a StPO). Ferner kann auch nach deutschem Prozessrecht eine Partei durch eigenes schuldhaftes Verhalten den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verlieren, etwa nach §§ 296, 530 f. ZPO, wenn sie Angriffs- oder Verteidigungsmittel später als möglich vorbringt. Ihr Vorbringen kann dann unter bestimmten Voraussetzungen zurückgewiesen werden. Art. 103 I GG ist ferner nicht verletzt, wenn der Beteiligte gemäß § 177 GVG wegen eines die Ordnung störenden Verhaltens aus dem Sitzungszimmer entfernt werden musste und deshalb kein rechtliches Gehör mehr finden konnte; er hat dann die an sich gegebene Gelegenheit zur Äußerung durch sein eigenes Verhalten verloren (BGHZ 48, 327, 332) (IPRspr. 1966–1967 Nr. 251). Entsprechend sehen auch das HUÜ und die EuGVO nach dem zu ihrer Ausführung erlassenen § 6 AVAG in erster Instanz des Vollstreckbarkeitsverfahrens keine vorherige Anhörung des Schuldners vor. Dieser kann Einwände erst mit seinem Rechtsmittel vorbringen.

[21]bb) Hinzu kommt, dass der Ablauf des ausländischen Verfahrens im Rahmen des – hier relevanten – ordre public nur unter Berücksichtigung des Systems und der Struktur des ausländischen Verfahrensrechts gemessen werden kann. Dies ist insbesondere dann unabweisbar, wenn das beiderseitige Verfahrensrecht so grundverschieden ist wie die Regelungen der ZPO und des australischen Verfahrensrechts. Entscheidend ist deshalb noch nicht, dass dem deutschen Verfahrensrecht die Vorstellung völlig fremd ist, der Richter könne einen Beteiligten wegen Ungehorsams gegen eine in der Sache ergangene gerichtliche Anordnung von der weiteren Teilnahme am Verfahren ausschließen. Ein verbindlicher Maßstab dafür, ob der ausländische Richter im Sinne des deutschen ordre public das Recht eines Beteiligten auf rechtliches Gehör verletzt hat, lässt sich bei grundverschiedenem Verfahrensrecht nicht in der Weise gewinnen, dass verglichen wird, wie das deutsche und wie das ausländische Verfahrensrecht den Grundsatz des rechtlichen Gehörs im Einzelnen ausgeprägt haben. Vielmehr kommt es darauf an, ob die Art und Weise, wie der ausländische Richter im Einzelfall verfahren ist, den Prinzipien zuwider läuft, auf denen Art. 103 I GG beruht (BGHZ 48 aaO 332 f.).

[22]Das insoweit auch geschützte Gebot der Achtung der Menschenwürde ist allerdings verletzt, wenn einem Verfahrensbeteiligten nicht die Rolle eines Verfahrenssubjekts eingeräumt wird, das aktiv die Gestaltung des Verfahrens beeinflussen kann, sondern nur die Rolle eines – passiven – Verfahrensobjekts, mit dem im gerichtlichen Verfahren etwas geschieht (BGHZ 118 aaO; 48 aaO 333).

[23]cc) Der EuGH hat im Rahmen seiner Zuständigkeit für die Auslegung des EuGVÜ und der EuGVO entschieden, dass eine Versagung der Vollstreckbarkeit unter Anwendung der Ordre-public-Klausel nur dann in Betracht komme, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung der in einem anderen Vertragsstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats stünde. Es müsse sich bei diesem Verstoß um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats als wesentlich geltende Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln (EuGH, Urt. vom 2.4.2009 – C-394/07, juris).

[24]Auch Grundrechte, wie die Wahrung der Verteidigungsrechte, sind regelmäßig keine absoluten Rechte, sondern können Beschränkungen unterliegen. Solche Einschränkungen müssen dann aber tatsächlich Zielen des Allgemeininteresses entsprechen, die mit der in Rede stehenden Maßnahme verfolgt werden, und dürfen nicht im Hinblick auf den verfolgten Zweck eine offensichtliche und unverhältnismäßige Beeinträchtigung der auf diese Weise gewährleisteten Rechte darstellen. Sanktionen gegen Verfahrensbeteiligte, die im Rahmen eines Zivilprozesses ein hinhaltendes Verhalten einnehmen, welches im Ergebnis auf eine Justizverweigerung hinausliefe, dürfen also nicht offensichtlich außer Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehen, das darin besteht, einen wirksamen Verfahrensablauf im Hinblick auf eine ordnungsgemäße Rechtspflege zu gewährleisten. Bei der hier verhängten Sanktion, nämlich dem Ausschluss des AGg. von jeder weiteren Teilhabe am Verfahren, handelt es sich um die denkbar schwerste Einschränkung der Verteidigungsrechte. Eine solche Beschränkung kann deswegen nur dann nicht als offensichtliche und unverhältnismäßige Beeinträchtigung dieser Rechte angesehen werden, wenn sie sehr hohen Anforderungen genügt (vgl. EuGH, Urt. vom 2.4.2009 aaO Tz. 29 ff.).

[25]Das bedeutet, dass vorliegend alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden müssen, einschließlich des Zustandekommens der Anordnung, die Vollmachten zugunsten des Antragstellervertreters zu unterzeichnen, der Gründe der Verweigerung durch den AGg. und der Voraussetzungen des Ausschlusses wegen Ungebühr vor Gericht. Dabei ist es auch Sache des im Vollstreckbarerklärungsverfahren angerufenen Gerichts zu ermitteln, ob und inwieweit der Schuldner die Möglichkeit hatte, vor Erlass der nicht befolgten gerichtlichen Verfügung angehört zu werden und dagegen – mit dem Ziel einer Änderung oder Rücknahme – einen Rechtsbehelf einzulegen. Weiter ist zu prüfen, ob die vom Schuldner vorgetragenen Gründe, insbesondere seine Bedenken gegen eine Vollmacht zur generellen Verwendung gegenüber nicht bezeichneten Auskunftspflichtigen, sein Ansehen beschädigen und damit auch sein Persönlichkeitsrecht verletzen können (EuGH, 2.4.2009 aaO Tz. 40 ff.).

[26]Schließlich ist auch zu prüfen, ob der Schuldner über eine Verfahrensgarantie verfügte, die ihm eine wirksame Möglichkeit zur Anfechtung der erlassenen Maßnahme gewährleistete. Weil eine Nachprüfung der zu vollstreckenden Entscheidung nach Art. 12 HUÜ allerdings ausgeschlossen ist, müssen sich die Ermittlungen auf die Prüfung beschränken, welche Rechtsbehelfe dem Schuldner zur Verfügung standen und ob er in deren Rahmen über die Möglichkeit verfügte, unter Wahrung des kontradiktorischen Verfahrens und vollständiger Ausübung seiner Verteidigungsrechte seine Anhörung zu erreichen. Nur im Rahmen einer Abwägung dieser Umstände kann entschieden werden, ob die von Art. 103 I GG geschützten Grundwerte verletzt sind (EuGH, 2.4.2009 aaO Tz. 45 ff.).

[27]b) Auf dieser rechtlichen Grundlage ist vorliegend von einem so gravierenden Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG) auszugehen, dass eine Vollstreckung der Anordnung gegen den deutschen ordre public verstoßen würde (Art. 5 Nr. 1 HUÜ). Der Entscheidung ist deswegen die Vollstreckbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu versagen.

[28]aa) Zwar ist zunächst zu berücksichtigen, dass nach dem vom deutschen Zivilprozess völlig abweichenden australischen Verfahrensrecht ein Ausschluss wegen Ungebühr vor dem Gericht (contempt of court) möglich ist. Entsprechend hat auch der australische Oberste Gerichtshof entschieden, dass der Ausschluss einer Prozesspartei möglich ist, wenn diese einer vorherigen gerichtlichen Anordnung zur Vorbereitung der endgültigen Entscheidung nicht nachkommt (Family Court of Australia [2000] – FLC 93-047 [Tate v. Tate]). Nach australischem Prozessrecht war der Ausschluss des AGg. durch den Court of Petty Sessions vom 14.6.2004 also rechtmäßig. Der AGg. hatte sich unstreitig geweigert, der Auflage des Gerichts zur Unterzeichnung der vorgelegten Vollmachten nachzukommen.

[29]Auch nach deutschem Recht ist die Ermittlung des unterhaltsrelevanten Einkommens zur Bemessung des Anspruchs auf nachehelichen Unterhalt geboten. Um einen effektiven Rechtsschutz sicherzustellen, sieht auch das deutsche Recht neben den materiellen Auskunftsansprüchen (§§ 1361 IV 4, 1580 i.V.m. § 1605 BGB) in § 643 ZPO einen prozessrechtlichen Auskunftsanspruch vor, der es dem Gericht ermöglicht, unmittelbare Auskünfte bei Arbeitgebern, Sozialleistungsträgern, Versicherungsunternehmen und sonstigen Personen oder Stellen mit Versorgungsleistungen einzuholen. Auch wenn diese Entscheidung als vorbereitende Verfügung nicht gesondert anfechtbar ist, steht der betroffenen Prozesspartei doch im Vorfeld der Entscheidung ein verfassungsrechtlich geschützter Anspruch auf rechtliches Gehör zu. Die Prozesspartei ist auch nicht in ihrem Vortrag beschnitten, wenn sie das Gericht von der Notwendigkeit einer Abänderung der bereits getroffenen Entscheidung überzeugen will.

[30]Im Gegensatz dazu hat das australische Gericht mit dem Ausschluss des AGg. aber die denkbar schwerste Entscheidung getroffen, um die notwendigen Auskünfte über die Vermögenssituation des AGg. zu erzwingen. Es könnte schon zweifelhaft sein, ob diese Maßnahme dem stets zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsprinzip entspricht. Denn mit dem zu vollstreckenden Beschluss vom 29.6.2004 hatte das Gericht das Recht zur Unterzeichnung der Vollmachten für die Ermittlung der Vermögensverhältnisse des AGg. zugleich auf den amtierenden Leiter der Personenstandsbehörde oder einen Standesbeamten beim Familiengericht von Westaustralien übertragen. Diese Übertragung der Verfügungsbefugnis auf eine andere Person mag einen ebenso starken Eingriff beinhalten, wie der Ausschluss des AGg. aus dem weiteren Verfahren. Jedenfalls mit der Übertragung der Verfügungsbefugnis bestand aber keine Notwendigkeit mehr, den AGg. persönlich zur Unterzeichnung der entsprechenden Vollmachten zu zwingen. Sein Ausschluss aus dem weiteren Verfahren hätte deswegen zugleich wieder aufgehoben werden müssen, um seinen Anspruch auf rechtliches Gehör zu wahren.

[31]Soweit die ASt. sich darauf stützt, der AGg. sei im Verfahren vor dem australischen Familiengericht anwaltlich vertreten gewesen, steht dies einer Verletzung der Grundsätze des rechtlichen Gehörs nicht entgegen. Denn auch die Prozessbevollmächtigte des AGg. durfte für ihn weder Anträge stellen noch irgendwelchen Sachvortrag halten. Auch ihre Anwesenheit beschränkte sich auf die Rolle einer passiven Prozessbeobachterin.

[32]bb) Hinzu kommt, dass das australische Gericht sogar die Beschwerde des AGg. gegen seinen Ausschluss aus dem Verfahren mit Beschluss vom 9.8.2004 zurückgewiesen hat. Dies ist mit den Grundwerten, die Art. 103 I GG schützen will, nicht mehr vereinbar. Durch dieses Verfahren ist dem AGg. die aktive Rolle eines Verfahrenssubjekts genommen worden, um ihn fortan als – passives – Verfahrensobjekt zu behandeln. Das wird besonders durch die Begründung deutlich, die im Rahmen der Verhandlung am 9.8.2004 zur Vorbereitung der Beschwerdeentscheidung vom gleichen Tag gegeben wurde. Danach ist die Beschwerde gegen den Ausschluss aus dem Verfahren zurückgewiesen worden, weil der AGg. vom Verfahren ausgeschlossen sei und deswegen keine Anträge stellen und folglich auch kein Rechtsmittel gegen den Ausschluss einlegen könne. Ein solches Verfahren ist auf der Grundlage der verfassungsrechtlich geschützten Grundwerte nicht hinzunehmen. Denn im Streit über die Rechtmäßigkeit eines Ausschlusses aus dem Verfahren muss die Prozesspartei als beteiligt fingiert werden, um ihre Verfahrensrechte nicht in unzulässiger Weise zu beschränken (vgl. BGHZ 24, 91, 94; BGHZ 132, 353, 355; BGH, Beschl. vom 27.9.2007 – VII ZB 23/07, NJW 2008, 527 Tz. 13 und Senatsbeschl. vom 10.10.2007 – XII ZB 26/05, NJW 2008, 528 Tz. 9 m.w.N.).

[33]Soweit die ASt. die Möglichkeit des AGg. aufzeigt, den Ausschluss aus dem Verfahren durch Erfüllung der gerichtlichen Auflage rückgängig zu machen, läuft dies nicht auf eine Prüfung der Rechtmäßigkeit des Ausschlusses, sondern auf einen Zwang zur Unterzeichnung der vorgelegten Vollmachtsurkunden hinaus. Eine solche Forderung wäre aber nicht mehr verhältnismäßig, nachdem bereits andere Personen zur Unterschrift für den AGg. bevollmächtigt waren. Der Zweck, zur Vorbereitung der familiengerichtlichen Entscheidung eine Feststellung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des AGg. zu ermitteln, verlangte somit keinen weiteren Ausschluss des AGg. mehr.

[34]cc) Der Ausschluss des AGg. aus dem Verfahren durch Beschluss vom 14.6.2004 war für den Inhalt der zu vollstreckenden Entscheidung auch nicht unerheblich. Zum einen hätte er trotz vorheriger Beteiligung bis zum Erlass der Entscheidung weiter vortragen können. Andererseits hätte er auch im weiteren Verlauf des Verfahrens gegen diese Entscheidung vorgehen und die Konkretisierung des Pauschalbetrags als Ehegattenunterhalt sowie den Inhalt des endgültigen Urteils vom 22.12. 2005 zu seinen Gunsten beeinflussen können. Dass ihm diese Möglichkeit durch den Ausschluss aus dem Verfahren genommen wurde, obwohl das Ziel der Klärung seiner Einkommensverhältnisse schon auf andere Weise erreicht werden konnte, hält den Grundsätzen des verfassungsrechtlich garantierten Schutzes auf rechtliches Gehör nicht stand (vgl. insoweit auch EuGH, 2.4.2009 aaO).

[35]c) Auf Anfrage haben der VIII. Zivilsenat und der IX. Zivilsenat des BGH erklärt, dass ihre Rechtsprechung (BGHZ 48 aaO; 118 aaO; 141 aaO) der Entscheidung des Senats nicht entgegensteht.

Fundstellen

LS und Gründe

BGHZ, 182, 204
FamRZ, 2009, 2069, mit Anm. Gottwald
Europ. Leg. Forum, 2010, II-126
FuR, 2010, 103
JR, 2010, 432, mit Anm. Rauscher
MDR, 2010, 29
NJW, 2010, 153

nur Leitsatz

FF, 2010, 86

Permalink

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