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Verfahrensgang

OLG Karlsruhe, Urt. vom 12.06.2008 – 19 U 5/08, IPRspr 2008-19

Rechtsgebiete

Vertragliche Schuldverhältnisse → Allgemeines Vertragsrecht

Leitsatz

Stellt der Unternehmer einen wesentlichen Teil des Fertigungsmaterials für das zu liefernde Produkt selbst, handelt es sich grundsätzlich in Anlehnung an Art. 3 I CISG um einen Kaufvertrag nach Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO.

Erfüllungsort im Sinne von Art. 5 Nr. 1 lit. b Spiegelstrich 2 EuGVO ist in erster Linie der Ort, an dem die Ware tatsächlich geliefert wurde, wenn sich aus dem Vertrag nichts anderes ergibt.

Rechtsnormen

CISG Art. 3
EUGVVO 44/2001 Art. 5; EUGVVO 44/2001 Art. 23

Sachverhalt

Die Parteien streiten um die internationale Zuständigkeit für Zahlungsansprüche aus der Herstellung und Lieferung technischer Geräte (Fernanzeigen).

Die Bekl. bestellte beim Kl. zwei Fernanzeigen, „welche am 18.4.2006 bei uns im Hause einlangen müssen“. In der Auftragsbestätigung des Kl. wurde Lieferung per DPD vermerkt. Die Fernanzeigen wurden beim Kl. in E. in Anlehnung an eine bereits zuvor erfolgte Bestellung gefertigt und am 20.4.2006 durch den Kl. in L./Österreich am Sitz der Bekl. angeliefert, wo sie rügelos abgenommen wurden. Zwei im Nachhinein bestellte Schriftzüge für die Fernanzeigen wurden der Bekl. mit dem Transportunternehmen DPD übersandt und am Sitz der Bekl. ausgehändigt.

Das LG hat seine internationale Zuständigkeit bejaht und der Zahlungsklage, der unstreitige Zahlungsansprüche zugrunde liegen, stattgegeben.

Hiergegen wendet sich die Bekl. mit ihrer Berufung.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die zulässige Berufung ist begründet.

[2]1. Die Rüge der nicht ordnungsgemäßen Besetzung des Gerichts greift allerdings nicht.

[3]Der erkennende Senat ist nach dem Geschäftsverteilungsplan des OLG Karlsruhe für das Jahr 2008 aufgrund Zuweisung nach der Turnusregelung zur Entscheidung in dieser Sache zuständig.

[4]2. Auf die Berufung der Bekl. ist die Klage als unzulässig abzuweisen, denn das LG Freiburg ist für die vorliegende Streitigkeit nicht zuständig. Für den Rechtsstreit, der in den sachlichen Anwendungsbereich der EuGVO fällt, ergibt sich weder aufgrund einer wirksamen Gerichtsstandsvereinbarung noch aus Art. 5 Nr. 1 EuGVO eine Zuständigkeit deutscher Gerichte.

[5]a. Eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art. 23 I EuGVO liegt nicht vor.

[6]Eine Willenseinigung, die Voraussetzung sowohl für Art. 23 I 3 Nr. 1 lit. a EuGVO als auch für Art. 23 I 3 Nr. 1 lit. b EuGVO ist, steht, wie das LG zutreffend ausgeführt hat, nicht fest. Denn die Bekl. hat ausweislich der auf dem Bestellschein vom 23.3.2006 ganz unten enthaltenen leserlichen Angaben unter Bezugnahme auf den Gerichtsstand in M./Österreich bestellt, während der Kl. die Bestellung unter Hinweis auf seine Lieferungs- und Zahlungsbedingungen angenommen hat, die als Gerichtsstand den Sitz des Lieferers in Deutschland vorsehen. Durch die bloße stillschweigende Hinnahme der Auftragsbestätigung seitens der Bekl. konnte der Kl. nicht auf ein Einverständnis der Bekl. mit seinen Liefer- und Zahlungsbedingungen schließen. Auf etwaige frühere Gepflogenheiten zwischen den Parteien kommt es mithin nicht an.

[7]b. Eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich entgegen der Auffassung des LG nicht aus Art. 5 Nr. 1 lit. b Spiegelstrich 2 EuGVO. Der streitgegenständliche Vertrag ist als Kaufvertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 lit. b Spiegelstrich 1 EuGVO und nicht als Dienstleistungsvertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 lit. b Spiegelstrich 2 EuGVO zu qualifizieren.

[8]Sowohl der Begriff ‚Verkauf beweglicher Sachen’ als auch der Begriff der Erbringung von ‚Dienstleistungen’ gemäß Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO sind prozessrechtlich autonom, d.h. anhand der Zielsetzung und der Systematik der EuGVO zu ermitteln (OLG Köln, OLGR 2005, 380 (IPRspr 2005-102); OLG Hamm, OLG Report 2006, 327 (IPRspr 2005-127); Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Art. 5 Rz. 38). Beide Begriffe sind weit auszulegen (Geimer-Schütze-Auer, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen [Erg.-Lfg. 28], Bd. 1 B Vor I 10b Art. 5 Rz. 52, 56).

[9]Kaufverträge sind Austauschverträge, bei denen der Verkäufer zur Lieferung und Übereignung der Sache, der Käufer zur Zahlung des vereinbarten Preises und zur Abnahme der Sache verpflichtet ist. Zu Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO gehören sämtliche Kaufverträge über bewegliche Sachen und ihre Unterformen, in der Regel auch die mit einer Dienstleistung verbundenen Kaufverträge, so insbesondere Werklieferungsverträge. Nur ausnahmsweise, wenn der Dienstleistungsanteil gegenüber dem Kaufvertragsanteil überwiegt, dem Vertrag sein wesentliches Gepräge gibt und daher als vertragscharakteristische Leistung anzusehen ist, sind Werklieferungsverträge wie Dienstleistungsverträge zu behandeln (OLG Köln OLGR 2005, 380; Kropholler aaO Rz. 8; Rauscher-Leible, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 5 Rz. 50). Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass zur Auslegung des Begriffs ‚Verkauf beweglicher Sachen’ auch auf das CISG zurückgegriffen werden kann, das in Art. 3 die Werklieferungsverträge den Kaufverträgen gleichstellt, soweit nicht der Besteller einen wesentlichen Teil des für die Herstellung erforderlichen Materials stellt (Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 5 Rz. 10a, 10b; Rauscher-Leible aaO Rz. 46; Geimer-Schütze-Auer aaO Rz. 52).

[10]Vorliegend handelt es sich um einen typischen Werklieferungsvertrag, bei dem der Verkäufer die Ware herzustellen und anschließend zu liefern und zu übereignen hat. Da der Kl. das Produkt aus von ihm selbst zu stellenden Stoffen herzustellen hatte, handelt es sich in Anlehnung an die Regelung in Art. 3 I CISG um einen Kaufvertrag nach Art. 5 Nr. 1 lit. b Spiegelstrich 1 EuGVO. Auch bei wertender Betrachtung überwiegt hier die kaufvertragliche Komponente, nämlich die vereinbarte Lieferung und Übereignung der fertigen Sache gegen Zahlung des vereinbarten Kaufpreises. Die tätigkeitsbezogene Dienstleistung, nämlich die Herstellung des Produkts, mag sie für den Kl. auch zeit- und kostenintensiv sein, tritt dahinter – anders als bei den typischen Dienstleistungsverträgen wie Geschäftsbesorgungs-, Beratungs- und Werkverträgen – zurück. Der Fall des OLG Köln (aaO) lag insoweit anders, als dort Vertragsgegenstand nur die Lieferung von Probemodellen war, sodass dort die Entwicklung und Herstellung der Probemodelle gegenüber der Lieferung und Eigentumsverschaffung daran überwog. Vorliegend ist das Interesse des Kunden in erster Linie auf Lieferung und Übereignung des fertigen Produkts gerichtet, zumal es zuvor bereits eine Vielzahl von Bestellungen gegeben hatte, denen die Fertigung gleichartiger, durch Zusammenbau unterschiedlicher Komponenten hergestellter Fernanzeigen zugrunde lag. Die Tatsache, dass es sich jeweils um Einzelanfertigungen unter Berücksichtigung der Kundenwünsche handelt, ändert nichts an dem kaufvertraglichen Schwerpunkt der geschuldeten Leistung. Dies führt nicht dazu, die Lieferung und Übereignung als bloße Annexpflicht einzustufen. Vielmehr gibt erst diese Lieferungs- und Übereignungspflicht dem Vertrag sein typisches Gepräge.

[11]c. Erfüllungsort für den vorliegenden Kaufvertrag gemäß Art. 5 Nr. 1 lit. b Spiegelstrich 1 EuGVO ist L./Österreich.

[12]Nach der Regelung in Art. 5 Nr. 1 lit. b Spiegelstrich 1 EuGVO ist Erfüllungsort der Verpflichtung – sofern nichts anderes vereinbart ist – der Ort, an dem die beweglichen Sachen nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen.

[13]Eine Erfüllungsortvereinbarung kann vorliegend genauso wenig festgestellt werden wie eine Gerichtsstandsvereinbarung. Die Parteien haben einen konkreten, von der maßgeblichen Gesetzeslage abweichenden Erfüllungsort weder ausdrücklich noch stillschweigend vereinbart.

[14]Erfüllungsort ist deshalb der Ort, an dem die Ware nach dem Vertrag geliefert wurde. Auch insofern kommt es auf eine autonome Auslegung von Art. 5 Nr. 1 lit. b Spiegelstrich 1 EuGVO an, und zwar im Licht der Entstehungsgeschichte, der Ziele und der Systematik der Verordnung (EuGH Urt. vom 3.5.2007, NJW 2007,1800). Durch den prozessrechtlich autonom zu bestimmenden Erfüllungsort in Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO sollte ein einheitlicher Gerichtsstand für sämtliche Klagen aus dem Kauf- bzw. Dienstleistungsvertrag begründet werden. Die mit der bisherigen Rechtsprechung des EuGH verbundenen Nachteile durch den Rückgriff auf Regeln des IPR des angerufenen Gerichts sollten dadurch vermieden und die Vereinheitlichung der Gerichtsstandsregeln im Bestreben um ein möglichst hohes Maß an Vorhersehbarkeit erreicht werden (Kropholler aaO Rz. 27).

[15]Vor dem Hintergrund dieses pragmatischen Erfüllungsbegriffs ist der Ort, an dem die Ware nach dem Vertrag geliefert wurde, vorliegend L./Österreich. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Ware tatsächlich in L. angeliefert wurde und erst hier in den Machtbereich der Bekl. gelangt ist. Die beiden Fernanzeigen sind vom Kl., wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt wurde, selbst per Zufuhr bis zum Sitz der Bekl. angeliefert worden. Eine Versendung mit DPD, wie in der Auftragsbestätigung vorgesehen, ist nicht erfolgt. Die tatsächliche Anlieferung in Österreich, ohne dass dabei bezüglich des Lieferorts eine neue Vereinbarung getroffen wurde, belegt in Zusammenhang mit der Vorgabe, wann die Ware im Hause der Bekl. eingehen sollte, dass die Parteien sich einig waren, dass der Kl. seine vertragliche Verpflichtung mit Anlieferung am Sitz der Bekl. erfüllt. Ob die Anlieferung durch den Kl. selbst oder durch ein Drittunternehmen erfolgt, war offensichtlich in das Belieben des Kl. gestellt. Dies gilt sowohl für die Fernanzeigen als auch für die dazugehörigen Schriftzüge, die dann später per DPD übersandt wurden.

[16]Da der Lieferort hier im Einzelfall auf der Grundlage der konkreten Vertragsabsprachen und der tatsächlichen Auslieferung bestimmbar ist, kommt es auf die Streitfrage, wo bei einem Versendungskauf der Lieferort im Sinne des Art. 5 Nr. 1 lit. b Spiegelstrich 1 EuGVO liegt, wenn der Vertrag hierzu keinerlei Anhaltspunkte liefert, nicht an (dazu Kropholler aaO Rz. 49 m.w.N.).

Fundstellen

LS und Gründe

IHR, 2008, 194

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2008-19

Lizenz

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