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Verfahrensgang

OLG Düsseldorf, Urt. vom 12.09.2024 – 6 W 1/24 (Kart), IPRspr 2024-134

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Besonderer Deliktsgerichtsstand
Unlauterer Wettbewerb und Kartellrecht (ab 2020) → Kartellrecht
Zuständigkeit → Gerichtsstandsvereinbarung, rügelose Einlassung
Zuständigkeit → Sonstige besondere Gerichtsstände

Leitsatz

Zur Begründung der internationalen Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen gemäß Art. 35 EuGVVO ist es erforderlich, dass zwischen dem Gegenstand der beantragten Maßnahme und der gebietsbezogenen Zuständigkeit des Vertragsstaats des angerufenen Gerichts eine "reale Verknüpfung" besteht.

Macht der Kläger einen Anspruch wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch das beklagte Unternehmen geltend, ist der unionsrechtliche Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO eröffnet, wenn die Rechtswidrigkeit der beanstandeten Handlung nicht vom Inhalt der beiderseitigen vertraglichen Rechte und Pflichten abhängt, sondern hiervon unabhängig nach Deliktsrecht zu beurteilen ist.

Eine in den Allgemeinen Nutzungsbedingungen eines Online-​Shops enthaltene Gerichtsstandsklausel, nach der "für alle Ansprüche und allfällige Streitigkeiten aus und auf Grund dieses Rechtsverhältnisses und im Zusammenhang mit seiner Abwicklung" ein dort benanntes, in einem EU-​Mitgliedstaat ansässiges Gericht ausschließlich zuständig ist, erfasst Ansprüche wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nur dann, wenn deutliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich der Vertragspartner dem Vertragsgerichtsstand auch für die Geltendmachung von Ansprüche wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung unterwerfen wollte.

Rechtsnormen

ABGB (Österr.) § 914; ABGB (Österr.) §§ 914 f.
AEUV Art. 102
BGB § 305
EuGVVO 1215/2012 Art. 1; EuGVVO 1215/2012 Art. 7; EuGVVO 1215/2012 Art. 25; EuGVVO 1215/2012 Art. 26; EuGVVO 1215/2012 Art. 35; EuGVVO 1215/2012 Art. 63
EuGVÜ Art. 24
GWB § 19; GWB § 33
UWG § 14
ZPO § 32; ZPO § 513; ZPO § 571; ZPO § 937

Sachverhalt

Die Verfügungsklägerin ist eine nach § 1 ASFINAG-​Gesetz errichtete Aktiengesellschaft nach österreichischem Recht, deren Aktien zu 100% von der Republik Österreich gehalten werden. Sie nimmt nach der Sperrung mehrerer ihrer Kundenkonten durch die Verfügungsbeklagte, die in Köln ansässig ist, diese wegen unbilliger Behinderung - hilfsweise wegen gezielter Behinderung als Wettbewerberin und äußerst hilfsweise wegen Vertragsverletzung aufgrund angeblich unberechtigter Kündigung - auf Unterlassung in Anspruch. Am 15. März 2024 reichte die Verfügungsklägerin beim Landgericht Düsseldorf einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ein. Nach Verweisung an das Landgericht Köln hat die dortige Kartellkammer mit Beschluss vom 15. April 2024 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als unzulässig zurückgewiesen. Gegen den Beschluss wendet sich die Verfügungsklägerin mit ihrer am 26. April 2024 eingelegten sofortigen Beschwerde, der das Landgericht mit Beschluss vom 29. April 2024 nicht abgeholfen hat.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]Die zulässige sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

[3]1. ... 2.

[4]Die sofortige Beschwerde der Verfügungsklägerin ist lediglich insoweit begründet, als das Landgericht zu Unrecht seine internationale Zuständigkeit verneint hat.

[5]a. Der Prüfung der internationalen Zuständigkeit im Beschwerdeverfahren steht § 571 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht entgegen. Danach kann die Beschwerde zwar nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Diese Regelung gilt indes nicht für die internationale Zuständigkeit (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 7. Februar 2008, I-​20 W 152/07 (IPRspr 2008-197), Rn. 17, zitiert nach juris; Cepl, in: Cepl/Voß, a.a.O., § 571 ZPO, Rn. 9). Inhaltlich stimmt die Regelung mit derjenigen für das Berufungsverfahren in § 513 Abs. 2 ZPO überein. Insoweit ist anerkannt, dass die internationale Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist (BGH, NJW 2019, 2780, Rn. 14 (IPRspr 2019-267)).

[6]b. Das Landgericht Köln ist gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO international und örtlich für die Entscheidung über den geltend gemachten kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch zuständig. Der räumliche, sachliche und zeitliche Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (auch als Brüssel Ia-​Verordnung bezeichnet, im Folgenden: EuGVVO) ist eröffnet. Es liegt eine Zivil- und Handelssache im Sinne von Art. 1 Abs. 1 EuGVVO vor. Ein hinreichender Auslandsbezug ist mit dem Sitz der Verfügungsbeklagte in Österreich gegeben; es liegt kein reiner Inlandsfall vor.

[7]aa. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgt entgegen der Ansicht der Verfügungsklägerin nicht bereits aus Art. 35 EuGVVO i.V.m. dem nationalen Verfahrensrecht (§ 937 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 14 Abs. 2 S. 2 UWG und/oder § 32 ZPO). Danach können die im Recht eines Mitgliedsstaates vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen bei den Gerichten dieses Mitgliedsstaates auch dann beantragt werden, wenn für die Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedsstaates zuständig ist. Folglich kann die internationale Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen - wie hier den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung - auch "nur" auf das nationale Zuständigkeitsrecht gestützt werden (vgl. Geimer in: Zöller, ZPO, 35. Auflage 2024, Art. 35 EuGVVO, Rn. 6). Zur Begründung der internationalen Zuständigkeit ist es nach der Rechtsprechung des EuGH zur Vorgängernorm im Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (Art. 24 EuGVÜ) über den Wortlaut der Vorschrift hinaus erforderlich, dass zwischen dem Gegenstand der beantragten Maßnahme und der gebietsbezogenen Zuständigkeit des Vertragsstaats des angerufenen Gerichts eine "reale Verknüpfung" besteht (EuGH, Urt. v. 17. November 1998, Rs. C-​391/95, Rn. 40 - Van Uden Maritime BV./.Deco-​Line, zitiert nach juris). Dadurch soll verhindert werden, dass die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in der Hauptsache durch den einstweiligen Rechtsschutz nach nationalem Recht umgangen und vollendete Tatsachen geschaffen werden (vgl. EuGH, Urt. v. 17. November 1998, a.a.O., Rn. 46; EuGH, Urt. v. 27. April 1999, Rs. C-​99/96, Rn. 47 - Hans Hermann Mietz/Intership Yachting Sneek BV, jeweils zitiert nach juris). Was unter einer realen Verknüpfung zwischen dem Gegenstand der beantragten einstweiligen Maßnahme und der gebietsbezogenen gerichtlichen Zuständigkeit zu verstehen ist, ist bislang noch nicht scharf eingegrenzt (vgl. Geimer, in: Zöller, a.a.O., Rn. 7 m.w.N.).

[8]Der Senat folgt insoweit der obergerichtlichen Rechtsprechung, wonach bloße Auswirkungen der einstweiligen Maßnahme im Staat des angerufenen Gerichts, hier eine mögliche Beeinträchtigung von Rechtsgütern der Verfügungsklägerin in Deutschland, für eine reale Verknüpfung nicht ausreichen (so OLG Düsseldorf, Urt. v. 11. März 2021, I-​20 U 269/20, n.v. zur Sperrung eines Amazon-​Verkäuferkontos; OLG Hamburg, Beschl. v. 4. April 2022, 15 W 18/22 (IPRspr 2022-216), Rn. 22 zur Sperrung eines Verlagskontos bei einem Online-​Verlag; Geimer a.a.O., Rn. 7; a.A. E. Peiffer/M. Peiffer in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Werkstand: 66. EL Januar 2023, Art. 35 EuGVVO, Rn. 17). Nach zutreffender Ansicht ist Art. 35 EuGVVO insoweit enger auszulegen als Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Da der EuGH in eigenständiger Terminologie eine "reale Verknüpfung" zu dem "Gegenstand der beantragten Maßnahmen" fordert, kommt es auf den Inhalt der begehrten Maßnahme an und nicht auf ihre Auswirkungen bzw. die Auswirkungen einer zuvor begangenen Zuwiderhandlung (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Hamburg, a.a.O., Rn. 22; Geimer a.a.O., Rn. 7). Richtet sich - wie hier - die begehrte einstweilige Maßnahme auf eine Unterlassung bzw. Aufhebung der Sperrung eines Online-​Nutzerkontos, besteht eine entsprechende reale Verknüpfung in erster Linie zu dem Land, in dem der Antragsgegner ansässig ist bzw. in dem das zu untersagende Verhalten gesetzt worden ist (OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Hamburg, a.a.O, Rn. 19; Geimer a.a.O., Rn. 7). Mangels abweichender Angaben ist davon auszugehen, dass die Sperrung der Kundenkonten durch die in Wien ansässige Verfügungsbeklagte vor Ort in Österreich vorgenommen worden ist, so dass ein etwaiges Gebot zur Unterlassung (als nichtvertretbare Handlung) auch dort zu erfüllen wäre.

[9]In Bezug auf die deutschen Gerichte bzw. Deutschland fehlt es hingegen an einer realen Verknüpfung. Denn auch nach der insofern weiten Auslegung, wonach eine reale Verknüpfung - unabhängig von einer tatsächlich bestehenden Möglichkeit zur Realexekution im Mitgliedsstaat des angerufenen Gerichts - bereits dann besteht, wenn in dem betreffenden Mitgliedstaat (Erlassstaat) eine reale Zugriffsmöglichkeit auf den betroffenen Vermögensgegenstand oder zumindest auf das Vermögen des Schuldners gegeben ist, bedürfte es zumindest eines gewissen Vermögens des Unterlassungsschuldners im Erlassstaat, weil Vollstreckungsmaßnahmen zur Durchsetzung des Unterlassungsgebots (in Deutschland die Verhängung von Ordnungsmitteln) ansonsten praktisch leerliefen und das Unterlassungsgebot nicht wirksam durchgesetzt werden könnte. Dass die Verfügungsbeklagte ein entsprechendes Vermögen in Deutschland hat, ist indes weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Hinzu kommt, dass die von der Verfügungsklägerin beantragte einstweilige Verfügung keine einstweilige Maßnahme im Sinne des Art. 35 EuGVVO darstellt, da ein zwischenzeitliches Freischalten der Kundenkonten und das Unterlassung weiterer Kontensperrungen bis zur Entscheidung in der Hauptsache anders als vom EuGH gefordert (vgl. EuGH, Urt. v. 17. November 1998, Rs. C-​391/95, Rn. 42 - Van Uden Maritime BV./.Deco-​Line und EuGH, Urt. v. 27. April 1999, Rs. C-​99/96, Rn. 42 - Hans Hermann Mietz/Intership Yachting Sneek BV) nicht wieder rückgängig gemacht werden könnten (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, a.a.O.).

[10]bb. Die Zuständigkeit des Landgerichts Köln ist auch nicht durch ein im Verhältnis zur Gerichtsstandsvereinbarung vorrangig zu berücksichtigendes rügeloses Einlassen gemäß Art. 26 Abs. 1 EuGVVO begründet worden, da die Verfügungsbeklagte sogleich in ihrer ersten Stellungnahme im Schriftsatz vom 21.03.2024 (Bl. 97 d.A.) und später erneut im Schriftsatz vom 10.04.2024 (Bl. 195 ff. d.A.) die Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit erhoben hat.

[11]c. Ziff. 16.2 ANB beinhaltet eine wirksame ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art. 25 EuGVVO (dazu unter aa.). Der von der Verfügungsklägerin geltend gemachten kartellrechtliche Unterlassungsanspruch wird von der getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung nicht erfasst (dazu unter bb.). Die Klausel schließt - anders als das Landgericht angenommen hat - nicht aus, dass das Landgericht Köln gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO international und örtlich zuständig ist (dazu unter cc.).

[12]aa. Die Gerichtsstandsklausel in Ziff. 16.2 ANB ist wirksam. Nach ihrem Wortlaut ist das für den ersten Bezirk in Wien (Österreich) sachlich zuständige Gericht "ausschließlicher Gerichtsstand für alle Ansprüche und allfällige Streitigkeiten aus und auf Grund dieses Rechtsverhältnisses und iZm seiner Abwicklung".

[13]Gemäß Art. 25 EuGVVO kann, sofern nach den übrigen Vorschriften der EuGVVO keine ausschließliche Zuständigkeit besteht, durch Gerichtsstandsvereinbarung die internationale Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats für eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit begründet werden. Hierbei handelt es sich - sofern die Parteien nichts anderes vereinbaren - um eine ausschließliche Zuständigkeit (Art. 25 Abs. 1 S. 2 EuGVO). Gerichtsstands-​vereinbarungen können dabei auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart werden.

[14]Sofern sich mindestens eine Partei auf eine Gerichtsstandsvereinbarung beruft, hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen, ob diese wirksam ist (Mankowski in: Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl. 2021, Artikel 25 EuGVVO, Rn. 7). Gerichtsstandsvereinbarungen müssen, damit sie wirksam sind, schriftlich (Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a EuGVO) oder in einer der Schriftform gleichgestellten Form geschlossen werden. Das Schriftformerfordernis soll gewährleisten, dass eine Einigung über den Gerichtsstand zwischen den Parteien tatsächlich feststeht. Dem Schriftformerfordernis genügt gemäß Art. 25 Abs. 2 EuGVVO auch, wenn die Willenseinigung im Wege elektronischer Übermittlungen zustande kommt, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarungen ermöglichen. Im elektronischen Geschäftsverkehr kann eine Gerichtsstandsvereinbarung auch über eine Internetseite mittels sog. click wrapping abgeschlossen werden. Bei diesem Verfahren erscheint vor Vertragsschluss eine sog. Check-​Box, bei der der Internetnutzer durch Anklicken zu bestätigen hat, dass er mit der Geltung der AGB des Verwenders einverstanden ist. Zudem muss der Nutzer beim click wrapping die Möglichkeit haben, die AGB über einen Link (in einem gesonderten Fenster) aufzurufen, um sie ggfs. speichern zu können (vgl. E. Peiffer/M. Peiffer in: Geimer/Schütze Int. Rechtsverkehr, 66. EL Januar 2023, Art. 25 EuGVVO, Rn. 232; EuGH, Urt. v. 21. Mai 2015, Rs. C-​322/14, El Majdoub./. CarsOnTheWeb.Deutschland GmbH, Rn. 23 ff.). Diese Voraussetzungen werden im Mautshop der Verfügungsbeklagten bei Abschluss einer Bestellung und der Registrierung eines Kundenkontos erfüllt.

[15]Da die Einbeziehung von AGB sich autonom nach den Formerfordernissen des Art. 25 EuGVVO beurteilt, ist ein Rückgriff auf einzelstaatliche Vorschriften (wie z.B. § 305 BGB) insoweit verwehrt. Auch eine AGB-​Inhaltskontrolle nach einzelrechtlichem Maßstab ist im Geltungsbereich von Art. 25 EuGVVO nicht statthaft (E. Peiffer/M. Peiffer in: Geimer/Schütze Int. Rechtsverkehr, Art. 25 EuGVVO, Rn. 103 f.; Schlosser, in: Schlosser/Hess, 5. Aufl. 2021, Brüssel Ia-​VO Art. 25 Rn. 7).

[16]Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist zwischen den Parteien angesichts der eindeutigen Formulierung ("ausschließlicher Gerichtsstand für...") ausdrücklich ein ausschließlicher Gerichtsstand wirksam vereinbart worden. Ziff. 16.2 ANB ist Ausdruck einer klar und deutlich vorliegenden Einigung der Parteien. Eine entsprechende Willenseinigung ist von den Parteien auch nicht in Zweifel gezogen worden. Anhaltspunkte dafür, dass die Gerichtsstandsvereinbarung nichtig ist (vgl. Art. 25 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 2 EuGVVO), sind weder ersichtlich noch vorgetragen.

[17]bb. Anders als das Landgericht angenommen hat, erfasst die Gerichtsstandsklausel in Ziff. 16.2 ANB den von der Verfügungsklägerin hier geltend gemachten kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung bzw. unbilliger Behinderung gemäß § 33 Abs. 1, Abs. 3 GWB i.V. m. Art. 102 AEUV und/oder § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB nicht.

[18]Die sachliche Reichweite einer Gerichtsstandsvereinbarung, insbesondere ob sie nur vertragliche oder auch konkurrierende nicht-​vertragliche, wie z.B. deliktische, Anspruchsgrundlagen erfassen soll, ist durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGH, Urt. v. 10. Februar 2021, KZR 66/17 (IPRspr 2021-332), Rn. 20 - Wikingerhof; BGH, Urt. v. 6. Dezember 2018, IX ZR 22/18 (IPRspr 2018-264), NJW 2019, 1300 Rn. 25; Mankowski, in: Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl. 2021, Art. 25 Brüssel Ia-​VO, Rn. 358). Die Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung ist - wie der EuGH wiederholt betont hat - Sache des nationalen Gerichts, vor dem sie geltend gemacht wird (vgl. EuGH, Urt. v. 21. Mai 2015, Rs. C-​352/13, Rn. 67 - CDC Hydrogen Peroxide; EuGH, Urt. v. 24. Oktober 2018, Rs. C-​595/17, Rn. 21 - Apple Sales International u. a./eBizcuss.com).

[19]Nicht abschließend geklärt ist, ob die Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung nach europäisch-​autonomen Maßstäben oder nach nationalem Recht, wie zum Beispiel nach der lex fori prorogati (hier österreichisches Recht), nach der lex fori derogati oder lex fori (hier jeweils deutsches Recht), zu bestimmen ist (vgl. zum Streitstand Mankowski a.a.O., Art. 25 EuGVVO, Rn. 118 und 359). Die Anwendung der lex fori prorogati hat insoweit den Vorteil, dass stets dieselben Auslegungsgrundsätze Anwendung fänden. Zudem kommt es bei der Anwendung der lex fori prorogati zu einem Gleichlauf mit der Regelung in Art. 25 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EuGVVO zur Nichtigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen. Soweit in diesem Zusammenhang angeführt wird, dass sich die Auslegung idealiter nach einheitlichen europäisch-​autonomen Maßstäben richten sollte (so Mankowski, in: Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, a.a.O., Art. 25 EuGVVO, Rn. 118 u. 358, ähnlich Wurmnest, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2021, Art. 6 Rom II-​VO, Rn. 358), steht dem entgegen, dass bislang keine allgemeinen Grundsätze zur Auslegung von Verträgen im europäischen Recht existieren. Bis dahin sind im Rahmen der Auslegung grundsätzlich alle vorgetragenen Aspekte zu berücksichtigen, u.a. auch die weiteren Regelungen im Hauptvertrag, in dem die Gerichtsstandsvereinbarung getroffen worden ist. Dem steht Art. 25 Abs. 5 EuGVVO nicht entgegen, weil es insofern nicht um die Beurteilung der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung, sondern zunächst um die Bestimmung ihres genauen Inhalts geht (Mankowski a.a.O., Art. 25 EuGVVO, Rn. 119).

[20]Nach der Rechtsprechung des BGH richtet sich die Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung dann, wenn sie Teil einer umfassenderen Vereinbarung ist, regelmäßig nach dem für den Vertrag geltenden Recht, soweit Art. 25 EuGVVO keine Maßstäbe und Vorgaben enthält (BGH, Urt. v. 10. Februar 2021, KZR 66/17 (IPRspr 2021-332), Rn. 20 - Wikingerhof; BGH, NJW 2019, 1300, Rn. 25 (IPRspr 2018-264)). Art. 25 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO gibt einschränkend insoweit lediglich vor, dass sich die Gerichtsstandsvereinbarung auf eine bereits entstandene oder eine künftige, aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit bezieht (vgl. EuGH, Urt. v. 7. Juli 2016, Rs. C-​222/15, Rn. 33 - Hőszig/Alstom zu Art. 23 Abs. 1 EuGVVO a.F.; Gaier, in BeckOK ZPO, 52. Ed. 1. März 2024, Art. 25 EuGVVO, Rn. 25). Dieses Erfordernis soll vermeiden, dass eine Partei dadurch überrascht wird, dass die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts für sämtliche Rechtsstreitigkeiten begründet wird, die sich eventuell aus den Beziehungen mit ihrem Vertragspartner ergeben und ihren Ursprung in einer anderen Beziehung als derjenigen haben, anlässlich deren die Begründung des Gerichtsstands vorgenommen wurde (EuGH, Urt. v. 24. Oktober 2018, Rs. C-​595/17, Rn. 22 - Apple Sales International u. a./eBizcuss.com; EuGH, Urt. v. 21. Mai 2015, Rs. C-​352/13, Rn. 68 - CDC Hydrogen Peroxide; BGH, Urt. v. 10. Februar 2021, KZR 66/17 (IPRspr 2021-332), Rn. 18 - Wikingerhof; BGH, Beschl. v. 15. Juni 2021, II ZB 35/20 (IPRspr 2021-275), Rn. 51, zitiert nach juris; Gaier, in: BeckOK ZPO, Art. 25 EuGVVO, Rn. 25.1; Mankowski, in: Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, a.a.O., Art. 25 EuGVVO, Rn. 276, 280). An die Bestimmtheit der erfassten Rechtsverhältnisse sind dabei keine allzu strengen Anforderungen zu stellen. Wenn die Vereinbarung auch für andere Streitigkeiten als das ursprüngliche Vertragsverhältnis wirksam sein soll, reicht es aus, wenn das diesen anderen Streitigkeiten zugrundeliegende Rechtsverhältnis im Zeitpunkt der Einigung über die Zuständigkeit nach Art und Gegenstand bereits hinreichend bestimmbar ist; zu bestehen braucht es zu dieser Zeit noch nicht (BGH, Urt. v. 6. Dezember 2018, IX ZR 22/18 (IPRspr 2018-264), NJW 2019, 1300, Rn. 33; Mankowski, in: Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, a.a.O., Art. 25 EuGVVO, Rn. 165).

[21]Soweit bei Gerichtsstandsvereinbarungen, die sich in abstrakter Weise auf Rechtsstreitigkeiten "aus dem Vertrag" beziehen, vereinzelt angenommen wird, dass sich die Abgrenzung im Wesentlichen danach richtet, ob Ansprüche wegen Verstoßes gegen das Kartellverbot oder wegen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung geltend gemacht werden, da im ersteren Fall (unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 21. Mai 2015, Rs. C-​352/13, Rn. 70 - CDC Hydrogen Peroxide) von einer nicht vorhersehbaren Geltendmachung kartellrechtlicher Ansprüche auszugehen sei, nicht aber im letzteren (unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 24. Oktober 2018, Rs. C-​595/17, Rn. 24, 27 ff. - Apple Sales International u. a./eBizcuss.com), kann dem nicht gefolgt werden (vgl. zum Streitstand Stadler/Krüger, in: Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl. 2024, Art. 25 EuGVVO, Rn. 6a m.w.N.). Bei der Annahme entsprechender Auslegungsregeln ist Zurückhaltung geboten. Allgemeine Aussagen dazu, dass Kartellrechtsansprüche von Gerichtsstandsvereinbarungen mitumfasst oder im Zweifel nicht erfasst werden, lassen sich regelmäßig nicht treffen. Die Vorhersehbarkeit des Rechtsstreits (als Bestandteil des Bestimmtheitsgebots) ist ein, aber nicht das allein ausschlaggebende Auslegungskriterium. Die Entscheidung zur Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung hat somit im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung des konkreten Wortlauts der Gerichtsstandsvereinbarung, des anwendbaren materiellen Rechts und der danach anwendbaren Auslegungsgrundsätze sowie der beiderseitigen Interessenlage der Parteien zu erfolgen.

[22]Dies berücksichtigend ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Gerichtsstandsklausel in Ziff. 16.2 nach österreichischem Recht auszulegen ist. Die mit der Anwendung der lex fori prorogati einhergehenden Vorteile und der sich aus der Rechtswahlklausel (Ziff. 16.1 ANB) ergebende Bezug zum österreichischen Recht gebieten es, die sachliche Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung nach österreichischem Recht und der hierzu ergangenen Rechtsprechung zu bestimmen. Bei der Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung ist, wie das Landgericht ebenfalls zutreffend angenommen hat, die gesetzliche Regelung zur Vertragsauslegung in § 914 ABGB heranzuziehen. Danach ist bei Auslegung von Verträgen nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften, sondern die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Zutreffend hat das Landgericht ferner auf den österreichischen Rechtssatz "RS0017915" abgestellt. Danach sind Allgemeine Geschäftsbedingungen und Vertragsformblätter, d.h. alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt (RS0123499 [T2, T7]) nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f. ABGB) auszulegen (OGH, Urt. v. 25. Januar 2023, 7Ob136/22h, BeckRS 2023, 2596, Rn. 11). Für die Auslegung einer zwischen dem Verwender und der anderen Partei schriftlich getroffenen Vereinbarung ist der Wortlaut maßgeblich, solange nicht behauptet und bewiesen ist, dass aufgrund außerhalb der Urkunde liegender Umstände sich ein übereinstimmender Parteiwille oder ein vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichender objektiver Sinn der Erklärung ergibt (RS0043422 [T6, T13], vgl. OGH, Urt. v. 25. Januar 2023, 7Ob136/22h, BeckRS 2023, 2596, Rn. 14). Bei Auslegung einer Willenserklärung nach den §§ 914 f. ABGB ist daher zunächst vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung auszugehen, dabei aber nicht stehen zu bleiben, sondern der Wille der Parteien, das ist die dem Erklärungsempfänger erkennbare Absicht des Erklärenden, zu erforschen (RS0017915). Es ist dabei das gesamte Verhalten der Vertragsteile, das sich aus Äußerungen in Wort und Schrift sowie aus sonstigem Tun oder Nichttun zusammensetzen kann, zu berücksichtigen (RS0017915 [T15, T29, T44]). Letztlich ist die Willenserklärung so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht, wobei die Umstände der Erklärung und die im Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche heranzuziehen sind (RS0017915, vgl. OGH, Urt. v. 25. Januar 2023, 7Ob136/22h, BeckRS 2023, 2596, Rn. 14).

[23]Damit unterscheidet sich das österreichische Recht im Wesentlichen nicht von den im deutschen Recht maßgeblichen Auslegungsgrundsätzen. Sofern ein vorrangiger übereinstimmender Wille - wie vorliegend - nicht festgestellt werden kann, kommt es auf den objektiven Empfängerhorizont an. Danach sind AGB nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zu Grunde zu legen sind.

[24]Unter Berücksichtigung dieser Auslegungsgrundsätze bietet der Wortlaut der Ziff. 16.2 ANB im Streitfall keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass von der Gerichtsstandsvereinbarung auch kartellrechtliche Ansprüche wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung erfasst werden. Die Gerichtsstandsklausel erfasst ihrem Wortlaut nach "alle Ansprüche und allfällige Streitigkeiten aus und auf Grund dieses Rechtsverhältnisses und iZm seiner Abwicklung". Dabei setzt die Formulierung "Ansprüche und (...) Streitigkeiten aus diesem Rechtsverhältnis" voraus, dass der Streit Rechte und Pflichten betrifft, die sich aus dem Vertragsverhältnis ergeben. Denn mit "diesem Rechtsverhältnis" kann nach verständiger Würdigung nur das zwischen den Parteien begründete Vertragsverhältnis gemeint sein. Das Wort "allfällige" bringt (wie z.B. "etwaige") zum Ausdruck, dass eventuell künftig entstehende Streitpunkte erfasst sind, von denen die Parteien bei Vertragsschluss noch keine Kenntnis hatten. Mit dem abschließenden Zusatz "iZm seiner Abwicklung" wird darüber hinaus ein konkreter (Rück-​)Bezug zu eben diesem Vertragsverhältnis gefordert. Es muss ein Anspruch aus der Abwicklung des Vertrags oder eine im Zusammenhang mit der Vertragsabwicklung stehende Streitigkeit betroffen sein. Dabei ist mit der Abwicklung des Rechtsverhältnisses in erster Linie die Erfüllung der (gegenseitigen) vertraglichen Pflichten gemeint - und nicht eine bei Gelegenheit begangene unerlaubte Handlung einer Vertragspartei. Durch die weitere alternative Formulierung "auf Grund des Rechtsverhältnisses" (statt "aus diesem Rechtsverhältnis") wird der sachliche Anwendungsbereich nicht erweitert, da diese Alternative ebenso voraussetzt, dass Grundlage für die Streitigkeit die vertraglichen Rechte und Pflichten sind. Ohnehin wird in der Klausel durchgehend die Konjunktion "und" (und nicht "oder") verwandt, so dass bei strenger Lesart ohnehin alle Bedingungen kumulativ gegeben sein müssen. Damit erfasst die Klausel, anders als die Verfügungsbeklagte meint, aus der Sicht eines objektiven Dritten nicht sämtliche im Zusammenhang mit der Geschäftsbeziehung später eventuell noch entstehende Rechtsverhältnisse oder Ansprüche.

[25]Nach der von der Verfügungsklägerin festgelegten Reihenfolge der Geltendmachung der Unterlassungsansprüche ist Gegenstand des hiesigen einstweiligen Verfügungsverfahrens vorrangig ein von dem jeweiligen Online-​Konto-​Nutzungsvertrag unabhängiger kartellrechtlicher Anspruch auf Unterlassung eines Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Der Umstand, dass sich der behauptete Verstoß gegen Art. 102 AEUV bzw. § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB im Einzelfall auch in vertraglichen Bestimmungen manifestieren kann (EuGH, Urt. v. 24. Oktober 2018, Rs. C-​595/17, Rn. 28 - Apple Sales International u. a./eBizcuss.com; BGH, Urt. v. 10. Februar 2021, KZR 66/17 (IPRspr 2021-332), Rn. 12, 24 - Wikingerhof), rechtfertigt nicht die Annahme, dass es sich vorliegend um eine Streitigkeit "aus und aufgrund" des zwischen den Parteien geschlossenen Vertragsverhältnisses handelt "und [diese] im Zusammenhang mit seiner Abwicklung" steht. Die Verfügungsklägerin leitet aus dem Nutzungsvertrag für das Online-​Konto keine Rechte her. Es ist auch nicht die Verwendung der Klausel Ziff. 14 ANB, die nach ihrem Vorbringen den Vorwurf des missbräuchlichen Verhaltens begründet. Dies sind vielmehr die später erfolgten Kontosperrungen, die nach ihrem Dafürhalten angesichts der Monopolstellung der Verfügungsbeklagten und des daraus folgenden Kontrahierungszwangs zu Unrecht erfolgt sind. Auch inhaltlich stützt sich die Verfügungsklägerin zur Begründung des missbräuchlichen Verhaltens nicht auf das Verbot der gewerblichen Weiterveräußerung von digitalen Mautprodukten oder auf eine sich aus Ziff. 14.2 im Umkehrschluss ausnahmsweise ergebende Zulässigkeit. Sie stellt vielmehr vorrangig auf die Rechtsprechungsgrundsätze des EuGH in den Sachen Magill und IMS Health ab (EuGH, Urt. v. 6. April 1995, Rs C-​241/91 P und C-​242/91 P - Magill; Urt. v. 29. April 2004, C-​418/01 - IMS-​Health).

[26]Ziff. 14.2 ANB spiegelt demnach lediglich die aus Sicht der Verfügungsbeklagten (der Verwenderin der Klausel) geltende Rechtslage wider, ohne eine konkrete Antwort auf die Frage nach der Zulässigkeit eines neuen, weiterentwickelten Produkts im Einzelfall zu geben. Im Übrigen lässt sich weder dieser Klausel noch einer anderen Klausel der ANB eine ausdrückliche Regelung dazu entnehmen, dass die Verfügungsbeklagte bei einem Verstoß gegen das gewerbliche Weiterveräußerungsverbot unter bestimmten Bedingungen zur Sperrung des Nutzerkontos berechtigt ist. Mit der Einbeziehung der Klausel in Ziff. 14 ANB hat sich die Verfügungsbeklagte auch nicht ausbedungen, in der angegriffenen Weise handeln zu dürfen oder sich im Sinne einer (Erst-​)Begehungsgefahr nach § 33 Abs. 2 GWB eines solchen Rechts berühmt ...

[27]Schließlich spricht auch die Interessenlage der Vertragsparteien, die Rückschlüsse auf den Parteiwillen zulässt, im Streitfall ebenfalls nicht eindeutig für die Einbeziehung kartellrechtlicher Ansprüche in die Gerichtsstandsklausel. Dabei rechtfertigt allein der Hinweis darauf, dass der Verwender der Gerichtsstandsklausel durch die Regelung begünstigt wird, nicht generell den Schluss, dass dies den Interessen der anderen Vertragspartei widerstrebt und damit ein übereinstimmender Parteiwille ausgeschlossen ist. Denn die andere Vertragspartei kann sich im Einzelfall bewusst auf die Klausel eingelassen haben. Indes darf nach der Rechtsprechung des BGH ohne entsprechende deutliche Anhaltspunkte nicht angenommen werden, dass sich der Vertragspartner des Marktbeherrschers dem Vertragsgerichtsstand auch für die Geltendmachung von Ansprüche wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung unterwerfen wollte (vgl. BGH, Urt. v. 10.02.2021, KZR 66/17 (IPRspr 2021-332), Rn. 25 - Wikingerhof). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lassen sich auch den äußeren Umständen bei Vertragsschluss keine deutlichen Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass sich die Verfügungsklägerin auch für Ansprüchen wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung dem Vertragsgerichtsstand unterwerfen wollte.

[28]cc. Das Ausgangsgericht ist gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO i.V.m. Art. 63 EuGVVO international und örtlich zuständig.

[29]Die Verfügungsklägerin macht mit dem kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch einen einer unerlaubten Handlung im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO gleichgestellten Anspruch geltend. Nach dieser Vorschrift kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, verklagt werden, wenn Verfahrensgegenstand eine unerlaubte oder eine ihr gleichgestellte Handlung ist. Die Frage, ob eine unter Vertragspartnern erhobene Klage als vertraglich im Sinne von Art. 7 Nr. 1 EuGVVO oder als deliktisch im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO einzustufen ist, richtet sich dabei nicht nach nationalem Recht, sondern ist autonom unter Berücksichtigung der Systematik und der Ziele der EuGVVO zu entscheiden (vgl. EuGH, Urt. v. 24. November 2020, Rs. C-​59/19, Rn. 25 - Wikingerhof; BGH, Urt. v. 14. Januar 2020, VI ZR 495/18 (IPRspr 2020-355), Rn. 12). Da Art. 7 Nr. 2 EuGVVO nach seinem Wortlaut nicht voraussetzt, dass der Schaden gegenwärtig vorliegt, fällt auch eine Klage, mit der verhindert werden soll, dass sich ein als rechtswidrig angesehenes Verhalten wiederholt, unter diese Bestimmung (vgl. EuGH, Urt. v. 25. Oktober 2011, Rs. C-​509/09 und C- 161/10, Rn. 35; BGH, Urt. v. 14. Januar 2020, VI ZR 495/18 (IPRspr 2020-355), Rn. 13). Dies gilt für Unterlassungsbegehren im einstweiligen Verfügungsverfahren entsprechend.

[30]Soweit der Anspruchsteller - wie hier die Verfügungsklägerin - einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung geltend macht, ist ein Gerichtsstand am Sitz der Verfügungsklägerin (Art. 63 EuGVVO) als demjenigen Ort eröffnet, an dem sich das zu unterlassende Verhalten ihr gegenüber ausgewirkt hat bzw. weiterhin auswirkt (vgl. BGH, Urt. v. 10. Februar 2021, KZR 66/17 (IPRspr 2021-332), Rn. 8 - Wikingerhof). Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrt die Verfügungsklägerin die Unterlassung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch die Verfügungsbeklagte als Betreiberin des Mautshops, in dem digitale Mautprodukten online von der Verfügungsbeklagten erworben werden können. Als missbräuchlich beanstandet sie die durch die Verfügungsbeklagte veranlassten Sperrungen ihrer Kundenkonten, die sie zuvor regelmäßig für die Bestellung von digitalen Mautprodukte genutzt hat. Damit wirkt sich das zu unterlassende Verhalten am Sitz der Verfügungsklägerin im Landgerichtsbezirk Köln aus.

[31]Das Bestehen einer Vertragsbeziehung zwischen den Parteien schließt die Qualifikation des Begehrens als deliktischer Anspruch nicht aus. Entscheidend für die Abgrenzung des besonderen Gerichtsstands der unerlaubten Handlung gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO von dem besonderen Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 EuGVVO ist, ob ein gesetzlicher Anspruch geltend gemacht wird, der unabhängig von einem Vertragsverhältnis zwischen den Parteien besteht (vgl. EuGH, Urt. v. 24. November 2020, Rs. C-​59/19, Rn. 33 - Wikingerhof). Dies ist dann der Fall, wenn die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der mit der Klage beanstandeten Handlung des Anspruchsgegners nicht vom Inhalt der beiderseitigen vertraglichen Rechte und Pflichten abhängt, sondern hiervon unabhängig nach Deliktsrecht zu beurteilen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 24. November 2020, Rs. C-​59/19, Rn. 32 - Wikingerhof).

[32]So liegt der Fall hier. Die Kartellrechtswidrigkeit der beanstandeten Handlungen hängt allein davon ab, ob der Beklagten eine marktbeherrschende Stellung zukommt und sie diese missbräuchlich ausgenutzt hat. Auf den Inhalt des anlässlich der Kontoeröffnung geschlossenen Nutzungsvertrags kommt es hierfür nicht an, zumal die ANB, wie bereits dargelegt, keine Regelungen zu den Voraussetzungen einer Kontosperrung enthalten. Es ist deshalb im Sinne der Abgrenzungsformel des EuGH (Urt. v. 24. November 2020, Rs. C-​59/19, Rn. 35 - Wikingerhof; Urt. v. 13. März 2014, Rs. C-​548/12, Rn. 25 - Brogsitter) zur Beurteilung der Begründetheit der Klage auch nicht unerlässlich, den Vertrag zwischen den Parteien auszulegen. Eine solche Auslegung ist allenfalls erforderlich, um das Vorliegen der beanstandeten Handlungsweisen festzustellen (EuGH, Urt. v. 24. November 2020, Rs. C-​59/19, Rn. 35 - Wikingerhof). Wenngleich im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung im Einzelfall bei Vorliegen einer Vertragsbeziehung auch die vertragstypischen Rechte und Pflichten und die zwischen den Vertragsparteien getroffenen Regelungen bei der Prüfung nach § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB zu betrachten sind, so sind diese für die Qualifikation des Klageanspruchs als deliktischen Anspruch ohne Belang, zumal Interessen nicht berücksichtigt werden dürfen, deren Durchsetzung insbesondere nach den kartellrechtlichen Wertungen rechtlich missbilligt werden (vgl. BGH, Urt. v. 10. Februar 2021, KZR 66/17 (IPRspr 2021-332), Rn. 13 - Wikingerhof; BGH, Urt. v 24. Januar 2017, KZR 2/15, Rn. 30 f. - Kabelkanalanlagen).

[33]3. ...

Fundstellen

Volltext

Link, NRWE (Rechtsprechungsdatenbank NRW)
Link, openJur

LS und Gründe

WuW, 2025, 108

Permalink

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