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Verfahrensgang

LG Hamburg, Beschl. vom 23.02.2022 – 5 U 13/23
OLG Hamburg, Urt. vom 04.04.2022 – 15 W 18/22, IPRspr 2022-216

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Sonstige besondere Gerichtsstände
Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand
Zuständigkeit → Besonderer Deliktsgerichtsstand
Unlauterer Wettbewerb und Kartellrecht (ab 2020) → Lauterkeitsrecht

Leitsatz

Für die nach der EuGH-Rechtsprechung im Rahmen von Art. 35 EuGVVO nötige „reale Verknüpfung“ zwischen dem Gegenstand der beantragten einstweiligen Maßnahme und der gebietsbezogenen gerichtlichen Zuständigkeit ist eine bloße Auswirkung des begehrten Unterlassens im Staat des angerufenen Gerichts nicht ausreichend (Anschluss an OLG Düsseldorf, Urteil vom 11. März 2021 - I‑20 U 269/20, n.v.; Abgrenzung zu OGH, Urteil vom 16. Dezember 2010 - 17 Ob 13/10a, GRUR Int 2011, 450, 452 und OGH, Beschluss vom 28. Februar 2012 - 4 Ob 2/12a, GRUR Int 2012, 826, 828). Art. 35 EuGVVO ist insofern enger auszulegen als Art. 7 Nr. 2 EuGVVO: Es kommt auf den Inhalt der begehrten Maßnahme an, nicht auf ihre Auswirkungen bzw. die Auswirkungen einer zuvor begangenen Zuwiderhandlung.

Zur Abgrenzung zwischen Art. 7 Nr. 1 und Nr. 2 EuGVVO: Begehrt der Antragsteller allein gestützt auf Lauterkeitsrecht das Unterlassen der Sperrung einer Funktion (hier: eines „Verlagskontos“), welche ihm vom Antragsgegner auf Grundlage eines Vertrags zur Verfügung gestellt wurde, so handelt es sich um einen Anspruch aus einem Vertrag im Sinne von Art. 7 Nr. 1 EuGVVO, wenn eine Vertragsauslegung unerlässlich ist, um zu klären, ob die Sperrung rechtmäßig oder rechtswidrig ist (Anschluss an EuGH, Urteil vom 13. März 2014 - C-548/12 „Brogsitter“ und EuGH, Urteil vom 24. November 2020 - C-59/19 „Wikingerhof/Booking.com“).

Rechtsnormen

EuGVVO 1215/2012 Art. 4 ff.; EuGVVO 1215/2012 Art. 7; EuGVVO 1215/2012 Art. 35; EuGVVO 1215/2012 Art. 63
EUGVVO 44/2001 Art. 2; EUGVVO 44/2001 Art. 5; EUGVVO 44/2001 Art. 31
EuGVÜ Art. 24
UWG § 4; UWG § 14
ZPO § 32; ZPO § 937

Sachverhalt

Die Antragstellerin betreibt einen Online-Verlag. Die Antragsgegnerin, eine in Luxemburg ansässige Gesellschaft luxemburgischen Rechts, betreibt den Dienst „K. D. Publishing“ (im Folgenden: KDP). Die Parteien sind seit mehreren Jahren über einen Vertrag dergestalt verbunden, dass die Antragstellerin über ein KDP-Konto bei der Antragsgegnerin verfügt. Über dieses Konto vertreibt die Antragstellerin Bücher (zuletzt mehr als 150 eBooks bzw. Taschenbücher) und erzielt daraus ganz maßgeblich ihren wirtschaftlichen Gewinn. Die zwischen den Parteien vereinbarten „K. D. Publishing Vertragsbedingungen“ sind eingereicht als Anlage. Nachdem am 15.12.2021 ein Fernsehbericht des ARD-Magazins „PlusMinus“ unter dem Titel „Abzocke mit Schrottbüchern?“ zum Thema „Fake-Bücher“ und „Fake-Autoren“ ausgestrahlt worden war, in dem auch das Geschäftsmodell der Antragstellerin zur Sprache kam, sperrte die Antragsgegnerin am 18.12.2021 das KDP-Konto der Antragstellerin.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des Eilrechtsschutzes, der Antragsgegnerin aufzugeben, es zu unterlassen, das „KDP-Konto“ der Antragstellerin zu deaktivieren bzw. zu schließen und Tantiemen einzubehalten. Das Landgericht hat den Antrag durch Beschluss vom 23.2.2022 mit der Begründung zurückgewiesen, dass er mangels internationaler Zuständigkeit des Landgerichts Hamburg unzulässig sei. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]Die ... statthafte sowie zulässige sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mangels bestehender internationaler Zuständigkeit des Landgerichts Hamburg unzulässig ist.

[3]Dabei kommt es nicht darauf an, ob die von den Parteien für den vorläufigen Rechtsschutz in Ziffer 10.1. der unstreitig vereinbarten Vertragsbedingungen (Anlage LHR3) getroffene Gerichtsstandsvereinbarung für den Eilrechtsschutz zugunsten der Gerichte des US-Bundesstaates Washington ausschließlich und wirksam ist oder nicht. Wenn sie als ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung wirksam wäre, bestünde hier kein internationaler Gerichtsstand. Aber auch wenn sie nicht wirksam bzw. nicht ausschließlich wäre, wären die deutschen Gerichte nicht international zuständig, wie das Landgericht zutreffend entschieden hat.

[4]Die Antragsgegnerin, eine Gesellschaft luxemburgischen Rechts, hat ihren Sitz in Luxemburg, einem anderen EU-Mitgliedsstaat. Daher sind die Regelungen der EuGVVO (Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, auch Brüssel Ia-VO, (im Folgenden stets „EuGVVO“) einschlägig.

[5]Die internationale Zuständigkeit für den Erlass einstweiliger Maßnahmen im Anwendungsbereich der EuGVVO kann über zwei alternative Wege begründet werden: Zum einen besteht sie an jedem Hauptsachegerichtsstand i.S.v. Art. 4 ff. EuGVVO. Zum anderen ist sie gemäß Art. 35 EuGVVO an jedem internationalen Gerichtsstand für einstweilige Maßnahmen nach nationalem Verfahrensrecht eröffnet (E. Peiffer/M. Peiffer in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Werkstand: 63. EL Oktober 2021, Art. 35 EuGVVO Rn. 23).

[6]Nach Art. 4 Abs. 1 EuGVVO ist vorbehaltlich der weiteren Vorschriften der EuGVVO eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen. Nach Art. 63 Abs. 1 lit. a EuGVVO haben Gesellschaften und juristische Personen ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet. Demnach sind hier die luxemburgischen Gerichte gemäß Art. 4 Abs. 1 EuGVVO international zuständig.

[7]Aus den weiteren Bestimmungen der EuGVVO ergibt sich nichts Abweichendes:

[8]1.

[9]Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgt nicht aus Art. 35 EuGVVO i.V.m. dem nationalen Verfahrensrecht (§ 937 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 14 Abs. 2 S. 2 UWG und / oder § 32 ZPO). Danach können die im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen bei den Gerichten eines Mitgliedstaats auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats zuständig ist.

[10]Über den Wortlaut dieser Bestimmung hinaus ist aufgrund entsprechender EuGH-Rechtsprechung zur Vorgängernorm Art. 24 EuGVÜ (EuGH EuZW 1999, 413 Rn. 38 f.) auch für Art. 35 EuGVVO anerkannt, dass zwischen dem Gegenstand der beantragten Maßnahme und der gebietsbezogenen Zuständigkeit des Vertragsstaats des angerufenen Gerichts eine „reale Verknüpfung“ bestehen muss (s. dazu nur E. Peiffer/M. Peiffer in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Werkstand: 63. EL Oktober 2021, Art. 35 EuGVVO Rn. 16, 31).

[11]Was eine solche „reale Verknüpfung“ bedeutet, ist noch nicht scharf eingegrenzt (so Geimer in: Zöller, ZPO, 34. Auflage 2022, Art. 35 EuGVVO Rn. 7; s. auch E. Peiffer/M. Peiffer in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 63. EL Oktober 2021, Art. 35 EuGVVO Rn. 17: „Was unter der realen Verknüpfung im Einzelnen zu verstehen ist, hat der EuGH offengelassen, so dass dieser Begriff durch die nationalen Gerichte ausgefüllt werden muss.“).

[12]Legt man das Erfordernis der „realen Verknüpfung“ eng aus, könnten nur noch Maßnahmen erlassen werden, die einer Realexekution im Mitgliedsstaat des angerufenen Gerichts zugänglich sind. Unterlassungsverfügungen und sonstige Anordnungen zur Vornahme unvertretbarer Handlungen könnten im Anwendungsbereich der EuGVVO von dem nicht in der Hauptsache zuständigen Gericht nicht mehr angeordnet werden (Geimer, a.a.O.). Das würde insoweit mit den übrigen Regelungen konform gehen, als die einstweilige Maßnahme eines lediglich nach Art. 35 EuGVVO international zuständigen Gerichts ohnehin nicht nach den Vorschriften der EuGVVO in dem anderen Mitgliedsstaat anerkannt und vollstreckbar ist (s. dazu E. Peiffer/M. Peiffer in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 63. EL Oktober 2021, Art. 35 EuGVVO Rn. 50; Geimer in: Zöller, ZPO, 34. Auflage 2022, Art. 35 EuGVVO Rn. 8; Stadler in: Musielak/Voit, ZPO, 19. Auflage 2022, Art. 35 EuGVVO Rn. 3 sowie Dörner in: Saenger, ZPO, 9. Auflage 2021, Art. 35 EuGVVO Rn. 14). Demnach läge hier keine Zuständigkeit gemäß Art. 35 EuGVVO vor.

[13]Wenn man das Erfordernis der „realen Verknüpfung“ weit/er auslegt, weil die enge Auslegung den von der EuGVVO angestrebten Zielen zuwiderlaufe (so Geimer, a.a.O.), wäre ein realer Bezug (jedenfalls) dann zu bejahen, wenn im Erlassstaat eine reale Zugriffsmöglichkeit besteht. Demnach würde es genügen, wenn der von der beantragten Maßnahme betroffene Vermögensgegenstand sich im Erlassstaat befindet (E. Peiffer/M. Peiffer in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 63. EL Oktober 2021, Art. 35 EuGVVO Rn. 17) bzw. wenn zumindest ein Zwangsgeld im Erlassstaat in das Vermögen des Schuldners vollstreckt werden kann (Geimer, a.a.O.; Stadler in: Musielak/Voit, ZPO, 19. Auflage 2022, Art. 35 EuGVVO Rn. 3). Beides ist hier nicht der Fall.

[14]Richtet sich die begehrte einstweilige Maßnahme – wie hier – auf eine Unterlassung, besteht die reale Verknüpfung zu dem Land, in dem der Antragsgegner ansässig ist bzw. in dem das zu untersagende Verhalten gesetzt worden ist. Die Antragstellerin hat zwar behauptet, dass die Antragsgegnerin das begehrte Unterlassen in München und nicht in Luxemburg erfüllen würde, aber das ist weder substantiiert vorgebracht noch glaubhaft gemacht worden. Soweit die Antragstellerin vorträgt, „der A.-Konzern“ betreue faktisch den gesamten deutschen Markt von München aus, ist das unerheblich, denn die Antragstellerin nimmt nicht „den A.-Konzern“ in Anspruch, sondern (nur) die Antragsgegnerin. Soweit die Antragstellerin weiter geltend macht, die Abteilungen „Digital Entertainment“ und „A. Devices“, wozu aus das Produkt „K.“ gehöre, hätten ihren Sitz in München, ist das unerheblich und auch angesichts des konkreten Bestreitens der Antragsgegnerin unsubstantiiert. Es geht hier weder um „den gesamten deutschen Markt“ noch um das Produkt „K.“, sondern allein um das „KDP-Konto“ der Antragstellerin. Dazu hat die Antragsgegnerin vorgetragen und durch eidesstattliche Versicherung (Anlage AG2) glaubhaft gemacht, dass dieses Programm innerhalb Europas aus Luxemburg durch die Antragsgegnerin angeboten werde. Sowohl die Vertragsbeziehungen mit den Autoren in Europa als auch der Vertrieb, die Abrechnungen und Zahlungen würden in Luxemburg abgewickelt. Die Antragsgegnerin hat ferner geltend gemacht, dass sie in München keine Zweigniederlassung unterhalte, sondern allein in Luxemburg agiere. Die Zweigniederlassung in München sei eine solche der A. EU S.à.r.l. Der von der Antragstellerin als Anlage LHR15 eingereichte Screenshot hilft nicht weiter: er weist keinen Bezug zur Antragsgegnerin auf – abgesehen davon, dass es sich um eine A.-Seite handelt. Angesichts der unstreitigen Existenz mehrerer A.-Gesellschaften mit unterschiedlichen Unternehmenszwecken und des Vortrags der Antragsgegnerin, nicht sie sondern eine andere A.-Gesellschaft unterhalte in München eine Zweigniederlassung, reicht das nicht aus. Das Impressum zu der Internetseite, von der die Screenshots gemäß Anlage LHR15 stammen, hat die Antragstellerin nicht vorgelegt. Demnach kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin das begehrte Unterlassen in Deutschland erfüllen würde.

[15]Aus denselben Gründen kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin in Deutschland über Vermögen verfügt, in welches zum Zweck der Zwangsvollstreckung einer einstweiligen Unterlassungsverfügung vollstreckt werden könnte.

[16]Angesichts dessen könnte eine „reale Verknüpfung“ zu Deutschland nur unter dem Gesichtspunkt bejaht werden, dass das (Nicht-) Handeln der Antragsgegnerin Rechtsgüter der Antragstellerin in Deutschland beeinträchtigt – unbeschadet des Umstands, dass einer der beiden von der Antragstellerin in ihren Unterlassungsantrag aufgenommenen Buchtitel offenbar in italienischer und nicht in deutscher Sprache gehalten ist. Ob aber überhaupt, wie die Antragstellerin meint, eine reale Verknüpfung auch zu dem Staat besteht, in dem es zu einer Rechtsgutsbeeinträchtigung kommen kann, ist streitig (bejahend E. Peiffer/M. Peiffer in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 63. EL Oktober 2021, Art. 35 EuGVVO Rn. 17 m.w.N.; verneinend OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.03.2021, I‑20 U 269/20, vorgelegt in Anlage AG1; dem folgend das LG Hamburg in dem hier angegriffenen Beschluss).

[17]Der erkennende Senat schließt sich Auffassung an, dass eine bloße Auswirkung in Deutschland nicht ausreicht. Soweit Pfeiffer und Pfeiffer für ihre andere Ansicht auf Entscheidungen des OGH Wien verweisen, ist zwar zutreffend, dass der OGH offenbar eine „reale Verknüpfung“ auch für den Fall einer Rechtsgutsbeeinträchtigung in Österreich für möglich gehalten hat (OGH, GRUR Int 2011, 450, 452: in dem Fall in Gestalt einer Persönlichkeitsrechtsverletzung). Er hat seine Entscheidung darauf aber nicht gestützt, sondern im Gegenteil die internationale Zuständigkeit verneint (so auch OGH, GRURInt 2012, 826, 828, wo eine reale Verknüpfung ebenfalls verneint wurde). Zudem hat er darauf hingewiesen, dass bei einer Rechtsgutsbeeinträchtigung ohnehin nach Art. 2 oder Art. 5 Nr. 3 EuGVVO a.F. (nunmehr Art. 4 bzw. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO) eine Zuständigkeit in der Hauptsache begründet wäre, so dass der in Art. 31 EuGVVO a. F. (nunmehr Art. 35 EuGVVO) enthaltene Verweis auf das nationale Zuständigkeitsrecht keine eigenständige Bedeutung habe. Der OGH hatte demnach über einen deliktsrechtlichen Fall zu befinden, so dass die Entscheidung schon deswegen nicht ohne Weiteres hierher übertragbar ist. Denn aus der Gegenüberstellung von Art. 7 Nr. 1 EuGVVO einerseits und Art. 7 Nr. 2 EuGVVO andererseits folgt, dass die Verordnung für vertragliche Ansprüche ein weniger liberales Gerichtsstandsregime anstrebt als für unerlaubte Handlungen: Neben dem stets gegebenen allgemeinem Gerichtsstand nach Art. 4 EuGVVO etabliert Art. 7 Nr. 1 EuGVVO für vertragliche Ansprüche lediglich einen weiteren Gerichtsstand am Erfüllungsort (nicht also etwa auch am „Erfolgsort“). Demgegenüber gewährt Art. 7 Nr. 2 EuGVVO für Ansprüche aus unerlaubten Handlungen nach ständiger Rechtsprechung des EuGH (s. nur die Nachweise bei Thode in: BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, Stand: 01.12.2021, Art. 7 EuGVVO Rn. 82) und ganz allgemeiner Meinung (s. nur Stadler in: Musielak/Voit, ZPO, 19. Auflage 2022, Art. 7 EuGVVO Rn. 19 m.w.N.) einen Gerichtsstand sowohl am Handlungs- als auch am Erfolgsort. Es würde diesem Anliegen der Verordnung zuwiderlaufen, wenn über Art. 35 EuGVVO für vertragliche Ansprüche im Sinne der EuGVVO (und um einen solchen geht es hier, dazu noch unter 2.) ein internationaler Gerichtsstand am „Erfolgsort“ angenommen werden würde. In diesem Sinne versteht der erkennende Senat die Rechtsprechung des EuGH in der grundlegenden Entscheidung „Van Uden“ (Urteil vom 17.11.1998, Rs. C-391/95, EuZW 1999, 413 Rn. 40), wenn er davon spricht, dass es eine reale Verknüpfung „zwischen dem Gegenstand der beantragten Maßnahmen und der gebietsbezogenen Zuständigkeit des Vertragsstaats des angerufenen Gerichts“ (Unterstreichung nur hier) geben müsse. Es ist dort eben nicht die Rede vom Begehungs- und/oder Erfolgsort oder dem „Ort, an dem der Schaden eingetreten ist“ bzw. dem „Ort des diesem Schaden zu Grunde liegenden ursächlichen Geschehens“ (s. dazu etwa EuGH, EuZW 2009, 608 Rn. 23). Wenn der EuGH den Begriff „reale Verknüpfung“ ähnlich wie beim deliktischen Gerichtsstand hätte verstanden wissen wollen, hätte es nahegelegen, sich der dazu bereits etablierten Terminologie zu bedienen, sich daran anzulehnen oder jedenfalls darauf Bezug zu nehmen. Das ist indes nicht geschehen. Im Gegenteil fordert der EuGH in völlig eigenständiger Terminologie eine „reale Verknüpfung“ zu dem „Gegenstand der beantragten Maßnahmen“. Damit geht es um den Inhalt der begehrten Maßnahmen, nicht aber um ihre Auswirkungen bzw. die Auswirkungen einer zuvor begangenen Zuwiderhandlung. Art. 35 EuGVVO ist insofern enger zu verstehen als Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Daher schließt sich der erkennende Senat der Meinung des 20. Zivilsenats des OLG Düsseldorf und der hier erkennenden Zivilkammer des Landgerichts Hamburg an, dass eine bloße Auswirkung des begehrten Unterlassens in Deutschland nicht ausreicht.

[18]Nach alledem kann offen bleiben, ob eine internationale Zuständigkeit nach Art. 35 EuGVVO für Unterlassungsverfügungen überhaupt begründet werden kann oder ob dies grundsätzlich daran scheitert, dass ein gerichtlich angeordnetes Unterlassen nicht zurückgewährt werden kann und daher die für eine einstweilige Maßnahme zu fordernde „Revisibilität“ nicht gegeben ist (so OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.03.2021, I-20 U 269/20, Anlage AG1 sowie die hier angegriffene Entscheidung des LG Hamburg; a.A. Gottwald in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2022, Art. 35 EuGVVO Rn. 5).

[19]2.

[20]Das Landgericht hat ebenfalls zutreffend angenommen, dass sich seine internationale Zuständigkeit auch nicht aus Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ergibt. Danach kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, in einem anderen Mitgliedstaat vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht.

[21]Diese Norm greift jedoch nicht, weil die Antragstellerin ungeachtet der auf § 4 Nr. 4 UWG und damit den Vorwurf einer unerlaubten Handlung gestützten Begründung des Verfügungsantrages einen Anspruch aus einem Vertrag im Sinne von Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO geltend macht. Damit ist Art. 7 Nr. 2 EuGVVO gesperrt. Die Gerichtsstände des Art. 7 Nr. 1 und Art. 7 Nr. 2 EuGVVO schließen sich gegenseitig aus, wobei im Verhältnis dieser Gerichtsstände zueinander Art. 7 Nr. 2 EuGVVO nach der Diktion des EuGH als Auffangtatbestand fungiert (Paulus in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Werkstand: 63. EL Oktober 2021, Art. 7 EuGVVO Rn. 160 m.w.N.). Dabei sind die in Art. 7 Nr. 1 EuGVVO verwendeten Begriffe „Vertrag“ und „Ansprüche aus einem Vertrag“ gemäß der ständigen Rechtsprechung des EuGH autonom nach europäischen Maßstäben auszulegen und nicht nach den Maßstäben des in der Sache anwendbaren nationalen Rechts (s. nur Thode in: BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, Stand: 01.12.2021, Art. 7 EuGVVO Rn. 15 m.w.N.).

[22]Nach der zur Frage der Abgrenzung von Nr. 1 und 2 des Art. 7 EuGVVO grundlegenden EuGH-Entscheidung „Brogsitter“ können Klagen wegen zivilrechtlicher Haftung, die nach nationalem Recht deliktsrechtlicher Natur sind, gleichwohl an einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ i.S.v. Art. 5 Nr. 1 lit. a EuGVVO a. F./Art. 7 Nr. 1 EuGVVO n.F. anknüpfen (EuGH, Urteil vom 13.03.2014, C-548/12 – juris, Leitsatz sowie  Rn. 23 ff.). Dabei kommt es darauf an, ob das vorgeworfene Verhalten als Verstoß gegen die vertraglichen Verpflichtungen angesehen werden kann, wie sie sich anhand des Vertragsgegenstands ermitteln lassen. Dies wiederum ist der Fall, „wenn eine Auslegung des Vertrags unerlässlich erscheint“, um zu klären, ob das vorgeworfene Verhalten rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Die Entscheidung betraf - wie der hiesige Streitfall - eine Konstellation, in der die Parteien durch einen Vertrag verbunden waren und der Kläger auf das UWG gestützte Ansprüche gegen seinen Vertragspartner geltend machte.

[23]Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass hier die Auslegung des zwischen den Parteien unstreitig bestehenden Vertrages unerlässlich erscheint, um zu klären, ob das Verhalten der Antragsgegnerin rechtmäßig ist oder nicht. Denn ohne die Prüfung, ob die Antragsgegnerin nach den vertraglichen Regelungen zur Sperrung des KDP-Kontos berechtigt war oder nicht, lässt sich nicht beurteilen, ob das Verhalten der Antragsgegnerin eine gezielte Behinderung im Sinne von § 4 Nr. 4 UWG darstellt oder nicht.

[24]Dieses Ergebnis steht auch in Einklang mit der kürzlich ergangenen Entscheidung des EuGH „Wikingerhof/Booking.com“, mit der der Gerichtshof die in „Brogsitter“ aufgestellten Grundsätze fortentwickelt hat (Urteil vom 24.11.2020, C-59/19, juris). Danach ist Art. 7 Nr. 2 EuGVVO dahin auszulegen, dass er für eine Klage gilt, die auf die Unterlassung bestimmter Verhaltensweisen im Rahmen einer Vertragsbeziehung zwischen den Parteien gerichtet ist und die darauf gestützt wird, dass der Beklagte unter Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht seine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausnutze (EuGH, a.a.O., Rn. 38). In einem solchen Fall hängt die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der mit der Klage beanstandeten Handlung des Anspruchsgegners nicht vom Inhalt der beiderseitigen vertraglichen Rechte und Pflichten ab, sondern ist hiervon unabhängig nach Deliktsrecht zu beurteilen (dem EuGH folgend BGH, Urteil vom 10.02.2021, KZR 66/17 (IPRspr 2021-332) - juris Rn. 11). Die Antragstellerin macht mit ihrem Verfügungsantrag jedoch keine kartellrechtlichen Ansprüche geltend, sondern ausschließlich solche nach UWG. Das hat das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt, und dem ist die Antragstellerin auch nicht entgegengetreten. Soweit die Antragstellerin meint, der genannten Entscheidung des EuGH sei nicht zu entnehmen, dass sich die Ausführungen nur auf das Kartellrecht beschränken, ist das nicht richtig. Schon aus dem Leitsatz ist erkennbar, dass die Entscheidung auf das Kartellrecht beschränkt ist: „Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass er für eine Klage gilt, die auf die Unterlassung bestimmter Verhaltensweisen im Rahmen einer Vertragsbeziehung zwischen dem Kläger und dem Beklagten gerichtet ist und die darauf gestützt wird, dass der Beklagte unter Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht seine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausnutze“ (Unterstreichung nur hier). Zudem und unbeschadet der Frage danach, ob sich die Entscheidung nur auf das Kartellrecht beschränkt, wird aus den Gründen deutlich (a.a.O. Rn. 33), dass es nur um Fälle geht, in denen es nicht unerlässlich erscheint, den Inhalt des Vertrags zu prüfen, um zu beurteilen, ob das dem Beklagten vorgeworfene Verhalten rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Das ist hier indes, wie bereits ausgeführt, nicht der Fall.

[25]3. ...

Fundstellen

Bericht

Hoeren, EWiR, 2022, 304

LS und Gründe

GRURPrax, 2022, 425, mit Anm. Sujecki
IWRZ, 2022, 189, mit Anm. Deshayes/Weber
K&R, 2022, 456
MMR, 2022, 1083
IPRax, 2023, 397
ZIP, 2023, 1266
TranspR, 2024, 34

Aufsatz

Wurmnest/Waterkotte, IPRax, 2023, 371

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2022-216

Lizenz

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