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Verfahrensgang

ArbG Stuttgart, Urt. vom 22.11.2017 – 29 Ca 1854/17
LAG Baden-Württemberg, Urt. vom 15.08.2018 – 4 Sa 6/18, IPRspr 2018-44
BAG, Beschl. vom 24.06.2020 – 5 AZR 55/19 (A), IPRspr 2020-257
EuGH, Urt. vom 20.10.2022 – C-604/20
BAG, Urt. vom 29.03.2023 – 5 AZR 55/19, IPRspr 2023-150
LAG Baden-Württemberg, Urt. vom 17.06.2024 – 4 Sa 6/18

Rechtsgebiete

Vertragliche Schuldverhältnisse → Allgemeines Vertragsrecht

Leitsatz

Ist sowohl die Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte als auch die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gerügt, muss zuerst über die Rechtswegzuständigkeit befunden werden. Nur ein rechtswegzuständiges Gericht ist berechtigt, eine Klage mangels internationaler Zuständigkeit abzuweisen.

Die Frage, ob eine Person „Verbraucher“ ist im Sinne von Art. 17 I EuGVO, ist nach der Stellung dieser Person innerhalb des konkreten Vertrags in Verbindung mit dessen Natur und Zielsetzung zu beantworten und nicht nach der subjektiven Stellung dieser Person. Auch ein eingetragener Kaufmann kann Verbraucher sein, wenn er Ansprüche aus oder im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis geltend macht, welches er neben seiner selbstständigen beruflichen Tätigkeit eingegangen ist. Arbeitnehmer sind Verbraucher.

Bei der Patronatsvereinbarung handelt es sich um einen Verbrauchervertrag im Sinne des Art. 6 I der Rom-I-VO, wonach das Recht des Staats anzuwenden ist, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (hier: Deutschland). [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BGB §§ 293 ff.; BGB § 615; BGB § 766
EuGFVO 861/2007 Art. 17
EuGVVO 1215/2012 Art. 6; EuGVVO 1215/2012 Art. 8; EuGVVO 1215/2012 Art. 17; EuGVVO 1215/2012 Art. 18; EuGVVO 1215/2012 Art. 20; EuGVVO 1215/2012 Art. 21; EuGVVO 1215/2012 Art. 24; EuGVVO 1215/2012 Art. 24 f.; EuGVVO 1215/2012 Art. 25
GG Art. 101
GVG § 17a
OR (Schweiz) Art. 324
Rom I-VO 593/2008 Art. 3; Rom I-VO 593/2008 Art. 4; Rom I-VO 593/2008 Art. 5 ff.; Rom I-VO 593/2008 Art. 6; Rom I-VO 593/2008 Art. 8
ZPO § 12

Sachverhalt

[Der nachgehenden Nichtzulassungsbeschwerde wurde stattgegeben, BAG, Beschl. vom 30.1.2019 – 5 AZN 722/18. Die Revision ist anhängig beim BAG unter dem Az. 5 AZR 55/19 und wurde dem EuGH am 24.6.2020 zur Vorabentscheidung vorgelegt – 5 AZR 55/19 (A).]


Der Kl. nimmt die Bekl. auf der Grundlage einer Patronatsvereinbarung auf die Zahlung v.a. von Annahmeverzugsvergütung in Anspruch. Der Kl. war auf der Grundlage eines Service Agreements ab 30.9.2015 für die Bekl. als Deputy Vice President Investors Relations tätig. Die Parteien beschlossen, das Vertragsverhältnis auf eine neu zu gründende Schweizer Gesellschaft zu überführen. Die F. T. AG gründete die R. S. AG (nachfolgend: R. S.), welche am 14.3.2016 in das Handelsregister des Kantons Schwyz (Schweiz) eingetragen wurde. Am 12.2.2016 schlossen die R. S. und der Kl. einen Arbeitsvertrag. Der Kl. wurde als Direktor eingestellt. Vereinbart wurde neben der erfolgsabhängigen Einräumung von Stock Options ein Monatsentgelt und die Zahlung einer „Antrittsprämie“. Am 1.4.2016 schlossen die R. S. und der Kl. einen im Wesentlichen gleichlautenden den Vertrag vom 12.2.2016 ablösenden Arbeitsvertrag. Die Vertragsparteien vereinbarten die Anwendung Schweizer Rechts. Zur Sicherung der aus der arbeitsrechtlichen Beziehung des Kl. zur R. S. begründeten Ansprüche schlossen die Parteien ebenfalls am 12.2.2016 eine Patronatsvereinbarung (Patron Agreement). Die R. S. zahlte ab April 2016 keine Vergütungen. Sie kündigte vielmehr das Arbeitsverhältnis mit dem Kl. fristlos.

Auf eine hiergegen erhobene Klage stellte das ArbG Stuttgart mit Urt. vom 2.11.2016 fest, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kl. und der R. S. nicht durch die Kündigung vom 11.7.2016 aufgelöst wurde. Die R. S. wurde zur Zahlung der Antrittsprämie sowie zur Zahlung von Vergütung verurteilt. Dieses Urteil ist rechtskräftig. Nach Erlass des arbeitsgerichtlichen Urteils bot der Kl. der R. S. die Arbeitskraft an und bat um Arbeitszuweisung. Der Kl. war während der gesamten Zeit im Handelsregister als Kaufmann eingetragen. Er ist zudem Gesellschaftergeschäftsführer einer Firma O. R. E. I. GmbH mit Sitz in S. Der Kl. beantragte u.a., die Bekl. zu verurteilen, an ihn eine Antrittsprämie, ausstehendes Gehalt sowie zur Zahlung von Annahmeverzugsvergütung zu zahlen. Die Bekl. beantragte, die Klage abzuweisen. Das ArbG hat mit Urteil vom 22.11.2017, ohne zuvor über die Rüge der Rechtswegzuständigkeit entschieden zu haben, die Klage mangels internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte abgewiesen. Gegen das Urt. richtet sich die vorliegende Berufung des Kl.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die Berufung des Kl. ist zulässig und begründet.

[2]A. Die Berufung ist zulässig ...

[3]B. Die Berufung des Kl. ist auch begründet. Das arbeitsgerichtliche Urteil war deshalb abzuändern. Es war nach den Anträgen des Kl. zu erkennen.

[4]I. Die Klage ist zulässig.

[5]1. Die Bekl. rügte in beiden Instanzen sowohl die Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte als auch die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Über die Rechtswegzuständigkeit ist dabei vorrangig zu befinden.

[6]a) Es gibt keinen logischen Vorrang der Frage der internationalen Zuständigkeit vor derjenigen der innerstaatlichen Rechtswegeröffnung (BayVGH, Beschl. vom 14.3.2011 – 5 C 10.2525 [juris]). Vielmehr kann umgekehrt nur das Gericht des zulässigen Rechtswegs über die Frage der internationalen Zuständigkeit entscheiden (BayVGH vom 14.3.2011 aaO; OVG Bremen, Beschl. vom 5.5.2000 – 1 S 164/00 (IPRspr. 2000 Nr. 124) [juris]). Dies ist Konsequenz aus dem Erfordernis, dass nur der gesetzliche Richter (Art. 101 I 2 GG) darüber zu entscheiden hat, ob eine Klage zulässig und begründet ist (BayVGH vom 14.3.2015 aaO). Es hätte also richtigerweise auf die Rüge der Bekl. bereits das ArbG gemäß § 17a GVG über den Rechtsweg im Vorabverfahren entscheiden müssen ...

[7]2. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist entgegen der Auffassung der Bekl. eröffnet ...

[8]3. Die deutschen Gerichte sind auch international zuständig.

[9]a) Für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit sind vorrangig die Regelungen der EuGVO anzuwenden. Die EuGVO gilt umfassend nicht nur für Rechtsstreitigkeiten innerhalb der Union, sondern auch für solche mit einem über die Union hinausweisenden Bezug. Sie gilt deshalb auch für die Beziehungen zwischen einem Mitgliedsstaat und einem Drittstaat (EuGH, Urt. vom 19.7.2012 – Ahmed Mahamdia ./. Demokratische Volksrepublik Algerien, Rs C-154/11, [ECLI:EU:C: 2012:491]).

[10]b) Ausgangspunkt ist demnach Art. 6 I EuGVO, wonach sich vorbehaltlich der Art.  18 I, 21 II, 24 und 25 EuGVO die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Mitgliedsstaats nach dessen eigenem Recht bestimmt. Nach eigenem deutschen Recht folgt die internationale Zuständigkeit der örtlichen Zuständigkeit. Die Bekl. müsste demnach gemäß § 12 ZPO an ihrem allgemeinen Gerichtsstand, somit in Kanada verklagt werden.

[11]c) Etwas anderes ergibt sich nicht aus Art. 24 und 25 EuGVO. Diese Vorschriften sind vorliegend sachlich nicht einschlägig.

[12]d) Auch aus Art. 21 II EuGVO kann eine deutsche internationale Zuständigkeit nicht abgeleitet werden.

[13]aa) Voraussetzung für eine internationale Zuständigkeit nach Art. 21 II EuGVO ist nämlich das Vorliegen der Voraussetzungen nach Art. 20 I EuGVO. Es müssen also Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag Gegenstand des Verfahrens sein. Vorliegend besteht zwar ein individueller Arbeitsvertrag, aus dem Ansprüche geltend gemacht werden, aber nur zwischen dem Kl. und der R. S. und nicht zwischen dem Kl. an der Bekl.

[14]bb) Einen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs gibt es in der EuGVO dagegen nicht (Stein-Jonas-Wagner, ZPO 22. Aufl., Einl. vor Art. 2 EuGVVO Rz. 18).

[15]cc) Eine Zuständigkeit kann auch nicht aus Art. 8 Nr. 1 EuGVO hergeleitet werden, auf den in Art. 20 I EuGVO verwiesen wird. Diese Vorschrift wäre nur einschlägig, wenn die Bekl. neben der R. S. in subjektiver Klagehäufung verklagt worden wäre. Vorliegend ist die Bekl. aber allein verklagt worden.

[16]e) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt sich jedoch in Abweichung zu Art. 6 I EuGVO aus Art. 18 I EuGVO. Die Bekl. kann ohne Rücksicht auf ihren Sitz in Kanada vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem der Kl. als Verbraucher seinen Wohnsitz hat. Die Voraussetzungen des Art. 17 EuGVO, die für eine Gerichtsstanderöffnung nach Art. 18 I EuGVO erforderlich sind, liegen vor.

[17]aa) Der Kl. macht Ansprüche aus einem Vertrag geltend i.S.v. Art. 17 I EuGVO.

[18](1) Art. 17 I EuGVO ist nämlich nicht auf synallagmatische Austauschverträge beschränkt, sondern erstreckt sich gleichermaßen auf Versprechen, die nicht in synallagmatischer Weise mit einem Gegenversprechen verknüpft sind. Die Vorschrift gilt somit auch für einseitig verpflichtende Verträge, bei denen nur der Vertragspartner des Verbrauchers eine Verpflichtung eingeht (EuGH, Urt. vom 14.5.2009 – Renate Ilsinger ./. Martin Dreschers, Rs C 180/06, [ECLI:EU:C:2009:303]; Stein-Jonas-Wagner aaO Art. 15 EuGVVO Rz. 36; Zöller-Geimer, ZPO 32. Aufl., Anh. I Art. 17 EuGVVO Rz. 15).

[19](2) Es ist daher vorliegend unschädlich, dass in der Patronatsvereinbarung nur die Bekl. eine verbindliche Zusicherung abgegeben hat, nicht aber der Kl. ein Gegenversprechen abgegeben hat.

[20]bb) Der Kl. war bezogen auf die Patronatsvereinbarung entgegen der Auffassung der Bekl. und des ArbG Verbraucher.

[21](1) Der Begriff des Verbrauchers wird in Art. 17 I EuGVO negativ und situativ formuliert, dass der Vertragspartner nur dann Verbraucher ist, wenn der Vertrag, aus dem die streitigen Ansprüche hergeleitet werden, zu einem Zweck geschlossen wurde, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann.

[22]Die Frage, ob eine Person eine Verbrauchereigenschaft besitzt, wobei dieser Begriff eng auszulegen ist, ist nach der Stellung dieser Person innerhalb des konkreten Vertrags in Verbindung mit dessen Natur und Zielsetzung und nicht nach der subjektiven Stellung dieser Person zu beantworten. Folglich fallen nur die Verträge, die eine Einzelperson zur Deckung ihres Eigenbedarfs beim privaten Verbrauch schließt, unter die Vorschriften zum Schutz des Verbrauchers als des Beteiligten, der als der wirtschaftlich schwächere Vertragspartner angesehen wird. Der mit diesen Vorschriften angestrebte besondere Schutz ist nicht gerechtfertigt bei Verträgen, deren Zweck in einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit besteht, auch wenn diese erst für die Zukunft vorgesehen ist, da die Tatsache, dass es sich um eine erst künftig aufzunehmende Tätigkeit handelt, nichts an ihrer beruflichen oder gewerblichen Natur ändert (EuGH, vom 3.7.1997 – Francesco Benincasa ./. Dentalkit S.r.l., Rs C-269/95 [ECLI:EU:C:1997:337]).

[23]Der Begriff der ‚beruflichen Tätigkeit’ bezieht sich hierbei nur auf selbstständige Tätigkeiten, nicht dagegen auf abhängige berufliche Tätigkeiten. Arbeitnehmer sind Verbraucher (Stein-Jonas-Wagner aaO Art. 15 EuGVVO Rz. 17).

[24](2) Legt man diese Maßstäbe zugrunde, handelte der Kl. beim Abschluss der konkret streitigen Patronatsvereinbarung als Verbraucher.

[25]Das ursprüngliche Vertragsverhältnis des Kl. zur Bekl. sollte zum Zwecke der ‚Steuer- und Abgabenoptimierung’ auf eine neu zu gründende Schweizer Gesellschaft ‚verschoben’ werden, nämlich auf die R. S. Dort sollte das Vertragsverhältnis des Kl. als Arbeitsverhältnis geführt werden. Deshalb wurden zwischen dem Kl. und der R. S. auch Arbeitsverträge abgeschlossen. Im Gefüge dieses Arbeitsvertrags handelte der Kl. als Verbraucher. Seine Tätigkeiten und seine Verpflichtungen aus diesem Vertragsverhältnis standen in keinem Zusammenhang zu seinen (daneben stehenden) selbstständigen kaufmännischen Tätigkeiten als eingetragener Kaufmann oder als Gesellschaftergeschäftsführer der O. R. E. I. GmbH. Dies gilt selbst dann, wenn sich die Geschäftsfelder ähneln sollten. Denn in der Vertragsbeziehung als Arbeitnehmer trat er der R. S. typischerweise als schwächerer Vertragspartner gegenüber.

[26]Die Patronatsvereinbarung diente in diesem Zusammenhang lediglich der Sicherung der Ansprüche aus diesem Arbeitsverhältnis. Der Kl. wollte sich erkennbar nur dann einen (erst noch neu zu gründenden) Vertragspartner aufdrängen lassen, wenn die vertraglichen Ansprüche auch durch die Bekl. als Altvertragspartnerin gesichert werden. Die Patronatsvereinbarung stand somit im unmittelbaren Zusammenhang zum Arbeitsvertrag und teilt deshalb dessen Einordnung als Verbrauchervertrag. Der Kl. stand der Bekl. bei Vertragsschluss gegenüber wie jeder andere Arbeitnehmer auch. Die gewährte Sicherheit steht in keinerlei Zusammenhang mit den übrigen selbstständigen Tätigkeiten des Kl.

[27]cc) Die Bekl. war erkennbar nicht ebenfalls Verbraucher, sondern handelte in Ausübung ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit.

[28]dd) Die Bekl. übte ihre berufliche oder gewerbliche Tätigkeit auch im Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaats aus, in dem der Kl. seinen Wohnsitz hat, nämlich in Deutschland. Zumindest hat sie eine solche Tätigkeit auf irgendeinem Wege auf Deutschland ausgerichtet. Es sind somit auch die Voraussetzungen des Art. 17 I lit. c EuGVO erfüllt.

[29](1) Unter dem Begriff des ‚Ausrichtens’ ist jede absatzfördernde Tätigkeit zu verstehen, die zumindest auch mit Blick auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers betrieben worden ist (Stein-Jonas-Wagner aaO Art. 15 EuGVVO Rz. 43). Es genügt jede werbende Tätigkeit des Unternehmens (Stein-Jonas-Wagner aaO Aufl. Art. 15 EuGVVO Rz. 41). Die Tätigkeiten kooperierender Vermittler oder Tochterfirmen sind zuzurechnen (BGH, Urt. vom 29.11.2011 – XI ZR 172/11 (IPRspr 2011-217) [juris]; Zöller-Geimer aaO Anh. I Art. 17 EuGVVO Rz. 31).

[30](2) Die Bekl. bediente sich u.a. des Kl., um auf dem europäischen und hierbei insbes. auf dem deutschen Markt Investoren zu finden für ihre Immobilienanlagenprodukte. Die Geschäftstätigkeiten waren somit auf den deutschen Markt ausgerichtet. Lediglich aus Gründen der ‚Steuer- und Abgabenoptimierung’ wurde das Vertragsverhältnis auf die R. S. ‚verschoben’ und jedenfalls ab Februar 2016 als Arbeitsverhältnis geführt. Die Zweckrichtung blieb aber dieselbe. Es sollte nunmehr die R. S. unter Mitwirkung des Kl. den deutschen Markt werbend bearbeiten. Dies haben die Parteien sogar ausdrücklich in § 1 der Patronatsvereinbarung festgehalten. Zur Ermöglichung dieser werbenden Tätigkeit benötigte die Bekl. den Arbeitsvertragsantritt des Kl. bei der R. S. Nur aus diesem Grunde gab sie die Patronatserklärung in der Patronatsvereinbarung ab.

[31]Hinzu kommt, dass die Bekl. für die R. S. in S. in der K. Straße Geschäftsräumlichkeiten vorhielt, von denen aus der Kl. und auch andere Mitarbeiter der R. S. ihre Tätigkeiten haben ausüben können und sollen. Die Ausrichtung auf den deutschen Markt wird auch dadurch ersichtlich.

[32]Nicht maßgeblich ist daher, ob die Patronatsvereinbarung von der Bekl. in Deutschland oder in Kanada unterschrieben wurde.

[33]II. Die Klage ist auch begründet.

[34]II.a Der Kl. hat gegen die Bekl. einen Anspruch auf Zahlung von Entgelt und Annahmeverzugsvergütung für den Zeitraum April 2016 bis August 2016 i.H.v. 212.500,00 USD brutto und auf Zahlung der Antrittsprämie i.H.v. 255.000,00 USD brutto. Der Anspruch resultiert aus der Patronatsvereinbarung.

[35]1. Für die Beurteilung des Zustandekommens und des Inhalts der Patronatsvereinbarung ist deutsches Recht anzuwenden.

[36]a) Die Frage, welches Recht anzuwenden ist, richtet sich nach der VO (EG) 593/2008 (nachfolgend: Rom-I-VO).

[37]b) Die Parteien der Patronatsvereinbarung haben keine Rechtswahl gem. Art. 3 I der Rom-I-VO getroffen, weshalb sich das anzuwendende Recht gemäß Art. 4 II der Rom-I-VO grundsätzlich nach dem Recht des Staats zu richten hätte, in dem die Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Es wäre somit kanadisches Recht anzuwenden.

[38]c) Jedoch gilt dies gemäß Art. 4 I der Rom-I-VO nur, wenn nicht in Art. 5 bis 8 der Rom-I-VO etwas anderes geregelt ist. Bei der Patronatsvereinbarung handelt es sich jedoch um einen Verbrauchervertrag i.S.d. Art. 6 I der Rom-I-VO, weshalb das Recht des Staats anzuwenden ist, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Vorliegend ist dies Deutschland.

[39]aa) Der Kl. ist ‚Verbraucher’. Hierfür wird auf die obigen Ausführungen zu Art. 20 I EuGVO verwiesen. Die Begrifflichkeiten sind deckungsgleich.

[40] bb) Die Bekl. handelte bei Abschluss des Vertrags in Ausübung ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit. Auch insoweit wird auf obige Ausführungen verwiesen.

[41]2. Die Patronatsvereinbarung wurde wirksam abgeschlossen. Sie wurde insbes. von beiden Vertragsparteien unterschrieben, weshalb, selbst wenn man den Vertrag inhaltlich als Bürgschaftsvertrag ansehen wollte, das Schriftformerfordernis des § 766 BGB gewahrt wäre.

[42]3. Die Bekl. wollte inhaltlich mit dieser Patronatsvereinbarung vollständig für die Verbindlichkeiten der R. S. aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Kl. diesem gegenüber einstehen ...

[43]II.b Der Kl. hat auch einen Anspruch auf weitere Annahmeverzugsvergütungen für den Zeitraum September 2016 bis November 2017 i.H.v. insgesamt 595.000,00 USD brutto. Die Haftung folgt wiederum akzessorisch zu den Verbindlichkeiten der R. S. aus der Patronatsvereinbarung.

[44]1. Da die Haftung der Bekl. aus der Patronatsvereinbarung akzessorisch ist zur Haftung der R. S., ist vorher abzuklären, welchem Recht die Ansprüche des Kl. gegenüber der R. S. unterfallen.

[45]a) Der Kl. und die R. S. haben in ihren Arbeitsverträgen gemäß Art. 3 I Rom-I- VO die Anwendbarkeit Schweizer Rechts vereinbart. Daran waren sie gemäß Art. 8 I 1 der Rom-I-VO grundsätzlich auch gebunden.

[46]b) Eine solche Bindung bestünde gemäß Art. 8 I 2 der Rom-I-VO jedoch nicht, wenn dem Kl. durch diese Rechtswahl der Schutz entzogen würde, welcher ihm zuteil gekommen wäre, wenn eine Rechtswahl nicht getroffen worden wäre, und von diesem Schutz nach den anzuwendenden nationalen Vorschriften nicht hätte abgewichen werden dürfen. Ob dem Arbeitnehmer durch das gewählte Recht der Schutz der zwingenden arbeitsrechtlichen Bestimmungen des nach Art. 8 II bis IV ROM-I-VO maßgebenden Rechts entzogen wird, ist durch Vergleich der beiden Rechtsordnungen zu ermitteln; dabei ist jeweils auf die Ergebnisse abzustellen, zu denen diese Rechte in dem betreffenden Teilbereich, z.B. Kündigungsschutz, im Einzelfall gelangen (BAG, Urt. vom 29.10.1992 – 2 AZR 267/92 [juris]; Palandt-Thorn, BGB 76. Aufl., Art. 8 Rom I-VO Rz. 8). Insbesondere das Kündigungsschutzrecht gehört zu den zwingenden arbeitsrechtlichen Bestimmungen (BAG, Urt. vom 10.4.2014 – 2 AZR 741/13 (IPRspr 2014-70b) [juris]).

[47]c) Unter Anwendung dieser Grundsätze kann es bezogen auf die Ansprüche auf Annahmeverzugsvergütung bei Anwendung Schweizer Rechts verbleiben. Art. 324 des Schweizer Obligationenrechts [vom 30.3.1911 (BS 2, 199); OR)] gewährt bei einem Annahmeverzug des Arbeitgebers gleichermaßen Vergütungsansprüche wie § 615 BGB i.V.m. §§ 293 ff. BGB.

[48]d) Fraglich ist lediglich, ob die Bekl. bei der Beurteilung eines Annahmeverzugs zugleich an die Feststellung des ArbG [Stuttgart] gemäß Urteil vom 2.11.2016 (29 Ca 4733/16) gebunden ist, dass zwischen dem Kl. und der R. S. ein Arbeitsverhältnis fortbesteht.

[49]aa) ... bb) ... cc )Letztlich kann dies aber dahinstehen, da in Auslegung der Patronatsvereinbarung die Bekl. für alle arbeitsvertraglichen Verbindlichkeiten der R. S. haften soll.

Fundstellen

nur Leitsatz

NZA-RR, 2019, 42

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