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Verfahrensgang

ArbG Berlin, Urt. vom 28.06.2023 – 37 Ca 6915/23
LAG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 07.05.2024 – 8 Sa 920/23
BAG, Urt. vom 27.03.2025 – 8 AZR 139/24, IPRspr 2025-75

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Gerichtsstandsvereinbarung, rügelose Einlassung
Arbeitsrecht → Individualarbeitsrecht

Leitsatz

Ein Auslandsbezug ist gegeben, wenn eine Vertragspartei im Ausland lebt oder ihren Sitz dort hat. Ferner begründet eine Gerichtsstandsvereinbarung, mit der die in demselben Mitgliedstaat ansässigen Parteien eines Vertrags die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats für Rechtsstreitigkeiten aus diesem Vertrag vereinbaren, jenen grenzüberschreitenden Bezug, selbst wenn der Vertrag keine weitere Verbindung zu diesem anderen Mitgliedstaat aufweist. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EuGVVO 1215/2012 Art. 1; EuGVVO 1215/2012 Art. 25
ZPO §§ 38 ff.; ZPO § 545

Sachverhalt

Die Parteien begründeten mit einem in deutscher Sprache abgefassten Arbeitsvertrag zum 1. August 2014 ein Arbeitsverhältnis. Der Kläger erhielt als Chief Commercial Officer nach § 7 Abs. 1 des Arbeitsvertrags zunächst ein festes Bruttojahresentgelt iHv. ... Euro. Kurz nach Beginn des Arbeitsverhältnisses wechselte er auf die Position des Chief Financial Officer und erhielt zuletzt eine jährliche Grundvergütung iHv. ... Euro brutto. Die Beklagte mit Sitz in Berlin betreibt eine Internetplattform, über die Ferienunterkünfte vermittelt werden. Ihre Muttergesellschaft, die frühere L SE mit Sitz in Luxemburg, firmiert heute als H SE und ist seit September 2021 börsennotiert. In § 10 des Arbeitsvertrags vereinbarten die Parteien ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot für die Dauer von zwölf Monaten. Am 22. November 2021 vereinbarten die Parteien einen Aufhebungsvertrag. Danach endete das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31. März 2022. In § 9 des Aufhebungsvertrags ist geregelt, dass das nachvertragliche Wettbewerbsverbot von der Aufhebung des Arbeitsvertrags unberührt bleibt.

Der Kläger entwickelte für die Beklagte ein sog. Debt Assumption and Share Purchase Agreement, das er am 6. Januar 2022 unterschrieb (im Folgenden DASPA 2022). Parteien des DASPA 2022 sind des Weiteren die Beklagte und deren Muttergesellschaft. Mit dem DASPA 2022 wurden die Bestimmungen der zwischen den Parteien vereinbarten Optionsprogramme geändert und insbesondere erdiente virtuelle Aktienoptionen bis zum 31. Dezember 2021 für unverfallbar erklärt sowie virtuelle Aktienoptionen, die am 21. September 2021 noch nicht gevestet waren, in einen „Payment Claim“ umgewandelt. Die Beklagte zahlte dem Kläger für die Zeit von April 2022 bis Februar 2023 eine monatliche Karenzentschädigung iHv. ... Euro brutto.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verur­teilen, an ihn ... Euro brutto und die ihm von April 2022 bis März 2023 zustehende Karenzentschädigungen iHv ... Euro jeweils zuzüglich Zinsen zu zahlen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die zulässige Revision ist begründet. ...

[2]I. Im Ergebnis ist das Landesarbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Klage insgesamt zulässig ist. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist gegeben.

[3]1. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist eine in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfende Sachurteilsvoraussetzung. § 545 Abs. 2 ZPO steht dem nicht entgegen (BAG 31. März 2022 - 8 AZR 207/21 (IPRspr 2022-174) - Rn. 15 mwN).

[4]2. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte in Bezug auf den vom Kläger begehrten Barausgleich aus dem DASPA 2022 kann allerdings nicht mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung bejaht werden.

[5]a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die internationale Zuständigkeit folge nach deutschem Recht grundsätzlich der örtlichen Zuständigkeit. Mangels eines grenzüberschreitenden Bezugs des Rechtsstreits richte sich die Zulässigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien zugunsten der Gerichte der Stadt Luxemburg nach den Regelungen der §§ 38 ff. ZPO, die vorliegend nicht durch vorrangiges Unionsrecht verdrängt seien. Die Voraussetzungen für eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung nach §§ 38 ff. ZPO seien nicht gegeben.

[6]b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts richtet sich die internationale Zuständigkeit nach vorrangigem Unionsrecht. Bei einem Arbeitsrechtsstreit handelt es sich um eine zivilrechtliche Streitigkeit iSv. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (BAG 22. August 2024 - 2 AZR 251/23 (IPRspr 2024-131) - Rn. 21 mwN). Die internationale Zuständigkeit richtet sich daher nach der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012, die gegenüber den nationalen Regelungen vorrangig ist, sofern ein Auslandsbezug gegeben ist (vgl. BAG 26. April 2022 - 9 AZR 228/21 (IPRspr 2022-48) - Rn. 12 mwN, BAGE 177, 298). Ein ausreichender Auslandsbezug ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass das DASPA 2022 nicht nur zwischen dem Kläger und der Beklagten mit Sitz in Berlin, sondern auch mit der H SE mit Sitz in Luxemburg geschlossen worden ist. Im Übrigen ergibt sich der Auslandsbezug aus der Gerichtsstandsvereinbarung selbst. Art. 25 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 ist dahin auszulegen, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung, mit der die in demselben Mitgliedstaat ansässigen Parteien eines Vertrags die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats für Rechtsstreitigkeiten aus diesem Vertrag vereinbaren, unter diese Bestimmung fällt, selbst wenn der Vertrag keine weitere Verbindung zu diesem anderen Mitgliedstaat aufweist (EuGH 8. Februar 2024 - C-​566/22 - [Inkreal] Rn. 14 ff.).

[7]3. Für die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte kommt es nicht darauf an, ob die im DASPA 2022 getroffene Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der luxemburgischen Gerichte wirksam ist. Diese erfasst den Streitgegenstand des zu entscheidenden Rechtsstreits nicht. Die Gerichtsstandsvereinbarung in Nr. 7.1 DASPA 2022 zugunsten der Gerichte in Luxemburg betrifft nach dem, von den Parteien in der mündlichen Revisionsverhandlung geäußerten, gemeinsamen Sprachverständnis ausschließlich einen Kauf („purchase“) nach Nr. 5 DASPA 2022. In Nr. 5.1 DASPA 2022 ist der Kauf von „Relevant VSOPs Payment Shares“ geregelt. Dabei handelt es sich nach Nr. 1.2 und Nr. 1.6 DASPA 2022 um Aktien der H SE. Die Streitigkeit der Parteien betrifft dagegen einen auf Geld gerichteten Barausgleich. Für Streitigkeiten, die nicht auf den Kauf von Aktien der H SE gerichtet sind, ist nach Nr. 7.1 DASPA 2022 Berlin als ausschließlicher Gerichtsstand vereinbart.

[8]II. ...

Fundstellen

Volltext

Link, BMJ (rechtsprechung-im-internet.de)
Link, openJur
Link, BAG (bundesarbeitsgericht.de)
Link, Rechtsinformationen des Bundes

nur Leitsatz

BB, 2025, 1779

LS und Gründe

NZA, 2025, 1167

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2025-75

Lizenz

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