Im Rahmen von Art. 17 f. EuGVVO ist die Verbrauchereigenschaft der klägerischen Zessionarin und nicht die des Zedenten maßgeblich.
Nach Ablauf des im Austrittsabkommen UK/EU normierten Übergangszeitraums, welches auch im Verhältnis zu Gibraltar gilt, ist die EuGVVO nicht anzuwenden, sondern ein Rekurs auf die nationalen Vorschriften zur internationalen Zuständigkeit notwendig.
Fordert die Klägerin von der Beklagten mit Sitz im Ausland die Rückzahlung von Wetteinsätzen im Rahmen von Online-Glücksspielen zurück, so kann sich die deutsche Gerichtsbarkeit für etwaige Schadensersatzansprüche aus § 32 ZPO ergeben. [LS der Redaktion]
Die Parteien streiten um Rückforderungsansprüche der Klägerin aus abgetretenem Recht des Herrn B. (künftig: Zedent) wegen dessen Verlusten bei Online-Glücksspielen auf der Internetseite „www…de“ der Beklagten mit Sitz in Gibraltar in einem behaupteten Zeitraum vom 23.01.2013 bis zum 30.11.2015 mit einem behaupteten Verlustsaldo in Höhe von € ....
Die Klage vom 20.01.2023 ging am selben Tag beim LG München I ein. Die Beklagte hat von Anfang an und durchgängig die fehlende internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gerügt. Das LG München I hat im Endurteil vom 14.02.2024 die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte verneint und die Klage als unzulässig abgewiesen. Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter. Der Senat hat am 25.11.2024 abgesondert über die Zulässigkeit der Klage verhandelt.
[1]B
[2]Die Berufung ist zulässig (§§ 511, 517, 520 ZPO), die Klage jedoch lediglich begrenzt:
[3]I. 1. Deutsche Gerichte sind international zuständig, allerdings nur für Ansprüche der Klägerin aus unerlaubter Handlung zum Nachteil des Zedenten (§ 280 Abs. 1, § 32 ZPO). Insoweit ist die Klage zulässig.
[4]2. Im Übrigen verbleibt es beim Endurteil des LG München I vom 14.02.2024 (dazu sogleich unter B II bis B IV). Der Erlass eines entsprechenden Teilurteils ist zulässig, da über Ansprüche aus unerlaubter Handlung getrennt von übrigen Anspruchsgrundlagen (Ansprüche aus Vertragsverletzung, Bereicherungsansprüche) ohne die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen entschieden werden kann (§ 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Urteil des BGH vom 12.03.2020 (
[5]II. Die Vorschriften der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (künftig: EuGVVO) sind für die unmittelbare Beurteilung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht anwendbar.
[6]1. Art. 17 Abs. 1 c, Art. 18 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 EuGVVO kommen für die internationale Zuständigkeit schon deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin kein Verbraucher ist, auf die Verbrauchereigenschaft des Zedenten jedoch nicht abgestellt werden kann (vgl. EuGH, Urteil vom 17.09.2009, C‑347/08, VersR 2009, 1512, 1515, Randziffer 43).
[7]Das gilt um so mehr, als ansonsten die Regelungen des Austrittsabkommens zur Beendigung der Anwendbarkeit der EuGVVO zu großen Teilen leer liefen, was mit Sicherheit keine der beiden Vertragsparteien so gewollt hat (sonst wäre die Regelung nicht vereinbart worden). Der Senat teilt daher die Ansicht der Klägerin, die EuGVVO griffe (über Art. 6 EuGVVO?) hier durch, auch aus diesem Grund nicht (vgl. OLG München, Urteil vom 16.09.2024,
[8]2. Im Hinblick auf Art. 67 Abs. 1 a, Art. 126 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft 2019 (künftig: Austrittsabkommen; Amtsblatt der Europäischen Union vom 12.11.2019, C 384 I/1; im Internet unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/ DE/TXT/uri=CELEX%3A12019W/TXT%2802%29 abrufbar) ist die EuGVVO insgesamt für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht anwendbar:
[9]a) Nach Art. 3 Abs. 1 b Austrittsabkommen ist Gibraltar in dieses einbezogen.
[10]b) Die Übergangszeit bis zum 31.12.2020 war zum Zeitpunkt der Anhängigkeit der vorliegenden Klage abgelaufen (Art. 126 Austrittsabkommen).
[11]c) Die Wirksamkeit des Protokolls zu Gibraltar endete abgesehen von dessen hier nicht relevantem Art. 1 mit Ablauf des Übergangszeitraums zum 01.01.2021 (Art. 185 letzter Absatz Austrittsabkommen).
[12]d) Damit ist die EuGVVO auf den vorliegenden Rechtsstreit für die unmittelbare Frage der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht (mehr) anwendbar (Art. 67 Abs. 1 a Austrittsabkommen).
[13]III. Das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007 (künftig: LugÜ) findet im Verhältnis zu Großbritannien und damit auch zu Gibraltar keine Anwendung, da die Europäische Kommission einen Beitritt Großbritannien für den Zeitraum nach Ablauf der Übergangszeit verhindert (vgl. https://www.nzz.ch/meinung/alleingang-der-eu-kommission-zulasten-des-europaeischen-justizraums-ld.1640692) hat.
[14]IV. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich (begrenzt) ausschließlich aus § 32 ZPO:
[15]1. Die Gerichtsstandsvereinbarung des Zedenten mit der Beklagten im Rahmen ihrer allgemeinen Geschäftsbedingungen, die, soweit, ersichtlich, von keiner der Parteien vorgelegt wurden, begründet einen Gerichtsstand (allein) für Gibraltar nicht (Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in ihrer ab 14.03.2012 geltenden Fassung [künftig: EuGVVO a.F.]):
[16]a) Anwendbar ist hier allein die EuGVVO a. F., da der Zedent ab 23.01.2013 (angeblich) gespielt hat, und die Gerichtsstandsvereinbarung nach Vortrag der Beklagten durch Kenntnisnahme der allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten durch den Zedenten vor seinem ersten Spiel Vertragsinhalt geworden sein soll (Art. 81 Abs. 2 EuGVVO).
[17]b) Die genaue Gerichtsstandsklausel in den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten ist nicht bekannt, da sie nicht vorgelegt wurde. Sie wäre gegenüber einem Verbraucher, sofern sie allein den Gerichtsstand am Sitz des Unternehmens zulässt, rechtsmissbräuchlich (vgl. EuGH, Urteil vom 27.06.2000, C-240/98 u.a., WM 2000, 2216, 2218, Randziffer 24). Sollte sie auch einen Gerichtsstand am Sitz des Verbrauchers zulassen, wäre eine Klage in München ohnehin nicht durch eine solche Gerichtsstandsklausel ausgeschlossen.
[18]2. Eine internationale Zuständigkeit lässt sich nicht über § 29 Abs. 1 ZPO oder eine Gerichtsstandsvereinbarung herleiten:
[19]a) Für einen Bereicherungsanspruch des Zedenten nach § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz BGB befindet sich der Leistungsort am Sitz der Beklagten in Gibraltar (§ 269 Abs. 1 BGB), sofern § 29 Abs. 1 ZPO überhaupt auf den Bereicherungsanspruch anwendbar ist (verneinend BGH, Urteil vom 28.02.1996,
[20]Abzustellen ist auf den Schwerpunkt der Hauptleistung des vereinbarten (unterstellt: unwirksamen) Vertrages. Dies ist die Veranstaltung des Glücksspiels (im Zweifel) am Sitz der Beklagten in Gibraltar.
[21]c) Eine von der Beklagten behauptete Gerichtsstandsvereinbarung in Gibraltar mittels ihrer allgemeinen Geschäftsbedingungen (Richtigkeit des Beklagtenvortrags unterstellt) wäre zum 23.01.2013 im Verhältnis zum Zedenten unwirksam gewesen (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 a EuGVVO a. F. [vgl. oben Ziffer B IV 1]; siehe auch EuGH, Urteil vom 18.11.2020, C-519/19, NJW-RR 2021, 240), was auch bis zum 30.11.2015 gegolten hat. Völlig unabhängig von einer Bindungswirkung für die klägerische Zessionarin wäre diese Vereinbarung auch heute nicht wirksam.
[22]d) Dasselbe gilt für eine etwaige Leistungsortvereinbarung Gibraltar mittels der allgemeinen Geschäftsbedingungen (Richtigkeit des Beklagtenvortrags unterstellt) der Beklagten, da eine entsprechende allgemeine Geschäftsbedingung der Beklagten allein dazu diente, den Gerichtsstand in Gibraltar festzuschreiben (vgl. auch EuGH, Urteil vom 20.02.1997, C-106/95, NJW 1997, 1431, 1433, Randziffer 35).
[23]e) Art. 3 Abs. 4 Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland vom 15.12.2011 (künftig: GlückStV 2012) kann im Hinblick auf eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift einen Leistungsort im Sinne der § 269 BGB; § 29 ZPO nicht herbeiführen, da insoweit der Bundesgesetzgeber von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) im bürgerlichen und im Zivilprozessrecht umfassend Gebrauch gemacht hat und deshalb den Ländern die gesetzgeberische Zuständigkeit fehlt(e) (Art. 72 Abs. 1 GG).
[24]3. International zuständig sind deutsche Gerichte auch nicht nach § 23 Satz 1 ZPO:
[25]a) Als möglicher internationaler Gerichtsstand ist der Belegenheitsgerichtsstand von Vermögen zwar unerwünscht, aber möglich (vgl. BGH, Urteil vom 24.11.1988,
[26]b) Die Klägerin hat ihren Beweisantrag, dass sich die Server der Beklagten auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland befänden, in der mündlichen Verhandlung vom 25.11.2024 ausdrücklich fallen gelassen und damit diese Behauptung nicht bewiesen, sodass die Geeignetheit dieses Beweisangebots dahinstehen kann.
[27]3. § 32 ZPO lässt eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nur für Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung zu:
[28]a) Für diese Begrenzung wird auf den Beschluss des BGH vom 10.12.2002 (
[29]b) Der (behauptete) Erfolg des schadensbegründenden Ereignisses (Teilnahme des Zedenten am Glücksspiel mit Verlusterzielung) ist zweifellos an dessen Wohnort eingetreten. Dabei kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, wo genau der Kläger seine Verluste durch Spiel erzielt hat, da der Wohnort des Zedenten in der H.-straße … in … München, soweit ersichtlich, von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen wird, und sich der klägerische Schaden dort letztlich manifestiert hat, gleichgültig, wo der Zedent seine Kontenverbindung bei einer Bank oder Sparkasse unterhält.
[30]c) § 284 StGB dient (auch) dazu, das Vermögen des Einzelnen zu schützen (vgl. BGH, Urteil vom 04.02.1958,
[31]Darüber hinaus kommt auch eine Verwirklichung des Tatbestands des § 826 BGB in Betracht.
[32]d) Das Urteil des EuGH vom 22.01.2015 (C-441/13, GRUR 2015, 296, insbesondere Randziffern 24ff.) ist schon deshalb nicht einschlägig, weil hier kein Fall des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO a. F.) bzw. des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO vorliegt, sondern allein die nationale Vorschrift des § 32 ZPO relevant ist.
[33]e) Das gilt auch für das Urteil des EuGH vom 10.06.2004 (C-168/02, NJW 2004, 2441) sowie im Hinblick auf Art. 5 Nr. 3 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (künftig: EuGVÜ) für das Urteil des BGH vom 24.09.1986 (
[34]4. Sonstige Normen, die die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte herbeiführen könnten, sind nicht ersichtlich.
[35]5. Nicht geprüft wird in diesem Zusammenhang, inwieweit die Beklagte ab 01.01.2015 noch passivlegitimiert ist, inwieweit die Klägerin aktivlegitimiert ist, inwieweit Online-Glücksspiel durch den Zedenten betrieben wurde und in welchem Umfang und mit welchem Ergebnis einschließlich der Höhe des (angeblich) entstandenen Schadens sowie Fragen der Verjährung. Dies ist jeweils der Begründetheitsprüfung vorbehalten.
[36]C. ...
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