Der BGH kann eine Anordnung nach § 27 Abs. 2 IntFamRVG aufheben, sofern gegen die Beschwerdeentscheidung, die die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit enthält, Rechtsbeschwerde eingelegt worden ist. Die Aufhebung der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit einer Sorgerechtsentscheidung wird danach regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat oder die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist. Ist der Erfolg der Rechtsbeschwerde im Zeitpunkt der Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts über den Antrag auf Aufhebung der sofortigen Wirksamkeit offen, ist eine Abwägung zwischen den Nachteilen für das betroffene Kind bei Aufrechterhaltung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Herausgabeanordnung und einem möglichen Erfolg des Rechtsmittels vorzunehmen. [LS der Redaktion]
[1] Der Antrag auf Aufhebung der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit ist zulässig und hat Erfolg.
[2] 1. Nach § 31 IntFamRVG kann der Bundesgerichtshof auf Antrag der verpflichteten Person eine Anordnung nach § 27 Abs. 2 IntFamRVG aufheben, sofern - wie hier - gegen die Beschwerdeentscheidung, die die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit enthält, Rechtsbeschwerde eingelegt worden ist (vgl. Dutta/Jacoby/ Schwab/Heiderhoff FamFG 4. Aufl. § 31 IntFamRVG Rn. 1).
[3] Das Rechtsbeschwerdegericht hat über die beantragte Aufhebung der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels und die drohenden Nachteile für den Rechtsbeschwerdeführer gegeneinander abzuwägen. Die Aufhebung der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit einer Sorgerechtsentscheidung wird danach regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat oder die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Oktober 2018 -
[4] 2. Gemessen hieran ist die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit des angegriffenen Beschlusses aufzuheben. Nach dem derzeitigen Verfahrensstand ist die Rechtsbeschwerde der Kindesmutter jedenfalls nicht offensichtlich ohne Aussicht auf Erfolg. Bei der in diesem Fall gebotenen Folgenabwägung überwiegen die Gründe für die Aufhebung der sofortigen Wirksamkeit der angegriffenen Entscheidung.
[5] a) Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass es § 27 Abs. 2 IntFamRVG ermöglichen soll, die Entscheidung in der Hauptsache praktisch vorwegzunehmen, um auf diese Weise der Gefahr der Verschleppung des Verfahrens entgegenzuwirken (BT-Drucks. 15/3981 S. 26), insbesondere wenn dies aus Gründen des Kindeswohls erforderlich erscheint (vgl. Hausmann Internationales und Europäisches Familienrecht 3. Aufl. N. Kindschaftssachen Rn. 628; MünchKommFamFG/Gottwald 3. Aufl. § 27 IntFamRVG Rn. 2). Andererseits ist in die Abwägung einzustellen, ob mit einer sofortigen Rückgabe des Kindes auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der anderen Beteiligten eine Gefahr für das Kindeswohl verbunden ist (vgl. Staudinger/Pirrung BGB [2018] Rn. G 80). Eine solche kann insbesondere gegeben sein, wenn die Vollziehung eine Ortsveränderung bewirken kann, die auch im Fall eines erfolgreichen Rechtsmittels zum Bundesgerichtshof voraussichtlich nicht rückgängig gemacht werden kann, oder dem Kind ein möglicher mehrfacher erzwungener Aufenthaltswechsel über weite Entfernungen bei eventueller Aufhebung der Entscheidung droht (vgl. Staudinger/Pirrung BGB [2022] Vorbemerkung EGBGB Rn. G 60; Hausmann Internationales und Europäisches Familienrecht 3. Aufl. N. Kindschaftssachen Rn. 628).
[6] b) Danach entspricht es im vorliegenden Fall dem Kindeswohl, die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit durch das Beschwerdegericht aufzuheben. Nach dem Vortrag der Rechtsbeschwerde, der der Kindesvater nicht entgegengetreten ist, lebt das Kind seit dem Jahr 2018 bei seiner Mutter in Deutschland. Es wurde im Jahr 2021 in Berlin eingeschult, ist sozial eingebunden und hat dort seinen Lebensmittelpunkt gefunden. Aus diesem gewohnten Umfeld würde das Kind durch die Vollstreckung der angegriffenen Entscheidung nach einem Zeitraum von nahezu sieben Jahren herausgerissen werden, wodurch auch die bestehende Bindung zur Mutter erheblich beeinträchtigt würde. Daher widerspräche ein im Wege der Vollstreckung erzwungener, gegebenenfalls nur vorläufiger Umzug des Kindes nach Bulgarien vor der abschließenden Entscheidung über die Rechtsbeschwerde der Mutter dem Kindeswohl.
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