Eine auferlegte Rückführungspflicht nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen gilt als erledigt, wenn der entführende Elternteil das Kind für einen Zeitraum in den Herkunftsstaat zurückgebracht hat, in dem der rückfordernde Elternteil eine den Verbleib sichernde Anordnung im Heimatstaat bewirken kann; die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts im Herkunftsstaat ist nicht erforderlich. Aus einer solchen Erfüllung folgt, dass keine Ordnungsmittel gegen den entführenden Elternteil mehr angeordnet werden können, wenn er das Kind in den Herkunftsstaat zurückgebracht und es sich mehr als drei Wochen dort aufgehalten hat, auch wenn er es danach erneut von dort mitnimmt.
Dem BVerfG obliegt im Rahmen des Elterngrundrechts des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG die Kontrolle, ob die Rückführungsentscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen. Dabei indiziert die Unvereinbarkeit der Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Regelungen des Haager Kindesentführungsübereinkommens mit dem Kindeswohl eine Verletzung des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Gerichte müssen ihr Verfahren in Kindschaftssachen so gestalten, dass sie möglichst zuverlässig die Grundlagen einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen können. Die Begründung muss erkennen lassen, dass die in Art. 8 EMRK vorausgesetzten Garantien gewährleistet worden und das Kindeswohl berücksichtigt worden sind.
Um dem Kindeswohl bei der konkreten Anwendung des Versagungsgrundes des Art. 13 Abs. 1 lit. b Haager Kindesentführungsübereinkommen Rechnung zu tragen, hat das Fachgericht sich näher sowohl mit der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der auf die Kriegssituation in der Ukraine bezogenen Handhabung des Versagungsgrundes als auch mit den konkreten, auf das Wohl des Kindes bezogenen Einschätzungen der im Ausgangsverfahren fachlich Beteiligten auseinanderzusetzen. [LS der Redaktion]
Die Beschwerdeführerin zu 1) ist die Mutter eines 2016 geborenen Sohnes, des Beschwerdeführers zu 2). Er ist aus der Ehe der Beschwerdeführerin mit dem Vater hervorgegangen. Alle drei besitzen die ukrainische Staatsangehörigkeit, der Vater zusätzlich die (…). Die Ehe der Eltern wurde 2018 durch ein ukrainisches Gericht geschieden. Eine Entscheidung zum Sorgerecht erfolgte nicht, sodass die Eltern auch nach der Scheidung das Sorgerecht für den Beschwerdeführer zu 2) weiterhin gemeinsam ausüben. Allerdings wurde angeordnet, dass er bei der Beschwerdeführerin zu 1) wohnen solle. Anfang des Jahres 2022 regelte ein ukrainisches Gericht Umgangskontakte des Vaters mit dem Beschwerdeführer zu 2). Nach Kriegsbeginn verließen die Beschwerdeführenden ohne Kenntnis des Vaters die Ukraine und gelangten nach Deutschland. Erst im September 2022 erfuhr der Vater über soziale Netzwerke vom Aufenthalt der Beschwerdeführenden in Deutschland.
Im Februar 2023 hat der Vater bei dem inländisch zuständigen Familiengericht die Rückführung des Beschwerdeführers zu 2) in die Ukraine nach der HKÜ beantragt. Das Familiengericht hat den Antrag des Vaters auf Rückführung des Beschwerdeführers zu 2) zurückgewiesen. Dagegen hat der Vater Beschwerde eingelegt. Mit angegriffenem Beschluss vom 17. Juli 2023 hat das Oberlandesgericht den Beschluss des Familiengerichts abgeändert und angeordnet, dass die Beschwerdeführerin zu 1) verpflichtet sei, den Beschwerdeführer zu 2) bis zum 7. August 2023 in die Ukraine zurückzuführen. Mit der Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin zu 1) im eigenen Namen und im Namen des Beschwerdeführers zu 2) die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 sowie Art. 6 GG geltend.
II.
[12] Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe aus § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde insgesamt unzulässig und deshalb ohne Aussicht auf Erfolg ist.
[13] 1. ... [14] 2. Die von der Beschwerdeführerin zu 1) im eigenen Namen erhobene Verfassungsbeschwerde ist ebenfalls unzulässig. Es ist bereits zweifelhaft, ob für sie ein Rechtsschutzbedürfnis besteht und dies von der Beschwerdeführerin zu 1) hinreichend dargelegt ist (a). Jedenfalls genügt die Begründung der Verfassungsbeschwerde den nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG daran zu stellenden Anforderungen nicht (b).
[15] a) An dem Fortbestehen des Rechtsschutzbedürfnisses für die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1) bestehen Zweifel, weil sie mit der zeitweiligen Rückführung des Beschwerdeführers zu 2) in die Ukraine ihrer Verpflichtung aus dem angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts nachgekommen ist und dieser sich damit erledigt hat.
[16] aa) Das Rechtsschutzbedürfnis im verfassungsgerichtlichen Verfahren muss grundsätzlich noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegeben sein. Es kann aber unter bestimmten Voraussetzungen nach Erledigung des mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Begehrens fortbestehen, wenn ansonsten entweder die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe und der gerügte Grundrechtseingriff besonders belastend erscheint oder eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu besorgen ist oder die Maßnahme noch weiterhin beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 159, 223 <273 Rn. 98>; stRspr). Hat sich die angegriffene hoheitliche Maßnahme erledigt, ist es Sache der Beschwerdeführenden ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis darzulegen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 12. Juli 2023 -
[17] bb) Nach diesen Maßgaben war die Beschwerdeführerin zu 1) gehalten, ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis trotz eingetretener Erledigung des angegriffenen Beschlusses des Oberlandesgerichts substantiiert darzulegen (1). Da ausdrückliche Ausführungen dazu fehlen, bestehen Bedenken, dass die Beschwerdeführerin zu 1) ihrer Darlegungslast ausreichend nachgekommen ist (2).
[18] (1) Die Beschwerdeführerin zu 1) ist wegen der Erfüllung der ihr auferlegten Rückführungspflicht nicht mehr durch den angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts beeinträchtigt. Ausgehend von der zum Fachrecht ganz überwiegend vertretenen Auffassung hat die Beschwerdeführerin zu 1) die ihr durch den angegriffenen Beschluss auferlegte Pflicht, den Beschwerdeführer zu 2) in die Ukraine zurückzuführen, durch den zeitweiligen Aufenthalt mit ihm dort erfüllt. Nach überwiegendem fachrechtlichen Verständnis ist die Rückgabeverpflichtung nach dem Haager Übereinkommen bereits dann erfüllt, wenn der entführende Elternteil das Kind für einen Zeitraum in den Herkunftsstaat zurückgebracht hat, in dem der rückfordernde Elternteil eine den Verbleib sichernde Anordnung im Heimatstaat bewirken kann; die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts im Herkunftsstaat ist nach dieser Auffassung nicht erforderlich (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 28. Juni 2013 -
[19] Die Beschwerdeführerin zu 1) befand sich zwischenzeitlich mehr als drei Wochen mit dem Beschwerdeführer zu 2) in der Ukraine. In dieser Zeit hätte der Vater eine den Verbleib des Kindes sichernde Anordnung vor den ukrainischen Gerichten erwirken können. Mit der zeitweiligen Rückführung hat die Beschwerdeführerin zu 1) nach Maßgabe der dargestellten ganz überwiegenden Auffassung im Fachrecht ihre Verpflichtung aus der angegriffenen Entscheidung erfüllt; der Titel ist damit verbraucht. Aus diesem Titel kann nicht mehr vollstreckt werden und es können gegen sie keine darauf gestützten Ordnungsmittel mehr erlassen werden, weshalb die Beschwerdeführerin zu 1) dadurch nicht mehr beeinträchtigt ist.
[20] (2) Die Beschwerdeführerin zu 1) ist auf die Voraussetzungen eines trotz Erledigung fortbestehenden Rechtsschutzbedürfnisses weder in ihrer ursprünglichen Verfassungsbeschwerde noch in späteren Schriftsätzen eingegangen. Es finden sich allenfalls Ausführungen zu tatsächlichen Umständen, aus denen sich eine Wiederholungsgefahr ergeben könnte. So hat ihr Verfahrensbevollmächtigter mit Schriftsatz vom 4. April 2024 mitgeteilt, dass der Vater des Beschwerdeführers zu 2) bei dem zuständigen Familiengericht einen neuen Antrag auf Rückführung des Kindes in die Ukraine gestellt und das Familiengericht daraufhin einstweilen eine Grenzsperre verhängt hat, um eine Ausreise des Kindes (in einen anderen Staat als die Ukraine) während des laufenden Verfahrens über das Rückgabeverlangen des Vaters zu verhindern. Ob dies zur Darlegung von Wiederholungsgefahr angesichts der Offenheit des Ausgangs des erneuten Rückführungsverfahrens in der Sache genügt, bedarf keiner Entscheidung. Denn die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1) ist ohnehin unzulässig, weil ihre Begründung nicht den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügt.
[21] (a) ... [22] (b) ... [23] 3. Obwohl durchaus Zweifel daran bestehen, ob die Rückführungsanordnung des Oberlandesgerichts der Gewährleistung des Elterngrundrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise Rechnung getragen hat, liegt eine Grundrechtsverletzung nicht derart auf der Hand, dass auf die Erfüllung der Substantiierungsanforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG verzichtet werden könnte (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010 -
[24] a) Das Elterngrundrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen. Im Verhältnis zum Kind bildet allerdings das Kindeswohl die maßgebliche Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung. Es ist umfassend zu verstehen und sichert den Elternverantwortung tragenden Eltern einen verfassungsrechtlich geschützten Einfluss auf sämtliche Lebens- und Entwicklungsbedingungen des Kindes (vgl. BVerfGE 162, 378 <407 f. Rn. 67 f.> m.w.N.). Träger des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ist jeder Elternteil für sich (vgl. BVerfGE 133, 59 <78 Rn. 51>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 9. April 2024 -
[25] Das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG wird durch gerichtliche Entscheidungen berührt, die mit einer Rückführungsanordnung nach dem Haager Übereinkommen einem Elternteil die Möglichkeit nehmen, über den Aufenthalt des betroffenen Kindes zu entscheiden (vgl. BVerfGE 99, 145 <164> (IPRspr. 1998 Nr. 108b)). Dabei obliegt zwar im Rahmen von fachgerichtlichen Verfahren über die Rückführung eines Kindes auf der Grundlage des Haager Übereinkommens die Feststellung, ob die Voraussetzungen des Versagungsgrundes aus Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ erfüllt sind, den Fachgerichten. Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall sind Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Ihm obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen (vgl. BVerfGE 72, 122 <138>; 99, 145 <160> (IPRspr. 1998 Nr. 108b); 136, 382 <390 f. Rn. 27>; stRspr). Ist aber die Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Regelungen des Haager Übereinkommens mit dem Wohl des betroffenen Kindes nicht vereinbar, liegt darin regelmäßig auch eine Verletzung des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 99, 145 <164> (IPRspr. 1998 Nr. 108b)).
[26] Der Grundrechtsschutz beeinflusst weitgehend die Gestaltung und Anwendung des Verfahrensrechts (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>). Die Gerichte müssen danach ihr Verfahren in Kindschaftssachen so gestalten, dass sie möglichst zuverlässig die Grundlagen einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen können (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>; BVerfGK 9, 274 <278 f.>; 12, 472 <476>; 17, 407 <412>; stRspr); das gilt auch für die Auslegung und Handhabung völkerrechtlicher Verträge wie dem Haager Übereinkommen (vgl. BVerfGE 99, 145 <158> (IPRspr. 1998 Nr. 108b)). Aus Art. 8 EMRK, der wie die übrigen Bestimmungen der Konvention bei der Bestimmung des Inhalts und der Reichweite von Grundrechten des Grundgesetzes als Auslegungshilfe heranzuziehen ist (vgl. dazu BVerfGE 148, 296 <351 Rn. 128>; 162, 325 <351 Rn. 94>; stRspr), folgen zudem Anforderungen an Art und Umfang der Begründung fachgerichtlicher Entscheidungen bei der Anwendung von Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ. Die Begründung muss erkennen lassen, dass die in Art. 8 EMRK vorausgesetzten Garantien gewährleistet worden und das Kindeswohl berücksichtigt worden sind (vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte [EGMR], Urteil vom 15. Juni 2021 - 17665/17 -, Rn. 96 ff.).
[27] b) Bei Heranziehung dieser Maßstäbe bestehen Zweifel, dass der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts dem Elterngrundrecht der Beschwerdeführerin zu 1) gerecht wird. Die Entscheidung dürfte bei der Anwendung von Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise (vgl. Rn. 24 f.) erkennen lassen, dass sie hinreichend dem Kindeswohl des Beschwerdeführers zu 2) und damit auch dem Elterngrundrecht der Beschwerdeführerin zu 1) Rechnung trägt.
[28] aa) Zwar ist die vorgenommene Auslegung der genannten Vorschrift dahingehend, dass der Versagungsgrund nach Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ lediglich bei ungewöhnlich schwerwiegenden Beeinträchtigungen des Kindeswohls, nicht aber bei mit der Rückführung eines Kindes üblicherweise verbundenen Beeinträchtigungen eingreift, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. dazu bereits BVerfGE 99, 145 <159> (IPRspr. 1998 Nr. 108b)). Gleiches gilt für die Überantwortung der Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des Versagungsgrundes auf den rückführungspflichtigen Elternteil (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Juni 2021 - 17665/17 -, Rn. 95 bezogen auf die aus Art. 8 EMRK folgenden Maßstäbe).
[29] bb) Die konkrete Begründung des Oberlandesgerichts für die Verneinung einer schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für den Beschwerdeführer zu 2) im Fall der Rückführung in die Ukraine dürfte jedoch die gebotene umfassende und am Kindeswohl orientierte Anwendung von Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ nicht hinreichend erkennen lassen. Um dem Kindeswohl bei der konkreten Anwendung des Versagungsgrundes Rechnung zu tragen, hätte es vorliegend nahegelegen, sich näher sowohl mit der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der auf die Kriegssituation in der Ukraine bezogenen Handhabung des Versagungsgrundes als auch mit den konkreten, auf das Wohl des Beschwerdeführers zu 2) bezogenen Einschätzungen der im Ausgangsverfahren fachlich Beteiligten auseinanderzusetzen. Die Begründung des angegriffenen Beschlusses weckt auch Zweifel daran, ob dem Oberlandesgericht bei der Anwendung von Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ die Pflicht zur Berücksichtigung der dazu in Auslegung von Art. 8 EMRK ergangenen Rechtsprechung des EGMR vollends bewusst gewesen ist.
[30] (1) ... [31] (2) Die Begründung des angegriffenen Beschlusses ist zudem insoweit nicht bedenkenfrei, als sie sich im Rahmen der Gewinnung einer tragfähigen Grundlage zu einer am Kindeswohl orientierten Anwendung von Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ nicht mit den Einschätzungen der fachlich Beteiligten und der Kindesanhörung des Beschwerdeführers zu 2) befasst. Zwar hat das Oberlandesgericht mit dem Ergebnis der persönlichen Anhörungen des Kindes sowie der Mutter und den Berichten von Verfahrensbeistand und Jugendamt an sich eine grundsätzlich hinreichende Grundlage für eine am Wohl des Kindes ausgerichtete Entscheidung geschaffen. Es ist aber kaum erkennbar, dass es sich insbesondere mit dem Willen des Kindes sowie den Empfehlungen von Jugendamt und Verfahrensbeiständin in seinem Beschluss auseinandergesetzt hat. Die Verfahrensbeiständin und das Jugendamt haben jeweils eine schwerwiegende Gefahr für den Beschwerdeführer zu 2) bei Rückführung in die Ukraine angenommen. Auch wenn dies Einschätzungen des Kriegsgeschehens umfasst und diese möglicherweise weniger von fachlicher Expertise geprägt sind, spiegelt sich darin jedenfalls auch wider, dass der Beschwerdeführer zu 2) eindeutig unter Hinweis auf das dortige Kriegsgeschehen und die zahlreichen Zerstörungen eine Rückkehr in die Ukraine ablehnt. Inwieweit daraus bei Rückführung seelische Schäden für den Beschwerdeführer zu 2) resultieren können, erörtert das Oberlandesgericht nicht. Es beschränkt sich vielmehr insoweit auf Erwägungen dazu, dass der zur Rückführung verpflichtete Elternteil gehalten sei, die Gefahr aus der Rückführung resultierender schwerwiegender seelischer Störungen des Kindes zu vermeiden, und stellt allein auf die diesem Elternteil regelmäßig zumutbare Begleitung des Kindes in den Herkunftsstaat ab. Auf die möglichen spezifischen Gefährdungen, die sich gerade aus der Rückführung des Beschwerdeführers zu 2) in einen Staat, in dem — was ihm ausweislich des Protokolls der Kindesanhörung bewusst ist — Krieg herrscht, ergeben, geht das Oberlandesgericht aber nicht ein. Das dürfte für eine am Kindeswohl orientierte Anwendung von Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ so nicht ausreichen.
[32] (3) Die Begründung des Oberlandesgerichts, den Versagungsgrund aus Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ nicht anzuwenden, weil nicht das gesamte Staatsgebiet der Ukraine Kriegsgebiet sei und deshalb bei Rückführung keine schwerwiegende Gefahr körperlicher Schäden für den Beschwerdeführer zu 2) drohe, steht überdies in der Gefahr, den aus Art. 8 EMRK resultierenden, in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte konkretisierten Anforderungen nicht zu genügen. Danach müssen die Gerichte der Vertragsstaaten bei der Auslegung und Anwendung von Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ erkennen lassen, dass die in Art. 8 EMRK enthaltenen Garantien gewährleistet und insbesondere das Kindeswohl berücksichtigt worden sind. Das verlangt ein gewisses Maß an auf die Voraussetzungen des Versagungsgrundes bezogener Begründung (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Juni 2021 - 17665/17 -, Rn. 96, 98 ff.). Diese konventionsrechtlichen Anforderungen sind zu berücksichtigen. Die faktische Orientierungs- und Leitfunktion, die der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für die Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention zukommt, gilt auch über den konkret entschiedenen Einzelfall hinaus (vgl. nur BVerfGE 111, 307 <320>; 148, 296 <351 f. Rn. 129>; stRspr). Das Oberlandesgericht befasst sich entgegen diesen Begründungsanforderungen aber eher oberflächlich mit der Kriegssituation in der Ukraine und der Art der Kampfführung durch die Streitkräfte der russischen Föderation. Soweit es sich für seine Beurteilung auf den genannten Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts (Rn. 7, 30) stützt, dürfte dies keine ausreichende Grundlage haben, weil dort gerade angenommen wurde, dass es sich bei dem gesamten Staatsgebiet der Ukraine um Kriegsgebiet handelt und die Voraussetzungen von Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ deshalb vorliegen (vgl. Thüringer OLG, Beschluss vom 4. April 2023 -
[33] 4. ...