Die Verpflichtung zur Rückführung eines Kindes ist nach den Intentionen des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen vom 25.10.1980 (BGBl. 1990 II 206) nur dann erfüllt, wenn das Kind sich auf Dauer wieder in dem Vertragsstaat aufhält, aus dem es entführt worden ist.
Der Gl. und die Schuldnerin, beide polnische Staatsangehörige, sind die Eltern des 2002 geborenen Kindes B. D. Obwohl die Eltern nicht miteinander verheiratet sind und waren, wird die elterliche Gewalt gemäß poln. FGB von beiden Elternteilen ausgeübt. Zwar ist nach Art. 97 § 1 poln. FGB jeder Elternteil (einzeln) zur Ausübung der elterlichen Gewalt berechtigt und verpflichtet, jedoch haben die Eltern nach Art. 97 § 2 wesentliche Angelegenheiten des Kindes, wozu auch eine Entscheidung über den gewöhnlichen Aufenthalt gehört, gemeinsam zu entscheiden.
B. ist nach dem Mitte 2003 erfolgten Auszug des Vaters aus der gemeinsamen Wohnung in P./Polen bei der Mutter geblieben. Seit März 2006 ist die Mutter polizeilich in S./Deutschland gemeldet. Zu dem dort wohnenden R. S., den die Mutter 2006 geheiratet hat, ist sie mit dem Kind Ende September 2006 umgesiedelt, was der Vater im März 2007 erfahren hat.
Auf den Rückführungsantrag des Vaters hat das AG – FamG – Karlsruhe die unverzügliche Rückführung des Kindes angeordnet. Die hiergegen von der Mutter eingelegte sofortige Beschwerde blieb erfolglos. Der Gl. hat beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss in die Wege zu leiten.
[1]II. Die im Wege der Vollstreckung durchzusetzende Verpflichtung der Schuldnerin, das Kind B. nach Polen zurückzuführen, beruht auf I. 1 des Beschlusses des Senats vom 28.3.2008, der sich auf Art. 12, 13 HKiEntÜ gründet. Der Beschluss ist rechtskräftig und ohne Vollstreckungsklausel vollstreckbar.
[2]Gegen die Schuldnerin ist ein Ordnungsmittel festzusetzen, weil sie den Anordnungen des Beschlusses vom 28.3.2008 zuwidergehandelt hat. Sie hat entgegen I. 1 des Beschlusses vom 28.3.2008 das Kind B. schuldhaft nicht unverzüglich (bis spätestens 13.4.2008) nach Polen zurückgeführt. Der Gl. hat die Vollstreckung beantragt. Die Zuständigkeit des Senats zur Vollstreckung von Amts wegen folgt aus § 44 V IntFamRVG. Ein Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgelds ist deswegen nicht erforderlich.
[3]1. Die Schuldnerin hat die Rückführungsanordnung schuldhaft nicht unverzüglich erfüllt.
[4]a) Der Senatsbeschluss vom 28.3.2008 gibt der Schuldnerin auf: ‚das Kind B. ... unverzüglich nach Polen zurückzuführen’. Gegen die Schuldnerin kann ein Ordnungsmittel festgesetzt werden, denn die grundsätzliche Vollstreckungsvoraussetzung, dass der Verpflichtete schuldhaft gegen die im Titel festgesetzte Pflicht zur Handlung, Duldung oder Unterlassung verstoßen hat, ist gegeben. Zwar umschreibt der Titel nicht im Einzelnen, was unter ‚zurückzuführen’ zu verstehen ist; vorliegend verbleibt jedoch kein Zweifel, dass die Schuldnerin die ihr (ausreichend bestimmt) auferlegte Verpflichtung nicht erfüllt hat.
[5]Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 28.3.2008 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Rückführung nach Polen keinesfalls gleichbedeutend mit einer Rückgabe des Kindes an den ASt. sei. Die Intentionen des HKiEntÜ seien in erster Linie darauf gerichtet, mit der Rückführung des Kindes die ursprünglich bestehende rechtliche Stellung aller Beteiligten wiederherzustellen und das Kind insbesondere der Rechtsprechungsgewalt des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Kindes wieder zuzuführen. Es sei dann Sache der jeweils einheimischen Richter, Fragen des Sorge- und Umgangsrechts nach den dort bestehenden gesetzlichen Regelungen zu beurteilen.
[6]Die Verpflichtung zur Rückführung eines Kindes ist nach den Intentionen des HKiEntÜ nur dann erfüllt, wenn das Kind sich auf Dauer wieder in dem Vertragsstaat aufhält, aus dem es entführt worden ist. Es soll der status quo wiederhergestellt werden, der vor der Verbringung des Kindes ins Ausland bestanden hat (Dutta/Scherpe, Die Durchsetzung von Rückführungsansprüchen nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen durch deutsche Gerichte: FamRZ 2006, 901, 906). Eine andere Auslegung verbietet sich bereits deswegen, weil ansonsten die bloß kurzfristige Rückkehr des Kindes in den Heimatstaat (verbunden mit einer baldigen oder sogar unmittelbar folgenden Wiederausreise) vollstreckungsrechtlich nicht geahndet werden könnte. Denn bei diesem Verständnis läge ein neuer Entführungsfall vor, der den anderen Elternteil zu einer erneuten Antragstellung auf Rückführung des Kindes zwingen würde. Angesichts des insbesondere aus Art. 3 I HKiEntÜ abgeleiteten Ziels, das ursprüngliche Sorgerechtsverhältnis und die Rechtsprechungsgewalt des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Kindes wiederherzustellen, ist der Schuldnerin durch die im Senatsbeschluss vom 28.3.2008 enthaltene Anordnung: ‚B. ... nach Polen zurückführen’, aufgegeben worden, den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes wieder in Polen zu begründen (aa). Dieser Verpflichtung ist die Schuldnerin nach der Überzeugung des Senats nicht nachgekommen (bb).
[7]aa) Der ‚gewöhnliche Aufenthalt’ einer Person ist der Ort des tatsächlichen Mittelpunkts der Lebensführung, d.h. derjenige Ort, an dem eine Person in beruflicher, familiärer und gesellschaftlicher Hinsicht den Schwerpunkt ihrer Bindungen hat (BGH, FamRZ 2002, 1182 (IPRspr. 2002 Nr. 100); Senat, Kind-Prax 2005, 69; Palandt-Heldrich, BGB, 67. Aufl., Anh Art. 24 EGBGB, Art. 1 MSA Rz. 10). Dabei wird im Sinne einer Faustregel im Allgemeinen vom Erwerb eines gewöhnlichen Aufenthalts ausgegangen, wenn der Aufenthalt sechs Monate angedauert hat oder von vornherein auf Dauer angelegt ist (BGH, FamRZ 1981, 135 (IPRspr. 1980 Nr. 94); Senat aaO und zuletzt Beschluss vom 12.6.2008 – 2 UF 43/08 (IPRspr 2008-76)). Auf die Begründung eines solchen dauerhaften Aufenthalts ist die gerichtliche Anordnung zur Rückführung des Kindes angelegt. Es würde den Zwecken des HKiEntÜ – und konkret dem Senatsbeschl. vom 28.3.2008 – widersprechen, wenn der zur Rückführung verpflichtete Elternteil sich mit dem Kind nur für kurze Zeit oder vorübergehend in dem Vertragsstaat aufhält, in den das Kind zurückzuführen ist. Deshalb enthält, solange von den dortigen Gerichten keine andere Regelung getroffen ist, die Anordnung der Rückführung des Kindes eine auf Dauer angelegte Verpflichtung.
[8]bb) Danach hat B. seinen gewöhnlichen Aufenthalt nach den Senatsbeschl. vom 28.3.2008 nicht wieder in P./Polen erlangt. Selbst wenn die Schuldnerin (mit ihren Mann und B.) am 13.4.2008 nach K./Polen gefahren ist, so hat sie damit die Rückführungsanordnung nicht erfüllt. Nach dem eigenen Vortrag der Schuldnerin ist sie bereits am 17.5.2008 mit B. wieder nach S./Deutschland gereist. Die Rückkehr nach Polen ist nach ihrem Vortrag erst am 5.6.2008 erfolgt, wobei insoweit nicht von Bedeutung ist, ob ursprünglich nur eine Urlaubswoche geplant war und der Aufenthalt nur verlängert worden ist, weil sich das Kind den Arm gebrochen hat und nicht klar war, ob eine Operation erforderlich würde. Jedenfalls ist die Schuldnerin bereits am 21.6.2008 wieder mit dem Kind nach S. gefahren. Die Schuldnerin hat in ihrer Stellungnahme vom 22.7.2008 – nachdem der Senat mit Verfügung vom 16.7.2008 darauf hingewiesen hat, dass B. derzeit den Kindergarten in S. besuchen soll – zugestanden, dass das Kind sowohl im Mai als auch von ‚Ende Juni bis zum 22.7.2008 seine Kindergartengruppe’ besucht hat. Die Schuldnerin hat zum Kindergartenbesuch erläutert, B. sei nicht vom Kindergarten abgemeldet worden, vielmehr werde der monatliche Beitrag weiter gezahlt, um den Platz zu reservieren, weil sie davon ausgehe, das Kind dürfe schon bald wieder in Deutschland wohnen; deswegen seien am 4. und 11.6.2008 auch Einschulungstests in S. durchgeführt worden. Insbesondere der vierwöchige Kindergartenbesuch und die am Wohnort des Ehemanns der Schuldnerin (für das deutsche Schulsystem) durchgeführten Einschulungstests zeigen aber, dass das Kind den tatsächlichen Schwerpunkt seiner Lebensführung nicht wieder in Polen, sondern jedenfalls bis zum 22.7.2008 nach wie vor in S./Deutschland hatte. Die gesamte Zeit vom 13.4.2008 bis zum 22.7.2008 betrachtet, ergibt sich – sogar nach der Einlassung der Schuldnerin – höchstens eine Aufenthaltsdauer von sieben Wochen in Polen und eine mindestens gleich lange Verweildauer des Kindes in Deutschland. Dabei prägt insbesondere der vier Wochen dauernde, ununterbrochene Kindergartenbesuch bis zum 22.7.2008 den tatsächlichen Lebensmittelpunkt von B. Dies nicht nur, weil es sich dabei um einen der beiden längeren zusammenhängenden Aufenthalten am selben Ort seit dem 13.4.2008 handelt, sondern v.a. deswegen, weil B. in dieser Zeit den Kindergarten besucht hat. Dies spricht für die soziale Integration des Kindes dort, während die Schuldnerin insoweit für die Zeit des Aufenthalts in Polen nichts vorträgt. Schließlich wird auch durch die Weiterzahlung des Kindergartenbeitrags in S. und auch anhand der durchgeführten Einschulungstests deutlich, dass die Schuldnerin – die Rückkehr mit B. am 13.4.2008 nach Polen unterstellt, obwohl an einem ununterbrochenen Aufenthalt in K./Polen von Mitte April bis Mitte Mai 2008 auch zumindest gewisse Zweifel bestehen, weil Kontobewegungen nur für den 14.4.2008 und am 9. und 13.5.2008 vorgetragen worden sind – einen auf Dauer in Polen angelegten gewöhnlichen Aufenthalt von B. nicht herbeigeführt hat. Die vom Senat vorzunehmende wertende Betrachtung führt zum Ergebnis, dass das Kind nach den Senatsbeschl. vom 28.3.2008 seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Polen hatte. Der Senat ist aufgrund freier Beweiswürdigung (vgl. BT-Drucks. 15/3981 S. 29 zu § 44 IntFamRVG) der Überzeugung, dass die Schuldnerin ihrer Verpflichtung, das Kind nach Polen zurückzuführen, nicht nachgekommen ist.
[9]b) Die Schuldnerin hat die Festsetzung eines Ordnungsmittels in schuldhafter Weise zu vertreten. Tatsächliche Hinderungsgründe zur Befolgung der Rückführungsverpflichtung liegen nicht vor. Jedenfalls hat die Schuldnerin weder dargelegt, dass sie an der Befolgung der gerichtlichen Anordnung gehindert gewesen sei, noch sind hierfür beachtliche Gründe ersichtlich. Dabei hat der Senat bei seiner Bewertung unterstellt, der ursprünglich nur für eine Woche geplante Besuch beim Ehemann der Schuldnerin im Mai sei nur deswegen verlängert worden, weil geklärt werden musste, ob wegen des gebrochenen Arms eine Operation notwendig sei. Gerade wenn das Kind zu dieser Zeit seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Polen gehabt hätte, würde dies dafür sprechen, dort medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, weil bei einem Knochenbruch nach der Erstversorgung von der Möglichkeit einer Rückreise nach Polen auszugehen ist. Der Senat ist jedoch davon überzeugt, dass die Schuldnerin – trotz Kenntnis der ihr mit Senatsbeschl. vom 28.3.2008 auferlegten Verpflichtung zur Rückführung des Kindes nach Polen – einen dauernden Aufenthalt von B. in Polen gar nicht wollte. Damit hat die Schuldnerin (zumindest bis zum 22.7.2008) schuldhaft gegen die vollstreckbare Rückführungsverpflichtung verstoßen.