Der gewöhnliche Aufenthalt i.S.d. Art. 3 lit. b EuUntVO erfordert zum einen den Willen des Betreffenden, an einem bestimmten Ort den gewöhnlichen Mittelpunkt seiner Interessen zu begründen, und zum anderen, dass die Anwesenheit im Hoheitsgebiet des betroffenen Mitgliedstaats einen hinreichenden Grad an Beständigkeit aufweist. Es ist hierbei auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem das Gericht angerufen wurde. [LS der Redaktion]
Die Antragstellerin und der Antragsgegner sind die unverheirateten Eltern der am … geborenen …. … lebt bei der Antragstellerin. Die Antragstellerin wendet sich mit der Beschwerde gegen die Verwerfung ihres Unterhaltsantrages als unzulässig.
[1]II.
[2]1. Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, insbesondere ist das Oberlandesgericht für die Beschwerdeentscheidung international zuständig, da ein deutsches Familiengericht entschieden hat. Die entsprechenden Normen (§ 58 Abs. 1 FamFG mit § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. a GVG) gehören zum Verfahrensrecht, das sich nach deutschem Recht richtet (sog. lex fori-Prinzip, vgl. Senat vom 15.05.2023 –
[3]2. ... a) Das Amtsgericht hat seine Zuständigkeit verneint und damit nur über die Zulässigkeit des Antrages entschieden.
[4]b) Eine weitere Verhandlung ist erforderlich, da das Amtsgericht Konstanz tatsächlich international für eine Entscheidung zuständig ist und bislang kein Haupttermin zur Vorbereitung einer Sachentscheidung gemäß §§ 113 Abs. 2 FamFG, 216, 272 ZPO bestimmt wurde.
[5]aa) Die internationale Zuständigkeit richtet sich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt bzw. dem Wohnsitz des Unterhaltsberechtigten.
[6]Im Verhältnis zur Schweiz ist streitig, ob das Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007 (LugÜ) oder die Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen vom 18.12.2008 (EuUntVO) anzuwenden ist (vgl. BGH vom 09.07.2014 –
[7]Nach Art. 3 lit b) EuUntVO ist für die Entscheidung in Unterhaltssachen in den Mitgliedstaaten das Gericht des Ortes zuständig, an dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.
[8]Der Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“ ist durch zwei Elemente gekennzeichnet, nämlich zum einen durch den Willen des Betreffenden, an einem bestimmten Ort den gewöhnlichen Mittelpunkt seiner Interessen zu begründen, und zum anderen durch die Anwesenheit im Hoheitsgebiet des betroffenen Mitgliedstaats, die einen hinreichenden Grad an Beständigkeit aufweist (vgl. EuGH vom 01. 08.2022, C-501/20, juris Rn. 44).
[9]Gemäß Art. 5 Nr. 2a LugÜ kann in Unterhaltssachen eine Person mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat von einem Unterhaltsberechtigten an dessen gewöhnlichem Aufenthalt oder Wohnsitz verklagt werden. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist wie in Art. 3 lit b) EuUntVO zu bestimmen (s.o). Der Begriff des Wohnsitzes bestimmt sich nach dem Recht des Staates, dessen Gericht angerufen ist, Art. 59 Abs. 1 LugÜ. Der Wohnsitz in Sinne von § 7 BGB ist in stärkerem Maße durch subjektive Elemente geprägt, da in der Regel ein rechtsgeschäftlicher Wille zum objektiven Sich-Niederlassen hinzukommen muss, um einen Wohnsitz zu begründen bzw. zu wechseln. Darüber hinaus orientiert sich der Wohnsitz auch weniger an der tatsächlichen physischen Präsenz (vgl. etwa §§ 9, 11 BGB). Die Aufhebung des Wohnsitzes erfordert die beabsichtigte Aufgabe der tatsächlichen Niederlassung, die allerdings anhand des gesamten Verhaltens für einen mit den Umständen vertrauten Beobachter erkennbar sein muss (Erman/Sanger, BGB, 17. Auflage 2023, § 7 Rn. 8).
[10]bb) Für die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts und des Wohnsitzes ist in zeitlicher Hinsicht auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem das Gericht angerufen wurde.
[11]Nach Art. 9 lit a) EuUntVo und Art. 30 Nr. 1 LuGÜ gilt das Gericht bereits mit Einreichung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks bei Gericht als angerufen, vorausgesetzt, der Anrufende hat es in der Folge nicht versäumt, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung des Schriftstücks an die Gegenseite zu bewirken. Die kompetenzrechtlich relevanten Tatsachen müssen nicht bis zum Erlass der Endentscheidung andaueRn. Bei Wegfall der Zuständigkeitstatsachen während des Verfahrens greift der ungeschriebene Grundsatz der perpetuatio fori (vgl. Zöller/Geimer, ZPO, 35. Auflage 2024, Art. 4 EuGVVO/2 LugÜ, Rn. 33, 36).
[12]cc) Nach diesen Maßstäben ist das Amtsgericht Konstanz international zuständig.
[13](1) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuständigkeit ist der Eingang des verfahrenseinleitenden Unterhaltsantrages der Antragstellerin beim Amtsgericht Konstanz am 20.05.2023 (s.o). Der Antragstellerin oblag es nicht, über die Einreichung des Schriftsatzes hinaus einen Gerichtskostenvorschuss einzuzahlen, um die Zustellung zu bewirken. Die Antragstellerin machte durch den gleichzeitig gestellten Verfahrenskostenhilfeantrag konkludent von ihrem Recht Gebrauch, eine Zustellung unter Befreiung von der Vorauszahlungspflicht gemäß § 15 Nr. 1 FamGKG zu erwirken (vgl. BeckOK/Boiczenko, KostR, FamGKG, 44. Edition2024, § 15 Rn. 4). Dieses Vorgehen begründet nicht die Annahme, die Antragstellerin habe es versäumt, die ihr obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung der Schriftstücke an die Gegenseite zu bewirken. Hiergegen spricht der Gedanke der Waffengleichheit, wonach einem bedürftigen Beteiligten der Zugang zum Recht nicht aufgrund der Bedürftigkeit erschwert werden darf.
[14](2) Am … hatte die Antragstellerin weder ihren gewöhnlichen Aufenthalt noch ihren Wohnsitz in Deutschland aufgegeben. Auch wenn sie nur vier Tage später in … eine Wohnung anmietete, war am … die angestrebte Veränderung ihres gewöhnlichen Aufenthaltes und Wohnortes nicht derart verfestigt, dass bereits von einem gewöhnlichen Aufenthalt/Wohnsitz in … auszugehen ist. Insbesondere hatte die Antragstellerin am … ihren Aufenthalt/Wohnsitz tatsächlich noch nicht nach … verlegt ...
[15]Mangels tatsächlicher Umsetzung der Auswanderung bei Antragseinreichung kann, auch wenn insoweit schon die feste Absicht bestanden haben sollte auszuwandern, daher noch nicht von einem verfestigen Wohnsitz/gewöhnlichem Aufenthalt in … ausgegangen werden. Die Absicht hierzu und entsprechende Vorbereitungshandlungen, auf die der Antragsgegner hinweist, sind entgegen der Ansicht des Antragsgegners nicht ausreichend.
[16]c) Aufgrund der Fortdauer der Zuständigkeit (perpetuatio fori) lässt der spätere Aufenthaltswechsel die Zuständigkeit des Amtsgerichts Konstanz nicht entfallen. Das Verfahren ist daher in Deutschland zu führen.
[17]d) ...