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Verfahrensgang

LG Ulm, Urt. vom 27.09.2024 – 3 O 492/21, IPRspr 2024-257

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Versicherungs-, Verbraucher-, Arbeitsgerichtsstand
Außervertragliche Schuldverhältnisse → Unerlaubte Handlungen, Gefährdungshaftung

Leitsatz

Ereignet sich ein Verkehrsunfall im Ausland (hier: Kroatien), so ist kroatisches Recht anwendbar (Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO). [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EUGVVO 44/2001 Art. 9; EUGVVO 44/2001 Art. 11
GVG § 23; GVG § 71
Rom II-VO 864/2007 Art. 4
ZOO 35/05 (Kroatien) Art. 29; ZOO 35/05 (Kroatien) Art. 183; ZOO 35/05 (Kroatien) Art. 1045; ZOO 35/05 (Kroatien) Art. 1045 ff.; ZOO 35/05 (Kroatien) Art. 1072; ZOO 35/05 (Kroatien) Art. 1085; ZOO 35/05 (Kroatien) Art. 1089; ZOO 35/05 (Kroatien) Art. 1090
ZPO § 1
ZPP (Kroatien) Art. 219

Sachverhalt

Die Parteien streiten um Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 16.08.2021, welcher sich in Kroatien auf der Fahrt in Richtung der Insel Vir auf der E71/A1 im Tunnel Krpani ereignete. Unfallbeteiligt war neben dem von der Klägerin gelenkten PKW VW Golf VII mit dem amtlichen Kennzeichen UL-MA 448 das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug mit dem kroatischen amtlichen Kennzeichen PU 856 KT.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie ... EUR nebst Zinsen zu bezahlen und sie von den vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von ... € freizustellen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.

[2]I.

[3]Das Landgericht Ulm ist sachlich, § 1 ZPO, §§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 GVG und örtlich zuständig: Nachdem die Beklagte ihren Sitz in einem europäischen Mitgliedsstaat hat, und die Klägerin ihren Wohnsitz in einem europäischen Mitgliedsstaat hat, beide Fahrzeuge in einem europäischen Mitgliedstaat zugelassen sind, steht es ihr zu, die Klage gegen die Beklagten an ihrem Wohnort zu erheben. Dies ergibt sich aus Artikel 11 Abs. 2 Verordnung (EG) NE.44/201 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Zivil- und Handelssachen in Verbindung mit Artikel 9 I LIT.B EUGVVO (BGH, Urteil Az. [VI ZR 200/05] (IPRspr 2008-132)).

[4]II.

[5]Die Klage ist in dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

[6]1. ... 2.

[7]Da sich der Unfall am 16.08.2021 in Kroatien ereignete, ist kroatisches Recht anwendbar.

[8]3.

[9]Der Klägerin steht der geltend gemachte Schadenersatzansprüche aus unerlaubter Handlung gem. Art. 1045 ff. ObIG iHv ... € zu. Einschlägig ist das kroatische Obligationengesetz (ObIG) von 2005 in der intertemporal maßgeblichen Fassung (Narodne novine (NN) 2005 Nr. 35).

[10]Hinsichtlich der Ausführungen zum kroatischen Recht folgt das Gericht den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen Dr. ... in ihren Gutachten vom 04.10.2023 und 19.04.2024. Die Sachverständige verfügt als Mitarbeiterin des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht Hamburg insbesondere über die nötige Sachkunde und ist auch von einer zutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen. Sie hat ihre Ausführungen zudem in der mündlichen Verhandlung vom 27.09.2024 schlüssig noch weiter dargelegt und erläutert.

[11]a)

[12]Die Haftung für Schäden aus dem Betrieb von zwei oder mehr Fahrzeugen wird in Art. 1072 ObIG gesondert geregelt; insoweit gilt keine Gefährdungshaftung, sondern eine Haftung aufgrund von Verschulden, Art. 1045 Abs. 1 ObIG.

[13]Unstreitig hat der Fahrer des Beklagtenfahrzeuges den Schaden allein verursacht. Für die Klägerin war der Unfall unvermeidbar, so dass zu Lasten der Klägerin auch keine Haftung aus dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr in Betracht kommt.

[14]Geschuldet wird also ein voller Ersatz der entstandenen Schäden, je nachdem durch Wiederherstellung des Zustands, wie er vor der Entstehung des Schadens bestand, oder durch Schadenersatz in Geld.

[15]b)

[16]Der Klägerin steht der Anspruch auf Ersatz des Wiederbeschaffunsgaufwandes iHv ... €, nicht der Reparaturkosten zu.

[17]Die Klägerin kann vorliegend auf Totalschadensbasis abrechnen:

[18]Nach der kroatischen Rechtsprechung liegt ein Totalschaden schon dann vor, wenn die Reparaturkosten 75 % des Wertes des beschädigten Fahrzeugs übersteigen (Urteil des kroatischen Obersten Gerichts Rev 1347/1999-2 vom 10.4.2001 sowie das Urteil des Gespanschaftsgerichts Pola G2' 1220/2021-2 vom 2.12.2021, zitiert nach der kroatischen elektronischen juristischen Datenbank tuslnfo).

[19]In solchem Fall hat der Geschädigte gemäß Art. 1085 Abs. 1 ObIG Anspruch auf Geldersatz statt Wiederherstellung des früheren Zustands. Nach Art. 1089 Abs. 2 ObIG ist insoweit auf die Preise im Zeitpunkt des Erlasses des erstinstanzlichen Urteils abzustellen. Die Höhe des Schadenersatzes bestimmt sich nach der Differenz zwischen dem Fahrzeugwert vor dem Unfall und dem Restwert.

[20]Der Wiederbeschaffungswert beträgt vorliegend unstreitig ... €. Der maßgebliche Restwert sind die von der Klägerin durch ihren Verkauf am 06.10.2021 erzielten ... €:

[21]Der Restwert besteht im Marktwert des beschädigten Unfallfahrzeugs bzw. von dessen noch verwertbaren Teilen. Jede Partei muss die Tatsachen vorbringen und die Beweise beibringen, auf die sie ihren Anspruch stützt oder durch die sie das Vorbringen und die Beweise des Gegners bestreitet, Art. 219 Gesetz über das streitige Verfahren.

[22]Zwar beruft sich die Beklagte vorliegend darauf, dass die Klägerin ihr Fahrzeug auch zu einem Preis von ... € hätte veräußern können. Jedoch wurde dieses Angebot der Klägerin von der Beklagten erst am 03.01.2022 zugesandt. Die Klägerin hatte ihr Fahrzeug aber bereits am 06.10.2021 ausweislich der verbindlichen Bestellung in Anlage K11 veräußert, sodass das Angebot der Beklagten zu spät kam und sich die Klägerin nicht darauf verweisen lassen muss. Die Bestellung ist von der Klägerin und dem Fahrzeugkäufer auch unterzeichnet, sodass davon ausgegangen wird, dass der Kaufvertrag auch tatsächlich zu diesen Konditionen zustande kam.

[23]Der Klägerin steht daher der Wiederbeschaffungsaufwand iHv ... € zu.

[24]Da die Beklagte bereits einen Betrag von ... € bezahlte und die Klägerin die Klage in dieser Höhe für erledigt erklärte, stehen der Klägerin noch weitere ... € zu.

[25]c)

[26]Die Klägerin kann zudem Erstattung der Kosten iHv ... € für das vorgerichtliche Sachverständigengutachten verlangen:

[27]In Kroatien, wie auch in anderen jugoslawischen Nachfolgestaaten, wird der Schaden im Regelfall von einem im Auftrag des Kfz-Haftpflichtversicherers tätigen Sachverständigen begutachtet, ohne Kosten für den Geschädigten. Deshalb werden in Kroatien die Kosten eines Privatgutachtens in der Regel nicht erstattet (vgl. Grgic in MüKoStVR; Kroatien Rn. 103 (5. 516)).

[28]Bei einem im Ausland wohnhaften Geschädigten werden aber die Kosten eines privaten Sachverständigen anerkannt, weil die Schadenshöhe nur so ermittelt werden kann (vgl. Lemor in Feyock/Jacobsen/ Lemor, Kraftfahrtversicherung, 3. Aufl. 2009, S. 1072). Zumindest werden die Kosten eines ausländischen Gutachters dann übernommen, wenn die Versicherung ein Gutachten verlangt hat oder wenn es ausdrücklich bei der Regulierung verwendet wird.

[29]Vorliegend hat die Klägerin zwar unmittelbar ein Privatgutachten eingeholt, ohne vorherige Rücksprache mit der Beklagten zu halten und ohne dass die Beklagte die Einholung eines Privatgutachtens verlangt hat, noch eine vorherige Absprache hinsichtlich der Kostentragung erfolgt ist. Jedoch wird das Gutachten vorliegend bei der Regulierung verwendet, insbesondere wird der ausgewiesene Wiederbeschaffungswert von der Beklagten unstreitig gestellt und kann im Rechtsstreit und der Regulierung zugrunde gelegt werden.

[30]Unerheblich wäre daher, wenn die Klägerin selbst der kroatischen Sprache mächtig und es ihr problemlos möglich gewesen wäre, noch in Kroatien Kontakt mit der Beklagten aufzunehmen und das Fahrzeug dort ohne eigene Kosten von einem unabhängigen Sachverständigen begutachten zu lassen.

[31]Ohne Belang ist auch, dass die Klägerin vor Einholung des Privatgutachtens weder mit der Beklagten, noch mit der I... AG, Kontakt aufgenommen hat, sondern unmittelbar am 13.09.2021 das bereits erstellte Privatgutachten übersandte. Es ergibt sich keine Verpflichtung eines im Ausland wohnhaften Geschädigten nach kroatischem Recht, vor Einholung eines Privatgutachtens Kontakt mit dem kroatischen Versicherer aufzunehmen, auch wenn der Geschädigte selbst der kroatischen Sprache mächtig ist. Auch die Sachverständige führte in der mündlichen Verhandlung vom 27.09.2024 überzeugend aus, es gebe grundsätzlich kein Vertragsverhältnis zwischen dem Geschädigten und dem kroatischen Haftpflichtversicherer und dementsprechend auch keine solche Treuepflicht.

[32]So hat das Oberste Gericht in Kroatien in den Urteilen Rev-56/98-2 vom 31.12.2001 und Rev 2322/91 vom 23.1.1992 den Standpunkt vertreten, dass ein kroatischer Staatsbürger, der im Ausland wohnt und arbeitet, genauso wie ein Ausländer Anspruch auf Ersatz der Kosten der Untersuchung und Schätzung des Schadens und der Fahrzeugreparatur, die im Land der Registrierung des Fahrzeugs durchgeführt wurde, nach den Preisen in jenem Land habe, unabhängig davon, ob er in Anbetracht der Aufenthaltsdauer in Kroatien die Möglichkeit gehabt hätte, sein Fahrzeug in Kroatien reparieren zu lassen. In diesem Fall ging es um die Schadenersatzklage einer kroatischen Staatsangehörigen, die in Deutschland wohnte und arbeitete. Die Fahrzeugreparatur hätte nur zwei bis drei Tage gedauert, und die Klägerin hatte sich nach dem Unfall noch zehn Tage in Kroatien aufgehalten. Selbst in einer solchen Situation, die eine wesentlich engere Verbindung zu Kroatien aufweist als der vorliegende Rechtsstreit, kann also der Geschädigte einen deutschen Kfz-Sachverständigen hinzuziehen und kommt es nach der kroatischen Rechtspraxis für die Kosten der Untersuchung und Schätzung des Schadens auf die Preise im Wohnsitzland des Geschädigten an. Nichts anderes kann dann im vorliegenden Fall gelten.

[33]Die Klägerin kann die Erstattung der vorgerichtlichen Sachverständigenkosten iHv ... € verlangen.

[34]d)

[35]Der Klägerin steht kein Anspruch auf die Unkostenpauschale zu.

[36]Eine allgemeine Pauschale wird im kroatischen Recht nicht gewährt. Vielmehr müssen in der Regel alle Kosten belegt und begründet werden (Entscheidung des Kroatischen Obersten Gerichts VSHR Rev x 190/2008-2 vom 22.1.2009, zitiert nach luslnfo. Siehe auch MüKoStVR/Grgiß, Kroatien Rn. 111 (S. 517) mit weiteren Nachweisen).

[37]Dass nachweislich unfallbedingt Kosten für Porto, Telefon usw. angefallen sind, hat die Klägerin nicht dargelegt.

[38]4.

[39]Der Klägerin steht der Anspruch auf Ersatz der außergerichtlichen Anwaltskosten iHv ... € zu:

[40]Diese werden in Kroatien grundsätzlich unter der Voraussetzung erstattet, dass im konkreten Fall die Beauftragung erforderlich war (Haus/Krumm/ Quarch/Frese, S. 3500 Rn. 245). Die Erforderlichkeit wird namentlich bei einer schwierigen Sach- und Rechtslage bejaht. Dagegen wird bei einfach gelagerten Fällen die Einschaltung eines Rechtsanwalts als Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht betrachtet (vgl. z.B. Feyock/Jacobsen/ Lemor/Lemor 1074.)

[41]Vorliegend war die Beauftragung ihres Prozessbevollmächtigten durch die Klägerin erforderlich: Der deutsche Geschädigte eines Straßenverkehrsunfalls in Kroatien muss zunächst einmal herausfinden, an wen er sich zum Zwecke der Schadensregulierung halten kann. Die einschlägigen Richtlinien der Europäischen Union werden ihm im Zweifel unbekannt sein. Des Weiteren stellt sich die Frage nach dem anwendbaren Recht, was eine Kenntnis der Rom 11-Verordnung voraussetzt. Im konkreten Fall ist kroatisches Sachrecht anwendbar, das für einen deutschen Geschädigten nicht leicht zugänglich ist. Deshalb geht die Sachverständige davon aus, dass es sich in Fällen wie dem vorliegenden um einen schwierigen Sachverhalt handelt, der die Beauftragung eines Rechtsanwalts rechtfertigt. Das Gericht schließt sich dieser Auffassung an.

[42]Daran ändert sich auch nichts im Falle, dass die Klägerin der kroatischen Sprache mächtig ist und selbst unmittelbar telefonischen Kontakt mit der Beklagten hätte aufnehmen können. Entsprechende Sprachkenntnisse hinweggedacht, wäre es der Klägerin zwar ebenfalls möglich gewesen, durch einen Anruf bei dem Zentralruf der Autoversicherer die deutsche Schadenregulierungsbeauftragte der Beklagten, die I... AG, zu erfragen und dort Ansprüche anzumelden. Dennoch ändert dies nichts an der Tatsache, dass ein Verkehrsunfall mit Auslandsbezug vorliegt und die Klägerin daher auf die Beauftragung eines Rechtsanwaltes zurückgreifen durfte.

[43]Der Grundsatz des vollen Schadenersatzes gemäß Art. 1090 ObIG spricht dafür, die tatsächlich angefallenen deutschen Gebühren zugrunde zu legen.

[44]Der Klägerin steht also aus dem begründeten Klagebetrag von ... € der Anspruch auf außergerichtliche Rechtsanwaltskosten iHv ... € zu.

[45]5.

[46]Der Klägerin steht ein Anspruch auf Verzugszinsen zu.

[47]Das kroatische Recht sieht keine Prozesszinsen vor, so dass in dortigen Zivilprozessen für Geldforderungen, anders als in Deutschland, regelmäßig Verzugszinsen geltend gemacht werden. Sofern für die Erfüllung keine Frist bestimmt ist, tritt der Verzug also gemäß Art. 183 Abs. 2 ObIG durch eine Zahlungsaufforderung an den Schuldner, eine außergerichtliche Mahnung oder durch Klageerhebung ein.

[48]Aus Art. 29 i.V. mit Art. 183 ObIG folgt, dass ein Schuldner, der mit der Schadenersatzzahlung in Verzug gerät, zusätzlich zur Hauptforderung auch Verzugszinsen in der jeweils festgesetzten Höhe zahlen muss. Der Klägerin stehen die beantragten Zinsen also ab dem Tag nach Rechtshängigkeit, ab dem 01.01.2022 zu.

[49]Ab dem 1.1.2023 als dem Tag der Einführung des Euro in Kroatien verweist Art. 29 ObIG in der aktuellen Fassung auf den Leitzinssatz der Europäischen Zentralbank, mit einem 3 %igen Zuschlag.

[50]Für den Zeitraum vom 1.7. bis zum 31.12.2022 hat die Kroatische Nationalbank den Diskontsatz mit 2,31 % festgelegt (NN 2022 Nr. 75).

[51]Dieser Prozentsatz erhöht sich um die in Art. 29 Abs. 2 ObIG vorgesehenen drei Prozentpunkte auf insgesamt 5,31 %.

[52]III. ...

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