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Verfahrensgang

LG Mainz, Urt. vom 12.04.2022 – 9 O 393/21, IPRspr 2022-192
OLG Koblenz, Urt. vom 31.03.2023 – 8 U 804/22
BGH, Urt. vom 26.11.2024 – X ZR 47/23, IPRspr 2024-127

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Versicherungs-, Verbraucher-, Arbeitsgerichtsstand

Leitsatz

Die internationale und örtliche Zuständigkeit nach Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia-VO ist gegeben, wenn ein Verbraucher einen Reiseveranstalter nach Abschluss eines Pauschalreisevertrags vor dem Gericht des Mitgliedstaats verklagt, in dessen Bezirk er seinen Wohnsitz hat, und die Vertragspartner beide in dem betreffenden Mitgliedstaat ansässig sind, das Reiseziel aber im Ausland liegt (Anschluss an EuGH, Urteil vom 29. Juli 2024 - C-​774/22, NJW 2024, 2823 Rn. 29 ff. - FTI). [LS von der Redaktion neu gefasst]

Rechtsnormen

AEUV Art. 267
EuGVVO 1215/2012 Art. 18
ZPO § 545

Sachverhalt

Der Kläger buchte bei der Beklagten, die ein Reisebüro betreibt, eine Kreuzfahrt von Bremerhaven nach Island und zu den Färöer-​Inseln. Die Kreuzfahrt wurde abgebrochen.

Der Kläger hat die im Bezirk des Landgerichts Hanau ansässige Beklagte vor dem für seinen Wohnsitz zuständigen Landgericht Mainz auf Zahlung von ... Euro nebst Zinsen in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit als unzulässig abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Der Senat hat das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C-​774/22 ausgesetzt. Der Gerichtshof hat in jener Sache durch Urteil vom 29. Juli 2024 entschieden.

Aus den Entscheidungsgründen:

[7] Die Revision hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

[8] I. Das Berufungsgericht ist dem Landgericht darin beigetreten, dass die örtliche Zuständigkeit für die Klage nicht auf Art. 18 Abs. 1 Fall 2 der Verordnung Brüssel Ia gestützt werden könne, weil es an dem für die Anwendung der Verordnung erforderlichen Auslandsbezug fehle.

[9] II. Dies hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

[10] 1. ... [11] a) ... [13] b) ... [15] Im Streitfall hängt die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht davon ab, ob Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia anwendbar ist. Wenn diese Frage mangels des erforderlichen Auslandsbezuges zu verneinen wäre, ergäbe sich die internationale Zuständigkeit schon daraus, dass beide Parteien in Deutschland ansässig sind.

[16] c) Die Frage, ob das Landgericht gemäß Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia örtlich zuständig ist, unterliegt im Streitfall aber deshalb der revisionsrechtlichen Überprüfung, weil sie bei Einlegung des Rechtsmittels einer Entscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union bedurfte.

[17] aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterliegt die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ungeachtet des § 545 Abs. 2 ZPO der revisionsrechtlichen Überprüfung.

[18] Dieses Gesetzesverständnis trägt dem Umstand Rechnung, dass der internationalen Zuständigkeit deutlich größeres Gewicht zukommt als der örtlichen, sachlichen, funktionellen oder sonstigen innerstaatlichen Zuständigkeit. Es gewährleistet zudem die Wahrung der Pflichten zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (BGH, Urteil vom 28. November 2002 - III ZR 102/02 (IPRspr. 2002 Nr. 157), BGHZ 153, 82 = NJW 2003, 426, juris Rn. 13 f.).

[19] bb) Im Streitfall ist eine revisionsrechtliche Überprüfung unter dem zuletzt genannten Aspekt geboten.

[20] Anders als unter der Geltung des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ; dazu BGH, Urteil vom 28. November 2002 - III ZR 102/02 (IPRspr. 2002 Nr. 157), BGHZ 153, 82 = NJW 2003, 426, juris Rn. 14) können Fragen zur Auslegung der Verordnung Brüssel Ia dem Gerichtshof der Europäischen Union zwar schon durch das erst- oder zweitinstanzliche Gericht vorgelegt werden. Die in Art. 267 Abs. 3 AEUV normierte Regelung, dass das in letzter Instanz entscheidende Gericht zur Vorlage verpflichtet ist, liefe aber leer, wenn der Bundesgerichtshof eine gebotene Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen Union nicht herbeiführen könnte, nachdem das Berufungsgericht eine eigene Pflicht zur Einholung einer Vorabentscheidung deshalb verneint hat, weil es die Revision zugelassen hat. In der genannten Konstellation ist eine revisionsrechtliche Überprüfung der klärungsbedürftigen Zuständigkeitsfrage deshalb zur effektiven Durchsetzung des Unionsrechts geboten.

[21] Im Streitfall hat das Berufungsgericht die Frage, ob Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia in der Konstellation des Streitfalls anwendbar ist, zu Recht als klärungsbedürftig angesehen. Eine eigene Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union hat es im Hinblick auf die Zulassung der Revision verneint. Folglich ist eine revisionsrechtliche Überprüfung der Frage geboten, um die erforderliche Klärung herbeizuführen.

[22] 2. Das Landgericht Mainz ist für die Klage gemäß Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia örtlich zuständig.

[23] Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass die internationale und örtliche Zuständigkeit nach Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia gegeben ist, wenn ein Verbraucher einen Reiseveranstalter nach Abschluss eines Pauschalreisevertrags vor dem Gericht des Mitgliedstaats verklagt, in dessen Bezirk er seinen Wohnsitz hat, und die Vertragspartner beide in dem betreffenden Mitgliedstaat ansässig sind, das Reiseziel aber im Ausland liegt (EuGH, Urteil vom 29. Juli 2024 - C-​774/22, NJW 2024, 2823 Rn. 29 ff. - FTI).

[24] Im Streitfall ist die Zuständigkeit danach gegeben, weil der Kläger im Bezirk des Landgerichts Mainz seinen Wohnsitz hat und das Ziel der gebuchten Pauschalreise im Ausland liegt.

[25] III. ...

Fundstellen

LS und Gründe

Juris-Permalink, https://www.juris.de/perma?d=NJRE001594764
BeckRS, 2024, 34838

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2024-127

Lizenz

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