Für die Anwendung von Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel Ia-VO) genügt es im Falle von Streitigkeiten wegen Reisemängeln nicht, dass das Ziel der Reise im Ausland liegt, wenn beide Parteien ihren (Wohn-)Sitz im selben Mitgliedstaat haben.
Der Kläger begehrt die (teilweise) Rückzahlung des Reisepreises für eine bei der Beklagten gebuchte Kreuzfahrt. Der in ... (Landgerichtsbezirk Mainz) wohnhafte Kläger buchte bei der in ... (Landgerichtsbezirk Hanau) ansässigen Beklagten, die dort ein Reisebüro betreibt, eine Kreuzfahrt für sich und seine Ehefrau. Die Kreuzfahrt sollte vom 8.-24.92021 stattfinden (16 Übernachtungen) und von Bremerhaven aus u. a. nach Island und zu den Färöer-Inseln führen. Am Abend des 18.9.2021 wurde den Passagieren mitgeteilt, dass sie das Schiff am Morgen des Folgetages verlassen müssten. Die Gründe hierfür sind zwischen den Parteien umstritten. Der Kläger und seine Ehefrau wurden zunächst in einem Hotel auf Island untergebracht. Am 21.9.2021 erfolgte dann die Rückreise nach Bremerhaven.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger eine Minderung des Reisepreises sowie Mehrkosten für die Rückreise. Nachdem die Beklagte auf eine entsprechende Zahlungsaufforderung mit Schreiben vom 12.10.2021 lediglich die Erstattung von 3/16 des Reisepreises oder einen Gutschein angeboten hatte, beauftragte der Kläger seine nunmehrigen Prozessbevollmächtigten mit der außergerichtlichen Geltendmachung seiner Ansprüche. Diese forderten die Beklagte mit Schreiben vom 1.11.2021 nochmals vergeblich zur Zahlung auf.
[1]Die Klage ist als unzulässig abzuweisen, da das Landgericht Mainz für die Entscheidung des Rechtsstreits örtlich unzuständig ist und der Kläger auch ausdrücklich keinen Verweisungsantrag gestellt hat.
[2]Der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten nach §§ 12, 17 Abs. 1 ZPO liegt im Bezirk des Landgerichts Hanau. Auch aus § 29 Abs. 1 ZPO ergibt sich keine örtliche Zuständigkeit am Wohnort des Klägers im Bezirk des Landgerichts Mainz, da die vertragsgegenständlichen Reiseleistungen dort nicht zu erbringen waren. Insbesondere war die An- und Abreise zum bzw. vom Ausschiffungsort in Bremerhaven nicht Gegenstand der geschuldeten Reiseleistungen.
[3]Eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Mainz ergibt sich auch nicht aus Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO. Hiernach kann zwar die Klage eines Verbrauchers gegen den anderen Vertragspartner vor dem Gericht des Ortes, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, erhoben werden.
[4]Allerdings setzt die Anwendung der Brüssel Ia-VO einen grenzüberschreitenden Bezug voraus, der vorliegend nicht gegeben ist. Ein grenzüberschreitender Bezug besteht im Hinblick auf Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO nur, wenn Verbraucher und Vertragspartner in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ansässig sind (so auch Landgericht Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 30.04.2015 -
[5]Sinn und Zweck der Brüssel Ia-VO ist es ausweislich ihrer Erwägungsgründe (Erwägungsgrund Nr. 4), die nationalen Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen, da die Unterschiede zwischen bestimmten einzelstaatlichen Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen nach Auffassung des europäischen Gesetzgebers das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erschweren. Diese Problematik stellt sich jedoch von vornherein nur, wenn der streitgegenständliche Sachverhalt die Rechtsordnung mehrerer Mitgliedstaaten tangiert. Wenn die Parteien hingegen beide in demselben Mitgliedstaat ansässig sind, ist hinsichtlich des gerichtlichen Verfahrens (sowohl in Bezug auf die Frage der Zuständigkeit des Gerichts als auch in Bezug auf die Anerkennung oder Vollstreckung der gerichtlichen Entscheidung) kein Binnenmarktbezug erkennbar.
[6]Die Bestimmungen zur gerichtlichen Zuständigkeit in Kapitel II der Brüssel Ia-VO verfolgen erkennbar den Zweck, eine Regelung dazu zu treffen, unter welchen Voraussetzungen eine Partei in den Genuss eines Verfahrens vor den Gerichten ihres Heimatstaats kommt und unter welchen Voraussetzungen sie sich umgekehrt einem Verfahren vor den Gerichten eines fremden Mitgliedstaats unterziehen muss. Diese Frage stellt sich jedoch nicht, wenn beide Parteien in demselben Mitgliedstaat ansässig sind.
[7]In diesem Fall besteht für eine europarechtliche Regelung der örtlichen Zuständigkeit kein Regelungsbedürfnis und somit - im Hinblick auf den in Art. 5 Abs. 3 EUV geregelten Subsidiaritätsgrundsatz - auch keine Regelungskompetenz des europäischen Gesetzgebers. Als Ermächtigungs- bzw. Kompetenzgrundlage werden in der Brüssel Ia-VO Art. 67 Abs. 4 AEUV sowie Art. 81 Abs. 2 lit. a, c und e AEUV genannt. Art. 67 Abs. 4 AEUV bestimmt, dass die Europäische Union den Zugang zum Recht erleichtert, insbesondere durch den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher und außergerichtlicher. Entscheidungen in Zivilsachen. Art. 81 Abs. 2 lit. a, c und e AEUV ermächtigt den europäischen Gesetzgeber, wenn dies für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist, zum Erlass von Maßnahmen, die die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten (lit. a), die Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen und Vorschriften zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten (lit. c) sowie einen effektiven Zugang zum Recht (lit. e) sicherstellen sollen. Hinsichtlich keiner der genannten Punkte ist jedoch ein Bedürfnis für eine einheitliche europarechtliche Regelung der örtlichen Zuständigkeit erkennbar, wenn beide Parteien in demselben Mitgliedstaat ansässig sind.
[8]Auch unter Verbraucherschutzgesichtspunkten ist eine solche Regelung in dieser Konstellation - unabhängig davon, dass der Verbraucherschutz im Zusammenhang mit Titel V des AEUV nicht als Anknüpfungspunkt für eine europarechtliche Regelungskompetenz genannt ist und somit allenfalls indirekt unter dem Gedanken des effektiven Zugangs zum Recht relevant sein könnte - nicht erforderlich. Denn wenn der Verbraucher in demselben Mitgliedstaat ansässig ist wie sein Vertragspartner, besteht kein Bedürfnis, ihn davor zu schützen, sich im Falle eines Rechtsstreits einer ihm unbekannten Rechts- bzw. Verfahrensordnung mit einer für ihn gegebenenfalls unbekannten Sprache unterwerfen zu müssen (vgl. erneut AG Königswinter, a.a.O.). Der hier vorliegende Auslandsbezug in Form des im Ausland liegenden Reiseziels ist in diesem Zusammenhang vielmehr rein zufälliger Natur und für die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit erkennbar irrelevant. Insbesondere ist nicht ersichtlich, weshalb ein Verbraucher, der bei einem inländischen Reiseveranstalter eine Reise ins Ausland bucht, hinsichtlich der Frage, ob er den Reiseveranstalter an seinem Wohnort verklagen kann oder die Klage bei dem Gericht am Sitz des Reiseveranstalters erheben muss, anders zu behandeln sein sollte als ein Verbraucher, der bei einem inländischen Reiseveranstalter eine Reise ins Inland gebucht hat. Wenn insofern im Hinblick auf einen effektiven Zugang zum Recht ein Regelungsbedürfnis bestünde, würde dies erkennbar für beide der genannten Konstellationen gleichermaßen gelten. Dass das deutsche Verfahrensrecht, das dem Verbraucher in diesen Fällen eine Klage am Gerichtsstand des Reiseveranstalters "abverlangt", in dieser Hinsicht Defizite aufweisen bzw. keinen effektiven Zugang zum Recht gewährleisten würde, ist jedoch nicht ersichtlich.
[9]Eine Anwendung von Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO auf den hier vorliegenden Sachverhalt würde somit zu einer weder von der Ermächtigungsgrundlage noch dem Regelungszweck der Verordnung gedeckten Ausweitung auf reine Binnenrechtsstreitigkeiten ohne gemeinschaftsrechtlichen Bezug und einer hiermit verbundenen nicht gerechtfertigten Umgehung der nationalen deutschen Zuständigkeitsregelungen führen.
[10]Die von der Klägerseite vorgelegte Stellungnahme der Europäischen Kommission in der Rechtssache EuGH C-317/20, in der sich die Kommission für eine Anwendbarkeit von Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO in der hier vorliegenden Fallkonstellation ausspricht, überzeugt nach Auffassung der Kammer nicht. Insbesondere setzt sie sich mit den oben genannten Bedenken hinsichtlich des Subsidiaritätsgrundsatzes und der Rechtssetzungskompetenz des europäischen Gesetzgebers bzw. dem fehlenden Regelungsbedürfnis für eine europarechtliche Regelung in der hier streitgegenständlichen Sachverhaltskonstellation überhaupt nicht auseinander.
[11]Die in der Stellungnahme zitierte Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-478/12 spricht nach Auffassung der Kammer gerade gegen die von der Europäischen Kommission vertretene Auffassung. In dem zu Grunde liegenden Fall hatte ein in Österreich ansässiger Verbraucher über die Website eines deutschen Reisevermittlers eine von einem österreichischen Reiseveranstalter durchgeführte Reise nach Ägypten gebucht. Den für die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (EuGVVO) erforderlichen Auslandsbezug auch im Verhältnis zwischen dem Verbraucher und dem Reiseveranstalter hat der EuGH in seiner Entscheidung jedoch nicht etwa auf das im Ausland liegende Reiseziel gestützt, sondern darauf, dass das zwischen dem Verbraucher und dem Reiseveranstalter bestehende Vertragsverhältnis untrennbar mit dem Vertragsverhältnis zwischen dem Verbraucher und dem (im Ausland ansässigen) Reisevermittler verbunden sei. Außerdem sei es Ziel der Verordnung, Parallelverfahren so weit wie möglich zu vermeiden, damit nicht in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. Dieser Argumentation hätte es jedoch gerade nicht bedurft, wenn bereits ein im Ausland liegendes Reiseziel den für die Anwendbarkeit der Verordnung erforderlichen Auslandsbezug begründen würde.
[12]Auch den Verweis auf Art. 24 Brüssel Ia-VO hält die Kammer nicht für überzeugend. Die dortige Regelung ist mit Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO nicht vergleichbar. In den in Art. 24 Brüssel Ia-VO geregelten Fällen ergibt sich der örtliche Bezug jeweils aus dem Gegenstand des Rechtsstreits und es wird lediglich eine internationale Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats des "Belegenheitsorts", nicht hingegen eine konkrete örtliche Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts begründet.
[13]Wenn der europäische Gesetzgeber der Auffassung ist, dass über die in Art. 24 Brüssel Ia-VO genannten Fallkonstellationen stets die Gerichte desjenigen Mitgliedstaats entscheiden sollen, in dem sich der inhaltliche Anknüpfungspunkt des Sachverhalts befindet, also beispielsweise Streitigkeiten über dingliche Rechte an in Deutschland belegenen Immobilien unabhängig vom Wohnsitz der Parteien stets vor den deutschen Gerichten geführt werden sollen, so lässt sich dies ohne weiteres auf die in der Brüssel Ia-VO genannten Kompetenz- bzw. Ermächtigungsgrundlagen stützen und hierbei insbesondere das Ziel der Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen und Vorschriften zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten (Art. 81 Abs. 2 lit. c AEUV) anführen.
[14]Wenn sich der inhaltliche Anknüpfungspunkt für eine aus Art. 24 Brüssel Ia-VO hergeleitete Zuständigkeit (also bspw. der Belegenheitsort der unbeweglichen Sache oder der Sitz der Gesellschaft) in einem anderen Mitgliedsstaat als dem (identischen) Wohnsitzstaat beider Parteien befindet, so ergibt sich der erforderliche Auslandsbezug zudem bereits aus diesem Umstand. Wenn es sich hingegen um einen reinen Inlandssachverhalt handelt, sich also sowohl der Belegenheitsort der Sache als auch der Wohnsitz beider Parteien in demselben Mitgliedstaat befinden, so läuft die Regelung ohnehin von vornherein leer, da sie lediglich die internationale Zuständigkeit regelt und diese mangels Auslandsbezugs sowieso bei diesem Mitgliedstaat liegt. Regelungen zur örtlichen Zuständigkeit innerhalb des jeweiligen Mitgliedstaats trifft Art. 24 Brüssel Ia-VO hingegen nicht, so dass sich die Problematik einer Umgehung der nationalen Zuständigkeitsregelungen nicht stellt.
[15]All dies ist in der hier streitgegenständlichen Sachverhaltskonstellation nicht der Fall. Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO begründet nicht etwa eine örtliche Zuständigkeit am Ort des Reiseziels und er regelt auch nicht lediglich die internationale Zuständigkeit zur Vermeidung zwischenstaatlicher Kompetenzkonflikte, sondern die konkrete örtliche Zuständigkeit eines bestimmten nationalen Gerichts.
[16]Die in der Stellungnahme der Europäischen Kommission zitierten Regelungen zu Gerichtsstandsvereinbarungen in Art. 19 und 25 Brüssel Ia-VO sind nach Auffassung der Kammer für die hier zu entscheidende Frage der Anwendbarkeit von Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO auf Sachverhalte, bei denen beide Parteien in demselben Mitgliedstaat ansässig sind, unergiebig. Die Regelung in Art. 19 Nr. 3 Brüssel Ia-VO hat gerade die Konstellation eines Wohnsitzwechsels des Verbrauchers zwischen Vertragsschluss und Klageerhebung im Blick (vgl. Dörner, EuGVVO, 7. Aufl. 2017, Ar. 19 Rn. 3 f.) und besagt daher nicht, dass Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO (bzw. die Brüssel Ia-VO im Allgemeinen) auch dann anwendbar ist, wenn die Parteien zum Zeitpunkt der Klageerhebung ihren Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat haben. Art. 25 Brüssel Ia-VO bestimmt lediglich, dass die dortigen Regelungen zur Gerichtsstandsvereinbarung unabhängig vom Wohnsitz der Parteien gelten. Eine Anwendbarkeit von Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO bei in demselben Mitgliedsstaat ansässigen Parteien lässt sich hieraus nicht ableiten.
[17]Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO ist daher nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall nicht einschlägig.
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