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Verfahrensgang

LG Heilbronn, Urt. vom 13.01.2023 – Bu 8 O 131/22, IPRspr 2023-94
OLG Stuttgart, Urt. vom 22.11.2023 – 4 U 20/23, IPRspr 2023-147

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Versicherungs-, Verbraucher-, Arbeitsgerichtsstand
Zuständigkeit → Sonstige besondere Gerichtsstände

Leitsatz

Macht ein Verbraucher im Rahmen eines Scraping-Vorfalls Schadensersatzansprüche gegen den Betreiber einer Social Media Plattform geltend, so ergibt sich der inländische Gerichtsstand aus Art. 17, Art. 18 Abs. 1 Var. 2 Brüssel Ia-VO sowie aus Art. 79 Abs. 2 DSGVO, sofern der Verbraucher seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

DSGVO 2016/679 Art. 4; DSGVO 2016/679 Art. 79
EuGVVO 1215/2012 Art. 1; EuGVVO 1215/2012 Art. 6; EuGVVO 1215/2012 Art. 17; EuGVVO 1215/2012 Art. 18; EuGVVO 1215/2012 Art. 24

Sachverhalt

Der Kläger nutzte im streitgegenständlichen Zeitraum einen Facebook-Account, die Beklagte ist Betreiberin der Facebook-Plattform. Die Dienste der Beklagten ermöglichen es den Nutzern, persönliche Profile für sich zu erstellen und diese mit Freunden zu teilen. Die Nutzer können auf den persönlichen Profilen Angaben zu verschiedenen Daten zu ihrer Person einstellen und im von der Beklagten vorgegebenen Rahmen darüber entscheiden, welche anderen Gruppen von Nutzern auf ihre Daten zugreifen können. Im Jahr 2019 lasen und persistierten unbefugte Dritte Telefonnummern, Facebook-ID, Name, Vorname, Geschlecht und weitere Daten über das Tool „Contact-Import“ aus zum Teil öffentlich zugänglichen Daten bei der Beklagten aus („Scraping“). Die Beklagte geht davon aus, dass das Contact-lmport-Tool zur Bestimmung der Telefonnummern der einzelnen Benutzer genutzt wurde. Anfang April 2021 wurden Daten von ca. 533 Millionen Nutzern der Plattform der Beklagten aus 106 Ländern im Internet veröffentlicht. Beim Anlegen eines Profils muss der künftige Nutzer Datenschutz- und Cookie-Richtlinien zustimmen. Diese sind durch eine Verlinkung getrennt abrufbar. Nach der Anmeldung sind zunächst die Vor- bzw. Standarteinstellungen aktiv. Demnach können „alle“ Personen sehen, welche Seiten der Nutzer abonniert oder mit wem er befreundet ist. Ebenso können „alle“ den neuen Nutzer über seine E-Mail-Adresse „finden“. Ebenso ist für alle Informationen, die ein Nutzer in sein Profil einträgt, standardmäßig „öffentlich“ als Voreinstellung ausgewählt. Der Nutzer kann diese Einstellungen individuell verändern und im Hilfebereich einlesen, wie die Beklagte insbesondere die Mobilfunknummer verwendet. Die Angabe der Mobilfunknummer ist nicht zwingend. Entscheidet sich ein Nutzer diese anzugeben, kann er in den Suchfunktionen einstellen, in welchem Umfang er über diese gefunden werden will. Die Grundeinstellung lautet auch insoweit zunächst „alle“.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerseite immateriellen Schadenersatz in angemessener Höhe zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch ... € nebst Zinsen, und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerseite alle künftigen Schäden zu ersetzen, die der Klägerseite durch den unbefugten Zugriff Dritter auf das Datenarchiv der Beklagten, der nach Aussage der Beklagten im Jahr 2019 erfolgte, entstanden sind und/oder noch entstehen werden.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]A. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

[2]I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht Heilbronn international, sachlich und örtlich zuständig.

[3]1. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte folgt aus Art. 6 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 2. Alt EuGVVO (Brüssel laVO). Gemäß Art. 1 Abs. 1 EuGVVO ist die EuGVVO sachlich anwendbar auf Zivil- und Handelssachen. Vorliegend handelt es sich um eine Zivilsache. Die deutsche Gerichtsbarkeit folgt aus Art. 6 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 2. Alt EuGVVO. Ein ausschließlicher Gerichtstand gemäß Art. 24 EuGVVO ist nicht ersichtlich. Gemäß Art. 18 Abs. 1 2. Alt EuGVVO kann die Klage eines Verbrauchers gegen den anderen Vertragspartner entweder vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet dieser Vertragspartner seinen Wohnsitz hat, oder ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des anderen Vertragspartners vor dem Gericht des Ortes, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. Der Kläger ist gemäß Art. 17 Abs. 1 EuGVVO unzweifelhaft Verbraucher. Der Kläger hat seinen Wohnort in Flein (LG-Bezirk Heilbronn).

[4]Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich ferner aus Art. 79 Abs. 2 DSGVO. Danach können Klagen gegen einen Verantwortlichen oder gegen einen Auftragsverarbeiter bei den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dem die betroffene Person ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort hat, es sei denn, es handelt sich bei dem Verantwortlichen oder dem Auftragsverarbeiter um eine Behörde eines Mitgliedstaats, die in Ausübung ihrer hoheitlichen Befugnisse tätig geworden ist. Gemäß Art. 4 Nr. 7, 8 DSGVO sind Verantwortliche natürliche oder juristische Personen, Behörden, Einrichtungen oder andere Stellen, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheiden. Auftragverarbeitende sind natürliche oder juristische Personen, Behörden, Einrichtungen oder andere Stellen, die personenbezogene Daten im Auftrag des Verantwortlichen verarbeiten. Die Beklagte ist Verantwortliche im Sinne dieser Normen.

[5]2. ...

Fundstellen

LS und Gründe

BeckRS, 2023, 330

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2023-94

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