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Verfahrensgang

VG Karlsruhe, vom 20.07.2023 – 10 K 2751/21, IPRspr 2023-265

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Eingehung, Wirksamkeit
Verfahren → Beweisrecht

Leitsatz

Nach dem Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 19.01.2021 sind die von den darin genannten Priestern der – dafür nicht anerkannten – Kirchen „Agios Dimitrios" und „Agios Fanourios" vorgenommenen und vom Standesamt Aigaleo, Griechenland, in das staatliche Eheregister nachbeurkundeten Eheschließungen für den griechischen Rechtsbereich nicht wirksam. Derartige Eheschließungen sind danach bereits formunwirksam und nicht nur aufhebbar. [LS von der Redaktion neu gefasst]

Rechtsnormen

2915/2001 ZGB (Griechenland) Art. 1367; 2915/2001 ZGB (Griechenland) Art. 1372
44/1967 ZPO (Griechenland) Art. 603
BGB § 1310; BGB § 1313; BGB § 1314
EGBGB Art. 11; EGBGB Art. 13
VwGO § 98; VwGO § 173
ZPO § 358a; ZPO § 437; ZPO § 438

Sachverhalt

Der am ... geborene Kläger ist indischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals am ... in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am ... einen Asylantrag. Diesen lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit bestandskräftigem Bescheid vom ... als offensichtlich unbegründet ab. Nachdem der Aufenthalt des Klägers seit dem ... unbekannt war und er seinen Reisepass ausweislich der darin enthaltenen Angaben am ... beim indischen Generalkonsulat in Athen, Griechenland, verlängerte, ist er seit dem ... in ... gemeldet. Der Kläger teilte am 06.02.2018 zunächst gegenüber dem Bürgermeisteramt ... mit, er sei mit einer griechischen Staatsangehörigen verheiratet. Hierzu legte er eine auf den ... datierte Heiratsurkunde („Ehe Akt Zertifikat“) des griechischen Standesamtes Aigaleo, Gemeinde Aigaleo, Präfektur Attika, vor, in der bescheinigt wird, er habe dort am ... die Ehe mit Frau ... einer am ... geborenen griechischen Staatsangehörigen geschlossen.

Am 05.06.2018 bzw. 09.07.2018 beantragte der Kläger die Ausstellung einer Aufenthaltskarte über die Freizügigkeitsberechtigung. Mit Verfügung vom 09.02.2021 stellte die Beklagte u.a. das Nichtbestehen der Freizügigkeitsberechtigung des Klägers gemäß § 2 Abs. 7 FreizügG/EU a.F. fest und wies ihn aus. Der Kläger legte hiergegen jeweils am 11.03.2021 und 09.04.2021 Widerspruch ein. Das Regierungspräsidium Karlsruhe wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2021 zurück. Der Kläger hat hiergegen Klage erhoben.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die Klage hat weit überwiegend keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber – abgesehen von den Entscheidungen zum Einreise- und Aufenthaltsverbot – unbegründet.

[2]I. Soweit der Kläger sich gegen die Feststellung des Nichtbestehens der Freizügigkeitsberechtigung (Ziffer 1 der Verfügung der Beklagten) wendet, ist die Klage zulässig, aber unbegründet.

[3]1. ... 2. ... a) ... aa) ... bb) Der Kläger ist nicht Ehegatte der griechischen Staatsangehörigen Frau ...

[4](1) ...(2) ... Das für die Frage der Wirksamkeit der Eheschließung anwendbare Recht richtet sich (formell) nach Art. 11 Abs. 1 EGBGB und (materiell) nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB (Oberhäuser, in: Hofmann, Ausländerrecht, 3. Aufl. 2023, § 1 FreizügG/EU Rn. 32). Nach Art. 11 Abs. 1 EGBGB ist ein Rechtsgeschäft – und damit die Eheschließung – formgültig, wenn es die Formerfordernisse des Rechts, das auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist, oder des Rechts des Staates erfüllt, in dem es vorgenommen wird. Gemäß Art. 13 Abs. 1 EGBGB unterliegen die (materiellen) Voraussetzungen der Eheschließung für jeden Verlobten dem Recht des Staates, dem er angehört.

[5]Nach dem Recht der Hellenischen Republik, in der die Ehe angeblich geschlossen wurde (Art. 11 Abs. 1 Alt. 2 EGBGB), ist die Eheschließung jedoch als unwirksam anzusehen (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation auch VG Stuttgart, Beschluss vom 16.04.2020 – 8 K 350/20 –, juris Rn. 6, 11 unter Bezugnahme auf LG Stuttgart, Urteil vom 29.06.2020 – 7 KLs 30 Js 104885/18 3012 VRs –). Dies ergibt sich aus den im behördlichen Verfahren vorgelegten Mitteilungen der griechischen und deutschen Ministerien als obersten staatlichen Behörden zur Konstellation von Eheschließungen wie der des Klägers. Nach dem Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 19.01.2021 ist davon auszugehen, dass die in den Kirchen „Agios Dimitrios“ und „Agios Fanourios“ vorgenommenen und vom Standesamt Aigaleo, Griechenland, in das staatliche Eheregister nachbeurkundeten Eheschließungen für den griechischen Rechtsbereich nicht wirksam sind. Das griechische Innenministerium hatte in dem beigefügten Schreiben vom 11.06.2019 auf eine Anfrage der Deutschen Botschaft Athen mitgeteilt, für die Gebetshäuser „Agios Dimitrios“ und „Agios Fanourios“ sei keine Erlaubnis zur Gründung oder zum Betrieb und zur Durchführung von Gottesdiensten erteilt worden. Gemäß der Liste der religiösen Amtsträger des Registers der religiösen Rechtspersonen usw. seien keine Priester unter anderem mit dem Namen ... eingetragen; diese Personen könnten demzufolge keine Eheschließungen vornehmen.

[6]Die vom Kläger vorgelegte Heiratsurkunde dokumentiert eine ebensolche Eheschließung, sodass die Ehe nach griechischem Recht als unwirksam anzusehen ist. Der Kläger hat dies in der Sache nicht in Frage gestellt, sondern beruft sich nur darauf, dass die standesamtliche Urkunde echt bzw. nicht gefälscht sei und er keine Kenntnis von der Ungültigkeit der Ehe gehabt habe.

[7]Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Ehe zunächst noch formell Gültigkeit beanspruchte und bis zu einer Aufhebung wirksam sein könnte (vgl. insofern noch VGH Baden-​Württemberg, Beschluss vom 28.08.2019 – 11 S 1794/19 –, juris Rn. 20). Denn nach den Schreiben des griechischen und deutschen Innenministeriums ist davon auszugehen, dass auf die dargestellte Weise geschlossene Ehen nach griechischem Recht bereits nicht formwirksam sind. Das griechische Innenministerium führte insofern aus, die in den standesamtlichen Urkunden aufgeführten Eheschließungen bestünden nicht und hätten keine Rechtswirkungen. Die Heiratsurkunden müssten an die zuständige Staatsanwaltschaft übergeben, die Aufsichtsbehörde müsse informiert und es müsse veranlasst werden, dass in den standesamtlichen Büchern ein Randvermerk über das Nichtbestehen der Ehe vermerkt werde und die Eintragungen mit Angabe des Streichungsgrundes im elektronischen System gestrichen werden („Nichtbestehen der Ehe“). Für diese Ehen dürften keinesfalls standesamtliche Urkunden ausgestellt werden. Es handelt sich demzufolge nicht um eine formell wirksame, aber – etwa aufgrund schwerwiegender materieller Mängel – aufhebbare Ehe (vgl. dazu Oberhäuser, in: Hofmann, Ausländerrecht, 3. Aufl. 2023, § 1 FreizügG/EU Rn. 32), sondern vielmehr um eine bereits von vornherein formunwirksame Ehe (vgl. insoweit auch die E-​Mail der Deutschen Botschaft Athen vom 27.02.2020). Die vom Landratsamt Rastatt noch in einer E-​Mail vom 17.10.2019 vertretene Auffassung, es handle sich um eine Nichtehe, die erst aufgrund einer Klage der griechischen Staatsanwaltschaft gerichtlich aufzuheben sei, hat sich hiernach nicht bestätigt bzw. ist überholt.

[8]Diese Einschätzung wird durch die in der Behördenakte der Beklagten vorhandenen Auszüge einer Zusammenstellung zum griechischen Recht der Ehe des Verlags für Standesamtswesen bestätigt, ohne dass es im vorliegenden Verfahren einer abschließenden Klärung hinsichtlich Gehalt und Aktualität der Vorschriften bedürfte. Danach kann eine Ehe in Griechenland gemäß Art. 1367 des griechischen Zivilgesetzbuchs (ZGB) in ziviler oder in kirchlicher Form geschlossen werden, wobei die kirchliche Trauung durch einen Priester der östlich-​orthodoxen Kirche oder durch einen Geistlichen einer anderen in Griechenland bekannten Konfession oder Religion erfolgt. Der Geistliche muss nach weiteren Vorschriften sofort nach der Trauung die entsprechende Beurkundung vornehmen und die Anzeige der Eheschließung an das Standesamt des Eheschließungsorts zwecks Vornahme der Eintragung der Heirat verfassen, wobei jeder der Ehegatten anzeigepflichtig ist und die Anzeige innerhalb von 40 Tagen ab der Eheschließung erfolgen muss. Unter Hinweis auf Art. 1372 ZGB und Art. 603 der griechischen Zivilprozessordnung (ZPO) ist weiter ausgeführt, dass – nur – eine unter Beachtung der Vorschriften über die Form der Eheschließung (Zivilehe oder kirchliche Trauung) geschlossene Ehe als wirksam angesehen wird, solange sie nicht durch gerichtliche Entscheidung für nichtig erklärt wurde. Die gänzlich ohne Einhaltung der vorgesehenen Formen geschlossene Ehe sei eine Nichtehe. Beim Gericht könne auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der Ehe geklagt werden.

[9]Die dargestellte Unterscheidung entspricht jener im deutschen Recht, wonach eine Ehe bei Vorliegen bestimmter (materieller) Aufhebungsgründe durch richterliche Entscheidung aufgehoben werden kann (§ 1313 Satz 1, § 1314 BGB), eine Ehe, die nicht die Formanforderungen des – in § 1314 BGB nicht aufgeführten – § 1310 BGB erfüllt, indessen eine unwirksam Nichtehe ist (vgl. Budzikiewicz, in: Jauernig, BGB, 18. Aufl. 2021, §§ 1313-​1318 Rn. 1; Wellenhofer, Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2022, § 1310 Rn. 28).

[10]Nichts anderes ergibt sich aus Art. 11 Abs. 1 Alt. 1 i.V.m. Art. 13 Abs. 1 EGBGB. Denn unabhängig von den Vorgaben des indischen Rechts gelten jedenfalls für die vorgebliche Ehefrau des Klägers die Anforderungen des griechischen Rechts, nach dem die Ehe unwirksam ist.

[11](3) Da die Ehe nach alledem als unwirksam anzusehen ist, war der Frage nicht näher nachzugehen, ob es an einer wirksamen Eheschließung vorliegend auch deshalb fehlt, weil die vorgelegte griechische Heiratsurkunde und/oder die beigefügte Apostille nicht als echt, sondern als gefälscht anzusehen wären (in diese Richtung noch VGH Baden-​Württemberg, Beschluss vom 28.08.2019 – 11 S 1794/19 –, juris Rn. 20; vgl. auch VG Stuttgart, Beschluss vom 16.04.2020 – 8 K 350/20 –, juris Rn. 27).

[12]Für ausländische öffentliche Urkunden gilt nicht die Echtheitsvermutung nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 437 Abs. 1 ZPO. Gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 438 Abs. 1 ZPO hat das Gericht vielmehr nach den Umständen des Falles zu ermessen, ob eine Urkunde, die sich als von einer ausländischen Behörde oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person des Auslandes errichtet darstellt, ohne näheren Nachweis als echt anzusehen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.06.2010 – 5 B 49.09 –, juris Rn. 4; VG Karlsruhe, Urteile vom 06.08.2019 – A 1 K 5291/17 –, n.v. und vom 28.07.2020 – A 11 K 631/17 –, n.v.).

[13]Ob es sich um eine echte Urkunde oder eine Fälschung handelt, kann nach Aktenlage und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht ohne Weiteres festgestellt werden. Denn nach den Schreiben des griechischen Innenministeriums vom 11.06.2019 und des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 19.01.2021 und dem in der Behördenakte vorliegenden E-​Mail-​Verkehr mit der Deutschen Botschaft Athen scheinen Eheschließungen, die in der beschriebenen Art zustande kamen, durchaus in zahlreichen Fällen durch das Standesamt Aigaleo beurkundet worden zu sein. Insofern wären die betroffenen Heiratsurkunden zwar inhaltlich unzutreffend, aber – wie vom Kläger vorgetragen – als echt anzusehen. Dennoch erscheint es ebenso denkbar, dass es neben den Falschbeurkundungen darüber hinaus auch zu Fälschungen entsprechender Urkunden kam. Die Ausgangs- und Widerspruchsbehörde haben die streitgegenständliche Heiratsurkunde im behördlichen Verfahren bislang keiner Überprüfung durch das Auswärtige Amt unterzogen, wie es im Schreiben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 19.01.2021 für derartige Fälle allgemein angeregt worden war.

[14]Da die Eheschließung aber auch im Falle ihrer Echtheit – wie dargestellt – mangels Erfüllung der Formerfordernisse des griechischen Rechts unwirksam ist, bedurfte es auch seitens des Gerichts keiner weiteren Ermittlung insbesondere durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes (vgl. § 98 VwGO i.V.m. § 358a Satz 1, Satz 2 Nr. 2 ZPO). Nichts anderes ergibt sich mit Blick auf die Frage, ob die beigefügte Apostille den Vorgaben des Haager Übereinkommens vom 05.10.1961 zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legalisation entspricht und die Heiratsurkunde schon deshalb als echt anzusehen ist (vgl. dazu VG Stuttgart, Beschluss vom 16.04.2020 – 8 K 350/20 –, juris Rn. 27; VG Würzburg, Urteil vom 17.03.2022 – W 3 K 20.471 (IPRspr 2022-163) –, juris Rn. 52 f.).

[15]cc) ...

Fundstellen

LS und Gründe

StAZ, 2024, 152

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https://iprspr.mpipriv.de/2023-265

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