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Verfahrensgang

VG Würzburg, Urt. vom 17.03.2022 – W 3 K 20.471, IPRspr 2022-163

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Eingehung, Wirksamkeit
Verfahren → Beweisrecht
Allgemeine Lehren → Anpassung, Substitution, Transposition

Leitsatz

Auf eine nach ausländischem Recht (hier: armenisches Recht) wirksam geschlossene Ehe findet § 34 Abs. 1 SGB nur Anwendung, wenn sie einer deutschen Ehe entspricht. Hierfür ist erforderlich, dass eine Verbindung zwischen Mann und Frau vorliegt und nach dem ausländischen Recht eine wirksame Ehe mit entsprechenden Pflichten, besonders Unterhaltspflichten, vorliegt, wenn auch die Ehe in anderer Form als nach deutschem Recht geschlossen worden ist.

Eine Haager Apostille der Heiratsurkunde soll lediglich die Eheschließung durch die ausländische öffentliche Urkunde nachweisen. Sie ist keine Eheschließungsvoraussetzung. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EGBGB Art. 3; EGBGB Art. 4; EGBGB Art. 11; EGBGB Art. 13; EGBGB Art. 14
HApostilleÜ Art. 3; HApostilleÜ Art. 4; HApostilleÜ Art. 5
PStG § 34
SGB I § 34
VwGO § 42
ÄndG v. 31.01.2019 Art. 2

Sachverhalt

Die Klägerin zog 2015 mit ihrer Tochter von Frankfurt a.M. in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten und beantragte beim Beklagten Unterhaltsleistungen für ihre Tochter. Der Vater lebe in B... K... Das Kind erhalte keinen Unterhalt, da der Vater nicht zahlungsfähig sei. Die Klägerin erklärte mit der Antragstellung, dass die Unterhaltsvorschussstelle von ihr unverzüglich unterrichtet wird, wenn u.a. der allein stehende Elternteil heiratet, auch wenn der Ehegatte nicht der Elternteil des Kindes ist. Mit Bescheid des Beklagten vom xx.xx.2015 wurden für das Kind C. Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ab xx.xx.2015 gewährt. Die Klägerin sprach ausweislich des Vermerks des Beklagten vom xx.xx.2019 in Begleitung ihres Ehemannes M. beim Beklagten vor und teilte mit, dass sie seit ... 2018 verheiratet sei. Die Eheschließung habe in A... stattgefunden. Ein Zusammenleben sei immer geplant gewesen. Es habe gedauert, bis die Eheschließung anerkannt und der Familiennachzug bewilligt worden sei. Seit xx.xx.2019 lebten sie zusammen im Zuständigkeitsbereich der Beklagten. In der Akte des Beklagten befinden sich eine Kopie der Originalheiratsurkunde vom ... 2018 mit Apostille vom ... 2018 und eine beglaubigte Übersetzung der Heiratsurkunde vom ... 2018. Danach wurde die Ehe am ... 2018 im Registrierungsbuch für Eheschließungen eingetragen.

Mit Bescheid des Beklagten vom xx.xx.2019 wurden die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für C. zum xx.xx.2019 eingestellt und der durch die Auszahlung der Unterhaltsvorschussleistungen für den Zeitraum vom xx.xx.2018 bis xx.xx.2019 entstandene Schaden in Höhe von x.xxx EUR sei bis spätestens xx.xx.2019 von der Klägerin zu ersetzen (Ziffer 2). Die Klägerin legte Widerspruch gegen den Bescheid vom xx.xx.2019 ein. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken zurückgewiesen. Die Klägerin erhob am xx.xx.2020 Klage und beantragte zuletzt, Ziffer 2 des Bescheides des Beklagten vom xx.xx.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom xx.xx.2020 aufzuheben.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]... Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) zulässig, aber unbegründet ...

[2]1.

[3]Die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung lagen im Zeitraum 1. Juni 2018 bis 31. Januar 2019 nicht vor ...

[4]a)

[5]Die Klägerin war im Zeitraum 1. Juni 2018 bis 31. Januar 2019 nicht ledig ...

[6]Die am ... 2018 mit dem a... Staatsangehörigen M. in A... geschlossene Ehe unterliegt gemäß Internationalem Privatrecht zumindest auch dem Recht eines anderen Staates.

[7]Da es sich um einen Sachverhalt mit Auslandsbezug handelt, richtet sich das hierauf anwendbare Recht nach den Vorschriften des Internationalen Privatrechts (vgl. Thorn in Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, Einl vor Art. 3 EGBGB Rn. 1, Art. 3 EGBGB Rn. 2 ff.).

[8]Das anzuwendende Recht bei Sachverhalten mit einer Verbindung zu einem ausländischen Staat bestimmt sich nach Art. 3 EGBGB nach den Vorschriften des Zweiten Kapitels des Einführungsgesetzbuches des Bürgerlichen Gesetzbuches, soweit nicht unmittelbar anwendbare Regelungen der Europäischen Union oder Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen, soweit sie unmittelbares innerstaatliches Recht geworden sind, maßgeblich sind.

[9]Das anwendbare Recht ergibt sich nicht aus unmittelbar anwendbaren Regelungen der Europäischen Union oder vorrangigen völkerrechtlichen Vereinbarungen. Der Konsularvertrag vom 25. April 1958 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (BGBl. 1959 II, S. 232, 469) galt zunächst im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Armenien weiter (Bekanntmachung vom 18. Januar 1993, BGBl. 1993 II, S. 169) (Thorn in Grüneberg, BGB, Anhang Art. 13 EGBGB Rn. 1; Mörsdorf in BeckOK BGB, 61. Ed. Stand 01.02.2022, Art. 13 EGBGB Rn. 8). Der Konsularvertrag enthält Bestimmungen für die konsularische Tätigkeit der Konsularabteilungen der Botschaften der Vertragsparteien und die Tätigkeit der Konsulate. Die Regelung des Konsularvertrags umfasst nur Eheschließungen, wenn beide Eheschließende Staatsangehörige des Entsendestaates sind. Der Vertrag enthält im Übrigen keine vorrangigen kollisionsrechtlichen Regelungen.

[10]Die Form der Eheschließung im Ausland richtet sich daher nach Art. 11 Abs. 1 EGBGB (Thorn in Grüneberg, BGB, Art. 11 EGBGB Rn. 1, Art. 13 EGBGB Rn. 4). Nach Art. 11 Abs. 1 EGBGB ist ein Rechtsgeschäft formgültig, wenn es die Formerfordernisse des Rechts, das auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist, oder des Rechts des Staates erfüllt, in dem es vorgenommen wird. Die Formgültigkeit eines Geschäfts beurteilt sich danach alternativ nach dem dafür inhaltlich maßgeblichen Recht, dem sogenannten Geschäftsrecht (Wirkungsstatut) oder nach dem Recht am Ort der Vornahme, dem sogenannten Ortsrecht (Ortsform). Danach ist (gleichrangig neben dem Geschäftsrecht) grundsätzlich die Einhaltung der Formerfordernisse des Ortsrechts ausreichend (Thorn in Grüneberg, BGB, Art. 11 EGBGB Rn. 6, 8, 12; Mörsdorf in BeckOK BGB, 61. Ed. Stand 01.02.2022, Art. 13 EGBGB Rn. 1, 71; Rentsch in Beck-​Online-​Großkommentar, Stand 1.6.2020, EGBGB, Art. 13 Rn. 263).

[11]Die Voraussetzungen der Eheschließung unterliegen nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB für jeden Verlobten dem Recht des Staates, dem er angehört. Die Vorschrift regelt die materiellen Voraussetzungen einer Eheschließung einschließlich der Folgen ihres Fehlens. Soweit das Heimatrecht der Verlobten für anwendbar erklärt wird, sind Zurück- oder Weiterverweisung nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB zu beachten. Art. 13 Abs. 1 EGBGB unterstellt die materiellen Gültigkeitsvoraussetzungen einer Eheschließung bei jedem Verlobten seinem Heimatrecht bzw. Personalstatut im Zeitpunkt der Heirat (Thorn in Grüneberg, BGB, Art. 13 EGBGB Rn. 1, Einl. v. Art. 3 EGBGB Rn. 19, [Anl.] zu Art. 5 EGBGB Rn. 15 ff.; Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 13 EGBGB Rn. 1). Verlobte sind die unmittelbar Eheschließungswilligen, nicht notwendig die Partner eines förmlichen Verlöbnisses (Mörsdorf, a.a.O., Art. 13 EGBGB Rn. 40). Zu den materiellen Voraussetzungen der Eheschließung gehören Ehemündigkeit, Einfluss von Willensmängeln und das (Nicht) Vorliegen von Ehehindernissen (vgl. Thorn, a.a.O., Art. 13 EGBGB Rn. 6 ff.).

[12]Die Form der Eheschließung ist vorliegend erfüllt, da die Eheschließung die Formerfordernisse des armenischen Rechts als Recht des Staates, in dem es vorgenommen wird, erfüllt (Art. 11 Abs. 1 Alt. 2 EGBGB).

[13]Nach dem armenischen Recht werden Ehen zwischen armenischen Staatsangehörigen und Ausländern in Armenien nach armenischem Recht geschlossen (Lorenz in Bergmann/Ferid/ Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Aktualisierung 2017, Ordner II, Armenien, S. 14). Das armenische Recht verweist insofern nicht nach Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGBGB auf deutsches Recht zurück. Nach armenischem Recht ist Voraussetzung der Eheschließung ein gemeinsamer schriftlicher Antrag an die Personenstandsbehörde. Die Ehe wird vor der Personenstandsbehörde bei zwingender Anwesenheit der Eheschließenden durchgeführt (Lorenz, a.a.O., S. 16, 30 f., 64). Die Formerfordernisse des Ortsrechts sind daher erfüllt.

[14]Die materiellen Voraussetzungen der Eheschließung sind sowohl für die Klägerin als auch für den Ehemann der Klägerin nach dem Recht des Staates, dem sie angehören, erfüllt. Materielle Voraussetzungen der Eheschließung sind nach armenischem Recht beiderseitiges Einverständnis, die Ehemündigkeit und das Nichtvorhandensein von Ehehindernissen wie nahe Verwandtschaft, Adoption, anderweitige Ehe oder Geschäftsunfähigkeit eines zukünftigen Ehegatten (Lorenz, a.a.O., S. 16 f., 31).

[15]Das Vorliegen dieser Voraussetzungen wird von der Klägerin auch nicht in Abrede gestellt. Nach der beglaubigten Übersetzung der Heiratsurkunde vom ... 2018 wurde die Ehe am ... 2018 wirksam in A... vor dem Standesbeamten geschlossen.

[16]Die Apostille vom ... 2018 ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung, sondern betrifft den Nachweis der Ehe durch die ausländische öffentliche Urkunde.

[17]Im Ausland geschlossene Ehen können vor inländischen Behörden und Gerichten durch Vorlage entsprechender Bescheinigungen anerkannt werden. Nachweis wird u.a. durch eine Urkunde erbracht (Mörsdorf in BeckOK BGB, 61. Ed. Stand 1.2.2022, EGBGB, Art. 13 Rn. 88). Jede mit der Gültigkeit der ausländischen Ehe als Vorfrage für andere Rechtsverhältnisse befasste Stelle muss die Voraussetzungen der Anerkennung eigenständig prüfen (vgl. DIJuF-​Rechtsgutachten 30.12.2000, JAmt 2021, 453, 454).

[18]Die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Armenien sind Vertragsparteien des Haager Übereinkommens vom 5. Oktober 1961 zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legalisation (Gesetz zu dem Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legalisation vom 21. Juni 1965 [BGBl. 1965 II S. 875], das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 31. Januar 2019 [BGBl. I S. 54] geändert worden ist). Nach Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens darf zur Bestätigung der Echtheit der Unterschrift, der Eigenschaft, in welcher der Unterzeichner der Urkunde gehandelt hat, und gegebenenfalls der Echtheit des Siegels oder Stempels, mit dem die Urkunde versehen ist, als Förmlichkeit nur verlangt werden, dass die in Artikel 4 vorgesehene Apostille angebracht wird, welche die zuständige Behörde des Staates ausstellt, in dem die Urkunde errichtet worden ist. Die Apostille wird auf der Urkunde selbst oder auf einem mit ihr verbundenen Blatt angebracht (Art. 4 Abs. 1). Die Apostille wird auf Antrag des Unterzeichners oder eines Inhabers der Urkunde ausgestellt (Art. 5 Abs. 1). Ist die Apostille ordnungsgemäß ausgefüllt, so wird durch sie die Echtheit der Unterschrift, die Eigenschaft, in welcher der Unterzeichner der Urkunde gehandelt hat, und gegebenenfalls die Echtheit des Siegels oder Stempels, mit dem die Urkunde versehen ist, nachgewiesen (Art. 5 Abs. 2).

[19]Die sogenannte Haager Apostille hat aber keine konstitutive Wirkung für die im Ausland geschlossene Ehe. Sie ändert insofern nichts daran, dass die Ehe am ... 2018 wirksam geschlossen wurde.

[20]Es bedarf auch keiner Registrierung der im Ausland vorgenommenen Eheschließung im Inland. Hat ein Deutscher im Ausland die Ehe geschlossen, so kann die Eheschließung nach § 34 Abs. 1 PStG auf Antrag im Eheregister beurkundet werden. Antragsberechtigt sind die Ehegatten. Eine gesetzliche Verpflichtung besteht hierfür nicht (vgl. DIJuF-​Rechtsgutachten 30.12.2020, JAmt 2021, 453, 454 f.) ...

[21]Damit besteht die Ehe nach armenischem Recht, mithin nach § 34 SGB I nach dem Recht eines anderen Staates.

[22]Die Ehe entspricht nach § 34 SGB I einer Ehe nach deutschen Recht.

[23]Ausländische Eheschließungen sind nach § 34 SGB I danach zu beurteilen, ob sie der Ehe nach deutschem Recht entsprechen. Es muss sich um eine Eheschließung handeln, die nach dem Recht des anderen Staates als Ehe gilt (Grube, UVG, 2. Aufl. 2020, § 1 Rn. 34). Eine Entsprechung in diesem Sinne bezüglich der deutschen Ehe ist dann anzunehmen, wenn eine Verbindung zwischen Mann und Frau vorliegt und nach ausländischem Recht eine wirksame Ehe mit entsprechenden Pflichten, besonders Unterhaltspflichten, vorliegt, wenn auch die Ehe in anderer Form als nach deutschem Recht geschlossen worden ist (vgl. Weselski in jurisPK-​SGB I, 3. Aufl. 2018, § 34 Rn. 29).

[24]Das ist wie dargelegt im armenischen Recht der Fall. Das armenischen Recht sieht u.a. einen Anspruch auf Unterhalt vor (Lorenz, a.a.O., S. 17, 44; vgl. zu dem auf die allgemeinen Ehewirkungen anwendbaren Recht im Übrigen Art. 14 EGBGB).

[25]...

Fundstellen

LS und Gründe

BeckRS, 2022, 8191

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2022-163

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