Eine Antragsbescheinigung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU muss nicht erteilt werden, wenn die Voraussetzungen eines unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts offensichtlich nicht gegeben sind (hier: mangels Angehörigeneigenschaft wegen Ungültigkeit der Eheschließung).
Auf die Eheschließung eines in Deutschland aufhältigen deutschen Staatsangehörigen per Videokonferenz vor einem Standesbeamten im Bundesstaat Utah der Vereinigten Staaten von Amerika findet gemäß Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB deutsches Eherecht Anwendung.
Eine von Deutschland aus per Videokonferenz vor einem Standesbeamten im Bundesstaat Utah der Vereinigten Staaten von Amerika geschlossene Ehe genügt nicht den Anforderungen der §§ 1310 Abs. 1 Satz 1, 1311 Satz 1 BGB an eine wirksame Eheschließung.
[1]Der gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO sachdienlich gefasste Antrag,
[2]die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller eine Bescheinigung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU über die Beantragung einer Aufenthaltskarte auszustellen,
[3]hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber nicht begründet.
[4]1. ... 2. Hieran gemessen ist die begehrte Anordnung nicht zu erlassen, denn der Antragsteller hat das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht.
[5]a) Rechtsgrundlage für die begehrte Ausstellung einer Bescheinigung über die Beantragung einer Aufenthaltskarte ist § 5 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU wird freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen, die nicht Unionsbürger sind, von Amts wegen innerhalb von sechs Monaten, nachdem sie die erforderlichen Angaben gemacht haben, eine Aufenthaltskarte für Familienangehörige von Unionsbürgern ausgestellt, die fünf Jahre gültig sein soll. Eine Bescheinigung darüber, dass die erforderlichen Angaben gemacht worden sind, erhält der Familienangehörige gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU unverzüglich.
[6]b) An der Glaubhaftmachung dieser Voraussetzungen für die Ausstellung einer Antragsbescheinigung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU fehlt es, denn der Antragsteller, der als Staatsangehöriger Ghanas kein Unionsbürger ist, ist offensichtlich auch kein Familienangehöriger eines Unionsbürgers.
[7]aa) Soweit der Antragsteller geltend macht, er habe am XXX von Italien aus per Videokonferenz vor einer Standesbeamtin des Bundesstaates Utah der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) mit seiner zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland aufhältigen deutschen Lebensgefährtin die Ehe geschlossen, dringt er damit von Rechts wegen nicht durch, denn es handelt sich dabei wegen Verstoßes gegen Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB, §§ 1310 Abs. 1 Satz 1, 1311 Satz 1 BGB wie auch gegen Art. 6 Satz 1 EGBGB nicht um eine für den deutschen Rechtskreis wirksame Eheschließung.
[8](1) Auf die Form der Eheschließung ist deutsches Sachrecht anwendbar.
[9]Gemäß Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB kann eine Ehe im Inland nur in der in Deutschland vorgeschriebenen Form geschlossen werden. Um eine (auch) im Inland geschlossene Ehe handelt es sich dabei auch dann, wenn die Verlobten ihre Erklärungen auf Eingehung der Ehe in Deutschland abgeben, während die Stelle, welche aufgrund der Erklärungen das Zustandekommen der Ehe feststellt, sich in einem anderen Staat befindet. Denn die Abgabe der Erklärungen auf Eingehung der Ehe ist für die Eheschließung derart wesentlich, dass die Eheschließung zumindest auch am Ort der Abgabe der Erklärungen stattfindet. Dies ergibt sich im Übrigen auch aus dem Sinn und Zweck der einseitigen Kollisionsvorschrift des Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB, da andernfalls die in Deutschland vorgeschriebene Form der Eheschließung ohne Aufwand im Wege der Videotelefonie unterlaufen werden könnte. Als Spezialregelung geht Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB bei alledem im Rahmen seines Anwendungsbereichs der allgemeineren Kollisionsvorschrift des Art. 11 EGBGB vor (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 08.03.2022 –
[10]Hiernach handelt es sich um eine im Inland geschlossene Ehe, denn zumindest die deutsche Lebensgefährtin des Antragstellers hielt sich ausweislich ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 03.09.2023 zum Zeitpunkt der Eheschließung in Deutschland auf. Dass der Antragsteller selbst sich zu diesem Zeitpunkt in Italien befand, ändert am damit gegebenen kollisionsrechtlichen Inlandsbezug nichts, denn jedenfalls für die Eheschließung in Deutschland aufhältiger deutscher Staatsangehöriger kann die Kollisionsregel des Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB nicht bereits dadurch umgangen werden, dass der andere Eheschließende sich im Ausland aufhält. Ob in Fällen, in denen sich zwar die Eheschließenden in Deutschland aufhalten, die Erklärungen auf Eingehung der Ehe aber im Ausland durch Stellvertreter vor einer ausländischen Stelle abgegeben werden („Handschuh-Ehe“), anderes gilt (vgl. BGH, Beschluss vom 29.09.2021 –
[11](2) Den Vorgaben des sonach anzuwendenden deutschen Sachrechts entspricht die vom Antragsteller ins Feld geführte Eheschließung nicht. Die Ehe wird nach deutschem Sachrecht gemäß §§ 1310 Abs. 1 Satz 1, 1311 Satz 1 BGB nur dadurch geschlossen, dass die Eheschließenden bei gleichzeitiger Anwesenheit vor dem Standesbeamten persönlich erklären, die Ehe miteinander eingehen zu wollen. Diese Form ist durch eine Eheschließung per Videokonferenz vor einer Standesbeamtin in Utah/USA zumindest bei außerhalb der USA aufhältigen Eheschließenden nicht gewahrt (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 08.03.2022 –
[12](3) Unabhängig davon wäre von einer für den deutschen Rechtskreis wirksamen Eheschließung selbst dann nicht auszugehen, wenn man für die Form der Eheschließung von der Anwendbarkeit US-amerikanischen Rechts ausgehen wollte. Denn zumindest unter den Umständen des hier zur Entscheidung stehenden Falles, in dem keiner der Eheschließenden über die US-amerikanische Staatsangehörigkeit verfügt oder sich bei Eheschließung in den USA aufhielt und in dem sich zumindest einer der Eheschließenden, der überdies über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügt, zum Zeitpunkt der Eheschließung in Deutschland befand, ist US-amerikanisches Eherecht gemäß Art. 6 Satz 1 EGBGB für den deutschen Rechtskreis nicht anzuwenden, weil seine Anwendung zu einem Ergebnis führte, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar wäre. Durch eine Eheschließung per Videokonferenz vor einer Standesbeamtin in den USA in der hier vorliegenden Konstellation wird ein wesentlicher Grundsatz des deutschen Eherechts, wonach eine Ehe im Inland nur höchstpersönlich bei gleichzeitiger Anwesenheit der Eheschließenden vor einem Standesbeamten geschlossen werden kann (Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB, §§ 1310 Abs. 1 Satz 1, 1311 Satz 1 BGB), in tiefgreifender Weise verletzt. Der durch die Formvorschriften des deutschen Eherechts bezweckte Schutz der Ernstlichkeit des Eheschließungswillens sowie der Freiheit der Willensbestimmung wie auch die im Sinne der Rechtssicherheit gebotene Vermeidung von Personenverwechslungen und unklaren Schwebezuständen würden ernstlich gefährdet, wenn ein in wesentlichen Punkten nicht dem deutschen Recht entsprechendes konkurrierendes Eheschließungsrecht zugelassen würde, welches auch in Deutschland aufhältigen deutschen Staatsangehörigen ohne jeden Bezug zu den USA eine vollumfängliche Umgehung dieser Formvorschriften gestattete. Das deutsche Eheschließungsrecht würde hierdurch faktisch wirkungslos (vgl. VG Augsburg, Beschluss vom 21.02.2022, BeckRS 2022, 15351, Rn. 26 f.).
[13]bb) Ohne Erfolg bleibt dabei der Einwand des Antragstellers, die deutschen Behörden seien verpflichtet, seine Ehe als wirksam zu behandeln, weil die italienischen Behörden ihm eine Aufenthaltskarte ausgestellt und damit implizit seine Eigenschaft als Familienangehöriger eines Unionsbürgers bejaht hätten. Die Ausstellung einer Aufenthaltskarte hat lediglich deklaratorische, nicht aber konstitutive Wirkung. Dass dem Antragsteller in Italien eine Aufenthaltskarte ausgestellt worden ist, besagt insoweit lediglich, dass die dort zuständige Ausländerbehörde von dem Vorliegen der dafür erforderlichen Eigenschaft des Antragstellers als Familienangehöriger ausgegangen ist, nicht hingegen, dass der Antragsteller tatsächlich Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist. Ob die italienische Ausländerbehörde die per Videokonferenz vor einer Standesbeamtin in den USA geschlossene Ehe hat ausreichen lassen, um dem Antragsteller eine Aufenthaltskarte auszustellen, ist für die hier allein maßgebliche Frage, ob die Eheschließung nach deutschem Recht als wirksam anzusehen ist, nicht von Belang. Die Antragsgegnerin verweigert nicht etwa die Anerkennung einer vor italienischen Behörden nach dortigem Recht geschlossenen Ehe oder eines von italienischen Behörden nach Maßgabe des Unionsrechts ausgestellten Aufenthaltstitels, sondern gelangt lediglich im unionsrechtlich nicht voll harmonisierten Bereich der Anerkennung von Eheschließungen vor Behörden eines Nicht-EU-Staates nach dem für sie maßgeblichen deutschen Recht zu einem anderen Ergebnis als es – möglicherweise – das italienische Recht den italienischen Behörden vorgibt. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden.
[14]c) Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist es für die Frage des Bestehens eines Anspruchs auf Erteilung einer Bescheinigung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU über die Beantragung einer Aufenthaltskarte auch nicht etwa unbeachtlich, ob der Antragsteller tatsächlich Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist oder nicht.
[15]aa) Zwar handelt es sich bei der Bescheinigung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU nicht um einen Nachweis des Bestehens der Freizügigkeitsberechtigung, sondern um eine bloße Verfahrensbescheinigung im Sinne einer Eingangsbestätigung ...
[16]bb) Anders verhält es sich allerdings dann, wenn die Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechts offensichtlich nicht gegeben sind (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19.09.2022 –
[17](1) ... (2) Der Umstand, dass es sich beim Antragsteller nicht um einen Familienangehörigen eines Unionsbürgers handelt, ist dabei auch offensichtlich, denn die vom Antragsteller ins Feld geführte Eheschließung, deren tatsächliche Umstände nicht in Streit stehen, ist nach dem bereits Ausgeführten aufgrund des Fehlens jeglichen persönlichen Bezugs des Antragstellers oder seiner Lebensgefährtin zu den USA sowie des unter diesen Umständen in der Eheschließung einer in Deutschland aufhältigen Deutschen per Videokonferenz vor einer Standesbeamtin in den USA zu erblickenden handgreiflichen Verstoßes gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Eherechts wie auch den deutschen Ordre Public für den deutschen Rechtskreis offensichtlich nicht wirksam ...
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