Der Anspruch aus § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG a.F. i.V.m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG a.F. unterliegt dem Insolvenzstatut.
Die Haftung nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG unterliegt dem Gesellschaftsstatut.
Bei der Ermessenausübung nach § 293 ZPO findet Berücksichtigung, ob Vortrag der Parteien zu dem Inhalt des ausländischen Rechts übereinstimmt oder ob sie zu dem Inhalt dieses Rechts nicht Stellung nehmen, obwohl sie dessen Anwendbarkeit kennen oder mit ihr rechnen.
Der Kläger wurde mit amtsgerichtlichem Beschluss vom 25. Oktober 2016 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der X N.V. (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin), einer Aktiengesellschaft belgischen Rechts, bestellt. Die Insolvenzschuldnerin ist Teil der B-Gruppe. Zu diesem Konzernverbund gehören neben ihr die B SE, die D GmbH, die B1 AG und die E AG. Durch Markenkaufvertrag kaufte die Insolvenzschuldnerin von der D GmbH & Co. KG die Marke „D" zu einem Kaufpreis in Höhe von € .... Der Kaufpreis wurde nach der Aufnahme von Darlehen, welche die B1 AG gab an die Verkäuferin gezahlt. Die Marke wurde auf die Insolvenzschuldnerin übertragen. Am xx.xx.2016 verkaufte die Insolvenzschuldnerin mit Zustimmung des Klägers die Marke für € ... Im Insolvenzverfahren über das Vermögen der E AG wurde eine weitere Marke zum Preis von € ... veräußert. In einem Gesellschafterbeschluss der Insolvenzschuldnerin vom xx.xx.2015 wird der Beklagte als „Geschäftsführer“ der Insolvenzschuldnerin abberufen.
Der Kläger hat im Weg der Teilklage Schadenersatz in Höhe von 10% der abgeflossenen Gelder von € ... begehrt. Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, € ... nebst Zinsen an den Kläger zur Insolvenzmasse zu zahlen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Ziel der Klagestattgabe.
[1]1. Die Klage ist zulässig.
[2]a) Die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende (BGH, Urt. v. 26.3.2019 -
[3]b) ... 2. Die Klage ist jedoch unbegründet.
[4]a) Ein Anspruch aus § 92 Abs. 2 S. 1 AktG a. F. i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG a. F. besteht nicht.
[5]aa) Die Bestimmungen sind anwendbar, da sie insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind und vorliegend das deutsche Recht gemäß Art. 7 Abs. 1 EuInsVO das Insolvenzstatut stellt.
[6]Für die Haftung nach § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG a. F. hat der EuGH, Urt. v. 10.12.2015 - C 594/14, Kornhaas ./. Dithmar, EuZW 2016, 155 (dem folgend BGH, Urt. v. 15.3.2016 -
[7]Auf Grundlage der Entscheidung des EuGH, a. a. O., ist deshalb der Anspruch aus § 92 Abs. 2 S. 1 AktG a. F. i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG a. F. insolvenz- und nicht gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren (Mankowski, in: ders./Müller/ J. Schmidt, EuInsVO 2015, 2016, Art. 6 Rn. 20; Schlosser, in: ders./Hess, EuZPR, 5. Aufl. 2021, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rn. 21; Mankowski, NZG 2016, 81, 286; Schulz, NZG 2015, 146, 148).
[8]bb) Die Anwendbarkeit von § 92 Abs. 2 S. 1 AktG a. F. i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG a. F. setzt voraus, dass der Beklagte in der Insolvenzschuldnerin eine Rechtsstellung innehatte, die bei funktionaler Betrachtungsweise derjenigen eines Vorstands in einer deutschen AG vergleichbar ist. Der Beklagte war „bestuurder“ (vgl. die Abberufung in niederländischer Sprache, S. 2 = Bl. 33 Anlagenband), was in der englischen Übersetzung mit „director“ (Bl. 35 Anlagenband) und in der deutschen Übersetzung mit „Geschäftsführer“ (Bl. 31 Anlagenband) übersetzt ist. Die beglaubigte Übersetzung der Ernennung des Beklagten vom 24. Februar 2015 (Anlage K10 = Bl. 38 Anlagenband) bezeichnet ihn als „Vorstandsmitglied“. Nach der beglaubigten Übersetzung der im Staatsblad veröffentlichten Satzung der Insolvenzschuldnerin, S. 3 (Bl. 403 d. A.), handelte es sich um einen Verwaltungsrat. Auch die Parteien benennen ihn als „Verwaltungsrat.“
[9]Der Beklagte behauptet, seine Rechtsstellung habe eher der eines Aufsichtsrats denn der eines Vorstands entsprochen. Die N. V. belgischen Rechts wird von der Generalversammlung (algemene vergaadering van aandeelhouders) und dem Verwaltungsrat (raad van bestuur) geleitet und überwacht (Lebbink/Orban, in: Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, 154. EL Dezember 2015, Länderteil Belgien Rn. B 6). Die Generalversammlung setzt sich aus den Aktionären zusammen. Sie ist für die Bestellung der Verwaltungsratsmitglieder zuständig. Der Verwaltungsrat vertritt die Gesellschaft nach außen.
[10]In Art. 522 § 2 des Gesetzbuchs über die Gesellschaften (Code des sociétés/Wetboek van vennootschappen) heißt es: ...
[11]Deutsch: „Der Verwaltungsrat vertritt die Gesellschaft gegenüber Dritten und in Gerichtsverfahren als Kläger oder Beklagter. Die Satzung kann jedoch einem oder mehreren Verwaltungsräten (bestuurders, Anm. d. Senats) die Befugnis verleihen, die Gesellschaft allein oder gemeinsam zu vertreten. Diese Bestimmung kann Dritten gegenüber geltend gemacht werden.“
[12]Vor diesem Hintergrund entspricht die Stellung des Beklagten in der Insolvenzschuldnerin der eines Vorstands in einer Aktiengesellschaft deutschen Rechts. Dies entspricht auch Ziff. 9 der Satzung der Insolvenzschuldnerin (Bl. 403 d. A.), nach welcher die Insolvenzschuldnerin von einem Verwaltungsrat geleitet sowie gerichtlich und außergerichtlich durch zwei gemeinsam handelnde Verwaltungsräte oder durch jeden delegierten Verwaltungsrat vertreten wird.
[13]cc) ... dd) ... (1) ... (2) ... (a) ... (b) ... ee) ... (1) ... (2) ... ee) ...ff) ... gg) .... b) Eine Haftung nach § 93 Abs. 2 S. 1 AktG besteht selbst dann nicht, wenn man die Anwendbarkeit der Norm unterstellt.
[14]aa) Die Bestimmung ist kollisionsrechtlich nicht anwendbar. Sie ist dem Gesellschaftsstatut zuordnen und unterfällt - spiegelbildlich hierzu - der für das Internationale Deliktsrecht geltenden Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. d) Rom II-VO. Denn durch diese sollen Aspekte, für die eine spezifische Lösung vorgesehen ist, die sich daraus ergibt, dass diese Aspekte mit der Funktionsweise und dem Handeln einer juristischen Person verbunden sind, unter das einheitliche Statut der lex societatis gefasst werden. Es ist folglich danach zu unterscheiden, ob es sich um eine spezifische Sorgfaltspflicht handelt, die sich aus dem Verhältnis zwischen dem Organ und der Gesellschaft ergibt, die nicht vom sachlichen Anwendungsbereich der Rom-II-VO erfasst wird, oder um eine erga omnes geltende allgemeine Sorgfaltspflicht, die darunterfällt (vgl. EuGH, Urt. v. 10.3.2022 - C-498/20, ZK Insolvenzverwalter der BMA Nederland BV ./. BMA Braunschweigische Maschinenbauanstalt AG, NJW 2022, 2739, 2742, Rn. 54-56; Schwemmer, IPRax 2023, 149, 54; vgl. auch v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band 2, 2. Auf. 2019, § 7 Rn. 193).
[15]Die Haftung nach § 93 Abs. 2 S. 1 AktG regelt die Schadensersatzpflicht von Vorstandsmitgliedern im Fall von Pflichtverletzungen gegenüber der Gesellschaft. Sie ergibt sich demnach spezifisch aus dem Verhältnis des Vorstands als Organ und der Gesellschaft und sanktioniert gerade keine erga omnes geltende allgemeine Sorgfaltspflicht.
[16]Das Gesellschaftsstatut der Insolvenzschuldnerin wird jedoch nach der im Verhältnis zu EU-Mitgliedstaaten geltenden Gründungstheorie durch das belgische Recht gestellt.
[17]bb) ... (1) ... (2) ... (3) ... (4) ... (a) ... (b) ... c) ... d) Auch Ansprüche nach belgischem Recht bestehen nicht.
[18]aa) Das belgische Recht stellt nach der Gründungstheorie das Gesellschaftsstatut, von dem die Haftung der Organe gegenüber der Gesellschaft erfasst ist.
[19]bb) Der Kläger rügt mit seiner Berufung diesbezüglich, dass die „grundsätzlich zu beachtenden Normen“ des belgischen Rechts nicht geprüft worden seien. Vortrag zum Inhalt des belgischen Rechts hat er in der II. Instanz nicht gehalten. In der Klageschrift ist vorgetragen, gemäß der Art. 527 ff. des belgischen Code de Sociétés et Associations hafteten die mit der täglichen Geschäftsführung beauftragten Personen für Fehler in ihrer Geschäftsführung.
[20]Der Beklagte hat zum Inhalt des belgischen Rechts bezüglich seiner etwaigen Haftung zweitinstanzlich ausgeführt (Bl. 338 d. A.), dass für die Beklagte der bis zum Jahr 2019 geltende belgische Code des Sociétés gelte. Zudem hat er geltend gemacht, nach Art. 198 Abs. 4 des belgischen Code de Sociétés sei eine Verjährungsfrist von fünf Jahren ab Vornahme der schädigenden Handlung vorgesehen, sodass Verjährung eingetreten sei.
[21]Den Inhalt ausländischen Rechts hat das Gericht gemäß § 293 ZPO von Amts wegen zu ermitteln. Dabei hängen Umfang, Intensität und Grenzen der Ermittlungspflicht des Gerichts vom Einzelfall ab. Relevante Parameter sind die Komplexität und der Fremdheitsgrad des ausländischen Rechts sowie der zu diesem Recht geleistete Parteivortrag (Thomas/Putzo/ Seiler, 44. Aufl. 2023, § 293 Rn. 4). Bei der Ermessenausübung findet Berücksichtigung, ob der Vortrag der Parteien zu dem Inhalt des ausländischen Rechts übereinstimmt oder ob sie zu dem Inhalt dieses Rechts nicht Stellung nehmen, obwohl sie dessen Anwendbarkeit kennen oder mit ihr rechnen (vgl. BGH, Urt. v. 29.6.2022 -
[22]Der Senat hat vor diesem Hintergrund sein Ermessen dahingehend ausgeübt, den für die Entscheidung relevanten Inhalt des belgischen Rechts ausgehend von den vorliegenden deutschen Sekundärquellen zu ermitteln, da diese aufgrund der räumlichen Nähe Belgiens zu Deutschland und der Nähe des belgischen Rechts zum rechtsvergleichend gut erschlossenen französischen Recht hinreichen und der klägerische Vortrag zur Haftung zum belgischen Recht äußerst rudimentär ist. Substantiierte Einwände gegen die knappen Ausführungen des Beklagten zum belgischen Recht sind vom Kläger nicht erhoben.
[23]cc) Einschlägig ist - worauf der Beklagte zu Recht hinweist - das belgische Gesellschaftsgesetzbuch (Code des sociétés/Wetboek van vennootschappen, im Folgenden bGGB) vom 7. Mai 1999, d. h. in der Fassung vor der Gesellschaftsrechtsreform des Jahres 2019 (im Folgenden: bGGB), da das reformierte Gesellschaftsgesetzbuch (Code des sociétés et des associations) für Altgesellschaften erst ab dem 1. Januar 2020 gilt (MüKo HGB/Fleischer, 5. Aufl. 2022, Vor § 105 Rn. 163).
[24]Die Aktiengesellschaft (société anonyme/ naamloze vennootschap) ist in Art. 437 ff. bGGB geregelt. Haftungsbestimmungen finden sich in Art. 527 bGGB ff., wie der Kläger inhaltlich zutreffend - indes unter unzutreffender Nennung des neuen Gesellschaftsgesetzbuchs (Code des sociétés et des associations) - vorgetragen hat. Die Vorstandsmitglieder einer belgischen Aktiengesellschaft haften danach bei fehlerhafter Ausübung der Geschäftsführung, bei Verstößen gegen das bGGB (einschließlich der Rechnungslegungsvorschriften) oder die Satzung der Gesellschaft und bei unrechtmäßigen Handeln. In allen Fällen haftet das Vorstandsmitglied nur, wenn ihm nachgewiesen werden kann, dass das Fehlverhalten einen Schaden (schade/dommage) verursacht hat (vgl. Vorlat, in: Wegen/Spahlinger/ Barth, Gesellschaftsrecht des Auslands, Länderteil Belgien, Stand März 2013, Rn. 106).
[25]Vorliegend ist - wie dargelegt - ein Fehlverhalten des Beklagten im Hinblick auf den Abschluss der beiden Markenkaufverträge und die Veranlassung der Zahlungen nicht substantiiert dargelegt, jedenfalls nicht bewiesen. Ein Schaden durch den Abschluss der beiden Markenkaufverträge ist nicht bewiesen, ein Schaden durch Veranlassung der Zahlungen aus rechtlichen Gründen - wegen des Erlöschens der korrespondierenden vertraglichen Verpflichtung - nicht entstanden.
[26]d) ...