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Verfahrensgang

ArbG Frankfurt/Main, Urt. vom 22.05.2018 – 16 Ca 6411/17
LAG Hessen, Urt. vom 13.06.2019 – 11 Sa 812/18, IPRspr 2019-382
BAG, Urt. vom 07.05.2020 – 2 AZR 692/19, IPRspr 2020-142
LAG Hessen, Urt. vom 28.04.2022 – 11 Sa 886/20, IPRspr 2022-67

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht → Individualarbeitsrecht
Allgemeine Lehren → Eingriffsnormen

Leitsatz

Die §§ 15, 16 und 18 BEEG sind keine Eingriffsnormen i.S.d. Art. 34 EGBGB a.F.

Nach dem zur Anwendung berufenen indischen Recht beendet auch eine unwirksame Kündigung das Arbeitsverhältnis. Der Arbeitnehmer hat jedoch einen Schadensersatzanspruch inne. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

ArbGG § 8; ArbGG § 64; ArbGG § 66
BEEG § 15; BEEG § 16; BEEG § 18
BetrVG § 102
BGB § 174; BGB § 626
EGBGB Art. 30; EGBGB Art. 34
EuGVVO 1215/2012 Art. 20; EuGVVO 1215/2012 Art. 21; EuGVVO 1215/2012 Art. 71; EuGVVO 1215/2012 Art. 72
KSchG § 1
ZPO § 519; ZPO § 520

Sachverhalt

Die Beklagte ist eine Fluggesellschaft mit Sitz in Deutschland. Der Kläger war bei ihr seit dem 10. März 1996 als Flugbegleiter mit der Heimatbasis Delhi (Indien) beschäftigt. Er ist indischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Indien, wo er mit seiner Familie auch seinen Lebensmittelpunkt hat. Grundlage des Arbeitsverhältnisses war der zwischen den Parteien in Delhi abgeschlossene Arbeitsvertrag vom 8. Februar 1996 („Working contract“, Anl. B 17, Bl. 134 f. d. A.). In § 2 des Arbeitsvertrags war u.a. vereinbart, dass auf das Arbeitsverhältnis indisches Recht sowie die Beschäftigungsbedingungen für regionale Flugbegleiter in Indien Anwendung finden. Mit Schreiben der Personalabteilung in Delhi von Januar 2017 wurde der Kläger mit sofortiger Wirkung aus verhaltensbedingten Gründen suspendiert. Die Beklagte kündigte mit Schreiben von August 2017, das dem Kläger zuging, das Arbeitsverhältnis fristlos.

Der Kläger hat sich gegen die Kündigung mit seiner am 15. September 2017 beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingegangenen und der Beklagten am 25. September 2017 zugestellten Klage gewandt. Der Kläger hat unter anderem beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die schriftliche Kündigung der Beklagten von August 2017 nicht aufgelöst worden ist. Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat durch Urteil vom 22. Mai 2018 - 16 Ca 6411/17 - unter Klageabweisung im Übrigen festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 23. August 2017 nicht aufgelöst worden sei. Gegen das der Beklagten zugestellte Urteil hat diese mit bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese begründet. Die Berufungsbegründung ist dem Kläger im September 2018 zugestellt worden. Dieser hat gegen die klageabweisende erstinstanzliche Entscheidung über die auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses und auf Weiterbeschäftigung gerichteten Klageanträge zu 3. und zu 4. Anschlussberufung eingelegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Die zulässige Anschlussberufung des Klägers bleibt hingegen ohne Erfolg.

[2]I.

[3]Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 lit. b und c ArbGG statthaft und form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519 ZPO). Auch ist sie ordnungsgemäß begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, § 520 Abs. 1 und 3 ZPO).

[4]II.

[5]Die Berufung der Beklagte ist begründet, da die zulässige Klage auch im erstinstanzlichen Klageantrag zu 1. unbegründet und damit insgesamt abzuweisen ist.

[6]1.

[7]Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Revisionsverfahren ist die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Klage aufgrund des Sitzes der Beklagten in A und Hauptniederlassung in B gemäß Art. 20 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel Ia-​VO) gegeben. Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Indien bestehen keine zwischenstaatlichen Übereinkünfte, die gemäß den Art. 71, 72 Brüssel Ia-​VO vorrangig zu beachten wären.

[8]2.

[9]Die zulässige Klage ist jedoch im Klageantrag zu 1. unbegründet, da das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Zugang der Kündigung vom 23. August 2017 beim Kläger am 25. August 2017 beendet worden ist.

[10]a) Die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung ist nicht nach § 1 KSchG, §§ 626, 174 BGB, § 102 TV PV Nr. 2 i.V.m. § 102 Abs. 1 BetrVG, § 18 Abs. 1 Satz 3 BEEG zu beurteilen, da auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht deutsches, sondern indisches Recht Anwendung findet. Auch sind die genannten Vorschriften weder aufgrund der Ausweichklausel des Art. 30 Abs. 2 Halbsatz 2 EGBGB (aF) noch als Eingriffsnormen gemäß Art. 34 EGBGB (aF) auf das Arbeitsverhältnis anwendbar. Insbesondere sind im Streitfall entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts die §§ 15, 16 und 18 BEEG nicht als Eingriffsnormen zu qualifizieren, so dass sich die streitgegenständliche Kündigung nicht gemäß § 18 Abs. 1 Satz 3 BEEG als unwirksam erweist. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts unter II. der Entscheidungsgründe des Urteils vom 7. Mai 2020 - 2 AZR 692/19 (IPRspr 2020-142) - wird Bezug genommen.

[11]b) Ein Anspruch auf die mit dem Klageantrag zu 1. begehrte Feststellung der Nichtauflösung des Arbeitsverhältnisses durch die Kündigung vom 23. August 2017 steht dem Kläger schließlich nicht nach indischem Recht zu. Dies folgt aus den eingehenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C in seinem Rechtsgutachten vom 10. Oktober 2021. Hiernach kann dahingestellt bleiben, ob entgegen der Feststellungen des Sachverständigen die vorgeschriebene Untersuchung („Domestic Enquiry") vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß durchgeführt wurde und ob für die Kündigung nach den zugrunde zu legenden rechtlichen Maßstäben ein tragender Grund vorlag. Entscheidend ist nämlich, dass nach den zugrunde zu legenden Maßstäben des indischen Rechts der Kläger ein Fortbestehen seines Arbeitsverhältnisses auch dann nicht beanspruchen könnte, wenn die fristlose Kündigung als unwirksam zu beurteilen wäre. In diesem Fall käme vielmehr nur ein Schadenersatzanspruch in Betracht, der vorliegend nicht Streitgegenstand ist. Dies folgt aus den Ausführungen im eingeholten Rechtsgutachtenzur zweiten Beweisfrage, an deren Richtigkeit und Vollständigkeit keine Bedenken bestehen.

[12]aa) Danach sind, da weder die für das Arbeitsverhältnis der Parteien einschlägigen Beschäftigungsbedingungen („Rules of Employment“) in der Fassung 2008 oder 2016 noch Gesetzesrecht Regelungen zu den Ansprüchen eines unrechtmäßig gekündigten Arbeitnehmers enthalten, die Gerichtspraxis und sonstige arbeitsrechtliche Praxis maßgeblich, nach der zwischen der Unrechtmäßigkeit (iIllegality of dismissal“) und Nichtigkeit („voidness“) einer Kündigung zu differenzieren. Regelmäßige Folge einer als unrechtmäßig zu beurteilenden Kündigung ist, dass das Arbeitsverhältnis gleichwohl beendet wird und dem betroffenen Arbeitnehmer ein Anspruch auf Ersatz seines durch die unrechtmäßige Kündigung verursachten und ersatzfähigen Vermögensschadens in Geld unter dem im angloindischen Recht geltenden Begriff des Schadensersatzes („damages“) zugebilligt wird (s. III. 1. b) bb) (5) des Rechtsgutachtens, Bl.942 ff. d. A.). Etwas anderes gilt dann, wenn die Kündigung als nichtig („null and void“) zu beurteilen ist, weil sie entweder diskriminierend herbeigeführt wurde, bzw. sie insbesondere aus Gründen der Rasse, der Kaste, des Geschlechts oder der Religion erging, oder sie wegen Verletzung zwingender arbeitsgesetzlicher Regelungen unwirksam ist. Ein Gesetzesverstoß im Sinne der zweiten Alternative kommt wegen der gesetzlichen Regelung solcher Dienstverhältnisse bei Entlassungen aus einem Beschäftigungsverhältnis im Rahmen des öffentlichen Dienstes in Betracht (s. III. 1. b) bb) (4) des Rechtsgutachtens, Bl. 941 ff. d. A.).

[13]bb) Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze ist der Kündigungsschutzantrag des Klägers unbegründet, da sein Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 23. August 2017 selbst dann aufgelöst worden ist, wenn die Kündigung als unwirksam zu beurteilen wäre. Tatsachen, aufgrund derer sich die Nichtigkeit der Kündigung ergeben könnte, liegen nicht vor. Eine diskriminierende Herbeiführung der Kündigung hat der Kläger weder im Rahmen der vor Kündigungsausspruch durchgeführten Untersuchung („Domestic Enquiry") noch im Klageverfahren behauptet. Die zweite Nichtigkeitsalternative scheidet, da es sich bei dem Arbeitsverhältnis der Parteien um keines im Rahmen des öffentlichen Dienstes handelte, offensichtlich aus.

[14]III. ...

Fundstellen

LS und Gründe

BeckRS, 2022, 11884

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2022-67

Lizenz

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