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Verfahrensgang

LG Bonn, Urt. vom 26.04.2022 – 7 O 178/21, IPRspr 2022-34
OLG Köln, Urt. vom 31.10.2022 – 19 U 51/22, IPRspr 2022-280

Rechtsgebiete

Vertragliche Schuldverhältnisse → Verbraucherrecht
Zuständigkeit → Versicherungs-, Verbraucher-, Arbeitsgerichtsstand

Leitsatz

Weist die deliktische Schadenshaftung eine so enge Beziehung zu einem Vertrag auf, dass sie von ihm nicht getrennt werden kann, so kann sich der inländische Gerichtsstand aus Art. 17 EuGVVO ergeben.

Der Anbieter von Online-Glücksspielen richtet im Sinne des Art. 6 Abs. 1 lit. b) Rom I-VO seine Tätigkeit auf das Inland aus, wenn dessen Internetseite in deutscher Sprache verfasst ist und sich damit erkennbar auch an Besucher der Internetseite aus Deutschland richtet. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BGB § 812; BGB § 817
EuGVVO 1215/2012 Art. 17
Rom I-VO 593/2008 Art. 6; Rom I-VO 593/2008 Art. 10

Sachverhalt

Die Beklagte ist ein Online-​Glücksspiel-​Anbieter aus A, welcher u. a. die Online-​Seite "XY" betreibt und über eine Glücksspiellizenz der Glücksspielbehörde von A, Nr. #####1, verfügt. Über eine entsprechende Glücksspiellizenz in Deutschland oder für das Bundesland B, in welchem der Kläger wohnt, verfügte die Beklagte hingegen jedenfalls im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Spieleinsätze nicht. Diese Spielangebote der Beklagten waren bereits im streitgegenständlichen Zeitraum von der A - Glücksspielaufsichtsbehörde, der C, lizenziert und wurden von dieser Behörde reguliert und überwacht. Der Kläger nutzte sein Spielerkonto bei der Beklagten über einen Zeitraum von 2014 bis 2020. Der Kläger, wohnhaft in D, spielte auf der Website der Beklagten insbesondere Online-​Poker.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilt, an den Kläger ... EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]I. Die Klage ist zulässige

[2]Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Bonn ergibt sich für bereicherungsrechtliche als auch für vertragsähnliche Ansprüche aus Art. 17 Abs. 1 c EuGVVO. Danach kann der Verbraucher an seinem Wohnsitz seinen Vertragspartner wegen Streitigkeiten aus einem Vertrag verklagen, wenn der Vertragspartner in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt. Nach herrschender Meinung, der sich das Gericht anschließt, können auf Art. 17 EuGVVO, der nur Ansprüche aus gegenseitigen Verträgen regelt, auch konkurrierende deliktische Ansprüche gestützt werden, wenn die deliktische Schadenshaftung eine so enge Beziehung zu dem Vertrag aufweist, dass sie von ihm nicht getrennt werden kann. Das ist der Fall (vgl. LG München I, Urteil vom 13.04.2021 - 8 O 16058/20 (IPRspr 2021-214), BeckRS 2021, 11488 Rn. 15, beck-​online).

[3]II. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Zahlung des von ihm verlangten Geldbetrags.

[4]1. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückzahlung der von ihm überwiesenen Geldbeträge aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB oder § 817 Satz 1 BGB.

[5]Die Norm ist anwendbar, da sich der Rückzahlungsanspruch wegen eines nichtigen Vertrages nach deutschem Recht richtet. Die Nichtigkeit des Vertrags als solche und damit verbunden die Rückabwicklung über die Leistungskondiktion unterliegen nach Art. 10 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2009 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I, im Folgenden: Rom I-​VO) dem Vertragsstatut (BeckOGK/Weller, 1.10.2020, Rom I-​VO Art. 10 Rn. 24 sowie Art. 12 Rn 43). Die Anwendbarkeit des deutschen Rechts ergibt sich somit aus Art. 6 Abs. 1 b) Rom I-​VO. Danach unterliegt ein Vertrag, den eine natürliche Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann, mit einer anderen Person geschlossen hat, die in Ausübung ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt, dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Unternehmer seine Tätigkeit auf irgendeiner Weise auf diesen Staat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Staates, ausrichtet (LG Bonn, Urteil vom 30.11.2021 - 5 S 70/21, BeckRS 2021, 44724 Rn. 16, beck-​online).

[6]Der Kläger schloss als natürliche Person ohne Bezug zu einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit als Verbraucher einen Vertrag mit der Beklagten. Die Beklagte handelte mit dem Anbieten von Online-​Glücksspielen in Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit und richtete diese Tätigkeit unter anderem auf Deutschland, dem Staat des gewöhnlichen Aufenthaltes des Klägers, aus. Dies ergibt sich unzweifelhaft aus der Tatsache, dass die Internetseite der Beklagten in deutscher Sprache verfasst ist und sich damit erkennbar auch an Besucher der Internetseite aus Deutschland richtet.

[7]...

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https://iprspr.mpipriv.de/2022-34

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