Der deutsche Tatrichter hat - auch im Verfahren nach dem KapMuG - ausländisches Recht im Wege des Freibeweises zu ermitteln (§ 11 Abs. 1 Satz 1 KapMuG i.V.m. § 293 ZPO). In welcher Weise er sich die notwendigen Kenntnisse verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Das Rechtsbeschwerdegericht überprüft insoweit nur, ob der Tatrichter sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt, insbesondere die sich anbietenden Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls hinreichend ausgeschöpft hat. [LS der Redaktion]
Die Parteien streiten im Rahmen eines Verfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) im Wesentlichen über die Richtigkeit des bei der Emission des Fonds I. KG (im Folgenden: Fondsgesellschaft) im Jahr 2006 herausgegebenen Prospekts. Es handelte sich um einen geschlossenen Immobilienfonds. Die Fondsgesellschaft erwarb ein im Jahr 1991 errichtetes Bürogebäude in England. Der Kaufpreis wurde teilweise darlehensfinanziert. Die Musterbeklagte zu 3 ist die Rechtsnachfolgerin der vormaligen Treuhand- und geschäftsführenden Kommanditistin der Fondsgesellschaft. Die Fondsbeteiligungen wurden durch die übrigen Musterbeklagten vertrieben.
In den Ausgangsverfahren machen der Musterkläger und die Beigeladenen gegen die Musterbeklagten im Wege des Schadensersatzes die Erstattung der Zeichnungssumme abzüglich erhaltener Ausschüttungen sowie die Freistellung von etwaigen Nachteilen der Zeichnung geltend. In dem durch Vorlagebeschluss des Landgerichts vom 16.9.2016 eingeleiteten Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht hat der Musterkläger verschiedene Prospektfehler geltend gemacht. Diese betreffen u.a. die Darstellung der Risiken eines Zwangsverkaufs nach englischem Recht (Feststellungsziel 1e). Mit Musterentscheid vom 18.1.2018 hat das Oberlandesgericht den Musterfeststellungsantrag zu den Feststellungszielen unter 1 als unbegründet zurückgewiesen. Gegen den Musterentscheid haben der Musterkläger und die Rechtsbeschwerdeführer zu 1 bis 8 Rechtsbeschwerde eingelegt.
B.
[19] Die Rechtsbeschwerden haben keinen Erfolg.
I.
[20] Das Oberlandesgericht hat zur Begründung des Musterentscheids, soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen ausgeführt:
[21] Der Prospekt weise die behaupteten Fehler nicht auf …
[22] ... [24] Auch die Risiken eines Zwangsverkaufs nach englischem Recht seien nicht verharmlosend dargestellt (Feststellungsziel 1e). Der Musterkläger erblicke ein erhöhtes Risiko darin, dass der Kreditgeber nach englischem Recht die Immobilie bei Fälligkeit des Kredits freihändig verkaufen könne, wodurch der Schutz des Schuldners, der in Deutschland durch das Zwangsversteigerungsverfahren gesichert werde, nicht hinreichend gewahrt sei. Dieser Vortrag rechtfertige keine über das Totalverlustrisiko bzw. das allgemeine Risiko wirtschaftlicher Fehlentwicklung der Beteiligung hinausgehende Aufklärungspflicht. Der Prospekt weise auf die grundsätzliche Anwendbarkeit englischen Rechts und die damit einhergehenden Unwägbarkeiten hin. Die Besicherung durch eine "First Legal Charge" werde als zu einer deutschen Grundschuld vergleichbar beschrieben. Aus Besonderheiten des englischen Rechts würden sich keine Umstände ergeben, die den Vertragszweck hinsichtlich der Beteiligung gefährden oder vereiteln könnten. Dies könne der Senat anhand von Literaturquellen selbst beurteilen. Das Risiko, dass der Erlös einer Verwertung hinter den Darlehensverbindlichkeiten zurückbleibe, sei allgemeiner Natur. Auch stelle es keine Gefährdung des Vertragszwecks dar, dass der Darlehensgeber bei einer "mortgage" ab deren Bestellung berechtigt sei, die Immobilie in Besitz zu nehmen. Bereits aus dem vom Musterkläger übergebenen Beitrag von Odersky gehe hervor, dass dieses Recht im Kreditvertrag regelmäßig abbedungen werde. Dann liege keine wesentlich andere Situation als bei der deutschen Grundschuld vor, bei der ebenfalls die Sicherungsabrede maßgeblich dafür sei, welche Befugnisse der Darlehensgeber in Bezug auf die Grundschuld habe. Das britische Recht sehe zudem in Section 103 des Law of Property Act 1925 vor, dass der Sicherungsnehmer sein Recht zur Veräußerung des Grundstücks nur unter bestimmten einschränkenden Voraussetzungen, zu denen unter anderem die Verletzung der Pflichten aus dem Darlehensvertrag bzw. der Bestellungsurkunde rechne, ausüben dürfe. Der im Prospekt verwendete Begriff der "Zwangsverwertung" suggeriere ferner nicht, dass ein bestimmtes Verfahren einzuhalten wäre, welches bestimmte, dem deutschen Zwangsversteigerungsrecht gleichkommende Vorkehrungen zum Schutz des Schuldners treffe. Im Übrigen habe die Bank auch nach englischem Recht die Pflicht zur bestmöglichen Verwertung des Grundstücks.
[25] ... [28] ... II.
[29] Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.
[30] 1. ... [35] 2. Die Rechtsbeschwerden sind unbegründet.
[36] a) ... [43] b) Unbegründet sind die Rechtsbeschwerden ferner, soweit sie hinsichtlich der Feststellungsziele 1a, 1d, 1e, 1f und 1h die erstinstanzlich begehrten Feststellungen weiterverfolgen. Das Oberlandesgericht hat das Vorliegen von Prospektfehlern zu Recht verneint.
[44] ... [46] Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Oberlandesgericht zu Recht angenommen, dass der Prospekt, den der Senat selbst auslegen kann (Senatsbeschlüsse vom 21. Oktober 2014 -
[47] aa) ... [58] cc) Das Oberlandesgericht hat zu Recht die Feststellung nicht getroffen, dass der Verkaufsprospekt nicht darüber informiert, dass im englischen Recht grundbuchrechtlich besicherte Immobilien von der Kreditbank freihändig ohne Zwangsversteigerungsverfahren nach Fälligstellung des Kredits verkauft werden können, und damit die Risiken eines Zwangsverkaufs unrichtig, irreführend und verharmlosend darstellt (Feststellungsziel 1e).
[59] Ohne Erfolg beanstanden die Rechtsbeschwerden mit der Verfahrensrüge, dass das Oberlandesgericht das englische Recht unzureichend ermittelt habe. Der deutsche Tatrichter hat - auch im Verfahren nach dem KapMuG - ausländisches Recht im Wege des Freibeweises zu ermitteln (§ 11 Abs. 1 Satz 1 KapMuG i.V.m. § 293 ZPO). In welcher Weise er sich die notwendigen Kenntnisse verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Das Rechtsbeschwerdegericht überprüft insoweit nur, ob der Tatrichter sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt, insbesondere die sich anbietenden Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls hinreichend ausgeschöpft hat (st. Rspr., Senatsurteile vom 23. April 2002 -
[60] Gemessen daran ist es nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht - wie die Rechtsbeschwerden rügen - kein Rechtsgutachten über die Rechtspraxis bei der Grundstücksverwertung nach englischem Recht eingeholt und auch keinen Sachverständigen zu Rate gezogen hat, um das eigene Verständnis der Auslegung des englischen Rechts überprüfen zu lassen.
[61] Das Oberlandesgericht ist nach Auslegung des Prospekts zutreffend davon ausgegangen, dass der dort verwendete Begriff der "Zwangsverwertung" nicht suggeriert, dass ein bestimmtes Verfahren einzuhalten wäre, welches dem deutschen Zwangsversteigerungsrecht gleichkommende Vorkehrungen zum Schutz des Schuldners trifft. Schon deshalb bestand für den Anleger kein Anlass, auf eine bestimmte Dauer einer solchen "Zwangsverwertung" zu vertrauen. Das Oberlandesgericht hat zudem zu Recht angenommen, dass über die Informationen zur Anwendbarkeit englischen Rechts (Seite 40 des Prospekts) und zur Kreditsicherung durch eine "First Legal Charge" (Seite 101 des Prospekts) hinaus weitere Angaben nur dann erforderlich wären, wenn sich aus Besonderheiten des englischen Rechts Umstände ergäben, die den Vertragszweck hinsichtlich der Beteiligung gefährden oder vereiteln könnten.
[62] Das Oberlandesgericht hat unter diesem Gesichtspunkt das englische Recht ermittelt und sich dabei zu Recht auf die im Feststellungsziel aufgeführten besonderen Umstände - Verwertung gleich nach Fälligstellung des Darlehens, freihändiger Verkauf durch die Kreditbank - konzentriert. Die gerichtliche Ermittlungspflicht bezieht sich auch im Anwendungsbereich des § 293 ZPO nur auf Rechtsfragen und nicht auf entscheidungserhebliche Tatsachen (BGH, Urteil vom 25. Juni 2019 -
[63] Das Oberlandesgericht hat die Vorschrift in Section 103 Law of Property Act 1925 sowie deutsch- und englischsprachiges wissenschaftliches Schrifttum zum englischen Grundstücksrecht herangezogen und sorgfältig ausgewertet. Dabei hat es sich auch mit der von dem Musterkläger vorgelegten Literaturstelle (Anlage KapK9 sowie Odersky in Ring/Grziwotz/ Keukenschrijver, BGB, 4. Aufl., Bd. 4, Länderbericht Großbritannien, Rn. 18) befasst. Erforderlich war nur eine rechtsvergleichende Betrachtung, wobei die zahlreichen Erkenntnisquellen leicht zugänglich waren. Es stellten sich keine umstrittenen Auslegungsfragen des englischen Rechts, die eine vertiefte Auseinandersetzung mit der englischen Rechtsprechung erforderlich gemacht hätten. Die Rechtsbeschwerden haben auch keine Umstände dafür aufgezeigt, dass es sich um eine derart komplexe Rechtslage handelte, dass sie nur mit Hilfe eines Sachverständigen aufzuklären wäre.
dd) ...