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Verfahrensgang

LG Ulm, Urt. vom 16.12.2019 – 4 O 202/18, IPRspr 2019-381
OLG Stuttgart, Vorlagebeschl. vom 15.01.2021 – 5 U 11/20, IPRspr 2021-342
EuGH, Beschl. vom 17.03.2023 – C-190/21

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Besonderer Deliktsgerichtsstand
Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand

Leitsatz

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gem. Art. 267 AEUV zur Auslegung von Art. 7 Nr. 1 und Art. 7 Nr. 2 der Brüssel Ia-VO folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist ein bei isolierter Betrachtung und autonomer Interpretation deliktischer Anspruch bereits dann als vertraglicher Anspruch gemäß Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO zu qualifizieren, wenn der deliktische Anspruch irgendwie mit einem vertraglichen Anspruch konkurriert, ohne dass es für die Existenz des deliktischen Anspruchs auf die Auslegung des Vertrages ankäme?

2. Für den Fall der Verneinung von Frage 1: Wo ist der Erfolgsort im Sinne des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO zu lokalisieren, wenn ein Anbieter von Zahlungsdienstleistungen vom Konto eines Kunden elektronisches Geld auf das Empfangskonto eines Glücksspielunternehmens bei dem gleichen Zahlungsdienstleister überweist und in der Mitwirkung des Zahlungsdienstleisters an Zahlungen zu Gunsten des Glücksspielunternehmens eventuell eine unerlaubte Handlung zu erblicken ist:

2.1 Am Sitz des Zahlungsdienstleisters als Ort der E-Geld-Transaktion?

2.2 An dem Ort, an dem aufgrund der Transaktion (jedenfalls bei Rechtmäßigkeit der Transaktion) ein Aufwendungsersatzanspruch des Zahlungsdienstleisters gegen den Kunden entsteht, der die Zahlung angewiesen hat?

2.3 An dem Ort, an dem der Kunde, der die Zahlung angewiesen hat, seinen Wohnsitz hat?

2.4 An dem Ort, an dem das Bankkonto des Kunden belegen ist, auf welches der Zahlungsdienstleister durch eine Einziehungsermächtigung zugreifen kann, um das E-Geld-Konto aufzuladen?

2.5 An dem Ort, an dem das auf das Wettkonto des Spielers bei den Glücksspielunternehmen durch den Zahlungsdienstleister überwiesene Geld beim Glücksspiel verloren geht, also am Sitz des Glücksspielunternehmens?

2.6 An dem Ort, an dem der Kunde das verbotene Glücksspiel vornimmt (sofern der Spielort zugleich der Wohnsitz des Kunden ist)?

2.7 An keinem dieser Orte?

2.8 Sofern Frage 2.2 bejaht wird und es auf den Ort ankommt, an dem aufgrund der Transaktion ein Aufwendungsersatzanspruch des Zahlungsdienstleisters gegen den Kunden entsteht: Wo entsteht der Aufwendungsersatzanspruch gegen den die Zahlung anweisenden Kunden? Kann für die Lokalisierung dieser Obligation der Erfüllungsort des Zahlungsdiensterahmenvertrags oder der Wohnsitz des Schuldners herangezogen werden?

Rechtsnormen

752/2017 PSRs No. 6
AEUV Art. 267
BGB § 675; BGB § 823
EuGVVO 1215/2012 Art. 4; EuGVVO 1215/2012 Art. 7; EuGVVO 1215/2012 Art. 17; EuGVVO 1215/2012 Art. 18
GlüStV § 4
Rom I-VO 593/2008 Art. 4
Rom II-VO 864/2007 Art. 4
ZaDiRL 2015/2366 Art. 4

Sachverhalt

Der Kläger des Ausgangsverfahrens hat seinen Wohnsitz in Deutschland und verlangt von der Beklagten die Erstattung von Zahlungen, die er bei der Beklagten zwischen dem 23.6.2017 und dem 15.8.2017 an verschiedene Online-Glücksspieleanbieter mit Sitz in Malta und Gibraltar in Auftrag gegeben hatte. Die Beklagte hat ihren Geschäftssitz in Luxemburg und bietet Zahlungsdienstleistungen über das Internet an. Sie führte die vom Kläger in Auftrag gegebenen Zahlungen aus und zog die Beträge vom Girokonto des Klägers bei dessen Bank in ... (Baden-Württemberg, Deutschland) ein, soweit der überwiesene Betrag höher war als der auf dem E-Geld-Kundenkonto des Klägers bei der Beklagten vorhandene Betrag. Im Verhältnis zwischen den Glücksspiel-Anbietern und dem Kläger als Spieler erfolgte stets zunächst das Aufladen eines Wettkontos bei den Glücksspiel-Anbietern, bevor dieses abgespielt werden konnte. Aufgeladen wurde das Wettkonto jeweils durch die von der Beklagten ausgeführte und vom Kläger in Auftrag gegebene Überweisung. Mit den Glücksspielanbietern als Zahlungsempfängern hatte die Beklagte so genannte Akzeptanzverträge geschlossen, in denen geregelt ist, dass Zahlungen über den Zahlungsdienst der Beklagten akzeptiert werden. Der Kläger hatte bei der Beklagten schon seit vielen Jahren einen Account, und zwar einen Gewerbeaccount, über den er aus seiner Tätigkeit als Händler für Multimedia-Zubehör Zahlungen abwickelte. In den Nutzungsbedingungen der Beklagten, die in den Vertrag zwischen den Parteien einbezogen wurden, ist eine nicht-ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung zu Gunsten englischer Gerichte vorgesehen sowie eine Rechtswahl zu Gunsten des Rechts von England und Wales. Nach dem letzten der hier streitgegenständlichen Online-Glücksspiele forderte der Kläger bereits Mitte August 2017 den an die Online-Glücksspieleanbieter überwiesenen Betrag von der Beklagten zurück. Seine Forderung stützt der Kläger nicht mehr auf eine vertragliche Pflichtverletzung, sondern auf § 823 Abs. 2 des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), der einen deliktischen Schadensersatzanspruch vorsieht für den Fall des Verstoßes gegen ein individualschützendes Verbotsgesetz. Das Verbot der Mitwirkung an Zahlungen bei unerlaubtem Glücksspiel soll sich nach Auffassung des Klägers aus einem Staatsvertrag zwischen fast allen deutschen Bundesländern über die Regelung des Glücksspiels ergeben. Dieser Staatsvertrag enthält ein grundsätzliches Verbot von Online-Glücksspielen sowie ein Verbot der Mitwirkung an Zahlungen im Zusammenhang mit unerlaubtem Glücksspiel. Der Staatsvertrag hatte im maßgebenden Zeitpunkt der vom Kläger getätigten Spiele mit diesem Inhalt keine Geltung in dem Bundesland Schleswig-Holstein (Deutschland). Die Beklagte hatte sich vor dem Abschluss ihrer Akzeptanzverträge mit den Glücksspielanbietern von diesen versichern lassen, dass sie eine Lizenz zum Anbieten von Online-Glücksspiel für das Land Schleswig-Holstein hatten. Sowohl der Wohnsitz des Klägers als auch das Bankkonto des Klägers, auf welches die Beklagte Zugriff hatte, um das E-Geld-Konto aufzuladen, befanden sich in Baden- Württemberg.

Das Landgericht Ulm hat der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung verurteilt (LG Ulm, Urt. vom 16.12.2019, 4 O 202/18, WM 2020, 742 ff.). Die eigene internationale und örtliche Zuständigkeit hat das Landgericht Ulm nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO angenommen. Die Zuständigkeit gelte jedoch ausschließlich für die Prüfung von Ansprüchen des Klägers aufgrund einer unerlaubten Handlung der Beklagten. Hinsichtlich vertraglicher Ansprüche seien die deutschen Gerichte unzuständig. Die Beklagte greift das erstinstanzliche Urteil nicht nur in der Sache an, sondern rügt mit ihrer Berufung weiterhin auch im Hinblick auf deliktische Ansprüche die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]III. Zum Kontext des Europarechts

[2]1.

[3]Der vorliegende Fall weist gegenüber den bisher von deutschen Gerichten entschiedenen Fällen einer Zahlungsdienstleistung der Beklagten im Zusammenhang mit Glücksspielen die Besonderheit auf, dass hier kein Verbrauchergerichtsstand in Deutschland gegeben ist. Denn für die Frage, ob der Vertrag zu einem Zweck geschlossen wurde, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit des Klägers zuzurechnen ist, wie es Art. 17 Abs. 1 Brüssel Ia-VO voraussetzt, erscheinen nicht die einzelnen Zahlungsanweisungen maßgeblich, sondern der Zahlungsdiensterahmenvertrag im Sinne des Art. 4 Nr. 21 der Zahlungsdiensterichtlinie (EU) 2015/2366, wie er beispielsweise im deutschen Recht in § 675 lit. f Abs. 2 S. 1 BGB umgesetzt wurde. Der maßgebliche Rahmenvertrag ist gem. Art. 4 Nr. 21 RL (EU) 2015/2366 ein „Zahlungsdienstvertrag, der die zukünftige Ausführung einzelner und aufeinander folgender Zahlungsvorgänge regelt und die Verpflichtung zur Einrichtung eines Zahlungskontos und die entsprechenden Bedingungen enthalten kann.“ Aus diesem Vertrag ergeben sich die Rechte und Pflichten der Parteien. Durch die einzelne Anweisung (die englische Sprachfassung der genannten Richtlinie spricht beispielsweise von „payment order“, die französische von „ordre de paiement“, die italienische von „ordine di pagamento“) konkretisiert der Zahler lediglich die im Einzelfall durch den Zahlungsdienstleister vorzunehmende Zahlung.

[4]Der Kläger hat seinen Business-Account ganz überwiegend für seine beruflichgewerbliche Tätigkeit verwendet. Über ... Millionen US-Dollar hat er über den Account umgesetzt. Dementsprechend spielt die beruflich-gewerbliche Tätigkeit in der Gesamtschau nicht eine nur untergeordnete Rolle. Der Kläger ist deshalb nach Überzeugung des Senats für den Zahlungsdienstvertrag nicht als Verbraucher i. S. d. Art. 17 Abs. 1 Brüssel Ia-VO anzusehen. Deshalb folgt die Zuständigkeit der deutschen Gerichte hier nicht aus Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO, auch wenn die einzelnen, für das Glückspiel angewiesenen Überweisungen vom Business-Account des Klägers nicht seiner beruflich-gewerblichen Tätigkeit zuzurechnen waren.

[5]2.

[6]Auch ein vertraglicher Gerichtsstand am Erfüllungsort liegt hier nicht in Deutschland. Die Zahlungsdienstleistungen der Beklagten sind Dienstleistungen im Sinne von Art. 7 Nr. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO. Der Begriff der Dienstleistung ist autonom zu interpretieren. Erforderlich ist zumindest, dass die Partei, die sie erbringt, eine bestimmte Tätigkeit gegen Entgelt entfaltet (EuGH, Urt. vom 23.4.2009, C-533/07, Tz. 29 - Falco). Gemäß ihrer Nutzungsbedingungen erbringt die Beklagte ihre Dienstleistung gegen ein Entgelt der Kunden. Für die Erbringung solcher Dienstleistungen ist der Erfüllungsort der Verpflichtung nach der genannten Vorschrift „der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen“. Abgestellt wird dabei auf die charakteristische Verpflichtung der Dienstleistung als Anknüpfungskriterium (EuGH, Urt. vom 25.2.2010, C-381/08, Tz. 31 - Car Trim). Wegen der faktischen Konkretisierung des Erfüllungsortes durch den Ort der Erbringung der Dienstleistung kommt es auf den Tätigkeitsschwerpunkt an, der auch bei Online-Dienstleistungen in Parallele zu Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO grundsätzlich am Sitz des Dienstleisters zu lokalisieren ist, hier also in Luxemburg.

[7]3.

[8]Deshalb kann sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte hier allenfalls aus dem Deliktsgerichtsstand im Sinne des Art. 7 Nr. 2 Brüssel la-VO ergeben.

[9]Der „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ im Sinne von Art. 7 Nr. 2 Brüssel la-VO umfasst nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sowohl den Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens (Handlungsort) als auch den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs (Erfolgsort); im Falle des Auseinanderfallens („Distanzdelikt“) oder im Falle mehrerer Erfolgsorte („Streudelikt“) hat der Kläger ein Wahlrecht, an welchem dieser Orte Klage erhoben werden soll (grundlegend EuGH, Urt. vom 30.11.1976, C-21/76 - Mines de Potasse; EuGH, Urt. vom 28.1.2015, C-375/13, Tz. 45 - Kolassa).

[10]Der Handlungsort liegt hier nach Überzeugung des Senats in Luxemburg. Hier wurden am Sitz der Beklagten die maßgebenden Entscheidungen gefällt, hier führte die Beklagte die vom Kläger angewiesenen Zahlungen aus und überwies das Geld vom E-Geld-Konto des Klägers auf das E-Geldkonto der Glücksspielanbieter. Hier in Luxemburg wurden auch die Einziehungen vom Bankkonto des Klägers veranlasst.

[11]Weil ein deliktischer Handlungsort in Deutschland danach ausgeschlossen werden kann, konzentrieren sich die Vorlagefragen auf die entscheidungserhebliche Lokalisierung des deliktischen Erfolgsortes im Sinne von Art. 7 Nr. 2 Brüssel la-VO (unter IV.2.) sowie auf das vorgelagerte Verhältnis des Deliktsgerichtsstands zum Vertragsgerichtsstand nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel la-VO (unter IV.1.). Von der Beantwortung der Vorlagefragen hängt nicht nur ab, ob die deutschen Gerichte für die Klage international zuständig sind, sondern mittelbar auch, welches Recht zur Anwendung gelangt. Sollte nämlich ein deliktischer Erfolgsort im Sinne des Art. 7 Nr. 2 Brüssel la-VO in Deutschland zu lokalisieren sein, käme gemäß Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO auch die Maßgeblichkeit deutschen Deliktsrechts in Betracht.

[12]IV. Zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof

[13]1. Verhältnis zum Vertragsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO - Anwendbarkeit des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO

[14]Um einen Gerichtsstand gemäß Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO an dem Ort begründen zu können, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, müssen den Gegenstand des Verfahrens eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung bilden. Der Begriff der unerlaubten Handlung ist autonom auszulegen (grundlegend EuGH, Urt. vom 27.09.1988, C-189/87, Tz. 14, 16 - Kalfelis). Umfasst sind Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird, die nicht an einen Vertrag im Sinne von Art. 7 Nr. 1 anknüpft (EuGH, Urt. vom 12.9.2018, C-304/17, Tz. 19 - Löber; EuGH, Urt. vom 13.3.2014, C-548/12, Tz. 20 - Brogsitter; EuGH, Urt. vom 27.09.1988, C-189/87, Tz. 17 f. - Kalfelis). Mit dem negativen Merkmal, dass die Klage nicht an einen Vertrag anknüpft, ist die Frage nach dem Verhältnis zum Vertragsgerichtsstand aufgeworfen und damit zur Anwendbarkeit von Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO.

[15]a)

[16]Während in der Rechtsprechung des EuGH seit langem etabliert ist, dass am Deliktsgerichtsstand keine vertraglichen Ansprüche geltend gemacht werden können (grundlegend EuGH, Urt. vom 27.09.1988, C-189/87 - Kalfelis), ist umgekehrt noch nicht abschließend geklärt, ob am Vertragsgerichtsstand auch deliktische Ansprüche geltend zu machen sind und inwieweit Ansprüche, die ohne die Existenz eines parallelen vertraglichen Anspruchs als deliktische Ansprüche zu qualifizieren wären, durch ihre Konkurrenz mit einem vertraglichen Anspruch vielleicht sogar selbst zu einem vertraglichen Anspruch werden.

[17]Der EuGH entschied im Verfahren Brogsitter (Urt. vom 13.3.2014, C-548/12), dass ein deliktischer Anspruch dann als vertraglich im Sinne des Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO einzustufen ist, wenn der deliktsrechtliche Vorwurf seinerseits auf einer vertraglichen Pflichtverletzung beruht. Auf diese Weise wird dem deliktischen Anspruch die Qualität als Vertrag zuerkannt, wenn - wie der Gerichtshof sich ausdrückte - „eine Auslegung des Vertrags [...] unerlässlich erscheint, um zu klären, ob das [...] vorgeworfene Verhalten rechtmäßig oder vielmehr widerrechtlich ist“ (Tz. 24 f.). In Fällen, in denen der deliktische Ersatzanspruch also tatbestandlich eine Vertragsverletzung voraussetzt, soll dieser Anspruch allein im Vertragsgerichtsstand geltend gemacht werden können. Er muss dann also auch im Vertragsgerichtsstand geltend gemacht werden, während der Deliktsgerichtsstand ausgeschlossen ist. Auch hat der EuGH entschieden - im Kontext allerdings eines Verbrauchervertrags und für das Verhältnis zwischen vertraglicher und vorvertraglicher Haftung -, dass eine Klage eines Verbrauchers aus deliktischer zivilrechtlicher Haftung für die Zwecke der Bestimmung des zuständigen Gerichts unter Kapitel II Abschnitt 4 der Brüssel Ia-VO fällt, wenn sie untrennbar mit einem zwischen dem Verbraucher und dem Gewerbetreibenden tatsächlich geschlossenen Vertrag verbunden ist (EuGH, Urt. vom 2.4.2020, C-500/18, Tz. 73 - AU./. Reliantco Investments LTD).

[18]b)

[19]Die Frage ist, wie weit in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens eine Dominanz des Vertragsgerichtsstandes reicht. Denkbar wäre, sie sehr weit reichen zu lassen in dem Sinne, dass immer schon dann, wenn der gesetzliche Verhaltensvorwurf mit dem Vorwurf der Verletzung einer Vertragspflicht identisch ist, die vertragliche Qualifikation aller Ansprüche eingreift, um eine umfassende Streiterledigung im Vertragsgerichtsstand zu eröffnen. Dann wären auch schon Fälle einer einfachen Konkurrenz zwischen vertraglichen und deliktischen Ansprüchen erfasst (siehe zu den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten Mansel/Thorn/ Wagner, IPRax 2015, 1, 15 f.). Im Ausgangsverfahren wäre dann eine Klage am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung ausgeschlossen, soweit das Verhalten, welches der Beklagten vorgeworfen wird, auch eine vertragliche Pflichtverletzung begründen könnte, unabhängig davon, ob eine vertragliche Pflichtverletzung überhaupt geltend gemacht wird und ob die Widerrechtlichkeit des deliktischen Vorwurfs von ihr abhängt (zu einer solchen - von Generalanwalt Henrik Saugmandsgaard 0e mit überzeugenden Argumenten abgelehnten - „maximalistischen Lesart“ des Urteils Brogsitter siehe seine Schlussanträge vom 10.09.2020 in der Rechtssache C-59/19 , Tz. 69, 74 ff. - Wikingerhof).

[20]Der Senat versteht die Rechtsprechung des Gerichtshofs aber eher in einem engeren Sinne (von Generalanwalt Henrik Saugmandsgaard 0e in seinen Schlussanträgen vom 10.09.2020 in der Rechtssache C-59/19, Tz. 70 „minimalistische Lesart“ des Urteils Brogsitter genannt), dass nämlich die Auslegung des Vertrags unerlässlich sein muss, um die Rechtmäßigkeit oder Widerrechtlichkeit des vorgeworfenen Verhaltens zu klären. Das wäre bei einer einfachen Anspruchskonkurrenz nicht der Fall, bei welcher der Anspruch aus unerlaubter Handlung auch noch dann Bestand haben könnte, wenn der Vertrag aus irgendeinem Grund nichtig sein sollte. Der im Ausgangsverfahren vorgeworfene Verstoß gegen die Mitwirkung an einer Zahlung entgegen dem Verbot aus § 4 Abs. 1 Satz 2 des Glücksspielstaatsvertrags mit einer eventuell daraus resultierenden Schadensersatzpflicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB wäre gegebenenfalls nicht davon abhängig, ob der Vertrag wirksam oder unwirksam sein sollte.

[21]c)

[22]Der Senat neigt aus Gründen der Sach- und Beweisnähe eher zu der engeren Auffassung, so wie er auch die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs versteht. Denn der Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, gewährleistet bei typisierender Betrachtung eine größere Sach- und Beweisnähe für Ansprüche aus unerlaubter Handlung als der vertragliche Erfüllungsort, wenn die Auslegung des Vertrages nicht unerlässlich erscheint, um zu klären, ob das vorgeworfene Verhalten rechtmäßig oder vielmehr widerrechtlich ist (Rademacher, Anspruchskonkurrenz und Kognitionsbefugniskonzentration im europäischen Zuständigkeitsrecht, ZZPInt 24 (2019), 141, 154 f.). Zwar betont der Gerichtshof regelmäßig, dass die besonderen Gerichtsstände als Ausnahmen vom allgemeinen Gerichtsstand eng auszulegen seien. Aber das gilt für den vertraglichen Gerichtsstand ebenso wie für den Gerichtsstand aus unerlaubter Handlung. Ihre Legitimation beziehen die besonderen Gerichtsstände des Art. 7 Brüssel Ia-VO bei typisierender Betrachtung aus der besonderen Sach- und Beweisnähe des Streitgegenstands (EuGH, Urt. vom 24.11.2020, C-59/19, Tz. 28 - Wikingerhof: „besonders enge Verknüpfung zwischen einer Klage und dem Gericht, das möglicherweise über diese zu entscheiden hat“; für den Deliktsgerichtsstand auch EuGH, Urt. vom 10.6.2004, C-168/02, Tz. 15 - Kronhofer).

[23]Das spricht nach Einschätzung des Senats eher dafür, eine auf deliktische Ansprüche beschränkte Klage am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung dann erheben zu können, wenn die Auslegung eines existierenden Vertrags nicht unerlässlich erscheint, um den Anspruch aus unerlaubter Handlung zu begründen. Von der Dominanz des Vertragsgerichtsstands wären dann nur solche Konstellationen erfasst, in denen der deliktische Vorwurf tatsächlich von einer vertraglichen Pflichtverletzung abhängt. In dieser Auslegung sieht sich der Senat vor allem durch die jüngere Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt (EuGH, Urt. vom 24.11.2020, C-59/19, Tz. 33-38 - Wikingerhof).

[24]2. Lokalisierung des deliktischen Erfolgsortes im Sinne des Art. 7 Nr. 2 Brüssel la-VO bei Zahlungsdienstleistungen im Zusammenhang mit verbotenem Online-Glücksspiel

[25]Eine vorhersehbare Lokalisierung des deliktischen Erfolgsortes ist bei reinen Vermögensschäden nicht leicht, wenn man einen allgemeinen Klägergerichtsstand verhindern möchte. Denn es wäre zwar vorhersehbar, im Falle von reinen Vermögensschäden allgemein beim Erfolgsort auf die „Vermögenszentrale“ des Geschädigten an seinem Wohnsitz abzustellen. Aber das würde eben fast stets zu einem Klägergerichtsstand führen und könnte so den Zuständigkeitswertungen der Verordnung widersprechen.

[26]Die Rechtsprechung des EuGH hat dies auch zu vermeiden versucht und den Wohnsitz des Klägers oder die Belegenheit seines allgemeinen Bankkontos als deliktischen Erfolgsort allenfalls unter Heranziehung zusätzlicher Gesichtspunkte zugelassen (EuGH, Urt. vom 12.9.2018, C-304/17, Tz. 28, 30 - Löber; EuGH, 16.6.2016, C-12/15, Tz 35, 38 - Universal Music). Stattdessen ist im Allgemeinen auf den Lageort der konkret geschädigten Vermögensbestandteile abzustellen (Mankowski in Magnus/ Mankowski, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art. 7 Brussels Regulation Rn. 330). In der Rechtssache Kronhofer (EuGH, Urt. vom 10.6.2004, C-168/02) beispielsweise hatte der in Österreich wohnhafte Kläger eine erhebliche Summe auf das bei der beklagten Vermögensverwaltungsgesellschaft in Deutschland geführte Konto überwiesen. Das Geld verflüchtigte sich von dort bei hochspekulativen Call-Options in London. Als Erfolgsort wurde nicht Österreich angesehen, wo der Kläger seinen Wohnsitz und damit den Mittelpunkt seines Vermögens hatte, sondern wohl eher Deutschland, wohin der Kläger das Geld zunächst überwiesen hatte (EuGH, Urt. vom 10.6.2004, C-168/02, Tz. 17, 18, 21 - Kronhofer - der Gerichtshof hatte sich hier allerdings nicht auf einen Erfolgsort in Deutschland festzulegen und tat dies auch nicht ausdrücklich).

[27]Dagegen bejahte der EuGH den Wohnsitz des (wiederum österreichischen) Klägers als Erfolgsort in einer Konstellation, in der die dem Emittenten (Barclays Bank, London) vorgeworfenen Handlungen oder Unterlassungen zeitlich vor der von Herrn Kolassa getätigten Investition lagen und diese Investition verursachten (EuGH, Urt. vom 28.1.2015, C- 375/13, Tz. 49 ff. - Kolassa). Auch in der Entscheidung „Universal Music“ schließlich, in der es nicht um private Vermögensverwaltung ging, sondern um den durch das Verschulden eines Rechtsanwaltes verursachten Abschluss eines für den Kläger extrem ungünstigen Vertrages, meinte der EuGH wiederum, dass für einen reinen Vermögensschaden, der sich auf dem Bankkonto des Klägers verwirkliche, das Bankkonto für sich genommen nicht als relevanter Anknüpfungspunkt für Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO zu qualifizieren sei. Stattdessen suchte der Gerichtshof nach der Realisierung eines vorgelagerten Erstschadens und stellte hierfür auf einen zwischen den Parteien geschlossenen Vergleich ab. Denn der Schaden, der sich aus der Differenz zwischen dem vorgesehenen und dem in diesem Vertrag angeführten Verkaufspreis ergebe, sei im Zuge des Vergleichs, auf den sich die Parteien vor einer Schiedskommission in der Tschechischen Republik verständigt hätten, „mit Gewissheit eingetreten“, und das Vermögen sei „unwiderruflich mit der Zahlungsverpflichtung belastet“ worden (EuGH, Urt. vom 16.6.2016, C-12/15, Tz 31,38 - Universal Music).

[28]Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen können auch im vorliegenden Verfahren sehr verschiedene Erfolgsorte in Betracht gezogen werden.

[29]2.1 Sitz des Zahlungsdienstleisters als Ort der E-Geld-Transaktion?

[30]Zunächst liegt es im Hinblick auf die Sach- und Beweisnähe sowie die Vorhersehbarkeit des Gerichtsstandes nicht fern, den deliktischen Erfolgsort einer Zahlungsmitwirkung dort zu lokalisieren, wo durch die Zahlung das Guthaben vom elektronischen Geldkonto des Geschädigten abfließt und einem anderen Konto bei demselben Zahlungsdienstleister gutgeschrieben wird. Das wäre hier der Sitz der Beklagten in Luxemburg. Dabei würde nicht auf die allgemeine Vermögenszentrale des Geschädigten an seinem Wohnsitz als Mittelpunkt des Vermögens abgestellt werden, sondern auf den Lageort der konkret geschädigten Vermögensbestandteile.

[31]Zwar befindet sich auf den Konten bei der Beklagten lediglich E-Geld, bei dem die elektronischen Werteinheiten auf Servern gespeichert werden das Guthaben ist also lediglich ein virtuelles (zu den auf E-Geld-Konten basierten Zahlungssystemen und ihrer rechtlichen Einordnung vgl. aus der deutschen Literatur etwa Harman, Neue Instrumente des Zahlungsverkehrs: PayPal & Co., BKR 2018, 457, 458 ff., 462 ff.). Zur Ausführung von Zahlungen und zur Aufladung der E-Geld-Konten ist die Beklagte auf andere Zahlungsquellen (etwa Kreditkarten oder Bankkonten, von denen abgebucht wird) angewiesen. Immerhin lässt sich ein Guthaben auf dem E-Geld-Konto aber in Form von Buchgeld auf das hinterlegte Bankkonto abbuchen (Harman, BKR 2018, 457, 458).

[32]Deshalb ist nach Einschätzung des Senats aus dem Umstand, dass es sich bei dem E- Geld-Konto nicht um ein herkömmliches Bankkonto handelt, auf dem sich Buchgeld befindet, nicht abzuleiten, dass auf dem E-Geld-Konto kein Vermögensverlust erlitten werden kann. Für den Zweck des Deliktsgerichtsstands dürfte sich aus dem virtuellen Charakter kaum ein wesentlicher Unterschied ergeben. Nach dem Zweck der Sach- und Beweisnähe würde sich der Ort, an dem die E-Geld-Konten in Luxemburg geführt werden, also durchaus als deliktischer Erfolgsort eignen. Dabei würde es nach dem Zweck des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO auch kaum einen Unterschied machen, ob sich im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zahlung ein positiver Saldo auf dem E-Geld-Konto des Klägers befand oder ob - wenn dies nicht der Fall war - neues E-Geld gegen Belastung einer Zahlungsquelle des Kunden ausgegeben und dem E-Geld-Konto des Zahlungsempfängers gutgeschrieben wurde.

[33]2.2 Ort, an dem aufgrund der Transaktion (jedenfalls bei Rechtmäßigkeit der Transaktion) ein Aufwendungsersatzanspruch des Zahlungsdienstleisters gegen den Kunden entsteht, der die Zahlung angewiesen hat?

[34]Denkbar wäre auch, in Anlehnung an die Entscheidung Universal Music auf den Ort abzustellen, an dem das Vermögen mit einer Zahlungsverpflichtung belastet wurde. Man würde also die Obligation in den Vordergrund rücken, die durch die Zahlungstransaktion begründet wurde. Das deutsche Recht regelt in Umsetzung der Zahlungsdiensterichtlinie einen Aufwendungsersatzanspruch des Zahlungsdienstleisters auch im Falle von E-Geld in § 675 lit. c Abs. 1 und 2 BGB. Auch im englischen Recht, welches auf den Vertrag zwischen den Parteien in Folge der Rechtswahl wohl anwendbar ist, sind in No. 6 der Payment Service Regulations 2017 bestimmte Gebühren des Zahlungsdienstleisters vorgesehen. Die von der Beklagten in Rechnung gestellten Gebühren sind in Ziff. A1.3. von Anhang 1 ihrer in den Vertrag zwischen den Parteien einbezogenen Nutzungsbedingungen geregelt.

[35]Würde man also zur Lokalisierung des deliktischen Erfolgsortes auf den Ort abstellen, an dem das Vermögen unmittelbar mit einer Zahlungsverpflichtung belastet wurde, müsste auch diese Obligation irgendwie lokalisiert werden. Ist eine Art von Verpflichtungsschaden durch einen Vertrag entstanden, der unter Anwesenden geschlossen wurde, so kommt eine Lokalisierung am Ort des Vertragsschlusses in Betracht, wenn dieser Abschlussort nicht zufällig erscheint. So bot sich in der Konstellation, die der Entscheidung Universal Music zugrunde lag, an, entweder auf den ursprünglichen Vertrag abzustellen, der die fehlerhafte Klausel enthielt und der in der Tschechischen Republik verhandelt und unterzeichnet worden war (in diesem Sinne Generalanwalt Szpunar in seinen Schlussanträgen vom 10.3.2016 zur Rechtssache C-12/15, Tz. 33 - Universal Music/Schilling), oder auf den Vergleich zwischen den Parteien, der vor einer Schiedskommission sieben Jahre später zur Beilegung des Streits über den Kaufpreis ebenfalls in der Tschechischen Republik geschlossen wurde (in diesem Sinne EuGH, Urt. vom 16.6.2016, C-12/15, Tz 31 - Universal Music).

[36]Im vorliegenden Ausgangsverfahren lässt sich der Anspruch der Beklagten, der sich in Folge der Zahlungstransaktion gegen den Kläger richtete, nicht ohne weiteres lokalisieren. Der Anspruch entsteht nicht durch einen erneuten Vertragsschluss gegenüber dem Zahlungsdiensterahmenvertrag, sondern durch die Überweisung an die Glücksspielanbieter durch die Beklagte nach entsprechender Anweisung des Klägers. Eine Lokalisierung könnte aber beispielsweise dadurch erfolgen, dass man sich am Erfüllungsort der Dienstleistung orientiert, oder dadurch, dass man auf den Wohnsitz des jeweiligen Schuldners abstellt (hierzu unten 2.8).

[37]2.3 Ort, an dem der Kunde, der die Zahlung angewiesen hat, seinen Wohnsitz hat?

[38]Bei reinen Vermögensschäden wäre denkbar, für die Lokalisierung des deliktischen Erfolgsortes auf die „Vermögenszentrale“ des Geschädigten an seinem Wohnsitz abzustellen. Aber das würde, wie oben bereits ausgeführt, regelmäßig zu einem Klägergerichtsstand führen und stünde in einem gewissen Widerspruch zu den Zuständigkeitswertungen der Brüssel la-VO. Die Rechtsprechung des EuGH hat entsprechend den Wohnsitz des Klägers als deliktischen Erfolgsort allenfalls unter Heranziehung zusätzlicher Gesichtspunkte zugelassen (EuGH, Urt. vom 12.9.2018, C- 304/17, Tz. 28, 30 - Löber; EuGH, Urt. vom 16.6.2016, C-12/15, Tz 35, 38 - Universal Music). In Betracht zu ziehen wäre der Wohnsitz des Klägers hier also allenfalls in Kombination mit zusätzlichen Gesichtspunkten, wie etwa dem Ort, an dem das Online-Glücksspiel vorgenommen wurde (hierzu unten 2.6).

[39]2.4 An dem Ort, an dem das Bankkonto des Kunden belegen ist, auf welches der Zahlungsdienstleister durch eine Einziehungsermächtigung zugreifen kann, um das E-Geld-Konto aufzuladen?

[40]Die Beklagte hatte durch eine Einziehungsermächtigung Zugriff auf ein Girokonto des Klägers bei einer Bank in ... Auf dieses Konto konnte die Beklagte zur Ausführung von Zahlungen und zur Aufladung des E-Geld-Kontos des Klägers zugreifen, soweit sich kein positiver Saldo auf dem E-Geld-Konto befand. Auch wenn dieses Konto aufgrund der erteilten Einziehungsermächtigung eine engere Verbindung zu den E-Geld-Transaktionen aufweist als irgendein allgemeines Bankkonto, erscheint die Anknüpfung an die Belegenheit eines Kontos doch vergleichsweise zufällig im Hinblick auf Sach- und Beweisnähe. Das Konto bildete neben verschiedenen Kreditkarten auch im vorliegenden Ausgangsverfahren nur eine von mehreren Zahlungsquellen zur Aufladung des E-GeldKontos (zu diesem Argument auch EuGH, Urt. vom 16.6.2016, C-12/15, Tz 38 - Universal Music).

[41]2.5 Ort, an dem das auf das Wettkonto des Spielers bei den Glücksspielunternehmen durch den Zahlungsdienstleister überwiesene Geld beim Glücksspiel verloren geht, also am Sitz des Glücksspielunternehmens?

[42]Für eine Anknüpfung an den Ort, an dem das Spielgeld auf den Wettkonten des Klägers bei den Online-Glücksspielanbietern in Malta und Gibraltar verloren ging, könnte der Umstand sprechen, dass erst in diesem Zeitpunkt der Schaden des Klägers mit Gewissheit eingetreten und sein Vermögen durch den Spielverlust unwiderruflich vermindert war. Selbst nach der Überweisung durch die Beklagte von dem E-Geld-Konto des Klägers auf die Spielgeldkonten hätte theoretisch noch ein Gewinn beim Spiel erzielt werden können. Ausgeschlossen war dies erst in dem Zeitpunkt, als der Einsatz dann verspielt war. Gegen die Lokalisierung des deliktischen Erfolgsortes im Rechtsverhältnis zwischen den Parteien spricht aber wiederum im Hinblick auf die Sach- und Beweisnähe die Zufälligkeit des Sitzes der Glücksspielanbieter in Malta oder Gibraltar.

[43]2.6 Ort, an dem der Kunde das verbotene Glücksspiel vornimmt (sofern der Spielort zugleich der Wohnsitz des Kunden ist)?

[44]Einen deutlich engeren Bezug zum Verhältnis zwischen den Parteien hätte es, den deliktischen Erfolgsort einer Zahlungsmitwirkung dort zu lokalisieren, wo der Kunde des Zahlungsdienstleisters tatsächlich an dem verbotenen Online-Glücksspiel teilnimmt, wo er sich also physisch im Zeitpunkt des Spiels aufhält. Diese Lokalisierung des deliktischen Erfolgsortes hätte außerdem den Vorteil, dass sie eine Parallele zum räumlichen Anwendungsbereich der Normen herstellen würde, gegen die möglicherweise verstoßen wurde. Hätte der Kläger in Schleswig-Holstein oder in einem anderen Land außerhalb Deutschlands ohne entsprechendes Glücksspielverbot gespielt, wäre das Spiel nicht verboten gewesen und ebenso wenig wäre die Zahlungsmitwirkung verboten gewesen, die der Beklagten hier vorgeworfen wird. Der Sach- und Beweisnähe könnte die Anknüpfung an den Spielort also auch im Hinblick auf das anwendbare Sachrecht dienen, weil auch der Anwendungsbereich solcher Verbotsgesetze typischerweise an den Spielort anknüpfen.

[45]Besonders bei unmittelbaren Vermögensschäden bleibt die Lokalisierung eines Erfolgsortes abstrakt und fiktiv, solange sie nicht im Hinblick auf das anwendbare Recht und die konkreten Deliktsnormen in dem anwendbaren Recht erfolgt, aus denen ein Schadensersatzanspruch abgeleitet wird. Erst den anwendbaren Sachnormen lassen sich die Rechtsgüter entnehmen, die geschützt werden sollen und die den deliktischen Erfolg ihrerseits definieren (Mankowski in Magnus/Mankowski, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art. 7 Brussels Regulation Rn. 320; Mankowski, EuZW 2016, 585, 586). Das bedeutet nicht etwa einen Widerspruch zum Gebot der autonomen Interpretation, im Gegenteil: Nicht selten setzt die autonome Interpretation voraus, dass die Besonderheiten der lex causae verstanden werden, um sie sinnvoll in die Begriffe des Europarechts einordnen zu können (siehe auch die Schlussanträge von Generalanwalt Henrik Saugmandsgaard 0e vom 10.09.2020 in der Rechtssache C-59/19, Tz. 62 - Wikingerhof: „Die materiell-rechtlichen Vorschriften, auf die ein Kläger sich stützt, liefern jedoch die notwendigen Hinweise, um den Charakter der „Verpflichtung“ im autonomen Sinne des Begriffs zu ermitteln, auf die er sich beruft“).

[46]Zieht man den Spielort zur Konkretisierung des deliktischen Erfolgsortes in Betracht, so ist zu bedenken, dass die Ausführung des Online-Glücksspiels zwar zeitlich dem Abfluss vom E-Geld-Konto nachgelagert ist. Denn das Wettkonto bei den Glücksspielanbietern muss zunächst aufgeladen sein, bevor mit dem Spiel begonnen werden kann. Bevor mit dem Spiel begonnen wird und feststeht, von wo aus gespielt wird, steht aber auch noch nicht fest, ob die Zahlungsmitwirkung durch den Zahlungsdienstleister überhaupt gegen ein Verbot verstoßen kann, so dass sich das Delikt vor dem konkreten Spiel auch noch nicht verwirklicht hat.

[47]Eine gewisse Parallele würde die Konkretisierung des Erfolgsortes durch den tatsächlichen Spielort auch zu der verschiedentlich vorgeschlagenen Anknüpfung an den Ort der Investitionsentscheidung bei Kapitalanlagedelikten bilden (so etwa vorgeschlagen von Generalanwalt Michal Bobek in seinen Schlussanträgen vom 8.5.2018 in der Rechtssache C-304/17, Tz. 72, 78, 81 - Löbet). Denn mit dem Spielen erfolgt die endgültige Vermögensdisposition, die ggf. zu einem Schaden führt. Gerade bei den unmittelbaren Vermögensschädigungen ist es typischerweise ein Handeln des Geschädigten selbst, welches die Verbindung zwischen der Handlung des Schädigers und dem späteren Eintritt des Schadens herstellt (S. Huber, Ausländische Broker vor deutschen Gerichten, IPRax 2009, 134, 136). Der Spielort erscheint als Anknüpfungspunkt schließlich auch jedenfalls dann vergleichsweise vorhersehbar, wenn er mit dem Wohnsitz des Kunden übereinstimmt.

[48]2.7 An keinem dieser Orte?

[49]Mit beachtlichen Argumenten hat Generalanwalt Szpunar in seinen Schlussanträgen vom 10.3.2016 in der Rechtssache C-12/15 - Universal Music darauf hingewiesen, dass sich in einigen Konstellationen der unmittelbaren Vermögensschädigung ein Handlungsort und ein Erfolgsort nicht sinnvoll voneinander unterscheiden lassen (Tz. 38 seiner Schlussanträge). Die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs seit über vierzig Jahren vorgesehene Möglichkeit des Klägers, beim deliktischen Gerichtsstand zwischen dem Ort des Schadenseintritts und dem Ort des schadensursächlichen Geschehens zu wählen (grundlegend im Urteil Mines de Potasse: EuGH, Urt. vom 30.11.1976, C-21/76), ist nicht im Kontext einer unmittelbaren Vermögensschädigung entwickelt worden und verfolgt sicherlich auch nicht den Zweck, die in der Verordnung (und dem damaligen Brüsseler Übereinkommen) vorgesehenen Ausnahmen von der allgemeinen Zuständigkeitsvorschrift am Beklagtenwohnsitz nach Art. 4 Brüssel Ia-VO auszuweiten. Der Grund für dieses Wahlrecht beruht vielmehr „auf der Notwendigkeit, dem Sachverhalt des Rechtsstreits so nahe wie möglich zu bleiben und das für die Urteilsfindung und in diesem Zusammenhang, die sachgerechte - beispielsweise durch Beweiserhebung und Zeugenvernehmung - Gestaltung eines Prozesses am besten geeignete Gericht zu bestimmen“ (Schlussanträgen des Generalanwalts Szpunar vom 10.3.2016 in der Rechtssache C-12/15, Tz. 39 - Universal Music). Da dieses Ziel - ganz anders etwa als bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts - bei unmittelbaren Vermögensschädigungen durch die Suche nach einem deliktischen Erfolgsort bei typisierender Betrachtung nur schwer zu erreichen ist, drängt sich die Frage auf, ob der Rechtssicherheit nicht besser gedient wäre, wenn man es in solchen Konstellationen beim allgemeinen Gerichtsstand und beim besonderen Gerichtsstand am Ort des schadensursächlichen Geschehens belassen würde (siehe hierzu aus dem deutschen Schrifttum etwa Stadler, Der deliktische Erfolgsort als internationaler Gerichtsstand bei reinen Vermögensschäden, in Festschrift für Reinhold Geimer, 2017, S. 715, 725 f.; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 7. Auflage 2017, Rn. 345 skeptisch gegenüber einer Notwendigkeit, stets einen Erfolgsort zu ermitteln, auch Generalanwalt Manuel Campos Sanchez-Bordona in seinen Schlussanträgen vom 17.12.2020 in der Rechtssache C-709/19, Tz. 68 - Vereniging van Effectenbezitters / BP plc).

[50]Als Argument gegen einen Verzicht auf den deliktischen Erfolgsort bei unmittelbaren Vermögensschädigungen kann allerdings angeführt werden, dass ein Gleichlauf zwischen Internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht dann deutlich erschwert würde, weil Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO für die Bestimmung des anwendbaren Rechts eben grundsätzlich und alleine den Erfolgsort als Anknüpfungskriterium verwendet.

[51]2.8 Lokalisierung des Ersatzanspruchs des Zahlungsdienstleisters gegen den Kunden, sofern Frage 2.2 bejaht wird

[52]Soweit in positiver Beantwortung von Frage 2.2 auf den so genannten Verpflichtungsschaden und damit auf den Ort abzustellen sein sollte, an dem das Vermögen des die Zahlung anweisenden Kunden durch einen Anspruch des Zahlungsdienstleisters belastet wurde, müsste das Entstehen dieser Obligation noch in irgend einer Weise lokalisiert werden. Auf den Ort eines Vertragsschlusses abzustellen, ist dabei nicht nur bei Verträgen unter Abwesenden äußerst zweifelhaft und von Zufälligkeiten geprägt. Auch bei Verträgen unter Anwesenden erweist sich der Abschlussort häufig als zufällig und ohne erkennbaren Bezug zum deliktischen Streitgegenstand (Bach, NZG 2016, 794, 795).

[53]Im vorliegenden Ausgangsverfahren entstand die Forderung der Beklagten gegen den Kläger ggf. überhaupt nicht aufgrund eines erneuten Vertragsschlusses, sondern in Folge der Ausführung der Zahlungstransaktion durch die Beklagte nach Anweisung durch den Kläger. Als Lösung für die Lokalisierung eines „Verpflichtungsschadens“ dürften sich vor allem zwei einigermaßen vorhersehbare Ansätze anbieten.

[54]a)

[55]Zum einen könnte für die Lokalisierung dieses Ortes der vertragliche Erfüllungsort herangezogen werden (dies erwägt etwa Bach in seiner Besprechung der Entscheidung Universal Music in NZG 2016, 794, 795, allerdings für jede einzelne Verpflichtung gesondert nach den materiell-rechtlichen Bestimmungen der jeweiligen lex causae). Sofern das Europarecht wie hier für die Dienstleistung in Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO eine autonome Lokalisierung des Erfüllungsortes vorsieht, würde sich anbieten, diesen für alle Verpflichtungen aus dem Vertrag maßgeblichen Erfüllungsort auch für die Lokalisierung des deliktischen Erfolgsortes bei einem entsprechenden „Verpflichtungsschaden“ heranzuziehen. Das wäre dann hier der Ort der faktischen Erbringung der Dienstleistung aus dem Zahlungsdiensterahmenvertrag und damit der Sitz der Beklagten in Luxemburg.

[56]b)

[57]Alternativ könnte man auch versuchen, die einzelne Forderung zu lokalisieren, die sich aufgrund des vorgeworfenen Verhaltens gegen den Geschädigten richtet, wenn der Vermögenserstschaden auf einer wirtschaftlich nachteiligen Verbindlichkeit beruht. Betrachtet man die einzelne Forderung als Vermögensbestandteil des Gläubigers, wird sie in verschiedenen Zusammenhängen (z.B. beim vollstreckungsrechtlichen Zugriff) gewöhnlich am Wohnsitz des Schuldners lokalisiert. Entsprechend könnte man auch dann, wenn es nicht um die Zuordnung der Forderung zum Gläubigervermögen, sondern um die Beseitigung der Schadensfolgen dieser Forderung durch den Schuldner mit den Mitteln des Deliktsrechts geht, beim Erfolgsort auf den Sitz des Schuldners abstellen (siehe etwa S. Huber/Geier-Thieme, Der Deliktsgerichtsstand im europäischen Zuständigkeitsrecht bei sogenannten „unmittelbaren Vermögensschäden“, IPRax 2018, 155, 157; S. Huber, Ausländische Broker vor deutschen Gerichten, IPRax 2009, 134, 136). Dadurch würde man freilich einen Klägergerichtsstand etablieren, zwar keinen allgemeinen Klägergerichtsstand, aber doch als Regel für die Konstellationen, in denen der unmittelbar verursachte Vermögensschaden in der Begründung einer wirtschaftlich nachteiligen Verbindlichkeit liegt (S. Huber/Geier-Thieme, IPRax 2018, 155, 157 f.; Stadler, Der deliktische Erfolgsort als internationaler Gerichtsstand bei reinen Vermögensschäden, in Festschrift für Reinhold Geimer, 2017, S. 715, 725 f.).

[58]3.

[59]Vor dem Hintergrund der vorhersehbaren Sach- und Beweisnähe einerseits und des Grundsatzes actor sequitur forum rei andererseits ist in der Gesamtschau festzuhalten: Soweit auch bei unmittelbaren Vermögensschäden stets ein vom Handlungsort zu unterscheidender Erfolgsort ermittelt werden muss, neigt der Senat beim Vorwurf einer Zahlungsmitwirkung an unerlaubtem Online-Glückspiel dazu, den Erfolgsort in erster Linie am Spielort zu lokalisieren, soweit dieser Ort mit dem Wohnsitz des Geschädigten übereinstimmt, und in zweiter Linie an dem Ort, an dem die Zahlungsmitwirkung zum Abfluss des Betrages vom E-Geld-Konto des Geschädigten führt, also am Sitz des Zahlungsdienstleisters als Ort der Zahlungstransaktion.

[60]Bei der Auslegung der Vorschriften der Brüssel la-VO kann hier von einem acte clair nicht die Rede sein, so dass ein Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV angezeigt erscheint.,

Fundstellen

nur Leitsatz

VuR, 2021, 238

LS und Gründe

WM, 2021, 1786

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https://iprspr.mpipriv.de/2021-342

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