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Verfahrensgang

OLG Frankfurt/Main, Beschl. vom 11.02.2021 – 26 SchH 2/20, IPRspr 2021-283
BGH, Beschl. vom 17.11.2021 – I ZB 16/21, IPRspr 2021-288

Rechtsgebiete

Schiedsgerichtsbarkeit

Leitsatz

Die in Art. 9 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Republik Kroatien über die Förderung und den Schutz von Investitionen vom 19. Februar 1997 enthaltene Zuweisung von Investitionsstreitigkeiten an ein Schiedsgericht verstößt gegen Unionsrecht.

Rechtsnormen

AEUV Art. 267; AEUV Art. 344
BIT 1997 Österr.-Kroatien Art. 9; BIT 1997 Österr.-Kroatien Art. 11
CETA EU-Kanada Art. 8.31
EUV Art. 4; EUV Art. 19
ZPO § 1032; ZPO § 1050; ZPO § 1062

Sachverhalt

Die Antragstellerin begehrt die Feststellung der Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens, das die Antragsgegnerinnen aufgrund des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Republik Kroatien über die Förderung und den Schutz von Investitionen (im Folgenden: BIT) vom 19.2.1997 gegen die Antragstellerin eingeleitet haben. Die Antragstellerin ist seit dem 1.7.2013 Mitgliedstaat der EU. Die Antragsgegnerin zu 1. ist eine österreichische Bank in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft nach österreichischem Recht. Sie ist alleinige Gesellschafterin der Antragsgegnerin zu 2., einer kroatischen Bank in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft nach kroatischem Recht. Beide Antragsgegnerinnen erbringen u.a. auch im kroatischen Markt Finanzdienstleistungen. Die Antragsgegnerinnen haben mit Schiedsverfahrensanzeige vom 14.02.2020 unter Berufung auf das zwischen der Republik Österreich und der Antragstellerin geschlossene BIT ein Schiedsverfahren gegen die Antragstellerin eingeleitet. Das zwischen der Republik Österreich und der Antragstellerin geschlossene BIT enthält eine Streitbeilegungsklausel, die für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und einer Vertragspartei u.a. ein Schiedsverfahren nach den UNCITRAL-Schiedsregeln vorsieht. Die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 1.4.2020 ein Angebot der Antragsgegnerinnen auf Vereinbarung des Schiedsorts Frankfurt am Main angenommen, nachdem sie die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts gegenüber den Antragsgegnerinnen zuvor bereits mit Schreiben vom 21.1.2020 sowie nochmals unmittelbar nach der Einleitung des Schiedsverfahrens bestritten hatte.

Die Antragstellerinnen beantragen, festzustellen, dass das mit der Schiedsverfahrensanzeige der Antragsgegnerinnen vom 14.2.2020 eingeleitete schiedsrichterliche Verfahren unzulässig ist. Die Antragsgegnerinnen beantragen, den Antrag der Antragstellerinnen auf Feststellung der Unzulässigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens zurückzuweisen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main ist für die Entscheidung über den Antrag, der sich auf die Feststellung der Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens nach § 1032 Abs. 2 ZPO richtet, gemäß § 1062 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zuständig, weil die Parteien für das Schiedsverfahren als Schiedsort Frankfurt am Main vereinbart haben.

[3]Der Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens ist nach § 1032 Abs. 2 ZPO statthaft und zulässig. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin besteht, weil die Antragsgegnerinnen mit ihrer Schiedsverfahrensanzeige vom 14.02.2020 ein Schiedsverfahren eingeleitet haben. Der Antrag ist von der Antragstellerin auch rechtzeitig vor der Bildung des Schiedsgerichts gestellt worden, da die Parteien nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Antragstellerin zunächst nur jeweils einen parteiernannten Schiedsrichter bestellt haben und sich das Schiedsgericht mangels Bestellung eines Vorsitzenden noch nicht konstituiert hat.

[4]Der Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens hat auch in der Sache Erfolg, da zwischen den Parteien keine wirksame Schiedsvereinbarung besteht.

[5]Dem Abschluss einer wirksamen Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien steht entgegen, dass Art. 9 Abs. 2 BIT nach den vom Senat zu beachtenden Rechtsgrundsätzen der Entscheidung des EuGH in Sachen Achmea (Urteil vom 06.03.2018, C 284/16) gegen Unionsrecht verstößt und deshalb keine Grundlage für eine Schiedsbindung der Antragstellerin darstellen kann.

[6]Das Urteil des EuGH in Sachen Achmea ist auch unter Berücksichtigung der darin enthaltenen einzelfallbezogenen Ausführungen zu dem zugrundeliegenden BIT als Grundsatzentscheidung zu verstehen, der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung für alle Intra-​EU-​BITs zukommt.

[7]Nach der Würdigung des EuGH darf eine internationale Übereinkunft zwischen EU-​Mitgliedstaaten die insbesondere in Art. 344 AEUV verankerte Autonomie der Rechtsordnung der Union und ihres der Gewährleistung der Kohärenz und der Einheitlichkeit der Auslegung des Unionsrechts dienenden Gerichtssystems nicht beeinträchtigen (EuGH, a.a.O., insbesondere Rn. 32 f., 35, zit. nach juris). In diesem Zusammenhang obliegt es den Mitgliedstaaten vor dem Hintergrund gemeinsamer Werte und der Existenz gegenseitigen Vertrauens bei der Anerkennung dieser Werte und der Beachtung des Unionrechts nach dem in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV niedergelegten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, in ihrem Bereich für die Einhaltung des Unionsrechts zu sorgen (EuGH, a.a.O., Rn. 34). Innerhalb des Gerichtssystems ist es gemäß Art. 19 EUV Sache der nationalen Gerichte und des EuGH, die volle Anwendung des Unionsrechts und den Schutz der Rechte Einzelner zu gewährleisten (EuGH, a.a.O., Rn. 36). Dabei kommt dem Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV bei der Gewährleistung der einheitlichen Auslegung des Unionsrechts eine Schlüsselfunktion zu (EuGH, a.a.O., Rn. 37).

[8]Nach diesen Grundsätzen sieht der EuGH den Grundsatz gegenseitigen Vertrauens und die Autonomie des Unionsrechts durch eine in einem Intra-​EU-​BIT enthaltene Zuweisung von Streitigkeiten an ein Schiedsgericht beeinträchtigt, wenn das Schiedsgericht über Streitigkeiten zu entscheiden hat, die sich „auf die Auslegung oder Anwendung des Unionsrechts beziehen können“, und nicht gewährleistet ist, dass von dem Schiedsgericht zu behandelnde unionsrechtliche Fragen im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens dem EuGH vorgelegt werden können (EuGH, a.a.O., Rn. 39, 43 ff., 50 ff., 58 f.). Der EuGH legt dabei mit der Gegenüberstellung der Alternativen einer nur möglichen „Auslegung“ oder „Anwendung“ des Unionsrechts entgegen der Rechtsauffassung der Antragsgegnerinnen ein weites, umfassendes Verständnis der Betroffenheit von Unionsrecht zugrunde (vgl. Lang, EuR 2018, 525, 532). Eine Beeinträchtigung der Autonomie des Unionsrechts liegt danach nicht nur dann vor, wenn Unionsrecht den Prüfungsmaßstab des Schiedsgerichts bilden kann, sondern auch dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass Unionsrecht lediglich für die Bestimmung des Prüfungsgegenstandes relevant wird (vgl. Classen, EuR 2018, 361, 365 f.; Lang, a.a.O., 537 f.). Es kommt insoweit insbesondere im Hinblick auf die von dem EuGH angestrebte umfassende Sicherung seines Interpretationsmonopols schon im Ausgangspunkt nicht auf die in der Praxis von Investitionsschiedsgerichten zugrunde gelegte Differenzierung zwischen einer Berücksichtigung von Unionsrecht als Prüfungsmaßstab oder als Tatsache an (vgl. Lang, a.a.O.).

[9]Es kommt hinzu, dass der EuGH in seinem Gutachten zu CETA (Gutachten vom 30.04.2019, 1/17, zit. nach juris) eine Ermittlung des Unionsrechts und des innerstaatlichen Rechts eines Mitgliedstaates durch ein Investor-​Staat-​Schiedsgericht zwar insoweit für zulässig erachtet, als das betreffende Recht nach Art. 8.31 Abs. 2 CETA nicht Gegenstand einer Auslegung sei, sondern lediglich als Tatsache herangezogen werde (a.a.O., Rn. 131). Zugleich hat der EuGH aber unter Bezugnahme auf das Achmea-​Urteil hervorgehoben, dass der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens nicht für die von CETA betroffenen Beziehungen zwischen der Union und einem Drittstaat gelte (a.a.O., Rn. 126 ff., 129), und darauf hingewiesen, dass das CETA-​Gericht der herrschenden Auslegung des innerstaatlichen Rechts durch die Gerichte und Behörden der betreffenden Vertragspartei zu folgen habe (a.a.O., Rn. 131). Die Ausführungen des EuGH rechtfertigen damit den Rückschluss, dass im Verhältnis von Mitgliedstaaten untereinander wegen des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens an Regelungen zur Beschränkung der Befugnis eines Schiedsgerichts zur Ermittlung von Unionsrecht jedenfalls keine geringeren Anforderungen zu stellen sind, als sie nach dem CETA-​Vertragstext bestehen, wenn eine Heranziehung von Unionsrecht als Tatsache wegen des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens in diesem Bereich nicht sogar von vornherein ausscheidet.

[10]Nach diesen Maßstäben verstößt die in Art. 9 Abs. 2 BIT enthaltene Zuweisung von Investitionsstreitigkeiten an ein Schiedsgericht gegen Unionsrecht. Es ist mit der nach der Rechtsprechung des EuGH zu beachtenden Autonomie des Unionsrechts nicht vereinbar, dass das Schiedsgericht nach dem BIT möglicherweise auch Unionsrecht anzuwenden hat. Es kann daher offen bleiben, ob das BIT nicht bereits wegen der Begründung der Entscheidungszuständigkeit eines außerhalb des Gerichtssystems der EU stehenden Schiedsgerichts gegen den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens verstößt und damit unabhängig von Erwägungen zu dem anwendbaren oder auszulegenden Recht im Widerspruch zum Unionsrecht steht.

[11]Die Möglichkeit, dass ein nach Art. 9 Abs. 2 BIT zur Entscheidung berufenes Schiedsgericht auch Unionsrecht anzuwenden hat, ergibt sich bereits daraus, dass bei einer Investitionsstreitigkeit eine Anwendung des Unionsrechts als Teil des mitgliedsstaatlichen Rechts (vgl. EuGH, Urteil vom 06.03.2018, C-​284/16, Rn. 41) schon deshalb nicht auszuschließen ist, weil das mitgliedsstaatliche Recht bei der Beurteilung einer Investitionsmaßnahme grundsätzlich zumindest als Vorfrage oder als Auslegungskriterium Bedeutung haben kann. Ein entsprechender Bezug des BIT auf Unionsrecht ergibt sich bereits aus der Regelung in Art. 11 Abs. 1 BIT, nach der sich die Anwendbarkeit des BIT auf Investitionen beschränkt, die in Übereinstimmung mit den Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaates getätigt worden sind. Es obliegt einem Schiedsgericht danach bereits bei Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Investition im Rahmen des kroatischen oder des österreichischen Rechts, die Investition auch anhand von Unionsrecht zu beurteilen. Darüber hinaus ist die Anwendung des BIT nach dessen Art. 11 Abs. 2 ausgeschlossen, wenn es dem Unionsrecht widerspricht. Das Schiedsgericht hat daher auch in diesem Zusammenhang jedenfalls Unionsrecht heranzuziehen und als Vergleichsmaßstab zu berücksichtigen.

[12]Entgegen der Rechtsauffassung der Antragsgegnerinnen ändert die von Investitionsschiedsgerichten vertretene und im Rahmen des CETA-​Gutachtens für das Verhältnis zu Drittstaaten vom EuGH bestätigte Möglichkeit, dass Schiedsgerichte Unionsrecht als Tatsache ermitteln können, nichts daran, dass sich die von dem BIT erfassten Streitigkeiten im Sinne des Achmea-​Urteils auf die Auslegung oder Anwendung des Unionsrechts beziehen können. Maßgebend ist, dass sich der Regelungsgehalt von CETA schon deshalb maßgebend von dem vorliegenden BIT unterscheidet, weil Art. 8.31 Abs. 2 CETA ausdrücklich vorsieht, dass das CETA-​Schiedsgericht das Recht einer Vertragspartei (nur) als Tatsache heranziehen kann. Darüber hinaus enthält Art. 8.31 Abs. 2 CETA mit der vom EuGH im CETA-​Gutachten hervorgehobenen Regelung, nach der das CETA-​Gericht der herrschenden Auslegung des innerstaatlichen Rechts durch die Gerichte und Behörden der betreffenden Vertragspartei zu folgen hat, auch eine konkrete Regelung, die darauf abzielt, dass das Schiedsgericht nicht von den vom EuGH zur einheitlichen Auslegung des Unionsrechts entwickelten Maßstäben abweicht. Dagegen kann das vorliegende BIT mangels entsprechender Garantien weder gewährleisten, dass das Schiedsgericht Unionsrecht tatsächlich nur als Tatsache anwendet, noch sicherstellen, dass das Schiedsgericht bei einer Auslegung oder Anwendung des Unionsrechts die von dem EuGH vorgegebenen Maßstäbe beachtet. Eine abweichende Würdigung, bei der die nur graduelle Unterscheidung zwischen einer Berücksichtigung des Unionsrechts als Beurteilungsmaßstab oder als Tatsache (vgl. dazu Lang, EuR 2018, 525, 538) über die Frage einer wirksamen Schiedsbindung eines Mitgliedstaates entscheiden würde, hätte für die vorab zu treffende Entscheidung über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines Schiedsverfahrens auch unüberwindliche Abgrenzungsschwierigkeiten zur Folge, weil im Vorhinein nicht feststellbar ist, in welchem Maße es für das Schiedsverfahren auf eine Auslegung und/oder Anwendung von Unionsrecht ankommen kann. Vor diesem Hintergrund kann der Regelung des Art. 11 Abs. 2 BIT entgegen der Rechtsauffassung der Antragsgegnerinnen auch kein geeigneter Maßstab entnommen werden, der gewährleistet, dass das Schiedsgericht Unionsrecht nicht anzuwenden und auszulegen hat.

[13]Nach der Entscheidung des EuGH in Sachen Achmea wird die mit der Zuweisung einer Investitionsstreitigkeit an ein Schiedsgericht verbundene Beeinträchtigung der Autonomie des Unionsrechts weder durch die dem Schiedsgericht selbst zustehenden Befugnisse noch durch Kontrollbefugnisse staatlicher Gerichte nach Erlass des Schiedsspruchs ausgeschlossen.

[14]Es besteht zunächst keine Befugnis eines nach einem Intra-​EU-​BIT zur Entscheidung berufenen Schiedsgerichts, dem EuGH selbst ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV vorzulegen, da das Schiedsgericht nicht als Gericht „eines Mitgliedstaats“ im Sinne von Art. 267 AEUV angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 06.03.2018, C-​284/16, Rn. 43 ff., insbes. Rn. 45 f., 49). Die Würdigung des EuGH ist in dieser Hinsicht ohne weiteres auf ein nach dem vorliegenden BIT konstituiertes Schiedsgericht übertragbar.

[15]Der EuGH erachtet es überdies auch nicht für ausreichend, dass im Rahmen der Kontrolle des Schiedsspruchs durch ein Gericht eines Mitgliedstaats, für dieses die Möglichkeit besteht, unionsrechtliche Fragen im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV klären zu lassen, weil eine solche Überprüfung von der Wahl des Schiedsorts und dem am Schiedsort anwendbaren nationalen Recht abhängig ist (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 50, 52 f.). Dementsprechend geht der BGH in seiner an das Achmea-​Urteil des EuGH anschließenden Entscheidung (Beschluss vom 31.10.2018, I ZB 2/15, Rn. 36, zit. nach juris) davon aus, dass es der EuGH nicht für ausreichend erachtet, dass eine gerichtliche Überprüfung nur vorgenommen werden kann, soweit das nationale Recht sie im konkreten Fall gestattet. Danach ist auch unerheblich, ob das Schiedsgericht nach dem von der Wahl des Schiedsorts abhängigen nationalen Recht und insbesondere nach der im deutschen Recht geltenden Bestimmung des § 1050 ZPO die Möglichkeit hat, dem EuGH eine die Auslegung des Unionsrechts betreffende Frage über ein gemäß Art. 267 AEUV vorlageberechtigtes staatliches Gericht vorlegen zu lassen.

[16]Die Unvereinbarkeit des Art. 9 Abs. 2 BIT mit dem Unionsrecht führt dazu, dass die in Art. 9 Abs. 2 BIT vorgesehene Zuweisung von Streitigkeiten an ein privates Schiedsgericht ab dem Zeitpunkt des Beitritts der Antragstellerin zur EU nicht mehr anwendbar ist und es damit an einem wirksamen Angebot der Antragstellerin auf Abschluss einer Schiedsvereinbarung fehlt. Der Senat schließt sich auch insoweit der im Anschluss an das Achmea-​Urteil des EuGH ergangenen Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 31.10.2018, I ZB 2/15, insbes. Rn. 20, 26 f., 40 f.) an, die er für zutreffend erachtet. Ein von einem EU-​Mitgliedstaat mit einem anderen Staat geschlossenes Abkommen kann nach Beitritt des anderen Staates zur EU im Verhältnis zwischen diesen Staaten keine Anwendung mehr finden, soweit es dem Unionsrecht widerspricht (BGH, a.a.O., Rn. 20 m.w.N.). Die mit unionsrechtlichen Bestimmungen unvereinbare Regelung in einem unionsinternen Abkommen ist, ohne dass es einer Kündigung des Abkommens bedarf, zugleich auch als völkervertragliche Regelung unanwendbar (BGH, a.a.O., Rn. 40 f. m.w.N.).

[17]Ein wirksamer Abschluss einer Schiedsvereinbarung kann schließlich auch nicht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben hergeleitet werden.

[18]Die Antragsgegnerinnen mussten sich zum Zeitpunkt ihrer nach dem Beitritt der Antragstellerin zur Europäischen Union getätigten Investitionen darauf einrichten, dass die Regelungen des BITs wegen des Vorrangs des Unionsrechts nicht mehr uneingeschränkt anwendbar waren (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 45). Es ist auch nicht dargelegt oder sonst feststellbar, dass die Antragstellerin nach dem Beitritt zur Union einen konkreten Vertrauenstatbestand geschaffen hat, der sie möglicherweise daran hindern könnte, sich auf die Unwirksamkeit der im BIT enthaltenen Schiedsklausel zu berufen. Insbesondere lässt sich ein Vertrauenstatbestand zugunsten der Antragsgegnerinnen weder daraus herleiten, dass die EU-​Kommission die beim Beitritt der neuen Mitgliedstaaten bestehenden BIT zunächst unbeanstandet gelassen hat (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 47), noch daraus, dass die Antragstellerin das BIT bislang nicht gekündigt hat (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 51).

[19]Der von den Antragsgegnerinnen erhobene Einwand der Treuwidrigkeit kann ferner auch nicht darauf gestützt werden, dass das Justizsystem der Antragstellerin nach den Darlegungen der Antragsgegnerinnen systemische Mängel aufweisen soll, die sich insbesondere dahin auswirken, dass notwendige Vorlagen gemäß Art. 267 AEUV unterbleiben und den Antragsgegnerinnen wegen der von ihnen gerügten Änderung des Insolvenzrechts von Gerichten der Antragstellerin möglicherweise kein effektiver Rechtschutz gewährt worden ist. Denn etwaige Mängel des Justizsystems der Antragstellerin könne auch in Verbindung mit einer dadurch bedingten Beeinträchtigung von Rechten der Antragsgegnerinnen nichts daran ändern, dass die in Art. 9 Abs. 2 BIT vorgesehene Zuweisung von Streitigkeiten an ein privates Schiedsgericht, das außerhalb des Gerichtssystems der EU steht, nach den Maßstäben des Achmea-​Urteils gegen Unionsrecht verstößt. Dementsprechend ist auch unerheblich, ob einer Anwendung des Grundsatzes gegenseitigen Vertrauens auf das Justizsystem der Antragstellerin in der vorliegenden Fallkonstellation nach der Argumentation der Antragsgegnerinnen „außergewöhnliche Umstände“ entgegenstehen, da sich daraus nach dem Achmea-​Urteil nicht die Rechtsfolge ergeben kann, dass der Senat als Gericht eines anderen Mitgliedstaats durch seine Entscheidung anstelle der Entscheidungsbefugnis der Gerichte der Antragstellerin eine mit Unionsrecht nicht vereinbare Zuständigkeit eines privaten Schiedsgerichts begründet. Die Rechtsprechung des EuGH bietet für eine solche Verlagerung von Zuständigkeiten der mitgliedstaatlichen Gerichte auf private Schiedsgerichte keine Grundlage. Der BGH hat dementsprechend die Darlegung von Zweifeln an der Unparteilichkeit und Effektivität mitgliedsstaatlicher Gerichte nicht für geeignet erachtet, um im Einzelfall eine von dem Achmea-​Urteil abweichende Beurteilung zu rechtfertigen (BGH, Beschluss vom 24.01.2019, I ZB 2/15 (IPRspr 2019-258), Rn. 8, zit. nach juris).

[20]Es bedarf nach den vorstehenden Ausführungen keines Vorabentscheidungsersuchen des Senats an den EuGH gemäß Art. 267 AEUV, weil die Anwendung des Unionsrechts nach den vorstehend dargestellten Maßstäben des Achmea-​Urteils des EuGH und dessen ergänzenden Ausführungen im CETA-​Gutachten derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum mehr bleibt („acte clair“, vgl. dazu z.B. EuGH, Urteil vom 09.09.2015, C-​160/14, Rn. 38 ff. m.w.N., zit. nach juris).

[21]...

Fundstellen

LS und Gründe

DVBl., 2021, 1196

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2021-283

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