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Verfahrensgang

LG Meiningen, Versäumnisurt. vom 26.01.2021 – 2 O 616/20, IPRspr 2021-225

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Versicherungs-, Verbraucher-, Arbeitsgerichtsstand
Zuständigkeit → Besonderer Deliktsgerichtsstand
Außervertragliche Schuldverhältnisse → Geschäftsführung ohne Auftrag und ungerechtfertigte Bereicherung
Vertragliche Schuldverhältnisse → Allgemeines Vertragsrecht
Außervertragliche Schuldverhältnisse → Unerlaubte Handlungen, Gefährdungshaftung

Leitsatz

Zwar kann bei einem Vermögensschaden nicht grundsätzlich der Wohnort des Geschädigten als Erfolgsort i.S.v. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO angenommen werden; eine Zuständigkeit am Wohnort besteht aber, wenn dieser „tatsächlich der Ort des ursächlichen Geschehens oder der Verwirklichung des Schadenserfolgs“ ist. Dies ist der Fall, wenn ein Verbraucher per Überweisung Glücksspieleinsätze von seiner Wohnung aus veranlasst. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BGB § 13; BGB §§ 812 ff.; BGB § 823
EuGVVO 1215/2012 Art. 7; EuGVVO 1215/2012 Art. 17
GlüStV § 4
Rom I-VO 593/2008 Art. 3; Rom I-VO 593/2008 Art. 6; Rom I-VO 593/2008 Art. 12
Rom II-VO 864/2007 Art. 4; Rom II-VO 864/2007 Art. 10

Sachverhalt

Die Beklagte bietet Online Glückspiele (Casinospiele) von ihrem Firmensitz in M. aus in Deutschland an. Die Klagepartei nahm von Januar 2018 bis Mai 2019 über die deutschsprachige Internetdomain der Beklagten von ihrer Wohnung aus an diesen Online Glücksspielen (Casinospiele) teil. Die von Seiten des Klägers dabei erlittenen Verluste sind Gegenstand der Klage auf Zahlung. Der Kläger nahm an, dass die von der Beklagten in Deutschland angebotenen Casinospiele gesetzlich erlaubt seien. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die von der Beklagten angebotenen Online-Glücksspiele-Dienstleistungen sind am Wohnort des Klägers in Deutschland gesetzlich verboten. Die Zahlungen des Klägers an die Beklagte erfolgten jeweils über den Personal Computer des Klägers in dessen Wohnung in Bayern. Die Abbuchungen erfolgten sodann über das in Deutschland geführte Girokonto des Klägers.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei zu zahlen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die zulässige Klage ist begründet.

[2]Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Rückzahlung der von ihm geleisteten Zahlungen ... nach den Vorschriften über die unerlaubte Handlung, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 4 Glücksspielstaatsvertrag (GlückStV) sowie nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung, §§ 812 ff. BGB.

[3]I.

[4]Das Landgericht Meiningen ist das gemäß Art. 17 Abs. 7 Nr. 2 EuGVVO (Zuständigkeit bei Verbrauchersachen) international und örtlich zuständige Gericht, so dass neben vertraglichen Ansprüchen auch Ansprüche aus nichtvertraglichen Anspruchsgrundlagen, insbesondere deliktische und solche aus ungerechtfertigter Bereicherung zu prüfen sind (Zöller-Geimer, ZPO, 33. Auflage 2020, Art. 17 EuGVVO, Rn. 17 m.w.N.). Der Kläger macht vorliegend Ansprüche auf Rückzahlung seiner Geldleistungen aus einem nichtigen Glücksspielvertrag geltend.

[5]Der Kläger ist Verbraucher im Sinne von Art. 17 Abs. 7 Nr. 2 EuGVVO und hat als solcher auch an dem verbotenen Glücksspiel teilgenommen. Der Verbraucherbegriff ist dabei autonom und nicht nach § 13 BGB auszulegen. Ein Verbraucher ist ein nicht berufs- oder gewerbebezogen handelnder, privater Endverbraucher (EuGH, Urt. 11.7.2002 - Rs. C-96/00, Tz. 38). Dabei kommt es darauf an, ob die Person gerade im Hinblick auf den konkreten Vertragsschluss Verbraucher ist. Nach Vortrag des Klägers handelte es sich um ein rein privates Spiel, dem der Kläger aus seiner Wohnung heraus im Internet nachgegangen ist.

[6]Die Beklagte als Vertragspartner hat ihr gewerbliches Angebot der Veranstaltung von Glücksspielen auf Deutschland, wo der Kläger seinen Wohnsitz hat, ausgerichtet, indem sie ihre Dienste über ihre deutschsprachige Internetdomain, nämlich xxx.com/de, insbesondere Kunden in Deutschland angeboten hat. Einigkeit besteht darüber, dass das autonom auszulegende Tatbestandsmerkmal des „Ausrichtens“ jedenfalls erfüllt ist, wenn dem Vertragsschluss im Wohnsitzstaat des Verbrauchers ein ausdrückliches Angebot oder eine Werbung des Vertragspartners vorausgegangen ist (OLG Düsseldorf Urt. v. 1.3.2018 – 16 U 83/17 (IPRspr 2018-269), BeckRS 2018, 14040 Rn. 26, beck-online). Mit dem Anbieten der Dienste in deutscher Sprache kommt zum Ausdruck, dass eine Werbung um Kunden in Deutschland und auch ein Angebot der Dienste insbesondere in Deutschland, dem Wohnsitzstaat des Klägers, durch die Beklagte beabsichtigt und angestrebt war. Das „Ausrichten“ der Tätigkeit i.S.v. Art. 17 Abs. 1 lit. c EuGVVO ist vorliegend auch ausreichend. Auf den Ort des Vertragsschlusses oder der hierfür erforderlichen Rechtshandlungen kommt es nicht an (BGH MDR 2013, 1365 (IPRspr 2018-269)). Wo die Handlungen, die zum Vertragsschuss führten vorgenommen worden sind, ist im Übrigen bei Vertragsschluss im Internet auch selten feststellbar. Der Schaden ist dort eingetreten, wo der Kläger seinen regelmäßigen Wohnsitz hat. Anders als bei Art. 7 Nr. 2 EuGVVO eröffnet bei Art. 17 EuGVVO auch der Schadensort für deliktische Ansprüche eine internationale Zuständigkeit, es ist nicht allein auf den Erfolgsort abzustellen.

[7]Darüber hinaus besteht eine internationale und örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Meiningen jedenfalls für deliktische Ansprüche auch nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Der Kläger stützt seinen Anspruch auch auf einen Verstoß gegen § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 4 GlückStV. Das schädigende Ereignis auf Grund dieser Anspruchsgrundlage war die Zahlung des Klägers an die Beklagte. Die Zahlung gab er bei sich zuhause in Deutschland in Auftrag. Die Auszahlung erfolgte dann von seinem Konto bei einer deutschen Bank an die Beklagte. Nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO besteht ein Gerichtsstand sowohl am - nach der EuGVVO autonom zu bestimmenden - Handlungs- als auch am Erfolgsort (EuGH, Urt. 28.1.2015 - C-375/13, Tz. 45). Weiter hat der EuGH in diesem Urteil klargestellt, dass zwar bei einem Vermögensschaden nicht grundsätzlich der Wohnort des Geschädigten als Erfolgsort angenommen werden kann (EuGH aaO., Tz. 49). Eine Zuständigkeit am Wohnort besteht aber, wenn dieser „tatsächlich der Ort des ursächlichen Geschehens oder der Verwirklichung des Schadenserfolgs“ ist (EuGH, a.a.O., Tz. 50). Der Kläger hat die Überweisungen von seiner Wohnung aus veranlasst. Somit beginnt der Spieleinsatz, also die „Cash Flow“-Bewegung vom Kläger zur Beklagten, die gerade durch § 4 Abs. 1 S. 2 GlückStV verhindert werden soll, in seiner Wohnung in Deutschland. Der Geldabfluss, und damit der Schaden, hat sich dann unmittelbar auf dem in Deutschland geführten Girokonto des Klägers verwirklicht.

[8]II.

[9]Die Klage ist auch begründet.

[10]1. Der Kläger hat einen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 4 GlückStV.

[11]Die Haftung der Beklagten richtet sich nach deutschem Recht. § 823 BGB ist vorliegend gemäß Art. 4 Abs. 1 Rom II VO anwendbares Recht. Die Auslegung des Schadensortes nach Art. 4 Abs. 1 Rom II VO erfolgt wie bei der Auslegung des Schadensortes nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Der Schadensort ist dort belegen, wo das Geld von einem Konto abfließt (Hüßtege/Mansel, BGB, Rom-Verordnungen - EuErbVO - HUP, Rom II-VO Art. 4 Rn. 115a, beck-online). Auf die Ausführungen unter 1. wird Bezug genommen ...

[12]2. Der Kläger hat zudem ein Anspruch auf Rückzahlung des von ihm Geleisteten nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812 ff. BGB).

[13]Der Rückzahlungsanspruch wegen nichtigen Vertrages richtet sich ebenfalls nach deutschem Recht. Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO findet vorliegend keine Anwendung, da wegen der spezielleren Vorschrift des Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I-VO Ansprüche auf Rückübertragung von Leistungen, die gemäß einem nichtigen Vertrag oder aufgrund eines nachträglichen Ereignisses nichtig gewordenen Vertrags ausgetauscht wurden, dem Anwendungsbereich von Art. 3 ff. Rom I-VO unterworfen und damit dem des Art. 10 Abs. 1 entzogen sind (Hüßtege/Mansel, BGB, Rom-Verordnungen - EuErbVO - HUP, Rom II-VO Art. 10 Rn. 10, beck-online). Nach Art. 6 Abs. 1 lit. b) Rom I-VO kommt vorliegend das Recht des Staates zur Anwendung, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Der Kläger ist Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland, die Beklagte hat ihre gewerbliche Tätigkeit auf Deutschland ausgerichtet. Es wird auf die Ausführungen in diesem Urteil unter I 1. Bezug genommen. Der nichtige Vertrag fällt in den Bereich dieser Tätigkeit der Beklagten, so dass nach Art. 6 Abs. 1 lit. [b]) Rom I-VO deutsches Recht zur Anwendung kommt.

[14]...

Fundstellen

LS und Gründe

BeckRS, 2021, 26548

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2021-225

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