PDF-Version

Verfahrensgang

AG Frankfurt/Main, Beschl. vom 09.04.2019 – 401 F 1009/19
OLG Frankfurt/Main, Beschl. vom 12.07.2019 – 4 UF 123/19, IPRspr 2019-143
BGH, Beschl. vom 19.02.2020 – XII ZB 358/19, IPRspr 2020-4

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Unterhalt

Leitsatz

Für die Vorschriften zur internationalen Gerichtszuständigkeit der EuUnthVO kommt es nicht darauf an, ob die Beteiligten die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaats besitzen. Daher steht die britische Staatsangehörigkeit einer Partei auch mit Ablauf des 31.1.2020 der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach Art. 3 lit. b EuUnthVO nicht entgegen.

Die Anwendbarkeit deutschen Rechts auf Trennungsunterhaltsanspruch ergibt sich aus Art. 15 EuUnthVO iVm Art. 3 I Haager Unterhaltsprotokoll. Wegen der in Art. 2 Haager Unterhaltsprotokoll angeordneten Allseitigkeit kommt es aus deutscher Sicht weder darauf an, ob der Fall Bezüge zu einem weiteren Vertragsstaat aufweist, noch darauf, dass das Haager Unterhaltsprotokoll im Vereinigten Königreich nicht gilt. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BGB § 1361; BGB § 1579
EuUntVO 4/2009 Art. 3; EuUntVO 4/2009 Art. 15
FamFG § 72
HUP 2007 Art. 2; HUP 2007 Art. 3

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Trennungsunterhalt ab Dezember 2018. Die Antragstellerin besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit, während der Antragsgegner britischer Staatsbürger ist. Beide haben einen indischen kulturellen Hintergrund. 2017 schlossen sie die Ehe, die von ihren Eltern arrangiert worden war. Spätestens seit 2018 leben sie getrennt. Zum Zeitpunkt der Eheschließung arbeitete die Antragstellerin bei einer Bank und lebte im Haushalt ihrer Eltern in Frankfurt am Main. Der Antragsgegner lebte in Paris als Trader. Er bewohnte eine Eigentumswohnung. Auch nach der Eheschließung lebte und arbeitete die Antragstellerin weiterhin in Frankfurt am Main, der Antragsgegner in Paris. Es war geplant, dass die Antragstellerin sich nach Paris versetzen lässt und man dort gemeinsam lebt. In der Zeit von Ende Dezember 2017 bis Anfang August 2018 gab es wiederholt Übernachtungskontakte an den Wochenenden, entweder bei den Eltern der Antragstellerin in Frankfurt oder in der Wohnung des Antragsgegners in Paris. Dort kam es auch zu einem dreiwöchigen Aufenthalt der Antragstellerin. Eine sexuelle Beziehung wurde nicht aufgenommen. Die Eheleute verfügten über keine gemeinsamen Konten. Jeder verbrauchte seine Einkünfte für sich selbst. Soweit die Antragstellerin sich in Paris aufhielt, bezahlte der Antragsgegner die Einkäufe.

Die Antragstellerin begehrt die Zahlung von Trennungsunterhalt. Das AG hat den Antrag abgewiesen. Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das OLG den Antragsgegner zur Zahlung von Trennungsunterhalt ab Dezember 2018 verpflichtet. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Antragsgegners, mit der er die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung erstrebt.

Aus den Entscheidungsgründen:

II.

[6] Die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners erweist sich auf der Grundlage des vom Beschwerdegericht festgestellten Sachverhalts als unbegründet. Über sie ist daher, obwohl die Antragstellerin im Verhandlungstermin vor dem Senat nicht vertreten war, durch streitige Endentscheidung (unechter Versäumnisbeschluss) zu entscheiden (ständige Rechtsprechung; vgl. nur BGH Urteil vom 22. Februar 2018 - I ZR 38/17 - NZM 2018, 875 Rn. 15 mwN).

[7] 1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner in FamRZ 2020, 95 (IPRspr 2019-143) veröffentlichten Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte folge aus Art. 3 lit. b EuUnthVO. Auf den Unterhaltsanspruch sei gemäß Art. 15 EuUnthVO iVm Art. 3 Abs. 1 des Haager Unterhaltsprotokolls 2007 deutsches Recht anzuwenden. Der Trennungsunterhaltsanspruch nach § 1361 BGB setze nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung weder voraus, dass die Beteiligten vor der Trennung zusammengezogen seien oder zusammengelebt hätten, noch dass es zu einer Verflechtung der wechselseitigen Lebenspositionen und zu einer inhaltlichen Verwirklichung der Lebensgemeinschaft gekommen sei. Soweit dies in der Literatur und vereinzelt in der Rechtsprechung kritisiert werde, sei dem entgegenzuhalten, dass es eine nur formell bestehende Ehe mit modifizierten oder verminderten Pflichten nicht gebe. Der Trennungsunterhaltsanspruch bestehe ab dem Zeitpunkt der Trennung nach den ehelichen Lebensverhältnissen, die nach objektiven Maßstäben zu bestimmen seien. Entscheidend sei derjenige Lebensstandard, der nach den ehelichen Lebensverhältnissen vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters als angemessen erscheine. Die von Anfang an bestehende Trennung der Ehegatten rechtfertige auch keine Verwirkung, zumal vorliegend schon begrifflich nicht von einer kurzen Ehedauer die Rede sein könne. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Beteiligten vereinbart hätten, nach der Eheschließung keine eheliche Lebensgemeinschaft aufzunehmen. Die Höhe des Anspruchs errechne sich nach den Einkommen der Beteiligten.

[8] 2. Dies hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand.

[9] a) Zutreffend ist das Oberlandesgericht von der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte ausgegangen, die unbeschadet des Wortlauts von § 72 Abs. 2 FamFG auch in den Verfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in der Rechtsbeschwerdeinstanz von Amts wegen zu prüfen ist (Senatsbeschlüsse BGHZ 217, 165 (IPRspr 2017-180b) = FamRZ 2018, 457 Rn. 9 und BGHZ 203, 372 (IPRspr 2014-252) = FamRZ 2015, 479 Rn. 11).

[10] Maßgeblich ist insoweit die Verordnung (EG) Nr. 4/2009 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen vom 18. Dezember 2008 (Abl. EG Nr. L 7 vom 10. Januar 2009, S. 1 - im Folgenden: EuUnthVO). Für die darin enthaltenen Vorschriften zur internationalen Gerichtszuständigkeit kommt es nicht darauf an, ob die Beteiligten die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaats besitzen (vgl. Hausmann Internationales und Europäisches Familienrecht 2. Aufl. 1.Teil C Unterhaltssachen Rn. 23 ff. mwN). Daher steht die britische Staatsangehörigkeit des Antragsgegners auch mit Ablauf des 31. Januar 2020 der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach Art. 3 lit. b EuUnthVO nicht entgegen.

[11] b) Das Beschwerdegericht hat der Antragstellerin zutreffend Trennungsunterhalt zuerkannt.

[12] aa) Die Anwendbarkeit deutschen Rechts auf den Trennungsunterhaltsanspruch ergibt sich aus Art. 15 EuUnthVO iVm Art. 3 Abs. 1 des Haager Protokolls über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23. November 2007 (ABl. EG Nr. L 331 vom 16. Dezember 2009, S. 19 - im Folgenden: Haager Unterhaltsprotokoll - HUP). Wegen der in Art. 2 HUP angeordneten Allseitigkeit kommt es aus deutscher Sicht weder darauf an, ob der Fall Bezüge zu einem weiteren Vertragsstaat aufweist, noch darauf, dass das Haager Unterhaltsprotokoll im Vereinigten Königreich nicht gilt (vgl. Bamberger/Roth/Heiderhoff BGB 4. Aufl. Art. 1 HUP Rn. 13 f.).

[13] bb) Leben die Ehegatten getrennt, so kann gemäß § 1361 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BGB ein Ehegatte von dem anderen nach den Lebensverhältnissen und den Erwerbs- und Vermögensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt verlangen ...

cc) ... dd) ... ee) ...

[28] Der Trennungsunterhaltsanspruch ist auch nicht gemäß §§ 1361 Abs. 3, 1579 Nr. 8 BGB verwirkt ...

Fundstellen

Bericht

Dimmler, FamRB, 2020, 214
Soyka, FuR, 2020, 472
Löhnig, JA, 2020, 861
Wellenhofer, JuS, 2020, 1217

LS und Gründe

FamRZ, 2020, 918, mit Anm. Witt
FF, 2020, 254, mit Anm. Graba
MDR, 2020, 607
NJW, 2020, 1674, mit Anm. Born
NZFam, 2020, 477, mit Anm. Löhnig
ZNotP, 2020, 251

nur Leitsatz

FF, 2020, 260
RNotZ, 2020, 354
Streit, 2023, 73

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2020-4

Lizenz

Copyright (c) 2024 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht
Creative-Commons-Lizenz Dieses Werk steht unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
<% if Mpi.live? %> <% end %>