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Verfahrensgang

OLG Frankfurt/Main, Beschl. vom 17.10.2019 – 26 Sch 2/19
BGH, Beschl. vom 25.06.2020 – I ZB 108/19, IPRspr 2020-231

Rechtsgebiete

Schiedsgerichtsbarkeit
Allgemeine Lehren → Ordre public

Leitsatz

Die Bestimmung des § 301 ZPO gehört grundsätzlich nicht zu den unverzichtbaren Normen für ein ordnungsgemäßes Verfahren. Der Erlass eines Teilschiedsspruchs ist auch dann nicht den Voraussetzungen des § 301 ZPO unterworfen, wenn die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen droht, die Verfahrensgestaltung aber (noch) rational nachvollziehbar ist. Der Aspekt der Widerspruchsfreiheit von Teil- und Schlussentscheidung ist kein unverzichtbarer Grundsatz der deutschen Rechtsordnung.

Rechtsnormen

ZPO § 254; ZPO § 260; ZPO § 301; ZPO § 318; ZPO § 574; ZPO § 575; ZPO § 1042; ZPO § 1059; ZPO § 1062; ZPO § 1065

Sachverhalt

Die Antragstellerin betreibt einen Fachhandel für Garten-, Forst- und Reinigungstechnik. Die Antragsgegnerin ist ein deutsches Tochterunternehmen eines schwedischen Herstellers von Forst-, Garten- und Baugeräten. Die Parteien sind durch einen Händlervertrag verbunden. Der Händlervertrag enthält eine Schiedsklausel, wonach jede Streitigkeit aus oder in Verbindung mit dem Vertrag ohne Inanspruchnahme des Gerichtswegs gemäß der Schiedsgerichtsordnung der Internationalen Handelskammer (ICC) beizulegen ist. Ort des Schiedsverfahrens ist Frankfurt am Main. Wegen Unstimmigkeiten zwischen den Parteien erklärte die Antragsgegnerin mit Schreiben 2017 die außerordentliche Kündigung des Händlervertrags und stellte ihre Produktlieferung zunächst ein. Nach einer Verurteilung in einem Verfahren der einstweiligen Verfügung vor dem LG Stuttgart setzte die Antragsgegnerin die Belieferung der Antragstellerin fort.

Die Antragstellerin erhob Schiedsklage, mit der sie wegen der aus ihrer Sicht unberechtigten Nichtbelieferung mit Waren Schadensersatz geltend machte. Für den Fall, dass das Schiedsgericht diesem Antrag stattgeben sollte, einigten sich die Parteien darauf, dass es befugt sein sollte, einen Teilschiedsspruch zur Rechtmäßigkeit der fristlosen Kündigung zu erlassen. 2018 ordnete der Einzelschiedsrichter die Teilung des Schiedsverfahrens an. Mit Teilschiedsspruch vom 23.10.2018 gab das Schiedsgericht der Schadensersatzklage wegen vertragswidriger Nichtbelieferung statt. Die Antragstellerin hat beantragt, den Teilschiedsspruch aufzuheben, soweit zu ihren Lasten Ansprüche abgewiesen worden sind. Das OLG hat den Aufhebungsantrag zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin.

Aus den Entscheidungsgründen:

[7] II. Das Oberlandesgericht hat angenommen, der Zulässigkeit des Antrags stehe nicht entgegen, dass die Antragstellerin lediglich die teilweise Aufhebung des Schiedsspruchs beantragt hat. Der Antrag sei aber unbegründet, weil weder ein Aufhebungsgrund gemäß § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b ZPO wegen eines ordre-public-Verstoßes vorliege noch die Antragstellerin Angriffsmittel im Sinne von § 1059 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZPO nicht hätte geltend machen können. Soweit die Antragstellerin beanstande, sie sei auf Bedenken gegen ihre Schadensberechnung nicht rechtzeitig hingewiesen worden, habe sie nicht dargelegt, was sie konkret bei Gewährung des vermeintlich verweigerten rechtlichen Gehörs dargelegt und wie sich das auf den Schiedsspruch ausgewirkt hätte. Auch die Rüge, das Schiedsgericht habe zu Unrecht keinen Sachverständigen mit der Schadensprüfung beauftragt, bleibe ohne Erfolg. Das Schiedsgericht habe sich mit der Frage befasst, ob ein Sachverständiger beauftragt werden solle, und ausgeführt, warum es eine Beauftragung als nicht verhältnismäßig ansehe. In diesem Zusammenhang könne die Antragstellerin nicht mit Erfolg geltend machen, ein Gehörsverstoß liege darin, dass das Schiedsgericht ihr keine Gelegenheit gegeben habe, zu ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vorzutragen.

[8] III. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 1065 Abs. 1 Satz 1, § 1062 Abs. 1 Nr. 4 Fall 1 ZPO statthaft und zur Fortbildung des Rechts auch sonst zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1, § 575 ZPO). In der Sache ist sie jedoch unbegründet.

[9] 1. Mit Recht ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass der Antrag auf teilweise Aufhebung des Teilschiedsspruchs zulässig ist …

[10] 2. Die Rechtsbeschwerde macht ohne Erfolg geltend, der angefochtene Beschluss sei nach § 1059 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d ZPO wegen Mängeln des schiedsrichterlichen Verfahrens aufzuheben, weil der Teilschiedsspruch des Einzelschiedsrichters gegen § 301 ZPO verstoße.

[11] ... [12] 3. Ein von Amts wegen zu prüfender Verstoß gegen den (verfahrensrechtlichen) ordre public (§ 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b ZPO) wegen eines unzulässigen Teilschiedsspruchs liegt ebenfalls nicht vor.

[13] a) Ein Schiedsspruch kann nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b ZPO aufgehoben werden, wenn seine Anerkennung oder Vollstreckung zu einem Ergebnis führt, das der öffentlichen Ordnung (ordre public) widerspricht. Das setzt voraus, dass dieses Ergebnis mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Das ist der Fall, wenn der Schiedsspruch eine Norm verletzt, die die Grundlagen des staatlichen oder wirtschaftlichen Lebens regelt, oder wenn er zu deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen in einem untragbaren Widerspruch steht. Der Schiedsspruch muss mithin die elementaren Grundlagen der Rechtsordnung verletzen. Danach stellt nicht jeder Widerspruch der Entscheidung eines Schiedsgerichts zu zwingenden Vorschriften des deutschen Rechts einen Verstoß gegen den ordre public dar. Vielmehr muss es sich um eine nicht abdingbare Norm handeln, die Ausdruck einer für die Rechtsordnung grundlegenden Wertentscheidung des Gesetzgebers ist (BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2018 - I ZB 9/18, SchiedsVZ 2019, 150 Rn. 5 mwN).

[14] b) Zu diesen unverzichtbaren Normen für ein ordnungsgemäßes Verfahren zählt § 301 ZPO grundsätzlich nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Februar 2019 - I ZB 33/18 (IPRspr 2019-156), SchiedsVZ 2019, 287 Rn. 9 mwN).

[15] aa) ... [19] bb) Soweit die Voraussetzungen der Teilbarkeit und der Entscheidungsreife im Sinne von § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO betroffen sind, besteht kein Bedürfnis, den dem Schiedsgericht in § 1042 Abs. 4 ZPO gesetzlich zugestandenen Ermessensspielraum von vornherein und ohne erkennbare Notwendigkeit einzuschränken. Vielmehr ist das Schiedsgericht im Rahmen seines Ermessens grundsätzlich befugt, Teilschiedssprüche zu erlassen, auch wenn die Voraussetzungen des § 301 ZPO nicht gegeben sind (vgl. BGH, SchiedsVZ 2019, 287 (IPRspr 2019-156) Rn. 9 mwN).

[20] c) Die Frage, ob der verfahrensrechtliche ordre public eine Einschränkung dieses Grundsatzes erfordert, wenn infolge eines Grund- oder Teilurteils die konkrete Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen droht oder die Verfahrensgestaltung des Schiedsgerichts nicht mehr rational nachvollziehbar ist, hat der Bundesgerichtshof bislang offengelassen (vgl. BGH, SchiedsVZ 2019, 287 (IPRspr 2019-156) Rn. 10). Er entscheidet diese Frage nunmehr dahin, dass eine solche Einschränkung nicht veranlasst ist, wenn - wie hier - die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen besteht, die Verfahrensgestaltung aber (noch) rational nachvollziehbar ist.

[21] aa) Der angefochtene Teilschiedsspruch birgt die Gefahr widersprechender Entscheidungen. Mit der Schätzung der Gewinnmargen für den Online-Handel und das stationäre Geschäft der Antragstellerin wird in dem Teilschiedsspruch eine Frage entschieden, die sich im nachfolgenden Verfahren über die weiteren Ansprüche noch einmal stellt. Die vom Schiedsgericht geschätzten Gewinnmargen sind - zum Teil - auch für die noch offenen Schadenspositionen von Bedeutung.

[22] Die Höhe dieser Gewinnmargen ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung im Teilschiedsspruch nicht mit Bindungswirkung für das weitere Verfahren im Sinne von § 318 ZPO festgestellt. Nach § 318 ist das Gericht an die Entscheidung, die in den von ihm erlassenen End- und Zwischenurteilen enthalten ist, gebunden. Die Bindungswirkung nach dieser Vorschrift, die im Schiedsverfahren entsprechend anwendbar ist (vgl. OLG Frankfurt am Main, SchiedsVZ 2007, 278, 279 [juris Rn. 39]; Althammer in Stein/Jonas aaO § 318 Rn. 5; BeckOK.ZPO/Elzer, 36. Edition [Stand 1. März 2020], § 318 Rn. 4; vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 18. Januar 2007 - III ZB 35/06 (IPRspr 2007-217), WM 2007, 1050 Rn. 5), erstreckt sich nur auf die Entscheidung selbst, nicht aber auf Elemente des Schiedsspruchs wie tatsächliche und rechtliche Vorfragen (vgl. Althammer in Stein/Jonas aaO § 318 Rn. 20 mwN). Die Höhe der Gewinnmargen ist eine solche Vorfrage.

[23] bb) Aufgrund der Besonderheiten und der Zielrichtung des Schiedsverfahrens ist es jedoch gerechtfertigt, das dem Schiedsgericht in § 1042 Abs. 4 ZPO gesetzlich zugestandene Ermessen nicht durch den Grundsatz der Widerspruchsfreiheit einzuschränken.

[24] (1) Das Schiedsgericht hat bei der Festlegung der Verfahrensregeln nach § 1042 Abs. 4 Satz 1 ZPO grundsätzlich ein weites Ermessen, das auch dem jeweiligen Einzelfall gerecht werden sollte (vgl. BeckOK.ZPO/Wilske/Markert aaO § 1042 Rn. 21; vgl. auch MünchKomm.ZPO/Münch, 5. Aufl., § 1042 Rn. 91). Das Schiedsverfahren dient dazu, das Verfahren zu erleichtern und zu beschleunigen. Das geht mit einer Verfahrensvereinfachung und dadurch bedingt mit einer Reduktion des durch das Verfahren gewährten Schutzes einher (vgl. Klose, NJ 2019, 305, 307). Eine Verfahrensvereinfachung kann auch darin bestehen, mit einem Teilschiedsspruch über tatsächliche und rechtliche Vorfragen zu entscheiden, die im weiteren Verfahren noch eine Rolle spielen. Das Risiko widersprechender Entscheidungen, das im Schiedsverfahren faktisch allerdings dadurch verringert wird, dass der Schiedsrichter regelmäßig davon ausgehen kann, auch die Folgeentscheidung zu treffen (vgl. Klose, NJ 2019, 305, 307), steht dem nicht entgegen.

[25] (2) Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Aspekt der Widerspruchsfreiheit von Teil- und Schlussentscheidung keinen unverzichtbaren Grundsatz der deutschen Rechtsordnung darstellt. Widersprüchliche Entscheidungen sind dem deutschen Rechtssystem nicht fremd und werden in bestimmten Konstellationen hingenommen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. Juli 2014 - 26 Sch 28/13, juris Rn. 90). Das gilt zum Beispiel bei der Stufenklage (§ 254 ZPO) oder im Haftungsprozess bei objektiver Klagehäufung (§ 260 [ZPO]) von Auskunftsanspruch und Schadensersatzanspruch (vgl. BGH, Urteil vom 29. März 2011 - VI ZR 117/10, BGHZ 189, 79 Rn. 14 bis 18; vgl. auch Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl., § 301 Rn. 16 mwN). Ein Teilschiedsspruch, der mit Blick auf das weitere Verfahren die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen birgt, kann danach schon nicht mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar sein und deshalb der öffentlichen Ordnung widersprechen.

[26] (3) Werden außerdem die mit dem Erlass einer Teil-Entscheidung verfolgten Ziele - Vereinfachung und Beschleunigung, Übersichtlichkeit bei umfangreichem Streitstoff und Förderung der Vergleichsbereitschaft - in den Blick genommen, ist es gerechtfertigt, den Erlass eines Teilschiedsspruchs auch dann nicht den Voraussetzungen des § 301 ZPO zu unterwerfen, wenn die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen droht, die Verfahrensgestaltung aber (noch) rational nachvollziehbar ist (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. Juli 2014 - 26 Sch 28/13, juris Rn. 92; Zöller/Geimer aaO § 1059 Rn. 44b; aA MünchKomm.ZPO/Münch aaO § 1056 Rn. 7; Hammer aaO Rn. 691; vgl. auch OLG Düsseldorf, SchiedsVZ 2008, 156, 160 [juris Rn. 118]).

[27] (4) Anhaltspunkte für eine rational nicht mehr nachvollziehbare Verfahrensgestaltung gibt es im Streitfall nicht. Die Parteien sind mit der 6. Prozessleitenden Verfügung vom 27. Juli 2018 darüber informiert worden, dass der Schiedsrichter beabsichtigte, über sämtliche Schadenspositionen zu entscheiden, die entscheidungsreif waren. Die Möglichkeit nicht nur eines Grund-, sondern auch eines Teilschiedsspruchs zur Schadenshöhe stand für die Parteien damit zumindest im Raum. In ihren schriftsätzlichen Stellungnahmen zur mündlichen Verhandlung und zur Beweisaufnahme vom 24. August 2018 haben sie diesem Vorgehen nicht widersprochen.

4. ...

Fundstellen

nur Leitsatz

AnwBl., 2020, 620
EWiR, 2021, 63
MittdtschPatAnw, 2021, 93

Bericht

LMK, 2020, 562

LS und Gründe

IHR, 2021, 73
SchiedsVZ, 2021, 341
TranspR, 2021, 344
TranspR, 2021, 248
WM, 2021, 2116

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2020-231

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