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Verfahrensgang

LG Cottbus, Urt. vom 23.05.2019 – 6 O 277/17
OLG Brandenburg, Urt. vom 25.11.2020 – 7 U 106/19, IPRspr 2020-229
BGH, Urt. vom 25.01.2022 – II ZR 215/20, IPRspr 2022-110
OLG Brandenburg, Urt. vom 19.04.2023 – 7 U 106/19

Rechtsgebiete

Insolvenz- und Anfechtungsrecht
Zuständigkeit → Allgemeiner Gerichtsstand

Leitsatz

Neben den in Art. 7 II EuInsVO geregelten Punkten ist die Frage, welche Regelungen des nationalen Rechts des Eröffnungsstaates zum anwendbaren Insolvenzrecht zu zählen sind, in erster Linie nach dem autonom auszulegenden Gemeinschaftsrecht zu beurteilen

Eine Vorschrift ist dann insolvenzrechtlicher Natur, wenn sie von den allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts abweicht und zwar wegen der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft. Dies gilt nach der zitierten Rechtsprechung auch dann, wenn die Vorschrift zwar nicht die förmliche Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraussetzt, aber die materielle Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EuGVVO 1215/2012 Art. 4
EuInsVO 1346/2000 Art. 3; EuInsVO 1346/2000 Art. 4
EuInsVO 2015/848 Art. 6; EuInsVO 2015/848 Art. 7; EuInsVO 2015/848 Art. 84
HGB 2000 (Polen) Art. 299
InsoR 2003 (Polen) Art. 11; InsoR 2003 (Polen) Art. 21
ZPO § 511; ZPO § 517; ZPO § 519; ZPO § 520

Sachverhalt

Die Klägerin, die Reisen zu Sport- und Kulturveranstaltungen vermittelt, schloss 2013 einen Projektvertrag über die Nutzung und Entwicklung einer von der Gesellschaft angebotenen Software für die Buchung von Reisen. Die Gesellschaft ist eine 2005 nach polnischem Recht gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die in das Unternehmensregister des Landesgerichtsregisters in Breslau eingetragen worden ist und deren Alleingesellschafter und einziger Vorstand der Beklagte war.

Da die ... ihre Leistungspflicht aus dem Projektvertrag nicht erfüllte, kündigte die Klägerin 2015 den Vertrag und nahm die ... vor dem LG Hannover - 9 O 156/15 - auf Rückzahlung geleisteter Anzahlungen und Zahlung einer Vertragsstrafe in Anspruch. Das LG Hannover verurteilte die ... durch Urteil vom 19.07.2016 zur Zahlung. Die Zwangsvollstreckung verlief erfolglos. Der Beklagte erschien im Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft für die ... nicht. Der vom AG Lübben (Spreewald) gegen die Schuldnerin am 06.07.2017 erlassene Haftbefehl konnte nicht vollstreckt werden, da die ... Insolvenzantrag stellte. Über das Vermögen der Gesellschaft wurde durch Beschluss des AG Cottbus 2017 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zur Zahlung zu verurteilen. Das LG hat den Beklagten entsprechend dem Klageantrag verurteilt. Gegen das Urteil hat der Beklagte am 24.07.2019 Berufung eingelegt. Der Beklagte beantragt, das am Urteil des LG Cottbus abzuändern und die Klage abzuweisen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]Die gemäß den §§ 511, 517, 519, § 520 ZPO zulässige Berufung ist mit Ausnahme eines Teils des Zinsanspruchs nicht begründet ...

[3]1.

[4]Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EU) 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung der Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) gegeben. Danach sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedsstaates zu verklagen.

[5]Für die internationale Zuständigkeit kann dahinstehen, ob der geltend gemachte Anspruch dem Anwendungsbereich der Verordnung (EG) 1346/2000 vom 29.05.2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) unterliegt. Auch nach Art. 6 Abs. 1 der Neufassung durch Verordnung (EU) 2015/848 vom 20.05.2015, die im Streitfall gemäß Art. 84 Abs. 1 dieser Verordnung anwendbar ist, da das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin nach dem 26.07.2017 eröffnet worden ist, ergibt sich für Klagen aus oder in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedsstaates, in dessen Hoheitsgebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor dem Amtsgericht Cottbus ergäbe sich, auch wenn Art. 6 der Verordnung (EU) 2015/848 Anwendung fände, die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte.

[6]2.

[7]Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch ist nach den Regeln des internationalen Gesellschaftsrechts nach polnischem Recht zu beurteilen.

[8]2.1.

[9]Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf Art. 299 § 1 HGG (polnisches Gesetzbuch über die Handelsgesellschaften - Kodeks spólek handlowych vom 15.09.2000, Dz. U. z 2013 r., poz. 1030).

[10]Diese Vorschrift bestimmt, dass die Vorstandmitglieder einer Gesellschaft gesamtschuldnerisch für deren Verbindlichkeiten haften, wenn sich die Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschaft als erfolglos erweist. Nach Art. 299 § 2 HGG kann ein Vorstandsmitglied von der in § 1 genannten Haftung befreit werden, wenn es nachweist, dass rechtzeitig der Antrag auf Eröffnung des Konkurses gestellt oder das Vergleichsverfahren eingeleitet wurde, oder dass das Stellen des Antrages auf Eröffnung des Konkurses sowie die Einleitung des Vergleichsverfahrens nicht schuldhaft unterlassen wurde, oder dass trotz Unterlassens der Antragstellung auf Bekanntmachung des Konkurses sowie der Einleitung des Vergleichsverfahrens dem Gläubiger kein Schaden entstanden ist (vgl. deutsche Übersetzung in Polnische Wirtschaftsgesetze, C.H.Beck, 8. Aufl. 2010, HGG, S. 273 ff, 341)

[11]Für die Ermittlung des Inhalts des polnischen Rechts hält der Senat sachverständige Hilfe nicht für erforderlich, da er sich namentlich auf der Grundlage der von der Klägerin in polnische[r] Sprache und in beglaubigter Übersetzung ins Deutsche eingereichten veröffentlichten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs der Republik Polen in der Lage sieht, das maßgebliche polnische Recht so zu Grunde zu legen, wie es die Richter in Polen auslegen und anwenden.

[12]2.2.

[13]Die Rechtsanwendung wird im Streitfall nicht durch Art. 7 Abs. 1 EuInsVO bestimmt.

[14]a)

[15]Gemäß Art.7 Abs. 1 EuInsVO gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedsstaates, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren eröffnet wird. Welche Bereiche sich nach dem Recht des Mitgliedsstaates richten, ist in Art. 7 Abs. 2 EuInsVO durch eine beispielhafte, nicht abschließende Aufzählung näher bestimmt (HK-InsO/Dornblüth Art. 7 EuInsVO Rn 3).

[16]Die Anwendung der Vorschrift des Art. 299 § 1 HGG wäre ausgeschlossen, wenn es sich dabei gemeinschaftsrechtlich um eine Norm des Insolvenzrechts handeln würde; denn die Anwendung setzte dann voraus, dass das Insolvenzverfahren in Polen eröffnet worden wäre.

[17]b)

[18]Art. 299 § 1 HGG ist von den in Art. 7 Abs. 2 EuInsVO genannten Bereichen, für die das Recht des Staates gilt, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, nicht erfasst. Die Vorschrift eröffnet dem Gläubiger einer Gesellschaft einen Direktanspruch gegen den Vorstand und regelt mithin nicht, welche Vermögenswerte zur Insolvenzmasse gehören und wie die nach der Verfahrenseröffnung vom Schuldner erworbenen Gegenstände zu behandeln sind, § Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit b) EuInsVO. Der Gegenstand der Regelung, ein Schadensersatzanspruch des einzelnen Gläubigers infolge erfolgloser Vollstreckungsmaßnahmen, ist auch nicht als Auswirkung des Insolvenzverfahrens auf Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger einzuordnen, Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. f) EuInsVO, da er nicht die Rechtsverfolgung gegenüber der insolventen Gesellschaft betrifft.

[19]c)

[20]Neben den in Art. 7 Abs. 2 EuInsVO geregelten Punkten ist die Frage, welche Regelungen des nationalen Rechts des Eröffnungsstaates zum anwendbaren Insolvenzrecht zu zählen sind, in erster Linie nach dem autonom auszulegenden Gemeinschaftsrecht zu beurteilen (BGH, Beschluss vom 02.12.2014 - II ZR 119/14 (IPRspr 2014-273b), ZIP 2015, 63 Rn 13). Wegen der unmittelbaren Geltung der EuInsVO und des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts sind Regelungen, die nach Art. 7 Abs. 1 als anwendbares Insolvenzrecht zu qualifizieren sind, nicht deshalb unanwendbar, weil sie nach nationalem Recht einem anderen Rechtsgebiet zuzuordnen sind. In diesem Fall läge eine Konkurrenz zwischen nationalem internationalem Privatrecht und Europarecht vor, innerhalb derer das Europarecht Vorrang hat.

[21]Nach der Rechtsprechung des EuGH ist zur Bestimmung des Rechtsgebiets, dem eine Klage zuzurechnen ist, zu prüfen, ob der ihr zugrunde liegende Anspruch oder die ihr zugrunde liegende Verpflichtung den allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts entspringt oder aber den abweichenden Sonderregeln für das Insolvenzverfahren (EuGH, Urteil vom 04.09.2014, Nickel & Goeldner Spedition - C-157/13, EU:C:2014: 2145 Rn 27; vom 09.11.2017, Tünkers France und Tünkers Maschinenbau - C-641/16, Eu:C:2017: 847 Rn 22; vom 20.12.2017, Valach u.a  - C-649/16, EU:C:2017: 988, Rn 29).

[22]Eine Vorschrift ist dann insolvenzrechtlicher Natur, wenn sie von den allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts abweicht und zwar wegen der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft. Dies gilt nach der zitierten Rechtsprechung auch dann, wenn die Vorschrift zwar nicht die förmliche Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraussetzt, aber die materielle Zahlungsunfähigkeit des Schuldners (vgl. EuGH, Urteil vom 04.12.2014 - C-295/13, NZI 2015, 88 Rn 22). Nach Art. 7 Abs. 2 Satz 1 EuInsVO (Art. 4 Abs. 2 EuInsVO a.F.) regelt die lex fori concursus unter anderem, „unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird“. Um die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung sicherzustellen, ist sie dahin auszulegen, dass in ihren Anwendungsbereich erstens die Voraussetzungen über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, zweitens die Regeln zur Bestimmung der zur Antragstellung verpflichteten Personen und drittens die Folgen eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung fallen (EuGH, Urteil vom 10.12.2015 - C-594/14, Kornhaas/Dithmar, NZI 2016, S. 48 Rn 19). Nationale Bestimmungen, mit denen der Sache nach ein Verstoß gegen die Pflicht zur Beantragung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens geahndet wird, sind danach grundsätzlich zum Anwendungsbereich der Vorschrift gehörend anzusehen (EuGH, Urteil vom 10.12.2015, aaO).

[23]Der Anwendungsbereich der EuInsVO für Klageverfahren ist für die Vorgängerregelungen von Art. 6 und 7 EuInsVO, dies sind die Art. 3 und 4 der Verordnung Nr. 1346/2000, vom Europäischen Gerichtshof zudem aber einschränkend dahin interpretiert worden, dass die Regelungen eine Entsprechung zwischen den international zuständigen Gerichten und dem auf das Insolvenzverfahren anwendbaren Recht herstellen sollen und dass das anwendbare Recht gemäß Art. 4 der Verordnung Nr. 1346/2000 der nach Art. 3 der Verordnung bestimmten internationalen Zuständigkeit folgt (EuGH, Urteil vom 21.11.2019 - C-198/18, NZI 2020, 41, Rn 30). Die Regelung in Art. 3 der Verordnung Nr. 1346/2000 sah, ebenso wie Art. 6 Abs. 1 der hier anwendbaren Verordnung Nr. 2015/848 in Verbindung mit dem sechsten Erwägungsgrund der Verordnung vor, dass entsprechend der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für die Zuständigkeit maßgeblich sei, dass eine Klage gegeben sein müsse, die sich unmittelbar aus einem Insolvenzverfahren herleitet und in engem Zusammenhang damit steht. Es handelt sich insoweit um ein doppeltes Kriterium, da neben der Herleitung aus dem Insolvenzverfahren ein enger Zusammenhang dazu gegeben sein muss (vgl. EuGH, Urteil vom 12.02.2009 - C-339/07, Seagon, IPrax 2009 513 Rn 19 - 23).

[24]d)

[25]Ob eine Klage in einem engen Zusammenhang zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht, kann danach entschieden werden, wer die Klage erhebt, welchem Ziel das Klageverfahren dient und ob es abhängig von der Eröffnung, Durchführung oder Beendigung des Insolvenzverfahrens ist (EuGH, Urteil vom 19.04.2012 - C-213/10, F-Tex, EuZW 2012, 427 Rn 43 - 46).

[26]Eine Klage, die von einem Insolvenzverwalter erhoben wird, kann in engerem Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren stehen (EuGH, Urteil vom 04.12.2014 - C - 295/13, EuZW 2015, 141, Rn 25); andererseits weist nicht notwendig jede vom Insolvenzverwalter erhobene Klage einen engen Zusammenhang zum Insolvenzverfahren auf (EuGH, Urteil vom 21.11.2019 - C 198/18 ZIP 2019, 2360 Rn 36; Urteil vom 06.02.2019 - C-535/17, NZI 2019, 302 Rn 29; Urteil vom 10.09.2009 - C-292/08, EU:C:2009: 544; Rn 33). Erheblich kann auch sein, ob die Klageerhebung den Pflichten des klagenden Insolvenzverwalters obliegt, oder ob die Klageerhebung, etwa bei einem Gläubiger, dessen freie Entscheidung ist (EuGH, Urteil vom 19.04.2012, aaO Rn 43; Urteil vom 06.02.2019 aaO Rn 32).

[27]Zu berücksichtigen ist ferner, ob der Zweck des Klageverfahrens darin liegt, etwaige Masseverkürzungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu verhindern mit dem Ziel gleichmäßiger Befriedigung der Gläubiger bzw. der Zuführung von Vermögen zur Masse (EuGH, Urteil vom 10.12.2015 - C-594/14, Kornhaas/Dithmar, NZI 2016, S. 48 Rn 20; Urteil vom 06.02.2019 aaO Rn 31) oder ob das Ziel der Klageerhebung ist, das private Vermögen eines Insolvenzgläubigers zu vermehren (EuGH, Urteil vom 19.04.2012 aaO Rn 44).

[28]Schließlich kann zur Abgrenzung berücksichtigt werden, in welchem Verhältnis das Klageverfahren zum Insolvenzverfahren steht, ob die Klage die Insolvenzeröffnung voraussetzt und ob das Klageverfahren unabhängig vom Insolvenzverfahren auch von einem einzelnen Gläubiger eingeleitet (EuGH, Urteil vom 21.11.2019 aaO Rn 36; Urteil vom 06.02.2019 - C-535/17, ZIP 2019, Rn 35, 36) und nach Beendigung des Insolvenzverfahrens weitergeführt werden kann (EuGH, Urteil vom 19.04.2012 aaO Rn 46; Urteil vom 10.09.2009 aaO Rn 32).

[29]e)

[30]Danach gilt hier: Die in Art. 299 § 1 HGG normierte Durchgriffshaftung des Vorstands einer Gesellschaft gegenüber den Gläubigern setzt zunächst nur voraus, dass die Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschaft erfolglos war (Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 25.03.2015 - II CSK 402/14, vgl. Bl. 113, 114 d.A., Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 15.04.2014 - II CSK 446/13, vgl. Bl. 142 d.A.). Mit der in Art. 299 § 2 HGG geregelten Möglichkeit des Vorstands, sich zu entlasten, indem der Vorstand nachweist, dass rechtzeitig ein Konkursantrag gestellt oder ein Vergleichsverfahren eingeleitet worden ist oder dass ihn kein Verschulden daran trifft, dies versäumt zu haben oder dass trotz des Unterlassens der Antragstellung auf Bekanntmachung des Konkurses sowie des Vergleichsverfahrens dem Gläubiger kein Schaden entstanden ist, stellt die Vorschrift allerdings einen Bezug zu der Pflicht her, bei Vermögenslosigkeit den Antrag auf Bekanntmachung des Konkurses zu stellen. Denn die Haftung entfällt bei Erfüllung dieser Pflichten oder fehlendem Verschulden und kann insoweit als haftungsrechtliche Folge der Verletzung der Pflicht zur Insolvenzantragstellung beurteilt werden. Für eine insolvenzrechtliche Einordnung spricht auch, dass die Beurteilung der Frage der Rechtzeitigkeit der Konkursantragstellung in Art. 299 § 2 HGG einen Bezug zu der insolvenzrechtlichen Regelung des Art. 21 Abs. 1 des polnischen Gesetzes über das Insolvenz- und Sanierungsrecht vom 28.02.2003 (Prawo upadlosciowe i naprawcze, Dz.U Nr. 60, poz. 535 z.pózn. zm., im Folgenden: InSR) hat, die eine Verpflichtung begründet, innerhalb von zwei Wochen, ab dem Tag, an dem der Grund für die Insolvenzerklärung vorlag, bei dem Gericht einen Antrag auf Insolvenzerklärung zu stellen. Zudem kann zur Beurteilung der Haftungsbefreiung nach Art. 299 § 2 HGG maßgeblich sein, ob und zu welchem Zeitpunkt ein Insolvenzgrund vorliegt, was nach Art. 11 Abs. 1 InSR der Fall ist, wenn der Schuldner seine fälligen Geldverbindlichkeiten nicht mehr erfüllt.

[31]Die Klage aus Art. 299 § 1 HGG weist aber keinen engen Zusammenhang zum Insolvenzverfahren auf. Sie wird nicht vom Insolvenzverwalter, sondern von einem Gläubiger unabhängig von der Durchführung des Insolvenzverfahrens erhoben. Die vom Vorstand zu leistende Schadensersatzforderung dient auch nicht der Sicherung der Masse zur gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung, sondern ermöglicht es dem einzelnen Gläubiger, gesonderte Befriedigung durch persönliche Inanspruchnahme des Geschäftsleiters zu erlangen. Der Anspruch kann bei Erfolglosigkeit der Zwangsvollstreckung unabhängig von einem Insolvenzverfahren geltend gemacht werden. Er ist nach Einschätzung des Senats daher dem allgemeinen Gesellschaftsrecht zuzuordnen mit der Folge, dass sich die Anwendung materiellen Rechts nicht nach Art. 7 EuInsVO richtet.

[32]2.3.

[33]Das anzuwendende Recht ist hier nach internationalem Gesellschaftsrecht zu bestimmen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die in einem Vertragsstaat nach dessen Vorschriften wirksam gegründete Gesellschaft in einem anderen Vertragsstaat unabhängig von dem Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes in der Rechtsform anzuerkennen, in der sie gegründet wurde (EuGH, Urteil vom 05.11.2002 - C-208/00, Überseering, ZIP 2002, 2037; Urteil vom 30.09.2003 - C-167/01, Inspire Art, ZIP 2003, 1885). Aus der Anerkennung der Rechtsfähigkeit einer solchen Gesellschaft folgt zugleich, dass deren Personalstatut auch in Bezug auf die Haftung für in ihrem Namen begründete rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten einschließlich der Frage nach einer etwaigen diesbezüglichen persönlichen Haftung ihrer Gesellschafter oder Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftsgläubigern maßgeblich ist (BGH, Urteil vom 14.03.2005 - II ZR 5/03 (IPRspr 2005-212), NJW 2005, 1648 Rn 9; BGH, Urteil vom 13.03.2003 - VII ZR 370/98 (IPRspr. 2003 Nr. 13), BGHZ 154, 185 ff). Die … ist eine nach polnischem Recht gegründete Gesellschaft.

[34]3.

[35]Der Beklagte hat der Klägerin gegenüber gemäß Art. 299 § 1 HGG für die titulierten Verbindlichkeiten der … einzustehen, er kann sich von der Haftung nicht nach Art. 299 § 2 HGG entlasten.

[36]3. ...

Fundstellen

LS und Gründe

BeckRS, 2020, 55911

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https://iprspr.mpipriv.de/2020-229

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