Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren richtet sich die Anerkennung ausländischer (hier: guineischer) Urteile grundsätzlich (ebenfalls) nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 328 ZPO. Dieser anerkennungsrechtlichen Grundnorm gehen jedoch auch im Verwaltungsprozess die Sonderregelungen des § 108 Abs. 1 i. V. m. § 109 FamFG vor.
Der anerkennungsrechtliche ordre public nach § 109 I Nr. 4 FamFG steht nicht nur der Anerkennung von Urteilen zwischen den Beteiligten sondern auch der subjektiven Rechtskrafterstreckung auf Dritte entgegen, wenn diesen in dem ausländischen Verfahren kein rechtliches Gehör gewährt worden ist. Denn der verfassungsrechtlich abgesicherte Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG) ist Teil des deutschen ordre public. Hierauf können sich auch juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden berufen.
Die nach § 98 VwGO anzuwendenden Vorschriften der Zivilprozessordnung über den Beweis durch öffentliche Urkunden (hier: guineisches Nachbeurkundungsurteil samt Beischreibung) gelten - wie die in § 438 I ZPO vorgesehene Echtheitsprüfung zeigt - mit Ausnahme der Echtheitsvermutung (§ 437 ZPO) auch für ausländische öffentliche Urkunden. Wird die Urkunde als echt angesehen, entspricht ihre Beweiskraft mithin der einer inländischen öffentlichen Urkunde; es gelten die §§ 415, 417, 418 ZPO. [LS der Redaktion]
[1]Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist begründet ...
[2]Dem Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Ausbildungsduldung steht der Versagungsgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 3 AufenthG entgegen. Danach wird die Ausbildungsduldung nicht erteilt, wenn die Identität nicht geklärt ist.
[3]Die Klärung der Identität setzt die Gewissheit voraus, dass ein Ausländer die Person ist, für die er sich ausgibt, mithin Verwechslungsgefahr nicht besteht.
[4]Vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 9. Oktober 2020
[5]Das ist hier nicht der Fall.
[6]Die - rechtlich nicht näher begründete - Annahme des Verwaltungsgerichts, die Rechtskraftwirkungen des guineischen Nachbeurkundungsurteils samt Beischreibung bänden auch die Behörden und Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland, ist unzutreffend.
[7]Nach allgemeinem Völkergewohnheitsrecht ist kein Staat verpflichtet, ausländische Urteile anzuerkennen. Soweit keine Staatsverträge geschlossen sind, ist jeder Staat frei; er kann also selbst bestimmen, ob ausländische Urteile anerkannt werden und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen.
[8]Vgl. Geimer in: Zöller, Zivilprozessordnung, Kommentar, 33. Aufl. 2020, § 328 ZPO Rn. 1; Geimer, in: Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2020, Rn. 2757.
[9]In der Bundesrepublik Deutschland kann sich eine Pflicht zur Anerkennung in erster Linie aus unionsrechtlichen Bestimmungen sowie in zweiter Linie aus völkerrechtlichen Übereinkommen ergeben, soweit diese unmittelbar anwendbares staatliches Recht geworden sind. Wenn im jeweiligen Einzelfall keine unions- oder völkervertragsrechtlichen Bestimmungen einschlägig sind, richtet sich die Anerkennung von ausländischen Entscheidungen im Bereich von Familiensachen und der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach §§ 108, 109 FamFG (vgl. § 97 Abs. 1 FamFG). Dasselbe gilt gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 PStG für Verfahren nach dem Personenstandsgesetz. Im Anwendungsbereich der Zivilprozessordnung, d. h. im Kern in Zivil- und Handelssachen, findet der mit den §§ 108, 109 FamFG weitgehend übereinstimmende § 328 ZPO Anwendung.
[10]Vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. März 2020
[11]Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren richtet sich die Anerkennung ausländischer Urteile grundsätzlich (ebenfalls) nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 328 ZPO. Dieser anerkennungsrechtlichen Grundnorm gehen jedoch auch im Verwaltungsprozess die Sonderregelungen des § 108 Abs. 1 i. V. m. § 109 FamFG vor.
[12]Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. November 2012
[13]Gemessen daran sind weder der Senat noch die Antragsgegnerin an das guineische Nachbeurkundungsurteil samt Beischreibung gebunden.
[14]Dies gilt zunächst unter Berücksichtigung von Unions- und Völkerrecht. Eine Bindung aus unionsrechtlichen Vorschriften scheidet aus, da Guinea kein Mitgliedstaat der Europäischen Union ist. Ebenso existiert kein völkerrechtlicher Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Guinea, der eine entsprechende Bindungswirkung anordnen könnte.
[15]Vgl. die Aufzählung multilateraler Übereinkommen, an denen die Bundesrepublik Deutschland beteiligt ist, sowie der Staaten, mit denen die Bundesrepublik Deutschland bilaterale Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge geschlossen hat bei Geimer, in: Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2020, Rn. 2758 ff.; Guinea ist überdies nicht am Übereinkommen der Internationalen Kommission für das Zivilstandswesen (CIEC) (https://www.personenstandsrecht.de/Webs/PERS/DE/uebereinkommen/ciec/UE_CIEC-node.html; zuletzt abgerufen am 14. Dezember 2020) beteiligt.
[16]Auch aus den innerstaatlichen Anerkennungsvorschriften des § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 328 ZPO und §§ 108, 109 FamFG folgt keine Bindungswirkung für den Senat und die Antragsgegnerin.
[17]Der konkrete Umfang der Wirkung der Anerkennung bestimmt sich in jedem Einzelfall danach, welche Wirkungen das fremde Forum nach seinem Recht seinem Urteil beimisst. Durch die Anerkennung erhält die ausländische Entscheidung keine weiterreichenden Wirkungen, als sie nach dem Recht des Erststaates hat. Die Begrenzung der Wirkungserstreckung auf den Umfang der Wirkung im ausländischen Recht gilt auch in Bezug auf die subjektiven Grenzen der Rechtskraft. Diese erstreckt sich grundsätzlich nur auf die Parteien des ausländischen Verfahrens. Ob ein Urteil ausnahmsweise eine Rechtskraftbindung auch gegenüber Dritten entfaltet, richtet sich grundsätzlich ebenfalls nach dem Recht des Urteilsstaats.
[18]Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. März 2020
[19]Hier ist bereits nichts dafür ersichtlich, dass das guineische Recht eine derartige Rechtskrafterstreckung auf Dritte vorsieht. Selbst wenn dies der Fall wäre, schlössen § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bzw. § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG eine Bindungswirkung aus.
[20]Gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO ist die Anerkennung eines Urteils eines ausländischen Gerichts ausgeschlossen, wenn die Anerkennung des Urteils zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist. Einen entsprechenden Ausschlusstatbestand enthält § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG.
[21]Die vorgenannten Ausschlussgründe stehen nicht nur der Anerkennung von Urteilen zwischen den Beteiligten sondern auch der subjektiven Rechtskrafterstreckung auf Dritte entgegen, wenn diesen in dem ausländischen Verfahren kein rechtliches Gehör gewährt worden ist. Denn der verfassungsrechtlich abgesicherte Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist Teil des deutschen ordre public.
[22]Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. März 2020
[23]Hierauf können sich auch juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden berufen.
[24]Vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2014 -
[25]Die Antraggegnerin war am gerichtlichen Verfahren in Guinea nicht beteiligt. Ihr wurde dort auch kein rechtliches Gehör gewährt. Daher scheidet eine Rechtskrafterstreckung auf diese aus. Damit ist auch der beschließende Senat an das Nachbeurkundungsurteil samt Beischreibung nicht gebunden.
[26]Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts folgt nichts Gegenteiliges aus einer E-Mail des Auswärtigen Amts vom 8. März 2017 an den damaligen Prozessbevollmächtigten des Antragstellers. Soweit es dort heißt, die beiden Urkunden [gemeint sind das Nachbeurkundungsurteil und die Beischreibung] entfalteten „nur gemeinsam Rechtskraft“, bezieht sich diese Aussage offensichtlich allein auf die Rechtslage in Guinea, ohne sich zur Frage der Rechtskrafterstreckung auf Dritte in weiteren Staaten zu verhalten. Dies verdeutlicht im Übrigen auch recht anschaulich der Hinweis in dem Schreiben der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Conakry vom 18. Oktober 2019 („Überprüfung der formalen und inhaltlichen Richtigkeit guineischer Urkunden“), der sowohl bezüglich des Nachbeurkundungsurteils als auch der Beischreibung Folgendes festhält:
[27] „Die Wirksamkeit für den deutschen Rechtskreis sowie ein evtl. ordre public-Vorbehalt o.ä. ist durch die inländische Stelle in eigener Zuständigkeit zu prüfen.“
[28]Aufgrund des Vorstehenden kommt es nicht darauf an, ob es sich bei dem Nachbeurkundungsurteil samt Beischreibung überhaupt um eine anerkennungsfähige Entscheidung handelt,
[29]vgl. zu diesem Problemkreis BGH, Beschluss vom 20. März 2019
[30]und wie der jeweilige Anwendungsbereich der vorgenannten innerstaatlichen Anerkennungsvorschriften voneinander abzugrenzen ist.
[31]Vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. März 2020
[32]Dem Nachbeurkundungsurteil samt Beischreibung kommt auch keine besondere Beweiskraft im Sinne von § 98 VwGO i. V. m. §§ 415, 417, 418 ZPO zu.
[33]Die nach § 98 VwGO anzuwendenden Vorschriften der Zivilprozessordnung über den Beweis durch öffentliche Urkunden gelten - wie die in § 438 Abs. 1 ZPO vorgesehene Echtheitsprüfung zeigt - mit Ausnahme der Echtheitsvermutung (§ 437 ZPO) auch für ausländische öffentliche Urkunden.
[34]Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juli 1986 - 9 C 8.86 (IPRspr. 1986 Nr. 159) -, juris, Rn. 25.
[35]Wird die Urkunde als echt angesehen, entspricht ihre Beweiskraft mithin der einer inländischen öffentlichen Urkunde; es gelten die §§ 415, 417, 418 ZPO.
[36]Vgl. Schreiber, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 438 ZPO Rn. 5.
[37]Angesichts der entsprechenden Ausführungen in dem Schreiben der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland D. vom 18. Oktober 2019 („Überprüfung der formalen und inhaltlichen Richtigkeit guineischer Urkunden“) hat der Senat - trotz der Aussetzung der Legalisation von Urkunden aus Guinea durch das Auswärtige Amt - keinen begründeten Anlass, an der Echtheit der beiden Dokumente zu zweifeln.
[38]Der Antragsteller kann indes aus § 98 VwGO i. V. m. §§ 415, 417, 418 ZPO nichts Tragfähiges herleiten.
[39]Gemäß § 98 VwGO i. V. m. § 415 Abs. 1 ZPO begründen Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind (öffentliche Urkunden), wenn sie über eine vor der Behörde oder der Urkundsperson abgegebene Erklärung errichtet sind, vollen Beweis des durch die Behörde oder die Urkundsperson beurkundeten Vorganges. Die erhöhte Beweiskraft einer solchen Urkunde erstreckt sich jedoch nur auf die Abgabe der beurkundeten Erklärungen, nicht auf deren inhaltliche Richtigkeit.
[40]Vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 1993
[41]Letztere unterliegt vielmehr der freien Beweiswürdigung.
[42]Vgl. Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, Kommentar, 17. Aufl. 2020, § 415 ZPO Rn. 10.
[43]Gemäß § 98 VwGO i. V. m. § 417 ZPO begründen die von einer Behörde - dazu zählen auch Gerichte - ausgestellten, eine amtliche Anordnung, Verfügung oder Entscheidung enthaltenden öffentlichen Urkunden vollen Beweis ihres Inhalts. Auch insofern beweist die entsprechende Urkunde nicht, dass deren materieller Inhalt richtig ist.
[44]Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Januar 1970
[45]Welche Beweiswirkung dem Dokument insoweit zukommt, ist (ebenfalls) in freier Beweiswürdigung zu beurteilen.
[46]Vgl. Hessischer VGH, Urteil vom 19. April 2013
[47]Nach § 98 VwGO i. V. m. § 418 ZPO begründen öffentliche Urkunden, die einen anderen als den in den §§ 415, 417 bezeichneten Inhalt haben, vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen (Absatz 1). Beruht das Zeugnis indes nicht auf eigener Wahrnehmung der Behörde oder der Urkundsperson, so ist die Vorschrift des ersten Absatzes nur dann anzuwenden, wenn sich aus den Landesgesetzen ergibt, dass die Beweiskraft des Zeugnisses von der eigenen Wahrnehmung unabhängig ist (Absatz 3).
[48]Die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde nach § 98 VwGO i. V. m. § 418 Abs. 1 ZPO reicht folglich nur so weit, wie die zur Beurkundung befugte Person die Tatsachen selbst verwirklicht oder auf Grund eigener Wahrnehmung zutreffend festgestellt hat.
[49]Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. August 2020
[50]Gemessen daran kann sich die Beweiskraft des Nachbeurkundungsurteils (samt Beischreibung) schon deshalb nicht auf die Tatsache erstrecken, dass der Antragsteller die Identität des E1. H., geboren am 18. Juni 1991, Namen der Eltern E1. sowie H1. H. besitzt, weil der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht in Guinea nicht anwesend war. Es fehlt mithin an der eigenen Wahrnehmung des Gerichts. Dem Nachbeurkundungsurteil lässt sich auch darüber hinaus nichts dafür entnehmen, dass das Gericht in Guinea auf sonstige Weise die Identität des Antragstellers auf Grund eigener Wahrnehmung festgestellt haben könnte.
[51]Unter Berücksichtigung des Vorstehenden unterliegt die Frage, ob die Identität des Antragstellers geklärt ist, der freien Beweiswürdigung des Gerichts (§§ 122 Abs. 1, 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Danach ist die Identität des Antragstellers nicht geklärt. Er selbst hat die Ausstellung des Nachbeurkundungsurteils samt Beischreibung in Guinea veranlasst. Danach lautet seine Identität „E1. H.“. Allein auf diesen Angaben beruht augenscheinlich auch die am 20. April 2020 erfolgte Ausstellung einer Konsularkarte. Dem stehen die ausführlich begründeten Erwägungen in der Stellungnahme des von der deutschen Botschaft in D. beauftragten Vertrauensanwalts entgegen, wonach der Antragsteller I. D1. heißt. Die Behauptungen in der Beschwerdeerwiderung, die Ausführungen des Vertrauensanwalts seien „einseitig und tendenziös“, ziehen die Aussagekraft der Stellungnahme (jedenfalls) nicht durchgreifend in Zweifel. Der Vorwurf, die Stellungnahme gründe allein auf den Aussagen zweier Nachbarinnen, ist unzutreffend. Denn ausweislich der Stellungnahme haben weitere „Nachbarn, Kinder und Erwachsene“, den Antragsteller auf vorgelegten Fotos identifiziert. Wieso sich angesichts des eindeutigen Ergebnisses der Untersuchung eine Befragung weiterer Familienangehöriger, ein Besuch des Friedhofs, auf dem die Mutter des Antragstellers beerdigt worden sein soll sowie das Aufsuchen von Schulen, die der Antragsteller besucht haben will, hätten „aufdrängen“ müssen, ist nicht ersichtlich. Der Verweis auf einen (vermeintlich) unergiebigen Vermerk der Antragsgegnerin vom 14. Februar 2020 zieht die Aussagekraft der Stellungnahme des Vertrauensanwalts ebenfalls nicht in Zweifel. Die These zur Möglichkeit eines sprachlichen Missverständnisses hinsichtlich des Begriffs „père adoptif“ ist rein spekulativ.
[52]Sollte der Antragsteller dennoch weiteren Aufklärungsbedarf sehen, so bleibt es ihm unbenommen, in einem Hauptsacheverfahren entsprechende Beweisanträge zu stellen.
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