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Verfahrensgang

AG Duisburg, Beschl. vom 09.06.2020 – 42 VI 926/17, IPRspr 2020-102
OLG Düsseldorf, Beschl. vom 20.11.2020 – 3 Wx 138/20, IPRspr 2020-49

Rechtsgebiete

Freiwillige Gerichtsbarkeit → Nachlasssachen
Allgemeine Lehren → Gewöhnlicher Aufenthalt

Leitsatz

Zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts i.S.d. Art. 4 EuErbVO ist eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes vorzunehmen, wobei alle relevanten Tatsachen zu berücksichtigten sind, insbesondere die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers in dem betreffenden Staat sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe. Der so bestimmte gewöhnliche Aufenthalt sollte unter Berücksichtigung der spezifischen Ziele der europäische Erbrechtsverordnung eine besonders enge und feste Bindung zu dem betreffenden Staat erkennen lassen. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BGB § 1371
EuErbVO 650/2012 ; EuErbVO 650/2012 Art. 4
FamFG § 343

Sachverhalt

Der auf Gran Canaria in Spanien verstorbene Erblasser hinterließ als gesetzliche Erben seine Mutter (Beteiligte zu 1.), seinen Bruder (Beteiligter zu 2.), seine Schwester (Beteiligte zu 3.) und seinen Lebenspartner (Beteiligter zu 4.). Der Vater des Erblassers war vorverstorben. Der Erblasser hinterließ keine Abkömmlinge. Unter dem 27.08.2015 schloss der Erblasser mit dem Beteiligten zu 4.) einen Lebenspartnerschaftsvertrag, der u.a. folgendes beinhaltete: "Für den Fall, dass unser Güterstand auf andere Weise als durch Tod, insbesondere durch Aufhebung der Partnerschaft, aufgelöst wird, schließen wir den Zugewinnausgleich vollständig aus. Klarstellend bemerken wir, dass es im Falle der Auflösung unserer Lebenspartnerschaft durch den Tod eines Partners bei der Erhöhung des gesetzlichen Erbteils gemäß § 1371 BGB verbleibt." Unter dem 27.08.2015 ließen der Erblasser und der Beteiligte zu 4.) vor einem Notar in Duisburg eine Generalvollmacht, Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung beurkunden.

Die Beteiligten zu 1.)-4.) beantragten 2017 beim AG Duisburg die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, welcher die Beteiligte zu 1.) zu 1/8, die Beteiligten zu 2.)-3.) zu 1/16 und den Beteiligten zu 4.) zu 3/4 als Erben ausweist. Der Beteiligte zu 4.) erschien am 13.12.2017 zur Beurkundung des Erbscheinsantrags. Eine Anhörung der Beteiligten zu 1.)-3.) zu dem beurkundeten Erbscheinsantrag vom 13.12.2017 unterließ der zuständige Rechtspfleger. Unter dem 13.12.2017 wurde der beantragte Erbschein antragsgemäß erlassen. Neben Mobiliarvermögen hinterließ der Erblasser Immobilien in Deutschland und 5 Bungalows auf Gran Canaria (Spanien), welche er ab Januar 2014 sukzessive erwarb. 2019 beantragen die Beteiligten zu 1.)-3.) die Einziehung des am 13.12.2017 erlassenen Erbscheins. Der Beteiligte zu 4.) widerspricht der Einziehung des Erbscheins.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]Der Antrag auf Einziehung des Erbscheins war zurückzuweisen, weil der streitgegenständliche Erbschein nicht zu Unrecht erteilt worden ist.

[3]Das angerufene Gericht war international zuständig i.S.d. Artikel 4 der EuErbVO, da der Erblasser im Gerichtsbezirk des Amtsgerichts Duisburg seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

[4]Zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts ist eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes vorzunehmen, wobei alle relevanten Tatsachen zu berücksichtigten sind, insbesondere die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers in dem betreffenden Staat sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe. Der so bestimmte gewöhnliche Aufenthalt sollte unter Berücksichtigung der spezifischen Ziele der europäische Erbrechtsverordnung eine besonders enge und feste Bindung zu dem betreffenden Staat erkennen lassen (vgl. hierzu Beschluss des OLG Hamburg vom 16.11.2016; Az.: 2 W 85/16 (IPRspr 2016-197)). Unter Würdigung der sich aus den Schriftsätzen und Belegen ergebenden Umstände lässt sich nach Ansicht des Gerichts ein "Schwerpunktaufhenthalt" des Erblassers in Spanien nicht feststellen. Das Nachlassgericht war dementsprechend auch international zuständig i.S.d. Art. 4 der EuErbVO.

[5]Für die Frage der internationalen Zuständigkeit eines Nachlassgerichts ist gem. Art. 4 der der EuErbVO maßgebend, an welchem Ort der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Der Begriff "gewöhnlicher Aufenthalt" wird in der Verordnung nicht definiert. Insbesondere hat sich der europäische Gesetzgeber dagegen entschieden, eine Mindestaufenthaltsfrist für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers festzulegen, da eine solche Frist zu "willkürlichen Ergebnissen" führen würde (vgl. hierzu: MüKoBGB/Dutta, 7. Auflg. 2018, EuErbVO Art. 4 Rdnr. 2). Beim "gewöhnlichen Aufenthalt" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der den Gerichten einen erheblichen Entscheidungsspielraum einräumt und autonom auszulegen ist. Dabei sind sämtliche tatsächlichen Umstände des Einzelfalls daraufhin zu untersuchen, ob sie belegen können, dass es sich nicht nur um eine vorübergehende oder gelegentliche Anwesenheit handelt und ob der Aufenthalt Ausdruck einer gewissen Integration in ein soziales und familiäres Umfeld ist. Allgemein zu berücksichtigende Faktoren sind die Dauer, die Regelmäßigkeit und die Umstände des Aufenthaltes, die Gründe für diesen Aufenthalt, die Staatsangehörigkeit, die Sprachkenntnisse sowie die familiären und sozialen Bindungen der betreffenden Person. Bedeutung wird zudem dem nach außen manifestierten Bleibewillen des Betreffenden beigemessen (vgl. MüKoBGB, a.a.O. Rdnr. 3 und 4). Die Wendung "gewöhnlicher Aufenthalt" setzt eine "gewisse Beständigkeit und Regelmäßigkeit" voraus.

[6]Bei einer Gesamtschau der hier vorliegenden Faktoren lässt sich nicht feststellen, dass der Erblasser seinen "gewöhnlichen Aufenthalt" zuletzt in Spanien hatte.

[7]Zwar hat der Erblasser auf der einen Seite ab Januar 2014 insgesamt fünf Immobilien auf Gran Canaria erworben, 2015 seine von ihm bewohnte "Villa" in Duisburg und seine Fahrzeuge veräußert und im Juli 2015 auch die von ihm betriebene Bäckerei aufgegeben und die Immobilien an die Firma "..." vermietet. Auch hat der Erblasser ab 2016 bis zu seinem Tod sich zum weitaus überwiegenden Teil in Spanien aufgehalten, wobei er jeweils in einer seiner Immobilien gewohnt hat.

[8]Auf der anderen Seite hatte er jedoch auch noch Immobilienbesitz in Deutschland (...Duisburg; ... Duisburg; vermietetes Ladenlokal auf der ... in Duisburg), wobei dahingestellt bleiben kann, inwieweit seine Anwesenheit in Deutschland zur Verwaltung des vermieteten Immobilienbesitzes erforderlich war. Darüber hinaus ist nach den von dem Beteiligten ... vorgelegten schriftlichen Belegen der Ärzte ... davon auszugehen, dass der Erblasser sich in den letzten Jahren vor seinem Tod zumindest in regelmäßigen Abständen auch in Deutschland aufgehalten und dann in der Wohnung seiner Bekannten in Düsseldorf gewohnt hat. Insoweit bedurfte es auch keiner Vernehmung des Zeugen .... Soweit die Antragsteller vortragen, der Erblasser und der Beteiligte zu 4.) hätten nie in der Wohnung der Mutter (... Duisburg) gewohnt, so wird dies vom Beteiligten zu 4.) auch nicht behauptet.

[9]Es bedurfte insoweit keiner Beweisaufnahme über die genaue Dauer des Aufenthaltes des Erblassers in Spanien und in Deutschland in den Jahren 2016 und 2017. Das Gericht geht nach den Angaben der Beteiligten davon aus, dass der Erblasser sich in der Zeit von 2016 bis zu seinem Tod zum überwiegenden Anteil auf Gran Canaria aufgehalten hat, zumal auch der Beteiligte zu 4.) vorträgt, dass der Erblasser sich auch für längere Zeiten - manchmal für Monate - in Spanien aufgehalten habe. Dieser Umstand allein führt jedoch nicht zu der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthaltes dort. Auch wenn die Dauer des Aufenthaltes in Spanien in den letzten Jahren vor seinem Tod im Vergleich zur Aufenthaltsdauer in Deutschland zeitlich deutlich überwogen haben mag, ist anhand der von den Ärzten dokumentierten Arzttermine (...) davon auszugehen, dass der Erblasser sich in den Jahren vor seinem Tod auch noch häufig in Deutschland aufgehalten hat. Auch wenn die Gründe für die Arztbesuche dahingestellt bleiben können, belegen diese Schreiben, dass der Erblasser sich für seine Gesundheitsvorsorge und zur ärztlichen Behandlung regelmäßig in Deutschland aufgehalten hat. Den vorgelegten Belegen der Freunde/Bekannte des Erblassers ist darüber hinaus zu entnehmen, dass er auch seine sozialen Kontakte in Duisburg weiterhin gepflegt hat und sich in regelmäßigen Abständen mit ihnen getroffen hat.

[10]Zwar hat der Erblasser, wie von beiden Seiten vorgetragen, nicht unter der Anschrift "... Duisburg" gewohnt und diese Adresse lediglich als "Postadresse" verwendet, wobei hier dahingestellt bleiben kann, ob die Anmeldung unter der Adresse seiner Mutter mit oder ohne deren Wissen erfolgt ist. Gegen die Annahme eines "gewöhnlichen Aufenthaltes" in Spanien spricht vorliegend der Umstand, dass der Erblasser in Spanien keinen Wohnsitz angemeldet (keine Residencia) hat und er zumindest keine vertieften Sprachkenntnisse der Landessprache hatte. Auch wenn viele Einheimische auf Gran Canaria Deutsch sprechen mögen, so stellen nennenswerte Sprachkenntnisse des Landes einen Umstand dar, der bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigen ist (vgl. hierzu: MüKoBGB/Dutta, 7. Auflg. 2018, EuErbVO Art. 4 Rdnr. 3 und 4). Soweit die Beteiligten zu 1.) - 3.) vortragen, der Erblasser habe begonnen, spanisch zu lernen, trägt der Beteiligte zu 4.) vor, der Spanischkurs sei mangels Interesses nach 5-6 Terminen abgebrochen worden.

[11]Ferner spricht gegen die Annahme eines "gewöhnlichen Aufenthaltes" in Spanien, dass der Erblasser nach dem Hausverkauf im Jahr 2015 einen Teil seiner persönlichen Gegenstände (wie Fotos, Akten) im Haus seiner Mutter bzw. einen Großteil seiner Möbel in der Wohnung seiner Bekannten in Düsseldorf eingelagert hat. Auch wenn in Spanien Immobilien grundsätzlich möbliert erworben werden mögen, spricht der Umstand, dass die in Deutschland befindlichen persönlichen Gegenstände nicht veräußert bzw. nach Spanien verbracht worden sind, dafür, dass der Erblasser auch in Deutschland noch verwurzelt war.

[12]Für einen "gewöhnlichen Aufenthalt" in Deutschland spricht ferner, dass der Erblasser in Deutschland noch unbeschränkt steuerpflichtig war und noch im August 2015 in Deutschland mit dem Beteiligten ... eine Lebenspartnerschaft eingegangen ist. Der Umstand, dass der Lebenspartnerschaftsvertrag die Erhöhung des gesetzlichen Erbteils nach § 1371 BGB beim Tod des Partners beinhaltete, zeigt eine Verbundenheit zum deutschen Recht und damit zu Deutschland.

[13]Zwar ist die Mutter des Erblassers zusammen mit ihrem Lebensgefährten im April 2016 vom spanischen Festland aus ebenfalls nach Gran Canaria in die Nähe der Wohnung des Erblassers gezogen. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob der Erblasser seine Mutter und deren Lebensgefährten deshalb auf die Insel geholt hat, um sich besser um beide kümmern zu können. Da die Mutter und ihr Lebensgefährte vor ihrem Umzug auf die Insel bereits seit 6 Jahren auf dem spanischen Festland gelebt hatten, ist zumindest davon auszugehen, dass sie Spanien nicht als Land ihres Wohnortes ausgewählt haben, weil der Erblasser dort lebte. Auch wenn die Beteiligte zu 1.) und ihr Lebensgefährte in der Zeit vor dem Tod viel Zeit mit dem Erblasser auf der Insel verbracht haben mögen, stellen die Mutter und ihr Lebensgefährte die einzigen Sozialkontakte des Erblassers auf der Insel dar. Weitere familiäre und soziale Bindungen in Spanien sind nicht ersichtlich. Dass der Erblasser sich in das soziale Umfeld auf Gran Canaria integriert hätte, wird weder vorgetragen noch ist dies sonstwie ersichtlich. Auch ist zu berücksichtigen, dass der Erblasser in Deutschland noch Verwandte und Freunde hatte, die er regelmäßig besucht hat und z.B. noch seine ehrenamtliche Arbeit für den ... Duisburg fortgesetzt hat.

[14]Angesichts der Betonung einer Integration in ein familiäres und soziales Umfeld wird man bei Erblassern, die ihren Lebensabend im Ausland genießen, ohne die dortige Sprache zu beherrschen oder jedenfalls dort persönliche Kontakte zu pflegen (Stichwort: Mallorca-Rentner) einen gewöhnlichen Aufenthalt im Herkunftsland annehmen (Saenger, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 8. Auflg. 2019, EuERbVO Art, 4, Rdnr 11).

[15]Nach den vorstehenden Erwägungen geht das Gericht davon aus, dass sich ein "Schwerpunktaufenthalt" in Spanien nicht feststellen lässt und der Erblasser vielmehr in den letzten Jahren vor seinem Tod zwischen Deutschland und Spanien "gependelt" ist.

[16]Der Erwägungsgrund Nr. 24 der Verordnung (EU) Nr. 620/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses sieht hierzu folgendes vor:

[17]"Weitere komplexe Fälle können sich ergeben, wenn der Erblasser abwechselnd in mehreren Staaten gelebt hat oder auch von Staat zu Staat gereist ist, ohne sich in einem Staat für längere Zeit niederzulassen. War der Erblasser ein Staatsangehöriger eines dieser Staaten oder hatte er alle seine wesentlichen Vermögensgegenstände in einem dieser Staaten, so könnte seine Staatsangehörigkeit oder der Ort, an dem diese Vermögensgegenstände sich befinden, ein besonderer Faktor bei der Gesamtbeurteilung aller tatsächlichen Umstände sein."

[18]Da der Erblasser in beiden Ländern Vermögensgegenstände von nicht unerheblichem Wert hatte, ist nach dem vorgenannten Erwägungsgrund die Staatsangehörigkeit des Erblassers ein besonderer Faktor bei der Gesamtbeurteilung, die vorliegend somit gegen Spanien als "gewöhnlicher Aufenthalt" spricht.

[19]Auch eine mangelnde örtliche Zuständigkeit des Nachlassgerichts lässt sich nicht feststellen. Da der Erblasser nach den obigen Erwägungen wegen des "Pendellebens" noch keinen neuen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hat, ist gem. § 343 Abs. 2 FamFG auf den letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland - d.h. Duisburg - abzustellen, sodass auch die örtliche Zuständigkeit des den Erbschein erteilenden Nachlassgerichts gegeben war.

[20]III. ...

Fundstellen

LS und Gründe

BeckRS, 2020, 52028

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2020-102

Lizenz

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