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Verfahrensgang

AG Düren, Beschl. vom 20.12.2017 – 80 VI 556/17
OLG Köln, Beschl. vom 04.07.2018 – 2 Wx 222/18, IPRspr 2018-205
OLG Köln, Vorlagebeschl. vom 28.08.2020 – 2 Wx 107/20, IPRspr 2020-93
EuGH, Urt. vom 09.09.2021 – C-422/20

Rechtsgebiete

Erbrecht → Erbrecht gesamt bis 2019
Freiwillige Gerichtsbarkeit → Nachlasssachen

Leitsatz

Der gewöhnlichen Aufenthalt des Erblasser im Zeitpunkt seines Todes nach Art. 4 EuErbVO befindet sich nicht in Deutschland, sondern in Spanien, wenn der Erblasser sich lediglich noch zu einer Heilbehandlung einige Wochen lang in Deutschland, ansonsten aber in Spanien aufgehalten hat.

Die internationale Zuständigkeit der deutschen Nachlassgerichte kann nicht auf § 105 in Verbindung mit § 343 II, III FamFG gestützt werden. Die entsprechende Regelung, die an die örtliche Zuständigkeit anknüpft, ist mit Art. 4 EuErbVO nicht vereinbar, weil sich die in der Verordnung geregelte internationale Zuständigkeit – auch – auf nationale Nachlasszeugnisse wie den Erbschein deutschen Rechts bezieht. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EuErbVO 650/2012 Art. 4; EuErbVO 650/2012 Art. 15
FamFG § 105; FamFG § 343

Sachverhalt

Mit notariell beurkundetem Antrag vom 23.3.2017 hat die Bet. zu 1) beim AG Düren auf der Grundlage eines Testaments vom 14.6.1990 die Erteilung eines Alleinerbscheins beantragt. Die ASt., Ehefrau des Erblassers, hat erklärt, der letzte erste Wohnsitz des Erblassers sei in I gewesen. Nach ihren Angaben hatten die Eheleute in Spanien ein gemeinsames Haus, dort ihren zweiten Wohnsitz angemeldet und sich auch zuletzt überwiegend aufgehalten. Im November 2015 habe sich der Erblasser nur für ca. vier bis fünf Wochen in Deutschland (Krankenhaus und Reha) aufgehalten. In Deutschland hatten die Eheleute nach den Angaben der ASt. keine Immobilie. Dem Antrag ist der Bet. zu 2) entgegengetreten; insbesondere hat er ausdrücklich die internationale Zuständigkeit des AG gerügt.

Mit Beschluss vom 20.12.2017 hat der Nachlassrichter die zur Erteilung des beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Bet. zu 2) mit der Beschwerde. Der Beschwerde hat das AG nicht abgeholfen und die Sache zur Entscheidung dem OLG vorgelegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]2. Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

[2]Der Feststellungsbeschluss des AG unterliegt der Aufhebung, und das AG ist nach Art. 15 EuErbVO für unzuständig zu erklären, weil es an der internationalen Zuständigkeit der deutschen Nachlassgerichte für das vorliegende Erbscheinsverfahren mangelt ...

[3]Die internationale Zuständigkeit der deutschen Nachlassgerichte kann nicht auf § 105 i.V.m. § 343 II, III FamFG gestützt werden. Die entsprechende, an die örtliche Zuständigkeit anknüpfende Regelung ist nicht mit Art. 4 EuErbVO vereinbar, weil sich die in der Verordnung geregelte internationale Zuständigkeit – auch – auf nationale Nachlasszeugnisse wie den Erbschein deutschen Rechts bezieht.

[4]In dem nach Erlass der angefochtenen Entscheidung des AG ergangenen Urteil des EuGH vom 21.6.2018 (Vincent Pierre Oberle, Rs C-20/17, NJW 2018, 2309, juris Tz. 576 f.) ist ausgeführt:

[5]‚Die Auslegung von Art. 4 der Verordnung [EuErbVO], wonach diese Bestimmung die internationale Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten für die Verfahren zur Ausstellung der nationalen Nachlasszeugnisse festlegt, wirkt im Interesse einer geordneten Rechtspflege innerhalb der Union auf die Verwirklichung dieses Ziels hin, indem sie die Gefahr von Parallelverfahren vor den Gerichten der verschiedenen Mitgliedstaaten sowie von daraus resultierenden Widersprüchen einschränkt.

[6]Hingegen wäre die Erfüllung der mit der VO Nr. 650/2012 [EuErbVO] angestrebten Zwecke beeinträchtigt, wenn in einer Konstellation wie im Ausgangsverfahren die Bestimmungen des Kapitels II der Verordnung, insbesondere ihr Art. 4, dahin ausgelegt würden, dass sie nicht die internationale Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte für die Verfahren zur Ausstellung der nationalen Nachlasszeugnisse regeln.’

[7]Die Entscheidung des EuGH ist zwar zu einem Fall ergangen, in welchem die internationale Zuständigkeit (des AG Schöneberg) nach § 105 i.V.m. § 343 III FamFG in Rede stand. Nach den vom EuGH angeführten Grundsätzen steht Art. 4 EuErbVO aber auch einer internationalen Zuständigkeit der deutschen Nachlassgerichte auf der Grundlage des § 105 i.V.m. § 343 II FamFG entgegen.

[8]Eine mit Art. 4 EuErbVO nicht vereinbare Regelung der internationalen Zuständigkeit beinhaltet ebenso § 105 i.V.m. § 343 II FamFG. Denn diese Regelung knüpft an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland an, während Art. 4 EuErbVO auf den gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt des Todes abstellt. Die Gefahr von Parallelverfahren vor Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten wird durch die Anknüpfung der internationalen Zuständigkeit an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland ebenso hervorgerufen wie durch die Anknüpfung an die Voraussetzungen des § 343 III FamFG.

[9]Nach Art. 4 EuErbVO sind für Entscheidungen in Erbsachen für den gesamten Nachlass die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Unter Zugrundelegung der Angaben der ASt. hatte der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland, sondern in Spanien. Denn er hat sich lediglich noch zu einer Heilbehandlung im Jahre 2015 einige Wochen lang in Deutschland aufgehalten, ansonsten die übrige Zeit in Spanien, wo die Eheleute eine Immobilie hatten.

Fundstellen

LS und Gründe

ZEV, 2019, 352

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2018-205

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