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Verfahrensgang

BFH, Urt. vom 07.12.2017 – IV R 23/14, IPRspr 2017-3

Rechtsgebiete

Allgemeine Lehren → Ermittlung, Anwendung und Revisionsfähigkeit ausländischen Rechts
Vertragliche Schuldverhältnisse → Allgemeines Vertragsrecht

Leitsatz

Hat das Tatsachengericht einen Vertrag, der ausländischem (hier: kalifornischem) Recht unterliegt, nach deutschem Recht ausgelegt, liegt darin ein Verstoß gegen Art. 32 I Nr. 1 in Verbindung mit Art. 27 I 1 EGBGB alter Fassung und mithin ein Verstoß gegen materielles Bundesrecht vor, der vom Revisionsgericht ohne Rüge zu berücksichtigen ist. [LS von der Redaktion ergänzt]

Rechtsnormen

BGB § 133; BGB § 157
EGBGB Art. 27; EGBGB Art. 32
FGO § 118; FGO § 126; FGO § 155
ZPO § 293; ZPO § 560

Sachverhalt

[Auf den Abdruck der im Wesentlichen inhaltsgleichen Parallelentscheidung gleichen Datums – IV R 37/16 – wird verzichtet.]


Die Kl. ist eine gewerblich geprägte GmbH & Co. KG, deren Unternehmensgegenstand die Entwicklung, Produktion, Verwertung, Vermarktung sowie Vertrieb/Lizenzierung eines Filmprojekts war. Sie wurde im Juli 2000 mit fester, verlängerbarer Laufzeit bis März 2009 gegründet und befindet sich seitdem in Liquidation. Im Juli 2000 erwarb die Kl. die Filmherstellungsrechte, beauftragte eine Produktionsdienstleisterin mit der Herstellung des Films (sog. unechten Auftragsproduktion) und sicherte das Herstellungsrisiko durch eine sog. Fertigstellungsgarantie ab. Im September 2000 schloss die Kl. einen Spielfilmvertriebsvertrag mit einem Vertriebsunternehmen (VU). Darin räumte sie VU die alleinigen weltweiten Verwertungsrechte bis März 2009 ein. Der Vertrag unterlag nach Klausel 34 dem Recht des US-Bundesstaats Kalifornien. Zum November 2009 veräußerte die Kl. ihre Filmrechte an ein mit VU verbundenes Unternehmen. In ihrer Feststellungserklärung für 2001 erklärte die Kl. u.a. einen laufenden Gesamthandsgewinn von ... DM. Sie wurde zunächst erklärungsgemäß veranlagt. Im Rahmen einer Betriebsprüfung befand der Prüfer, dass der Schuldübernahmevertrag zu einer krassen Verschiebung der Risikoverteilung zwischen der Kl. und VU führe; der bisher festgestellte laufende Gesamthandsgewinn sei um die Kaufpreisforderung zu erhöhen.

Dem folgte der Bekl. (das FA) und erließ einen entspr. geänderten Bescheid, der im Wege einer Sprungklage zunächst Gegenstand des Klageverfahrens der Vorinstanz wurde. Im Rahmen des Klageverfahrens hielt das FA an seiner Auffassung, es sei eine Kaufpreisforderung zu aktivieren, nicht mehr fest, sondern ging davon aus, dass die Schlusszahlung über den Lizenzzeitraum gleichmäßig verteilt zu aktivieren sei (sog. Linearisierung). Dementsprechend erließ es unter dem 23.1.2012 einen Änderungsbescheid, in dem es den laufenden Gesamthandsgewinn der Kl. nun mit ... DM feststellte. Dabei berücksichtigte es die Schlusszahlung anteilig mit einem Betrag von ... DM.

Das FG München wies die Klage, die sich nun gegen diesen solchermaßen geänderten Gewinnfeststellungsbescheid richtete, mit Urteil vom 2.4.2014 (1 K 1807/10) als unbegründet ab. Hiergegen richtet sich die Kl. mit der Revision.

Aus den Entscheidungsgründen:

II. [20] Die Revision der Kl. ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 III 1 Nr. 2 FGO). Zu Unrecht hat das FG die Auslegung des Vertriebsvertrags nach deutschem Recht vorgenommen (1.) ...

[21] 1. ... [26] b) Für die Frage, ob und wenn ja in welchem Umfang der Leistungsverpflichtete seine Leistung erbracht hat und ihm der Anspruch auf die Gegenleistung so gut wie sicher ist, kommt es darauf an, zu welcher Leistung der Leistungsverpflichtete überhaupt verpflichtet ist. Dies muss durch Auslegung des zugrunde liegenden Vertrags ermittelt werden.

[27] Unterliegt dieser Vertrag gemäß den Vorschriften des IPR ausländischem Recht, ist die Auslegung des Vertrags nach jenem ausländischen Recht vorzunehmen. Denn das auf einen Vertrag anzuwendende Recht (das Vertragsstatut) ist maßgebend für die Vertragsauslegung [Art. 32 I Nr. 1 i.V.m. Art. 27 I 1 EGBGB a.F.; vgl. Palandt-Thorn, BGB, 77. Aufl., Rom I (IPR), Vorb Rz 1].

[28] ... Das deutsche Gericht hat das ausländische Recht so anzuwenden, wie es die Gerichte des ausländischen Staats auslegen und anwenden (z.B. BGH, Urt. vom 7.6.2016 – KZR 6/15 (IPRspr 2016-311), BGHZ 210, 292 Rz 70 m.w.N.).

[29] c) Diese Grundsätze hat das FG nicht beachtet, so dass seine Entscheidung keinen Bestand haben kann.

[30] aa) Obwohl die Parteien in Klausel 34 des Vertriebsvertrags die Geltung kalifornischen Rechts vereinbart haben, ist das FG den deutschen Grundsätzen über die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen gefolgt. Es hat die Vertragsinterpretation ausdrücklich nach Maßgabe der §§ 133, 157 BGB vorgenommen [vgl. II. 3. a) bb) (1) (d)]. Bei der Bestimmung von Begriffen hat es sich ebenfalls vom deutschen Rechtsverständnis leiten lassen. So wurde z.B. der Begriff der ‚Schlusszahlung’ unter Verweis auf § 16 III der deutschen Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen definiert [vgl. II. 3. a) bb) (2) (a)].

[31] bb) Auch wenn das FG nicht ausdrücklich festgestellt hat, dass der Vertriebsvertrag nach seiner Klausel 34 dem Recht des Bundesstaats Kalifornien unterliegt, darf die Revisionsinstanz diesen Umstand berücksichtigen. Denn durch Bezugnahme auf die Vertragsurkunde (unter I.) ist deren Inhalt Bestandteil des angefochtenen Urteils geworden (vgl. BFH, Beschl. vom 17.7.1967 – GrS 3/66, BFHE 91, 213, BStBl. II 1968, 285, unter III. 2; BFH-Urteile vom 4.11.1992 – X R 212/87, BFH/NV 1993, 235, unter 4. a, und vom 24.8.2004 – VII R 50/02, BFHE 206, 488, unter II. 2).

[32] cc) Das Revisionsgericht hat die Maßgeblichkeit kalifornischen Rechts auch ohne Rüge der Verfahrensbeteiligten zu beachten.

[33] (1) Es gehört zu den Aufgaben des FG als Tatsacheninstanz, das einschlägige ausländische Recht festzustellen (§ 155 FGO i.V.m. § 293 ZPO). Fehler bei der Ermittlung dieses Rechts kann das Revisionsgericht nur aufgrund einer entspr. Verfahrensrüge prüfen. Wird eine solche Rüge nicht erhoben und beruhen die Feststellungen auch nicht auf einem nur kursorischen Überblick über die zu behandelnde Materie, ist der BFH gemäß § 118 II FGO an die Feststellungen zum ausländischen Recht wie an Tatsachenfeststellungen gebunden (BFH-Urteile vom 15.3.1995 – I R 14/94, BFHE 177, 263, BStBl. II 1995, 502, unter II. 4, und vom 13.6.2013 – III R 63/11, BFHE 242, 34, BStBl. II 2014, 711, Rz 34).

[34] (2) Diese Grundsätze gelten jedoch nur, wenn das FG die Anwendbarkeit ausländischen Rechts erkannt, dieses aber fehlerhaft festgestellt hat. Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass die Geltung ausländischen Rechts übersehen wurde. Zwar bindet den BFH die Entscheidung der Vorinstanz über Bestehen und Inhalt nicht-revisiblen Rechts (§ 155 FGO i.V.m. § 560 ZPO). Hat der Tatrichter aber eine Rechtsfrage, für die nicht-revisibles Recht galt, nach revisiblem Recht entschieden oder umgekehrt, oder hat er einen Vertrag, auf den nicht-revisibles Recht anzuwenden war, nach revisiblem Recht ausgelegt oder umgekehrt, dann bedeuten Anwendung bzw. Nichtanwendung revisiblen Rechts eine Verletzung revisibler Rechtssätze. Ein solcher Verstoß gegen (materielles) Bundesrecht ist vom BFH ohne Rüge zu berücksichtigen [vgl. BFH-Urteil vom 15.12.1992 – VIII R 42/90, BFHE 170, 345, BStBl II 1994, 702, unter II. 3. b); BGH-Urteil vom 24.11.1989 – V ZR 240/88 (IPRspr. 1989 Nr. 3), unter I. 2; Gräber-Ratschow, FO, 8. Aufl., § 118 Rz. 62).

[35] (3) So liegt es hier. Die Vorinstanz hat den Vertriebsvertrag trotz abweichenden Vertragsstatuts nach deutschem Recht ausgelegt und dadurch gegen Art. 32 I Nr. 1 i.V.m. Art. 27 I 1 EGBGB a.F. verstoßen. Das Urteil war folglich aufzuheben.

[36] 2. Der Senat kann mangels Spruchreife nicht in der Sache entscheiden. Denn das FG hat bislang keine Feststellungen zum kalifornischen Recht getroffen.

[37] a) Die Feststellung ausländischen Rechts obliegt dem Tatrichter. Sie ist von Amts wegen vorzunehmen [§ 155 FGO i.V.m. § 293 ZPO; BFH-Urteile vom 15.3. 1995 aaO, vom 13.6.2013 aaO Rz 28; BVerwG, Urt. vom 19.7.2012 – 10 C 2/12 (IPRspr 2012-3), BVerwGE 143, 369 Rz 14; BGH, Urt. vom 30.4.1992 – IX ZR 233/90 (IPRspr. 1992 Nr. 265), BGHZ 118, 151, unter B. I. 2. b) bb) m.w.N.]. Das Gericht hat dabei nicht nur die ausländischen Rechtsnormen, sondern auch deren Anwendung in der Rechtspraxis zu ermitteln. Das Recht ist als Ganzes, d.h. in seinem systematischen Kontext, mit Hilfe der im ausländischen Rechtssystem gebräuchlichen Methoden und unter Einbeziehung der ausländischen Rspr. u. Lit. zu erfassen [vgl. BVerwG, Urt. vom 19.7.2012 aaO; BGH-Urteile vom 30.3.1976 – VI ZR 143/74 (IPRspr. 1976 Nr. 2), unter B. II. a); vom 23.6.2003 – II ZR 305/01 (IPRspr. 2003 Nr. 1b), unter II. 2. a), und vom 14.1.2014 – II ZR 192/13 (IPRspr 2014-276), Rz 15].

[38] b) Die Art und Weise der Ermittlung ausländischen Rechts steht im tatrichterlichen Ermessen (BFH-Urteile vom 19.12.2007 – I R 46/07, BFH/NV 2008, 930, unter II. 2. b) aa), BFHE 242, 34, BStBl. II 2014, 711 Rz 27).

[39] aa) Besitzt der erkennende Richter keine ausreichenden eigenen Kenntnisse, kann er – wenn ein Staatsvertrag dies vorsieht – amtliche Auskünfte bei Behörden des betreffenden Landes oder bei deutschen Botschaften, Konsulaten und Ministerien einholen.

Zudem besteht die Möglichkeit, ein wissenschaftliches Institut (Universitäts- oder Max-Planck-Institut) oder einen sonstigen Sachverständigen mit der Erstattung eines Rechtsgutachtens zu beauftragen [vgl. BGH-Urteile vom 21.1.1991 – II ZR 50/90 (IPRspr. 1991 Nr. 1b (nur Hinweis)), unter 1., und vom 13.5.1997 – IX ZR 292/96 (IPRspr. 1997 Nr. 2), unter II. 3. c); Stein-Jonas-Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 293 Rz 37 ff.; MünchKommZPO-Prütting, 5. Aufl., § 293 Rz. 24 ff.). Die Einschaltung eines wissenschaftlichen Instituts genügt allerdings nicht, wenn es im konkreten Fall entscheidend auf die ausländische Rechtspraxis ankommt und der Gutachter nicht über spezielle Kenntnisse derselben verfügt, sondern allein auf die Auswertung der ihm zugänglichen Literatur angewiesen ist (BGH, Urt. vom 21.1.1991 – II ZR 49/90 (IPRspr. 1991 Nr. 1b)).

[40] bb) Da der Inhalt ausländischen – wie inländischen – Rechts regelmäßig nur im Wege richterlicher Erkenntnis festgestellt werden kann, kommt dem Gericht bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit von Aufklärungsmaßnahmen eine besondere Verantwortung zu (BVerwG, Urt. vom 19.7.2012 aaO Rz 15).

[41] c) Im Streitfall fehlen v.a. Feststellungen zu den Grundsätzen, nach denen Willenserklärungen und Verträge nach kalifornischem Recht auszulegen sind. Auch ist nicht aufgeklärt, ob das kalifornische Zivilrecht Begriffe wie ‚Fälligkeit’ und ‚aufschiebende’ sowie ‚auflösende Bedingung’ kennt und ob es diesen Begriffen die gleiche Bedeutung wie das deutsche Zivilrecht beimisst. Nicht festgestellt ist zudem, wie im Vertriebsvertrag verwendete, entscheidungserhebliche Begriffe – wie ‚Call Option’ und ggf. ‚Final Payment’ – nach kalifornischem Rechtsverständnis zu beurteilen sind. Durch die Zurückverweisung erhält das FG Gelegenheit, die erforderlichen Feststellungen zum kalifornischen Recht nachzuholen.

Fundstellen

LS und Gründe

BFHE, 260, 312
BB, 2018, 687, m. Anm. Heß
DStR, 2018, 407
DStRK, 2018, 119, m. Anm. Mückl
NZG, 2018, 433
RIW, 2018, 469

Bericht

Bourgon, BB, 2018, 488

Aufsatz

Binnewies/Gomes, Die AG, 2018, 219

nur Leitsatz

DZWIR, 2018, 300
IWB, 2018, 370, m. Anm. Lieber

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