PDF-Version

Verfahrensgang

OLG Hamm, Urt. vom 29.03.2017 – 8 U 20/16, IPRspr 2017-254

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Versicherungs-, Verbraucher-, Arbeitsgerichtsstand
Vertragliche Schuldverhältnisse → Allgemeines Vertragsrecht

Leitsatz

Eine Vermögensanlage zu privaten Zwecken stellt auch dann eine Verbrauchersache im Sinne von Art. 17 ff. EuGVO dar, wenn die Vermögensanlage als Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft in Gestalt einer Publikumsgesellschaft ausgestaltet ist.

Art. 17 I lit. c EuGVO gilt für alle Verbraucherverträge, die nicht von Art. 17 I litt. a und b EuGVO erfasst sind, also auch private Vermögensanlagen.

Ein „Ausrichten" der Tätigkeit auf einen bestimmten Staat (hier: Österreich) setzt zumindest voraus, dass der Vertragspartner des Verbrauchers bereits vor Vertragsabschluss seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern (auch) in diesem Staat herzustellen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Vertragspartner seine Produkte in dem betreffenden Staat anbietet, und sei es durch einen dort ansässigen Vermittler.

Für die Anwendung des Art. 17 I lit. c EuGVO ist nicht erforderlich, dass der Verbraucher den fraglichen Vertrag in seinem Wohnsitzstaat abgeschlossen hat. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EuGVVO 1215/2012 Art. 7; EuGVVO 1215/2012 Art. 17; EuGVVO 1215/2012 Art. 17 ff.; EuGVVO 1215/2012 Art. 18
ZPO § 513; ZPO § 531

Sachverhalt

Der in Österreich lebende Bekl. beteiligte sich 2006 mit einer Einlage als Treugeberkommanditist an der Kl., einer Fondsgesellschaft, deren Gegenstand nach Gesellschaftsvertrag der Erwerb und der Betrieb des Containerschiffs X ist. Infolge der Schiffsmarktkrise bat die Kl. 2012 um Mitwirkung bei der Kapitalerhöhung und erklärte die Kündigung der in der Vergangenheit als Darlehen gewährten Auszahlungen. Da sich der Bekl. nicht an einer freiwilligen Kapitalerhöhung beteiligte, forderte die Kl. ihn zur Rückzahlung der Ausschüttungen auf. Dem kam der Bekl. nicht nach. Mit der vorliegenden Klage macht die Kl. Ansprüche gegen den Bekl. auf Rückzahlung gewinnunabhängiger Ausschüttungen und auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten jeweils nebst Zinsen, geltend.

Das LG hat der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich der Bekl. mit seiner Berufung. Der Bekl. beantragt, 1. unter Aufhebung des LG-Urteils (19 O 123/14) die Klage abzuweisen, 2. hilfsweise den Rechtsstreit gemäß § 267 AEUV dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen, ob Art. 17 I lit. c EuGVO dahingehend auszulegen ist, dass die Anwerbung österr. Kapitalanleger zum Zweck des mittelbaren Beitritts als (Treugeber-)Kommanditist zu einer deutschen Publikums-KG ein Ausrichten der Geschäftstätigkeit auf Österreich darstellt, mit der Folge, dass für Klagen der Gesellschaft gegen den mittelbaren (Treugeber-)Kommanditisten nach Art. 17 I lit. c EuGVO ausschließlich die österr. Gerichtsbarkeit zuständig ist.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die zulässige Berufung des Bekl. ist begründet. Das LG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben.

[2]Die Klage ist unzulässig. Denn es fehlt an der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte.

[3]1. Der Senat war an die Auffassung des LG, wonach deutsche Gerichte international zuständig seien, nicht gebunden. Denn die Vorschrift des § 513 II ZPO findet auf die internationale Zuständigkeit keine Anwendung (vgl. BGH, NJW 2003, 426 (IPRspr. 2002 Nr. 157)).

[4]2. Die internationale Unzuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich vorliegend aus Art. 17 I lit. c i.V.m. Art. 18 II EuGVO.

[5]Insoweit kann dahinstehen, ob der besondere Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVO einschlägig ist. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, wären deutsche Gerichte international unzuständig, weil der Gerichtsstand des Art. 17 I lit. c EuGVO einschlägig ist und deshalb gemäß Art. 18 II EuGVO die ausschließliche internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte gegeben ist.

[6]Für die Anwendung des Art. 17 I EuGVO sind drei Voraussetzungen erforderlich: Zunächst muss ein Vertragspartner die Eigenschaft eines Verbrauchers haben, der in einem Rahmen handelt, der nicht seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Weiterhin muss ein Vertrag zwischen diesem Verbraucher und einem beruflich oder gewerblich Handelnden geschlossen worden sein. Schließlich muss dieser Vertrag zu einer der Kategorien von Art. 17 I litt. a bis c EuGVO gehören (vgl. EuGH, Urt. vom 28.1.2015 – Harald Kolassa ./. Barclays Bank PLC, Rs C-375/13, NJW 2015, 1581 ff.).

[7]a) Der Bekl. hat seine Beteiligung bei der Kl. entgegen der Auffassung des LG als Verbraucher gezeichnet.

[8]Eine Vermögensanlage zu privaten Zwecken stellt eine Verbrauchersache i.S.v. Art. 17 ff. EuGVO dar, und zwar auch dann, wenn die Vermögensanlage als Beteiligung an einer KG in Gestalt einer Publikumsgesellschaft ausgestaltet ist (BGH, NJW-RR 2013, 1399 f. (IPRspr. 2013 Nr. 203); OLG Frankfurt, ZIP 2013, 387 f. (IPRspr 2012-211); Staudinger-Hausmann, BGB, Neub. 2016, Verfahrensrecht für internationale Verträge Rz. 160). Diese Sichtweise steht im Einklang mit der Rspr. zu Verbraucherverträgen im Rahmen des § 312 I BGB. Auch insoweit geht die Rspr. davon aus, dass der Erwerb einer Beteiligung an einer Publikumsgesellschaft ein Verbrauchervertrag sein kann, weil der Zweck des Beitritts nicht vorrangig darin besteht, Mitglied der Gesellschaft zu werden, sondern Kapital anzulegen (vgl. EuGH, Urt. vom 15.4.2010 – E. Friz GmbH ./. C. von der Heyden, Rs C-215/08, ZIP 2010, 772 ff.; BGH, ZIP 2010, 2497 ff.).

[9]Nach diesen Grundsätzen hat der Bekl. bei Zeichnung seiner Beteiligung an der Kl. als Verbraucher gehandelt. Denn die Beteiligung des Bekl. an der Kl. stellte eine Vermögensanlage zu privaten Zwecken dar. [...] Soweit die Kl. die Verbrauchereigenschaft des Bekl. in der Berufungserwiderung bestritten und geltend gemacht hat, hierzu fehle es an substanziierten Vortrag des Bekl., könnte hierin zwar ein Bestreiten des vorgenannten Sachvortrags des Bekl. zu sehen sein. Dieses Bestreiten wäre jedoch gemäß § 531 II ZPO präkludiert ...

[10]b) Zwischen den Parteien ist außerdem eine vertragliche Beziehung zustande gekommen, die der beruflichen bzw. gewerblichen Tätigkeit der Kl. zuzurechnen ist.

[11]aa) Nach der Rspr. des EuGH ist für die Anwendung des Art. 17 I EuGVO grunds. erforderlich, dass ein Vertrag unmittelbar zwischen den Parteien des Rechtsstreits zustande kommt (EuGH, Urt. vom 28.1.2015 aaO). Insbesondere reicht es nicht aus, dass eine Kette von Verträgen abgeschlossen wird, aufgrund derer der beruflich oder gewerblich Handelnde gegenüber dem Verbraucher bestimmte Rechte und Pflichten hat, ohne dass zwischen diesen beiden unmittelbar ein Vertragsverhältnis begründet wird (EuGH aaO). Eine solche Sachlage ist hier aber nicht gegeben. Zwar wurden einerseits zwischen der Kl. und der Treuhänderin der Gesellschaftsvertrag und andererseits zwischen der Treuhänderin und der Kl. der Treuhandvertrag abgeschlossen. Jedoch besteht auch zwischen der Kl. und dem Bekl. eine vertragliche Beziehung. Denn gemäß § 1 Nr. 5 des Gesellschaftsvertrags werden die Treugeberkommanditisten im Innenverhältnis zur Kl. als ‚unmittelbare’ Kommanditisten behandelt, für die die im Gesellschaftsvertrag für Kommanditisten begründeten Rechte und Pflichten gleichermaßen gelten. Entsprechend nimmt die Kl. im vorliegenden Rechtsstreit den Bekl. als Treugeberkommanditisten unmittelbar aus dem Gesellschaftsvertrag in Anspruch. Hierbei macht die Kl. keine Sekundärrechte geltend, sondern verfolgt einen unmittelbar aus dem Gesellschaftsvertrag resultierenden Leistungsanspruch. Folglich ist das Erfordernis einer Vertragsbeziehung zwischen der Kl. und dem Bekl. erfüllt.

[12]bb) Die Kl. handelte bei Abschluss des Gesellschaftsvertrags auch im Rahmen ihrer beruflichen bzw. gewerblichen Tätigkeit. Zwar ist der eigentliche Geschäftszweck der Kl. gemäß § 2 des Gesellschaftsvertrags auf den Erwerb und den Betrieb des Containerschiffs X gerichtet. Die Beteiligungen von Anlegern dienten jedoch der Erlangung von Finanzierungsmitteln, die für die Erreichung des o.g. Geschäftszwecks erforderlich war, wie sich auch aus der Präambel zum Gesellschaftsvertrag ergibt.

[13]c) Die Voraussetzungen des Art. 17 I lit. c EuGVO liegen ebenfalls vor.

[14]aa) Art. 17 I lit. c EuGVO gilt für alle Verbraucherverträge, die – wie hier – nicht schon von Art. 17 I litt. a und b EuGVO erfasst sind, also etwa auch für private Vermögensanlagen (vgl. Staudinger-Hausmann aaO Rz. 171). Unerheblich ist, ob der Verbraucher im konkreten Fall eines besonderen Schutzes bedarf. Zwar beruhen die Zuständigkeitsvorschriften der Art. 17 ff. EuGVO auf der Erwägung, dass der Verbraucher als die schwächere Partei regelmäßig in besonderem Maße schutzbedürftig ist (EuGH, Urt. vom 14.5.2009 – Renate Ilsinger ./. Martin Dreschers, Rs C-180/06, EuZW 2009, 489 ff.). Hieraus folgt jedoch nicht, dass die Anwendung der Art. 17 ff. EuGVO im Einzelfall davon abhängig ist, dass der Verbraucher eines besonderen Schutzes bedarf. Vielmehr ist Art. 17 I lit. c EuGVO etwa im Bereich der Vermögensanlage auch dann anwendbar, wenn der Verbraucher eine große Erfahrung besitzt und professionelle Berater hinzugezogen hat (vgl. Staudinger-Hausmann aaO).

[15]bb) Gemäß Art. 17 I lit. c EuGVO ist erforderlich, dass die Kl. im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in Österreich eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausgeübt oder, wie es hier der Fall ist, eine solche auf Österreich ausgerichtet hat und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit gefallen ist.

[16](1) Ein ‚Ausrichten’ der Tätigkeit auf einen bestimmten Staat setzt zumindest voraus, dass der Vertragspartner des Verbrauchers bereits vor Vertragsabschluss seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern (auch) in diesem Staat herzustellen (EuGH, Urt. vom 7.12.2010 – Peter Pammer ./. Reederei Karl Schlüter GmbH & Co. KG, Hotel Alpenhof GesmbH ./. Oliver Heller, verb. Rs C-585/08 u. C-144/09, NJW 2011, 505 ff.; BGH, NJW 2012, 1817 ff. (IPRspr 2012-203); Zöller-Geimer, ZPO, Art 17 EuGVVO Rz. 24). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Vertragspartner seine Produkte in dem betreffenden Staat anbietet (EuGH aaO), was auch durch einen dort ansässigen Vermittler geschehen kann (Staudinger-Hausmann aaO Rz. 177).

[17]Nach diesen Grundsätzen war die Tätigkeit der Kl. zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsabschlusses jedenfalls auch auf Österreich ausgerichtet. [...] Hierfür hat sich die Kl. der Privatgeschäftsbank Z als Vermittlerin bedient. Zudem wurden für die österr. Anleger in Ergänzung zum Emmissionsprospekt eigens eine gesonderte ‚Informationsbroschüre Österreich’ sowie ein ‚Österreichanhang’ erstellt. [...] ... maßgeblich ist allein, dass die Kl. bewusst Anleger in Österreich angeworben hat, wobei sie sich hierfür zumindest zeitweise der vorgenannten Privatbank als Vermittlerin bedient hat. Unerheblich ist auch, ob der Bekl. – was die Kl. bestreitet – seine Beitrittserklärung in Österreich abgegeben hat ...

[18]Ohne Relevanz ist entgegen der Auffassung des LG schließlich auch, dass der eigentliche Geschäftszweck der Kl., nämlich der Erwerb und der Betrieb des Containerschiffs X, keinen Bezug zu Österreich aufweist. Denn wie bereits dargelegt reicht es im Rahmen des Art. 17 I lit. c EuGVO aus, dass der Vertragspartner des Verbrauchers in dem betreffenden Staat seine Produkte anbietet bzw. um Kunden wirbt.

[19](2) Die vom Bekl. gezeichnete Beteiligung fällt auch in den Bereich der auf Österreich ausgerichteten Tätigkeit der Kl., weil diese Tätigkeit gerade darauf gerichtet war, Anleger zu gewinnen.

[20]3. Eine Vorlage der Sache an den EuGH gemäß § 267 III AEUV war nicht erforderlich [... weil] die Vorschrift des Art. 17 I lit. c EuGVO und insbes. das hier maßgebliche Tatbestandsmerkmal des ‚Ausrichtens’ bereits Gegenstand von mehreren Entscheidungen des EuGH war und sich die hier zu treffende Entscheidung aus den vom EuGH aufgestellten Grundsätzen ergibt.

Fundstellen

LS und Gründe

MDR, 2017, 830

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2017-254

Lizenz

Copyright (c) 2024 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht
Creative-Commons-Lizenz Dieses Werk steht unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
<% if Mpi.live? %> <% end %>