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Verfahrensgang

OLG Koblenz, Beschl. vom 18.03.2015 – 13 UF 825/14, IPRspr 2015-91

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Unterhalt

Leitsatz

Die Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit muss bereits in der ersten Antrags-/Klageerwiderung enthalten sein. Andernfalls liegt eine die Zuständigkeit begründende rügelose Einlassung im Sinne von Art. 5 EuUnthVO vor.

Von starken Indizien für einen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von Art. 3 lit. b EuUnthVO in Deutschland ist auszugehen, wenn der minderjährige Unterhaltsgläubiger Deutscher ist, in Deutschland zur Schule geht, nachdem er hier bereits den Kindergarten besucht hat und der Elternteil, bei dem er lebt, auch über Wohnraum in Deutschland verfügt.

Wenn der betreuende Elternteil eine Erwerbstätigkeit in Luxemburg ausübt, führen die Umstände, dass er für den Unterhaltsgläubiger das volle Kindergeld aus Luxemburg bezieht und dass der Unterhaltsgläubiger eine luxemburgische Krankenversicherung hat, nicht zur Entkräftigung der genannten Indizien für einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, weil diese Umstände aufgrund von Rechtsvorschriften zur Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme in der Europäischen Union Folge der Erwerbstätigkeit sind.

Der Geltungsbereich des Unterhaltsstatuts ist weit zu fassen; es entscheidet unter anderem auch über die Voraussetzungen einer Abänderung von Titeln. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

AUG § 28
BGB §§ 1601 ff.; BGB § 1629
EStG § 62
EUGVVO 44/2001 Art. 24
EuGVÜ Art. 18
EuUntVO 4/2009 Art. 3; EuUntVO 4/2009 Art. 3 ff.; EuUntVO 4/2009 Art. 5; EuUntVO 4/2009 Art. 8; EuUntVO 4/2009 Art. 15; EuUntVO 4/2009 Art. 23 ff.; EuUntVO 4/2009 Art. 75 f.
FamFG § 238
FGB (Bulgarien) Art. 59; FGB (Bulgarien) Art. 129; FGB (Bulgarien) Art. 150
HUP 2007 Art. 3; HUP 2007 Art. 11
SGB (Luxemb.) Art. 108; SGB (Luxemb.) Art. 269
Soziale Sicherungssysteme-Koordinierungs-VO I 883/2004 Art. 1; Soziale Sicherungssysteme-Koordinierungs-VO I 883/2004 Art. 2; Soziale Sicherungssysteme-Koordinierungs-VO I 883/2004 Art. 11 ff.; Soziale Sicherungssysteme-Koordinierungs-VO I 883/2004 Art. 12 ff.; Soziale Sicherungssysteme-Koordinierungs-VO I 883/2004 Art. 13
ZPO § 39; ZPO § 282; ZPO § 296

Sachverhalt

Der ASt. ist der minderjährige Sohn der AGg. Er lebt bei seinem Vater im deutsch-luxemburgischen Grenzgebiet und besucht die Schule in Deutschland. Dort ging er auch schon in den Kindergarten. Zum Umgang holt die AGg. den ASt. dort ab und bringt ihn wieder dorthin zurück. Der ASt. ist wie sein Vater Deutscher. Die AGg. ist Bulgarin und lebt mit ihrem neuen Ehemann in Luxemburg. Sie ist nicht erwerbstätig. Die Ehe der Kindeseltern wurde im Jahr 2008 in Bulgarien geschieden. Zugleich hat das bulgarische Gericht den von der AGg. zu leistenden Kindesunterhalt auf umgerechnet etwa 31 €/mtl. festgesetzt. Die AGg. arbeitete seinerzeit in Luxemburg als Kellnerin und verdiente 1 570 €/mtl. (brutto). Derzeit zahlt sie 40 €/mtl. Kindesunterhalt. Nachdem der ASt. nicht mehr in Bulgarien lebt und auch die nächste Altersstufe nach der Düsseldorfer Tabelle erreicht hat, verlangt er von der AGg. ab Januar 2013 in Abänderung des bulgarischen Unterhaltstitels Mindestkindesunterhalt nach deutschem Recht unter Anrechnung bezogener luxemburger Kindergeldzahlungen.

Das FamG hat seine internationale Zuständigkeit bejaht und dem Abänderungsantrag in vollem Umfang stattgegeben. Hiergegen wendet sich die AGg. mit ihrer Beschwerde, mit der sie weiterhin die internationale und auch die örtliche Zuständigkeit rügt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. ... 1. Die deutschen Gerichte sind vorliegend nach Art. 3 ff. EuUnthVO zur Entscheidung berufen.

[2]a) Nach Art. 3 lit. b EuUnthVO kann grundsätzlich das Gericht an dem Ort international zuständig sein, an dem die unterhaltberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Vorliegend ergibt sich die Zuständigkeit der deutschen Gerichte jedoch bereits aus Art. 5 EuUnthVO infolge rügeloser Einlassung der AGg. auf das amtsgerichtliche Verfahren. Zwar hat die Kindesmutter die Zuständigkeit im Termin am 1.7.2014 vor dem FamG gerügt. Sie hätte dies jedoch bereits in ihrer zuvor erfolgen schriftsätzlichen Einlassung tun müssen.

[3]Die Vorschrift des Art. 5 EuUnthVO entspricht dem Art. 24 EuGVO und dessen Vorgänger, dem Art. 18 EuGVÜ. Zu letztgenannter Norm hat der EuGH entschieden, dass der Tatbestand der rügelosen Einlassung autonom auszulegen ist. Danach ist die Rüge des Mangels der internationalen Zuständigkeit dann verspätet, wenn sie erst nach Abgabe derjenigen Stellungnahme erhoben wird, die nach dem innerstaatlichen Prozessrecht als das erste Verteidigungsvorbringen vor dem angerufenen Gericht anzusehen ist (vgl. EuGH, Urt. vom 24.6.1981 – Joszef Horvath ./. Hauptzollamt Hamburg-Jonas, Rs C-150/80, Slg. 1981, 385-399). Anders als z.B. nach § 39 ZPO muss die Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit deshalb bereits in der ersten Antrags-/Klageerwiderung enthalten sein (vgl. OLG Celle, Urt. vom 26.3.2008 – 3 U 238/07 (IPRspr 2008-127), juris und Musielak-Stadler, ZPO, 11. Aufl. [2014], Art. 24 EuGVVO Rz. 3).

[4]Zwar könnte in diesem Zusammenhang fraglich sein, ob eine Unkenntnis von der nicht gegebenen internationalen Zuständigkeit den Tatbestand einer rügelosen Einlassung entfallen lässt. Dementsprechend wird vertreten, dass bei der Beurteilung, ob eine rügelose Einlassung im Sinne des Art. 5 EuUnthVO, 24 EuGVO bzw. 18 EuGVÜ vorliegt, die §§ 282 III, 296 III ZPO Anwendung finden (vgl. OLG Celle aaO). Gegen die Anwendung des auf Verschulden abstellenden § 296 III ZPO spricht jedoch, dass Art. 5 EuUnthVO, 24 EuGVO und 18 EuGVÜ (gemeinschafts-) autonom und nicht nach nationalem Recht auszulegen sind (vgl. EuGH aaO). Vorliegend kann dies allerdings dahinstehen. Denn die AGg. stützt ihre Kenntnis von dem angeblichen gewöhnlichen Aufenthalt des ASt. in Luxemburg auch auf die Mitteilung über den Bezug des vollen luxemburgischen Kindergelds. Diese an sie gerichtete Mitteilung vom 4.3.2013 lag ihr indes schon vor Verfahrensbeginn vor.

[5]b) Unabhängig von der Zuständigkeitsbegründung durch rügelose Einlassung folgt die internationale Zuständigkeit der angerufenen deutschen Gerichte hier jedoch auch aus Art. 3 lit. b EuUnthVO (i.V.m. § 28 AUG). Denn zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der ASt. als unterhaltberechtigte Person seinen gewöhnlichen Aufenthalt in [Deutschland] hat.

[6]aa) Der gewöhnliche Aufenthalt einer Person bestimmt sich zum einen nach den objektiven Merkmalen der Dauer und Beständigkeit sowie nach dem Schwerpunkt der Bindungen in familiärer oder beruflicher Hinsicht. Zum anderen ist jedoch auch der Wille in Bezug auf einen Daseinsmittelpunkt zu berücksichtigen (vgl. Palandt-Thorn, BGB, 74. Aufl. [2015], Art. 18 EGBGB (HUP) Rz. 12 m. Verw. auf Art. 5 EGBGB Rz. 10 m.w.N.).

[7]Speziell bei Kindern kommt dabei dem Ort eine wesentliche Bedeutung zu, an dem eine gewisse Integration in ein soziales und familiäres Umfeld zu erkennen ist. Dieser Ort ist vom nationalen Gericht unter Berücksichtigung aller besonderen tatsächlichen Umstände jedes Einzelfalls zu ermitteln. Zu den Kriterien, in deren Licht das nationale Gericht den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts eines Kindes festzustellen hat, gehören insbesondere die Umstände und Gründe des Aufenthalts des Kindes sowie dessen Staatsangehörigkeit. Des Weiteren kommt auch dem Alter des Kindes eine besondere Bedeutung zu. Denn das soziale und familiäre Umfeld des Kindes besteht aus je nach Alter des Kindes unterschiedlichen Faktoren. So sind im Fall eines Kindes im schulpflichtigen Alter andere Faktoren zu berücksichtigen als im Fall eines nicht mehr die Schule besuchenden Minderjährigen oder im Fall eines Säuglings. Im Allgemeinen ist das Umfeld eines Kindes von geringem Alter weitgehend ein familiäres Umfeld, das durch die Bezugsperson oder -personen bestimmt wird, mit denen das Kind zusammenlebt, die das Kind tatsächlich betreuen und die für es sorgen (vgl. EuGH, Urt. vom 22.12.2010 – Barbara Mercredi ./. Richard Chaffe, Rs C-497/10, Slg. 2010 I-14309, FamRZ 2011, 617).

[8]bb) Der ASt. ist Deutscher und geht in Deutschland zur Schule, nachdem er hier bereits den Kindergarten besucht hat. Sein Vater verfügt in Z. [Deutschland] auch über Wohnraum. An diese Adresse bringt die AGg. das Kind nach Umgangskontakten unbestritten zurück; die Abholung erfolgt unstreitig an der Schule in Z. Dies alles sind starke Indizien für einen gewöhnlichen Aufenthalt des ASt. in Deutschland. Zwischen den Kindeseltern wurde vor dem AG Bitburg diverse Kindschaftsverfahren geführt. Vonseiten des JugA des ...-kreises wurden dabei ersichtlich keine Zuständigkeitsprobleme mangels Wohnsitzes bzw. Aufenthalts des ASt. in Deutschland gesehen.

[9]Allein der Umstand, dass viele Kinder aus Luxemburg in Z. in die Schule gehen, so z.B. aus X/Luxemburg und weiteren Orten, steht dem nicht entgegen. Denn während X/Luxemburg auf der anderen Seite des Flusses liegt, befindet sich Y/Luxemburg rund 25km entfernt. Die ‚weiteren Orte’ benennt die AGg. nicht und was andere Kinder machen, besagt letztlich noch nichts zwingend über den gewöhnlichen Aufenthalt des ASt.

[10]Nicht zutreffend ist, dass der ASt. zum Zweitwohnsitz seines Vaters widersprüchlich vorträgt. Denn bereits im Termin am 1.7.2014 auf die erstmalige Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit hatte der ASt. den Zweitwohnsitz in Y/Luxemburg erwähnt. Damit spricht gegen einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland auch nicht, dass der Kindesvater sich den Luxemburger Kindergeldbescheid an seine Anschrift in Y/Luxemburg zusenden lässt.

[11]Das nun eingereichte certificat de résidence der Gemeinde Y/Luxemburg mit Ausstellungsdatum 5.2.2015 vermag angesichts der anderen aufgeführten Umstände den gewöhnlichen Aufenthalt des ASt. in Deutschland ebenfalls nicht ausreichend in Frage zu stellen. Dabei ist zunächst zu beachten, dass die Übersetzung mit ‚Aufenthaltsbescheinigung’ in der Rechtsterminologie nicht zutreffend ist. Denn die Aufenthaltsbescheinigung wird u.a. an Staatsangehörige eines EU-Mitgliedstaats nach fünf Jahren ordnungsgemäßen und ununterbrochenen Aufenthalts auf luxemburgischem Staatsgebiet ausgestellt und sie ist bei der Einwanderungsbehörde (Direction de l'Immigration) des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten (ministère des Affaires étrangères) zu beantragen (vgl. http://www. guichet.public.lu/ citoyens/de/citoyennete/libre-circulation-UE/sejour-plus-5-ans/attestation/). Demgegenüber gibt das certificat de résidence Auskunft über den Wohnsitz der betreffenden Person, wird vom Einwohnermeldeamt der Gemeindeverwaltung ausgestellt und rechtsterminologisch mit ‚Wohnsitzbescheinigung’ übersetzt (s. http://www.guichet.public.lu/citoyens/fr/[bzw. de/]certificats/citoyennete/vie-residence-luxembourg/ certificat-residence/index.html). Der gemeldete Wohnsitz muss jedoch nicht der alleinige Wohnsitz sein und somit auch nicht mit dem tatsächlichen gewöhnlichen Aufenthalt zusammenfallen. Die Meldebestätigung ist damit lediglich ein Indiz. Deren Beweiswirkung wird vorliegend jedoch bereits durch die vorgelegte, den Kindesvater und damit unstreitig die Betreuungsperson des ASt. betreffende Meldebescheinigung der Verbandsgemeindeverwaltung ... neutralisiert.

[12]Schließlich kann auch aus dem Umstand, dass die Firmen des Kindesvaters ihren Sitz nicht in Y/Luxemburg haben, nicht abgeleitet werden, dass der Kindesvater im Haus seiner Mutter nicht auch ein Büro hat, von dem aus er seiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Denn sollten die Firmen noch existieren, spräche deren Registrierung in Bulgarien und Großbritannien eher dafür als dagegen, dass der Kindesvater deren Geschicke aus der Ferne, z.B. aus Y/Luxemburg lenkt.

[13]Was die von ihr als Zeugen benannten Personen (Lehrerinnen und Ehemann der AGg.) konkret zum persönlichen Aufenthalt des ASt. bekunden sollen, hat die AGg. nicht ansatzweise dargetan. Insoweit würde es allenfalls um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis handeln.

[14]cc) Somit verbleibt als gegen einen gewöhnlichen Aufenthalt des ASt. – und dessen Vater – in Deutschland sprechender Gesichtspunkt der volle Bezug des Kindergelds aus Luxemburg und die luxemburgische Krankenversicherung. Auch damit dringt die AGg. jedoch nicht durch.

[15](1) Zutreffend ist allerdings, dass der erstinstanzliche Vortrag des ASt. so verstanden werden kann, dass sein Vater als Grenzgänger neben dem deutschen Kindergeld das luxemburgische Differenzkindergeld inkl. Zusatzleistungen erhalte. Dem ist indes nicht so, wie auch der ASt. nun auf Anfrage des Senats klargestellt hat. Denn Luxemburg zahlt das volle Kindergeld.

[16](2) Haben der ASt. und sein Vater ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, bestünde allerdings nach deutschem Recht ein Kindergeldanspruch. Denn § 62 EStG knüpft allein an einen Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland an; der Ort der Beschäftigung – hier Luxemburg – ist demgegenüber unerheblich. Wohnsitz im Sinne von § 62 EStG bedeutet dabei nicht Hauptwohnsitz. Vielmehr genügt das Innehaben einer Wohnung unter Umständen, die (objektiv) darauf schließen lassen, dass die Wohnung nicht nur vorübergehend beibehalten und benutzt wird; es darf sich nicht nur um ein bloßes Aufenthaltnehmen z.B. zu Erholungs- oder Besuchszwecken handeln (vgl. Blümich-Treiber, EStG, 125. Aufl. [2015], § 62 Rz. 25 m. Verw. auf Blümich-Rauch aaO § 1 Rz. 145 ff.).

[17]Ist der Kindesvater in Deutschland kindergeldberechtigt, dürfte Luxemburg grundsätzlich nur noch den Differenzbetrag zahlen. Dass demgegenüber volles luxemburgisches Kindergeld bezogen wird, lässt sich vorliegend jedoch mit den europäischen Rechtsvorschriften zur Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme erklären. Denn auch bei einem Wohnsitz bzw. gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland ist infolge einer wirtschaftlichen Tätigkeit des Kindesvaters in Luxemburg allein dieses Land für die Kindergeldleistungen zuständig.

[18](a) Für EU-Bürger sowie für deren Familienangehörige koordinieren seit dem 1.5.2010 die VO (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vom 29.4.2004 (ABl. Nr. L 166/1) – und die VO (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Modaltitäten für die Durchführung der VO (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vom 16.9.2009 (ABl. Nr. L 284/1) – die Systeme der sozialen Sicherheit und damit gemäß Art. 1 lit. z, 3 I lit. j VO (EG) Nr. 883/2004/EG auch Familienleistungen, zu denen ebenfalls das Kindergeld gehört (vgl. Blümich-Treiber aaO Rz. 18 m.w.N.).

[19]Der Kindesvater fällt als EU-Bürger gemäß Art. 2 I VO (EG) Nr. 883/2004/EG in den persönlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung. Bei einem gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland wäre er nach § 62 EStG kindergeldberechtigt. Im Falle einer Erwerbstätigkeit in Luxemburg als sog. Grenzgänger stünde ihm aber zugleich ein Anspruch auf luxemburgisches Kindergeld zu (vgl. http://www.guichet.public.lu/ citoyens/de/famille/parents/allocation-naissance/allocations-familiales/index.html = Anlage zum Schriftsatz des BeschwGg. vom 26.1.2015) – Rechtsgrundlage hierfür dürfte Art. 269 I lit. b lux. Code de la Sécurité Sociale sein. Zwar hat die AGg. bestritten, dass der Kindesvater in Luxemburg einer – selbständigen – Erwerbstätigkeit nachgeht. Unstreitig erzielt er jedoch in Luxemburg Einkommen aus Vermietung. Hierzu hat der ASt. ebenso nicht ausreichend bestritten vorgetragen, dass sein Vater damit in der luxemburgischen Krankenversicherung pflichtversichert sei, was wiederum den Bezug des Kindergelds nach sich ziehe. Ausländisches Recht wird zwar grundsätzlich nicht (mehr) als von den Beteiligten beizubringender Tatsachenvortag angesehen. Dennoch steht der Umfang [von] dessen Ermittlung im Ermessen des Gerichts. Insbesondere nachdem die AGg. seit längerem in Luxemburg wohnt, kann der Senat mangels ausreichenden Bestreitens der Pflichtversicherung des Kindesvaters infolge seiner in Luxemburg erzielten Immobilieneinkünfte und der daran geknüpften Kindergeldberechtigung dies als nach dem einschlägigen Luxemburger Sozial- und Familienleistungsrecht zutreffend zugrunde legen.

[20]Besteht somit eine Kindergeldberechtigung sowohl in Deutschland (nach § 62 EStG) als auch in Luxemburg, ist nach Art. 11 ff. VO (EG) Nr. 883/2004/EG der für die Kindergeldleistungen zuständige Staat zu ermitteln.

[21](b) Hier unterliegt der Kindesvater gemäß Art. 11 III lit. a VO (EG) Nr. 883/2004/ EG allein dem luxemburgischen Kindergeldrecht. Denn in dieser Vorschrift heißt es, dass vorbehaltlich der Art. 12 bis 16 VO (EG) Nr. 883/2004/EG ‚eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, ... den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats [unterliegt]’; vgl. hierzu auch die Informationsseite der Europäischen Kommission (http://ec.europa.eu/social/main. jsp?catId=851&langId=de).

[22]Ein in den Art. 12 bis 16 VO (EG) Nr. 883/2004/EG geregelter Ausnahmefall ist hier nicht ersichtlich. Das gilt auch dann, sollte der Kindesvater über in Bulgarien und Großbritannien ansässige Firmen verfügen. Zwar regelt Art. 13 II VO (EG) Nr. 883/2004/EG den Fall einer in zwei oder mehr Mitgliedstaaten ausgeübten selbständigen Erwerbstätigkeit. Aber auch danach wäre das luxemburgische Kindergeldrecht maßgeblich. Denn zur Anwendung kämen die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sich der Mittelpunkt der Tätigkeiten befindet, wenn der Firmeninhaber nicht in einem Mitgliedstaat wohnt, in dem er einen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit ausübt. Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass der Mittelpunkt bzw. wesentliche Teile der Erwerbstätigkeit des Kindesvaters im Zusammenhang mit diesen Firmen – sollte sie noch existieren – in einen anderen Mitgliedstaat als Luxemburg liegen würden.

[23]Entgegen dem entspr. Einwand der AGg. folgt ein Residenzerfordernis des Kindes für den Bezug des vollen luxemburgischen Kindergelds auch nicht aus Art. 108 lux. Code de la Sécurité Sociale. Diese Vorschrift betrifft schon nicht das Kindergeld, sondern regelt die Unfallrente. Sollte die Beschwf. hingegen Art.108 lux. Cc meinen, ist auch dort lediglich definiert, dass ein minderjähriges Kind den Wohnsitz des ihn erziehenden Elternteils teilt. Damit steht auch diese Vorschrift den o.g., für den gewöhnlichen Aufenthalt des ASt. in Deutschland sprechenden umfänglichen Indizien nicht entgegen.

[24](c) Schließlich trifft auch die Behauptung der AGg., die luxemburgische Krankenversicherung des ASt. (also des Kindes) setze einen festen Wohnsitz mit gewöhnlichen Aufenthalt in Luxemburg voraus, nicht zu. Denn hier gilt nach VO (EG) Nr. 883/2004/EG und VO (EG) Nr. 987/2009 ebenfalls, dass zu jedem Zeitpunkt immer nur die Rechtsvorschriften eines einzigen EU-Mitgliedstaats zur Anwendung kommen und auch nur in einem Land Beiträge zu zahlen sind, ohne das eine Wahlmöglichkeit besteht (vgl. http://ec.europa.eu/social/main.jsp?langId=de&catId=850). Die Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme in der EU gilt dabei gemäß Art. 2 I VO (EG) Nr. 883/2004/EG auch für Familienangehörige, also den ASt.

[25]dd) Als Ergebnis kann somit festgehalten werden, dass der ASt. zwar seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland darzutun und notfalls zu beweisen hat. Die AGg. hat es jedoch nicht vermocht, die hier für einen gewöhnlichen Aufenthalt des ASt. in Deutschland sprechenden Umstände und Indizien zu erschüttern.

[26]2. Das anwendbare materielle Unterhaltsrecht richtet sich nach Art. 15 EuUnthVO i.V.m. Art. 3 ff. des Protokolls über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007 (ABl. Nr. L 331/19; nachfolgend: HUP). Gemäß Art. 3 I HUP ist das Recht des Staats maßgebend, in dem die unterhaltberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Insoweit besteht also ein Gleichlauf zur internationalen Zuständigkeit nach Art. 3 lit. b EuUnthVO.

[27]Da der ASt. nach den vorstehenden Ausführungen seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, hat das FamG zutreffend deutsches Recht angewendet. Dies gilt sowohl für § 238 FamFG als auch für §§ 1601 ff. BGB. Denn der in Art. 3, 11 HUP angeordnete Geltungsbereich des Unterhaltsstatuts ist weit zu fassen; es entscheidet u.a. auch über die Voraussetzungen einer Abänderung von Titeln (vgl. Palandt-Thorn aaO Rz. 38, 39 a.E. m.w.N.).

[28]a) Dabei setzt die Zulässigkeit eines Antrags auf Abänderung eines Unterhaltstitels aus einem anderen Mitgliedstaat nicht voraus, dass auch das Recht des Titelstaats die Abänderung zulässt.

[29]Zwar war diese Frage früher in Rspr. u. Lit. streitig (vgl. hierzu OLG Köln, Urt. vom 20.7.2004, FamRZ 2005, 534 (IPRspr 2004-175) und BGH, Beschl. vom 10.12.2014 – XII ZB 662/13 (IPRspr 2014-252), Tz. 14 juris, jew. m.w.N.). Art. 8 EuUnthVO geht nunmehr jedoch von der grundsätzlichen Abänderbarkeit nach einem Statutenwechsel aus. Denn er verbietet ein Abänderungsverfahren in einem anderen Mitgliedstaat nur so lange, als der Unterhaltsberechtigte weiterhin in dem Titelstaat wohnhaft ist (so jetzt wohl auch BGH, Beschl. vom 10.12.2014 aaO).

[30]Unabhängig davon lässt allerdings nach den mit der Beschwerde nicht mehr konkret angegriffenen Feststellungen des FamG auch das bulgarische Recht in Art. 150 bulg. FGB vom 18.6.2009 (DV Nr. 47) – wie ebenfalls nach Art. 59 IX bulg. FGB – eine Abänderung zu.

[31]Voraussetzung dafür, dass der bulgarische Titel in Deutschland abgeändert werden kann, ist des Weiteren seine Anerkennung. Dies ist hier bei dem Urtil von 2008 (EU-Beitritt Bulgarien 1.1.2007) jedoch gemäß Art. 75 II, 76, 23 ff. EuUnthVO der Fall (vgl. BGH, Beschl. vom 10.12.2014 – XII ZB 662/13, Tz. 13 juris).

[32]b) Vorliegend ist schließlich auch die Verfahrensführungsbefugnis des ASt. für ein Abänderungsverfahren gegeben. Danach können Beteiligte eines Abänderungsverfahrens grundsätzlich nur diejenigen sein, zwischen denen die abzuändernde Entscheidung ergangen ist oder zwischen denen sie Wirkungen entfaltet (vgl. BGH Beschl. vom 10.12.2014 aaO Tz. 16 f.). Obgleich die Beschwerde an ihrer diesbezüglichen erstinstanzlichen Rüge nicht mehr festhält, soll diese Voraussetzung von Amts wegen zu prüfen sein (vgl. BGH Beschl. vom 10.12.2014 aaO).

[33]Der Kindesunterhalt wurde im bulgarischen Scheidungsverfahren der Kindeseltern festgesetzt; Abänderung begehrt nun jedoch das Kind. Das bulgarische Recht kennt ersichtlich keine unserem § 1629 III BGB (Verfahrensstandschaft) entspr. Vorschrift. Allerdings hat nach bulgarischem Recht bei der Scheidung zum Kindesunterhalt – wie auch zu Sorgerecht und Umgang – zwingend eine gerichtliche Entscheidung zu ergehen, sollten die Eltern hierzu keine gerichtlich genehmigte Vereinbarung treffen, Art. 59 I, II bulg. FGB. Diese Entscheidung kann später auf Antrag oder von Amts wegen abgeändert werden, Art. 59 IX bulg. FGB. Hierbei handelt es sich damit zumindest auch um eine dem Schutz und Interesse des Kindes dienende Regelung. Der Kindesunterhalt wurde sodann im Urt. vom 23.5.2008 so zuerkannt, dass die AGg. an Herrn ‚... als Vater und gesetzlicher Vertreter des minderjährigen Kindes ... [hiesiger ASt.], geboren am ... 2006, einen Monatsunterhalt ... zu zahlen’ hat. Hinzu kommt, dass nach Art. 129 I bulg. FGB jeder Elternteil sein minderjähriges Kind selbst vertreten kann, das bulgarische Recht also augenscheinlich keinen Zwang zur gemeinsamen Vertretung kennt und folglich Vorschriften wie die § 1629 II 2 und III BGB nicht benötigt. Nach der Konzeption des bulgarischen Rechts und der Formulierung der Unterhaltsverpflichtung ist für den Senat damit Titelgläubiger hier zumindest (auch) das Kind. Aber selbst falls man dies nicht so sehen würde, wäre der Abänderungsantrag damit nicht als unzulässig abzuweisen. Vielmehr könnte er in einen Leistungsantrag (Antrag auf zusätzlichen, über den titulierten Betrag hinausgehenden Unterhalt) umgedeutet werden (vgl. BGH, Beschl. vom 10.12.2014 aaO Tz. 34).

[34]c) Sodann ist dem ASt. zuzustimmen, dass sowohl der mit seinem Umzug nach Deutschland vollzogene Wechsel des Unterhaltsstatus als auch das Erreichen der nächsten Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle eine wesentliche Änderung im Sinne von § 238 FamFG begründen (vgl. OLG Koblenz, OLGR 2003, 339 und MünchKomm-Siehr, Bd. 10 [2006], Art. 11 HUP Rz. 132 sowie BGH, FamRZ 1995, 223).

[35]Der erfolgte Statutenwechsel führt sodann zur freien Neufestsetzung des Unterhalts nach dem gegenwärtigen maßgeblichen Unterhaltsstatut. Eine Bindung des Abänderungsgerichts an die vom bulgarischen Erstgericht zugrunde gelegten Tatsachen besteht also nicht. Denn diese beruhen gerade auf dem jetzt nicht mehr anwendbaren Unterhaltsstatut. Die abzuändernde Entscheidung dient bei einem Statutenwechsel lediglich als Grundlage für das Bestehen der Unterhaltspflicht überhaupt und als Vergleichsmaßstab bei der Beurteilung der Frage, ob eine Änderung des Titels angezeigt ist. Denn allein das aktuell anwendbare Unterhaltsstatut soll grundsätzlich über die Bedürftigkeit des Berechtigten und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Verpflichteten entscheiden. Diese Aspekte hängen aber wiederum von den tatsächlichen Umständen ab. Deshalb wäre es ungereimt, die Bewertung der Tatsachen nicht dem gewandelten Unterhaltsstatut zu unterstellen (vgl. OLG Koblenz aaO und MünchKomm-Siehr aaO Rz. 139).

Fundstellen

LS und Gründe

FamRZ, 2015, 1618
NJW-RR, 2015, 1482
JAmt, 2016, 97

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