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Verfahrensgang

OLG Celle, Urt. vom 26.03.2008 – 3 U 238/07, IPRspr 2008-127

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand

Leitsatz

Die Begründung der internationalen Zuständigkeit durch rügelose Einlassung zur Sache nach Art. 24 EuGVO ist nicht davon abhängig, dass in einer mündlichen Verhandlung Anträge gestellt werden.

Rechtsnormen

EUGVVO 44/2001 Art. 24
EuGVÜ Art. 18
ZPO § 39; ZPO § 128; ZPO § 276; ZPO § 282; ZPO § 296; ZPO § 331; ZPO § 495a; ZPO § 513

Sachverhalt

Die Kl. nimmt den Bekl., einen in I. (Österreich) wohnenden österr. Staatsangehörigen aus einer Höchstbetragsbürgschaft über 250 000 DM in Anspruch. Der Bekl. hat die Bürgschaft zur Sicherung eines Darlehens, welches die Kl. einer Hotelgesellschaft, der L. GmbH, über 4 600 000 DM gewährt hatte, übernommen. Der Bekl. ist Geschäftsführer und Kommanditist der Komplementärin der Hauptschuldnerin. Die Kl. hat das Darlehen gegenüber der Hauptschuldnerin aufgrund von Zahlungsrückständen fristlos gekündigt und den Bekl. außergerichtlich erfolglos auf Zahlung in Anspruch genommen.

Das LG hat der Klage stattgegeben. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Bekl., jedoch ohne Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die zulässige Berufung des Bekl. hat in der Sache keinen Erfolg.

[2]1. Das LG Hannover war zur Entscheidung des Rechtsstreits befugt. Die internationale Zuständigkeit des LG folgt aus Art. 24 EuGVO, da sich der Bekl. rügelos zur Sache eingelassen hat.

[3]a) Der Bekl. ist allerdings nicht gehindert, mit seiner Berufung die Unzuständigkeit des LG im erstinstanzlichen Verfahren geltend zu machen. Die Regelung des § 513 II ZPO, wonach eine Berufung nicht darauf gestützt werden kann, dass das Gericht des ersten Rechtszugs seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat, gilt nicht für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit (vgl. BGH, NJW 2004, 1456 (IPRspr. 2003 Nr. 149)).

[4]b) Nach der für den vorliegenden Fall maßgeblichen Regelung des Art. 24 EuGVO, die Vorrang vor dem nationalen Prozessrecht hat (vgl. Zöller-Gottwald, ZPO, 27. Aufl., Art. 18 EuGVÜ Rz. 5), wird das Gericht eines Mitgliedstaats dadurch zuständig, dass sich der Beklagte vor ihm auf das Verfahren einlässt. Dies gilt lediglich dann nicht, wenn der Beklagte sich einlässt, um den Mangel der Zuständigkeit geltend zu machen.

[5]c) Vorliegend hat sich der Bekl. – insoweit unstreitig – mit Schriftsatz vom 14.3. 2007 umfangreich und umfassend zur Sache eingelassen. Die Zuständigkeitsrüge hat er demgegenüber erst mit seinem weiteren Schriftsatz vom 6.6.2007 erhoben. Damit sind die Voraussetzungen, an die Art. 24 EuGVO die Zuständigkeit knüpft, gegeben.

[6]d) Entgegen der Auffassung des Bekl. setzt eine rügelose Einlassung im Sinne von Art. 24 EuGVO nicht das Verhandeln in einem gerichtlichen Termin voraus.

[7]aa) Nach der Entscheidung des EuGH in der Rs 150/80 vom 24.6.1981 (abgedr. etwa in IPRax 1982, 234, 237) ist Art. 18 EuGVÜ, der Art. 24 EuGVO entspricht, dahingehend auszulegen, dass die in dieser Vorschrift enthaltene Zuständigkeitsregel nicht anwendbar ist, wenn der Beklagte in seiner ersten Einlassung nicht nur die fehlende Zuständigkeit rügt, sondern darüber hinaus zur Hauptsache Stellung nimmt. Dies setze jedoch, so der EuGH in der genannten Entscheidung, voraus, dass die Rüge der fehlenden Zuständigkeit, wenn nicht vor jedem Vortrag zur Hauptsache, so doch nicht nach Abgabe derjenigen Stellungnahme erhoben werde, die nach dem innerstaatlichen Prozessrecht als das erste Verteidigungsvorbringen vor dem angerufenen Gericht anzusehen ist. Danach kommt es für die Frage, ob die Zuständigkeitsrüge rechtzeitig erhoben ist, darauf an, ob sie in dem nach dem innerstaatlichen Prozessrecht als erstes Verteidigungsvorbringen zu bewertenden Vortrag zur Hauptsache enthalten ist. Nur dann steht sie einer Anwendung des Art. 18 EuGVÜ bzw. nunmehr 24 EuGVO entgegen und verhindert die Begründung einer Zuständigkeit durch rügelose Einlassung. Verspätet ist die Rüge demgegenüber dann, wenn sie erst nach Abgabe der Stellungnahme zur Sache erhoben wird, die nach nationalem Recht als erstes Verteidigungsvorbringen anzusehen ist.

[8]bb) Das erste Verteidigungsvorbringen liegt nach deutschem Recht in dem Zeitpunkt vor, in dem sich der Beklagte schriftsätzlich zur Sache einlässt, ohne die Zuständigkeit zu rügen (vgl. ebenso Zöller-Gottwald aaO Rz. 7 m.w.N.. OLG Düsseldorf, OLGZ 1991, 489 ff. (IPRspr. 1990 Nr. 173); OLG Hamm, RIW 1999, 540 (IPRspr. 1998 Nr. 157); OLG Frankfurt, IPRax 2000, 525 (IPRspr. 1999 Nr. 124)).

[9]cc) Dem steht die Argumentation des Bekl., wonach das deutsche Zivilprozessrecht durch das Mündlichkeitsprinzip beherrscht sei, Schriftsätzen nur vorbereitender Charakter zukomme und eine Einlassung erst in der mündlichen Verhandlung erfolge, nicht entgegen. Zweck der Zuständigkeitsregelung des Art. 24 EuGVO ist es, eine möglichst frühzeitige Klärung der Zuständigkeitsfrage herbeizuführen (vgl. EuGH Rs 150/80 aaO 237). Dem stünde eine Auslegung, die maßgeblich auf die Antragstellung in der mündlichen Verhandlung abstellt, entgegen. Im Übrigen zeigen etwa die Regelungen über die Zulässigkeit des Versäumnisurteils im – auch im vorliegenden Fall angeordneten – schriftlichen Vorverfahren, §§ 276 I 1, 331 III ZPO sowie die des schriftlichen Verfahrens in den Fällen der §§ 128 II, 495a I 2 ZPO, dass das Mündlichkeitsprinzip auch im deutschen Zivilprozessrecht keine generelle Geltung beansprucht.

[10]dd) Der Bekl. kann sich für seine abweichende Beurteilung auch nicht auf die Entscheidung des BGH vom 21.11.1996 (BGHZ 134, 127 ff.) (IPRspr. 1996 Nr. 160) berufen. Die Entscheidung des BGH betraf keinen Fall, der nach den Vorschriften der Art. 18 EuGVÜ (jetzt 24 EuGVO) zu beurteilen war, da nur der Kläger, nicht hingegen der Beklagte in einem Vertragsstaat wohnte (BGH aaO), weshalb als Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der Zuständigkeit ausschließlich § 39 ZPO heranzuziehen war. Die Entscheidung des BGH betrifft mithin nicht die – ohnehin vorrangig dem EuGH zustehende – Frage der Auslegung des Art. 24 EuGVO. Soweit es im LS 2 der Entscheidung des BGH heißt, der Beklagte brauche in den Fällen, in denen das angerufene deutsche Gericht nur infolge rügeloser Einlassung international zuständig sein kann, die Rüge der internationalen Zuständigkeit nicht innerhalb der Klagerwiderungsfrist vorbringen, er könne dies vielmehr noch in der ersten mündlichen Verhandlung geltend machen, bezieht sich die Entscheidung des BGH zudem ausdrücklich auf das Ineinandergreifen der Regelungen des § 39 ZPO einerseits sowie der Präklusionsvorschriften in den §§ 282 III, 296 III ZPO andererseits. Nur insoweit und damit außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 24 EuGVO ist der Bestimmung des § 39 ZPO Vorrang vor den Präklusionsvorschriften der §§ 282 III, 296 III ZPO einzuräumen.

[11]ee) Auf die Frage, ob sich eine Zuständigkeit des LG Hannover auch aufgrund der Zuständigkeitsbestimmungen in der Bürgschaftsurkunde ergibt, kommt es damit vorliegend nicht an.

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https://iprspr.mpipriv.de/2008-127

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