Nach Art. 9 und 11 LugÜ 2007 kann der Geschädigte eines Verkehrsunfalls in der Schweiz im Geltungsbereich des Übereinkommens einen nach dem anwendbaren schweizerischen Recht bestehenden Direktanspruch (Art. 65 I des Strassenverkehrsgesetzes [SVG] vom 19.12.1958 [AS 1959 679]) gegen den Haftpflichtversicherer mit Sitz in einem ausländischen Staat beim Gericht seines Wohnsitzes geltend machen.
Die Haftung bei einem Verkehrsunfall in der Schweiz, bei dem das Kraftfahrzeug eines deutschen Halters und das Kraftfahrzeug eines schweizerischen Halters beteiligt sind, ist wegen des nach Art. 4 I Rom-II-VO geltenden Erfolgsortsprinzips nach schweizerischen Sachrecht zu beurteilen. Dass es sich bei der Schweiz nicht um einen Mitgliedstaat der Europäischen Union handelt, ist wegen Art. 3 Rom-II-VO unerheblich. [LS der Redaktion]
Der Kl. begehrt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 2.3.2013 in der Schweiz ereignete. Der Kl. fuhr mit seinem in Deutschland zugelassenen Fahrzeug in Richtung Autobahnauffahrt A 1 (Bern/Basel). Dabei kollidierte er mit einem in der Schweiz zugelassenen Fahrzeug, das von der Zeugin ... gelenkt wurde und bei der Bekl., einem Schweizer Versicherer, haftpflichtversichert ist. Mit seiner Klage hat er zunächst von der Zeugin ... und der Bekl. seinen Unfallschaden i.H.v. 2 014,15 € nebst Zinsen beansprucht. Zur Begründung hat er vorgetragen, der Unfall sei darauf zurückzuführen, dass die Zeugin ... einen Fahrspurwechsel durchgeführt habe. Später hat der Kl. die Klage gegen die Zeugin ... zurückgenommen.
Die Bekl. ist der Klage entgegengetreten und hat vorgetragen, der Kl. sei unter Verletzung seiner Wartepflicht auf die bevorrechtigte X Straße aufgefahren. Das AG hat den Kl. angehört und danach die Klage abgewiesen. Ausgehend von den Angaben sei ausgeschlossen, dass die Zeugin ... einen Fahrspurwechsel durchgeführt habe. Vielmehr liege ein Vorfahrtsverstoß des Kl. vor. Hiergegen wendet sich der Kl. mit seiner Berufung.
[1]II. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet. Das Urteil des AG beruht weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 I ZPO).
[2]1. Zutreffend hat das Erstgericht zunächst die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte bejaht. Denn nach Art. 9 und 11 LugÜ 2007 kann der Geschädigte eines Verkehrsunfalls einen nach dem anwendbaren nationalen Recht bestehenden Direktanspruch (hier: Art. 65 I Schweizer SVG) gegen den Haftpflichtversicherer mit Sitz in einem ausländischen Staat im Geltungsbereich des Abkommens beim Gericht seines Wohnsitzes geltend machen (vgl. BGHZ 195, 166 m.w.N. (IPRspr 2012-225)).
[3]2. Ebenfalls zu Recht ist die Erstrichterin davon ausgegangen, dass der vorliegende Verkehrsunfall nach schweizerischem Recht zu beurteilen ist. Nach Art. 4 I Rom-II-VO ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staats anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind (sog. Erfolgsortprinzip, vgl. Geigel-Haag, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 43 Rz. 59). Die Regelung findet hier Anwendung, da es sich um einen Anspruch aus einem Verkehrsunfall handelt, der nach dem 11.1.2009 entstanden ist (vgl. Art. 32 Rom-II-VO; Kammer, Urteile vom 9.3.2012 – 13 S 51/11 (IPRspr 2012-45), NJW-RR 2012, 885 ff., und vom 11.5.2015 – 13 S 21/15 (IPRspr 2015-47) m.w.N.). Für die hier geltend gemachten Schäden ist Erfolgsort der Tatort – hier die Schweiz (vgl. Kammer aaO m.w.N.). Dass es sich bei der Schweiz nicht um einen Mitgliedstaat handelt, ist nach dem Universalprinzip des Art. 3 Rom-II-VO unerheblich (vgl. Wagner/Berentelg, MDR 2010, 1353, 1358; Erman-Hohloch, BGB, 14. Aufl., Art. 3 Rom II-VO Rz. 1; Prütting-Wegen-Weinreich-Schaub, BGB, 10. Aufl., Art. 3 Rom II-VO Rz. 1 m.w.N.).
[4]3. Keinen Bedenken begegnet auch die Feststellung des Erstgerichts, dass ein Verstoß der Zeugin ... gegen die Pflichten beim Wechsel eines Fahrstreifens nicht in Betracht kommt. Denn die Vorschrift des Art. 44 I SVG, wonach ein Fahrstreifen nur gewechselt werden darf, wenn dadurch der übrige Verkehr nicht gefährdet wird, setzt mehrere in gleicher Richtung verlaufende Fahrspuren voraus (vgl. Art. 1 V schweizerische Verkehrsregelnverordnung [VRV]; Giger, SVG, 8. Aufl., Art. 44 SVG Rz. 1). Dies ist indes an der gesamten Unfallörtlichkeit nicht der Fall, wie sich aus der Straßenkarte von google.maps und der Ansicht in google.streetview ergibt. Dass diese den Straßenzustand zum Unfallzeitpunkt nicht richtig wiedergäben, wird von dem Kl. nicht geltend gemacht.
[5]4. Zu Recht wendet sich die Berufung aber gegen die Feststellung des Erstgerichts, dass sich der Unfall im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Einfahren des Kl. in eine bevorrechtigte Straße ereignet hat, so dass den Kl. ein Vorfahrtsverstoß trifft.
[6]a) Richtig ist allerdings, dass der Kl. – wie er im Übrigen selbst eingeräumt hat – auf eine bevorrechtigte Straße eingefahren ist. Denn bei der maßgeblichen Einmündung von der ... zur ... handelt es sich um eine durch das Verkehrszeichen ‚Vorfahrt achten’ gekennzeichnete Einmündung, so dass der Kl. die Regeln über den Vortritt zu beachten hatte (Art. 36 II SVG, Art. 14 VRV). Danach [darf], wer zur Gewährung des Vortritts verpflichtet ist, den Vortrittsberechtigten in seiner Fahrt nicht behindern. Er hat seine Geschwindigkeit frühzeitig zu mäßigen und, wenn er warten muss, vor Beginn der Verzweigung zu halten.
[7]b) Ob der Kl. nachweislich diese Pflichten verletzt hat, ist indes offen. Zwar streitet der Anscheinsbeweis gegen den nach Art. 36 II SVG und Art. 14 VRV Wartepflichtigen, wenn es im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Einfahren in eine bevorrechtigte Straße zu einem Unfall im Kreuzungs- oder Einmündungsbereich kommt. Dieser im deutschen Recht anerkannte Erfahrungssatz (vgl. BGH, Urt. vom 21.1.1986 – VI ZR 35/85, VersR 1986, 579; Hentschel-König-Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 8 StVO Rz. 68 m.w.N.) gilt auch bei Anwendung ausländischen Verkehrsrechts (vgl. BGH, Urt. vom 4.10.1984 – I ZR 112/82, NJW 1985, 554; Kammer, Urteile vom 13.2.2015 – 13 S 203/15 – und vom 11.5.2015 aaO m.w.N.). Allerdings ist hier nicht geklärt, in welcher Entfernung von der Einmündung sich der Unfall tatsächlich ereignet hat. Denn es verbleibt – worauf die Berufung zu Recht hinweist – insbesondere nach den Angaben des Kl. in seiner Anhörung die ernsthafte Möglichkeit, dass er im Kollisionszeitpunkt bereits so weit in die bevorrechtigte Straße eingefahren war, dass er sich in den fließenden Verkehr eingeordnet hatte.
[8]5. Allerdings verkennt die Berufung, dass es hierauf im Ergebnis nicht ankommt.
[9]a) Nach Art. 61 II SVG haftet ein Fahrzeughalter für einen Sachschaden eines anderen Halters nur dann, wenn der Geschädigte beweist, dass der Schaden durch Verschulden oder vorübergehenden Verlust der Urteilsfähigkeit des beklagten Halters oder einer Person, für die er verantwortlich ist, oder durch fehlerhafte Beschaffenheit seines Fahrzeugs verursacht wurde. Bei Sachschäden unter Fahrzeughaltern ist mithin grundsätzlich nur das Verschulden des in Anspruch genommenen Halters als Haftungskriterium maßgebend; die Betriebsgefahr des Fahrzeugs darf insoweit nicht in Rechnung gestellt werden (vgl. BGE 94 II 173; Giger aaO Art. 61 SVG Rz. 10; Bachmeier-Hablützel/Saner, Regulierung von Auslandsunfällen, 2. Aufl., Schweiz, Rz. 9; Rusch, Haftpflichtrecht, Straßenverkehrsrechtstagung 2012, 236).
[10]b) Ein entsprechendes Verschulden der Zeugin ... ist hier nicht nachgewiesen. Denn es kann – wie bereits gezeigt – nicht verlässlich ausgeschlossen werden, dass der Unfall (ausschließlich) auf einer Vorfahrtsverletzung des Kl. beruht. Dies gilt insbesondere, weil schon die eigenen Angaben des Kl. zum Unfall variieren. Während die Darstellung des Kl. in seiner informatorischen Anhörung auf eine größere Entfernung des Unfallorts von der Einmündung hindeutet, legt der von beiden Unfallbeteiligten unterzeichnete Unfallbericht nach der Position der Fahrzeuge eine Vorfahrtsverletzung des Kl. nahe. Auch nach der vom Kl. selbst erstellten Unfallskizze erscheint schließlich eine Vorfahrtsverletzung als möglich. Denn die auf der Skizze eingezeichnete schraffierte Fläche, an deren Ende sich der Unfall ereignet haben soll, muss sich nicht zwangsläufig auf die auf der Vorfahrtsstraße vorhandene schraffierte Fläche beziehen, sondern kann auch die am Beginn der Einmündung endende schraffierte Fläche der untergeordneten Straße bezeichnen, so dass sich der Unfall danach im unmittelbaren Einmündungsbereich ereignet hätte. Begründen aber bereits die eigenen Angaben des Kl. durchgreifende Zweifel an einem Verschulden der Zeugin ..., bedurfte es insoweit auch keiner weiteren Beweiserhebung.
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